Joe R. Lansdale – „Straße der Toten“

Freitag, 17. November 2017

(Golkonda, 285 S., Pb.)
Reverend Jebidiah Mercer betrachtet sich als Vollstrecker des Herrn, als Mann, der die Sünde ausmerzt, und zwar nicht nur mit Gottes Wort, sondern auch tatkräftig und zielsicher mit seinem umgebauten 36er Navy-Colt bewaffnet, den er in einem breiten Tuch über seinem Hosenbund trägt. Zu seinem strengen Gesichtsausdruck, der seinem Amt durchaus angemessen scheint, gesellt sich auch etwas sehr Unpriesterliches, das sich in den stahlblauen Augen widerspiegelt.
Als er mit seinem Pferd in die osttexanische Kleinstadt Mud Creek kommt, wo er sich ein Zelt mieten möchte, um einen Abendgottesdienst abhalten zu können, erfährt er vom dem dort praktizierenden Doc, dass vor einiger Zeit ein Indianer und seine farbige Gefährtin durch den Deputy Caleb gelyncht worden sind, weil ihnen vorgeworfen wurde, die Tochter von David Webb umgebracht zu haben.
Dabei hatten die beiden seit ihrer Ankunft in Mud Creek mit ihren Heiltränken vielen Kranken helfen können, bei denen der Doc mit seinem Mediziner-Latein am Ende gewesen war. Doch als sie das schwerkranke Webb-Mädchen nicht retten konnten, machten Caleb und sein Gefolge kurzen Prozess mit den Wunderheilern. Bevor der Indianer aufgeknüpft und die Frau bestialisch ermordet und zerstückelt wurde, sprach der Indianer einen Fluch in einer Sprache aussprach, die der Doc aus Büchern wie dem „Necronomicon“, „De Vermis Mysteriis“ und „Unaussprechliche Kulte“ kannte. Tatsächlich hat der Doc seither einige merkwürdige Todesfälle zu beurkunden, aktuell den Bankdirektor und Säuferkönig Nate Foster.
In kurzer Zeit verwandelt sich Mud Creek in eine Zombie-Stadt, die von dem rachsüchtigen Dämon in der Gestalt des gehängten Indianers angeführt wird. Zusammen mit dem Doc, seiner Tochter Abby und dem unerschrockenen Jungen David nimmt der Reverend den Kampf auf …
„Er war ein Mann des Herrn. Und er hasste Gott. Er hasste diesen Scheißkerl von ganzem Herzen.
Er wusste auch, dass Gott das wusste, und dass es ihm egal war, denn Jebidiah war sein Sendbote. Keiner aus dem Neuen Testament, sondern einer aus dem Alten: gnadenlos und unerbittlich, rachsüchtig und kompromisslos. Ein Mann, der Moses die Beine unterm Hintern weggeschossen und dem Heiligen Geist ins Gesicht gespuckt und ihn skalpiert hätte, nur um die himmlische Haarpracht in alle vier wilden Winde zu schleudern.“ (S. 154) 
„Straße der Toten“ vereint erstmals alle Geschichten, die der texanische, mit Preisen wie dem American Mystery Award, dem Edgar Award und dem Bram Stoker Award ausgezeichnete Autor Joe R. Lansdale („Ein feiner dunkler Riss“, „Kahlschlag“) um den charismatischen Reverend Jeb Mercer in den Jahren zwischen 1984 und 2010 veröffentlicht hatte. Neben dem Roman „Dead In The West“, der zwischen 1984 und 1987 in vier Teilen in „Eldritch Tales“ veröffentlicht wurde, vereint der Sammelband noch die Geschichten „Straße der Toten“, „Das Gentleman’s Hotel“, „Der schleichende Himmel“ und „Tief unter der Erde“, die weitere Abenteuer des außergewöhnlich kampflustigen Priesters erzählen, der sich mit Werwölfen, Zombies und Gespenstern auseinandersetzt.
Wie der Autor selbst im Vorwort ausführt, war er als Kind von Comics und Filmen inspiriert, und was ihn besonders faszinierte, war die Vermischung von Genres wie Science-Fiction, Western, Horror, Fantasy und Liebesgeschichten. Vor allem gefielen ihm die Universal-Horrorfilme, dann die trashigen Produktionen von Roger Corman und Westernserien wie „Gunsmoke“, „Maverick“, „Wanted Dead or Alive“ und „Have Gun“. Aus der Idee, selbst ein Drehbuch für einen Weird Western zu schreiben, entstand Anfang der 1980er „Dead In The West“, mit dem Lansdale sich – nach „Akt der Liebe“ (1981) – allmählich als ernstzunehmender Horror-Autor etablierte. Auf originelle Weise vereinte er hier klassische Western-Motive mit den Topoi des Grauens, wie wir ihn von H.P. Lovecraft, Arthur Machen oder Algernon Blackwood kennen, zu einem wilden Ritt, bei dem viel Blut fließt und Gotteslästereien zu lesen sind, aber auf so humorvolle, temporeiche Weise, dass nicht nur Roger Corman seine helle Freude an dem unterhaltsamen Stoff hätte.
In der Werksbiografie nehmen die Geschichten rund um Reverend Jeb Mercer fraglos eine (trashige) Sonderstellung ein, aber Lansdale-Fans dürften trotzdem ihren Spaß dabei haben, auch wenn sich die Geschichten in Aufbau und Entwicklung ähneln und nur die übernatürlichen Wesen eine andere Form annehmen. Ebenso sind die Charaktere längst nicht so fein gezeichnet, wie wir es von Lansdales Meisterwerken „Die Wälder am Fluss“ oder „Dunkle Gewässer“ gewohnt sind, aber das trifft auf die legendären Pulp-Geschichten auch nicht zu.

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