Lucius Shepard - „Endstation Louisana“

Donnerstag, 16. Juli 2009

(Edition Phantasia, 157 S., Pb.)
Es ist noch gar nicht so lange her, da erschien bei Edition Phantasia mit „Aztech“ eine furiose Science-Fiction-Novelle des 1947 geborenen amerikanischen Schriftstellers Lucius Shepard, der sich aber ebenso in den Genres Fantasy und Horror beheimatet fühlt, wie er mit der prägnanten Horror-Story „Endstation Louisana“ eindrucksvoll dokumentiert.
So könnte man auch Grail bezeichnen, dieses kleine Nirgendwokaff am Golf mit einem aus zwei Blocks bestehenden Geschäftsviertel, ein paar Fischerbooten am verwitterten Kai, etlichen Bars, den benachbarten Kirchen The Assembly of God und St. Jude’s und dem Restaurant Vida’s Moonlight Diner. Die 29-jährige Inhaberin Vida Dumars war vor elf Jahren aus Grail weggelaufen und ließ sich in New Orleans von einem Hexer namens Clifford Marsh misshandeln. Seit ihrer Rückkehr nach Grail versucht sie diese Schmach zu vergessen. Sie ist die amtierende Mittsommernachtskönigin, zu der alle zwanzig Jahre ein zehnjähriges Mädchen gekürt wird, das alles Unglück der Stadt auf sich nehmen muss, damit es der Stadt selbst gut geht. Diesen Pakt schlossen Grails Gründerväter vor Jahrhunderten mit einem mysteriösen „Guten Grauen Mann“. Am Abend des 22. Juni, als Vidas Nachfolgerin gekürt werden soll, hat der durchreisende Musiker Jack Mustaine, mit seinem BMW eine Panne am Straßenrand von Grail, wartet die Reparatur seines Wagens in der Stadt ab und lernt Vida kennen und lieben. Doch dann stattet der „Gute Graue Mann“ der Stadt wieder einen Besuch ab, und über das Schicksal von Grail und seinen Bewohnern wird neu verhandelt ... „Endstation Louisana“ beschreibt den magischen Pantheismus im Süden von Louisana mit eindringlicher Intensität.

Lucius Shepard - „Aztech“

(Edition Phantasia, 111 S., Pb.)
Der 1947 geborene amerikanische Schriftsteller hat sich bislang sowohl in Fantasy-, Science-Fiction- als auch Horror-Kreisen einen Namen gemacht und präsentiert in der neu gegründeten Science-Fiction-Paperback-Reihe des Bellheimer Verlags Edition Phantasia mit „Aztech“ eine kleine, aber sehr feine SciFi-Erzählung. Das darin utopische Szenario treibt dabei die aktuelle politische und soziale Situation auf dem gesamtamerikanischen Kontinent nur auf die Spitze. In Lateinamerika herrschen anarchistische Zustände. Allein die mächtigen Drogenkartelle sorgen trotz ständiger kriegerischer Auseinandersetzung für etwas soziale Ordnung. Dagegen haben sich die reichen Vereinigten Staaten mit einem riesigen Elektrozaun an der gesamten Grenze zu Mexiko abgeschottet.
Der 24-jährige Eddie Poe, der mit seinem Vater aus den Staaten nach Mexiko gegangen ist und dort eine Personenschutzfirma leitet, erhält den Auftrag, mit Zett einen Abgesandten der High-Tech-Firma Aztech zu einem Treffen mit dem Drogenboss Carbonell zu begleiten. Doch die Verhandlungen enden in einer riesigen Schießerei, bei der Zett tödlich verletzt wird und Eddie mit seiner Freundin Lupe von seiner eigenen Crew gefangen genommen wird. Die durch Drogen zu Kampfmaschinen mutierten, Sammys genannten Söldner zwingen auch Eddie zum Drogenkonsum. Allein seine mediengeile Freundin Lupe, mit der er für ihre Sendung auch live vor der Kamera fickt, um ihre Einschaltquoten in die Höhe zu treiben, kann ihm offensichtlich helfen, nicht nur den Konflikt zwischen seiner eigenen und der neuen Sammy-Persönlichkeit zu lösen, sondern auch den innerhalb des gesellschaftlichen Brandherdes, der zu explodieren droht… Sehr spannende, zeitweise auch witzige Parabel über die Beziehungen von Politik, Sex, Medien, Macht und Manipulation.

Nick Mamatas - „Abwärts – Move Under Ground“

(Edition Phantasia, 199 S., Pb.)
In den limitierten Vorzugsausgaben des aufwändig gestalteten Hardcover-Programms hat der Verlag Edition Phantasia bislang fast ausschließlich – auch moderne - Klassiker der Science-fiction- und Horror-Literatur wie ausgewählte Werke von H.P. Lovecraft, Ray Bradbury,
Clive Barker, Peter Straub oder Stephen King veröffentlicht. In der recht jungen Paperback-Reihe eröffnet man nun auch hoffnungsvollen Newcomern die Möglichkeit, auf dem
deutschen Markt entdeckt zu werden.
Nick Mamatas wurde bereits für seine Story „Northern Gothic“ für den Bram Stoker Award nominiert, hat sich in den USA mit etlichen Beiträgen für Musik- und Underground-Magazine einen Namen gemacht und legt nun mit „Abwärts – Move Under Ground“ seinen ersten Roman vor, mit dem er den berühmten Beat-Autoren Jack Kerouac, Neal Cassidy und William S. Burroughs neues Leben einhaucht. Nachdem der Ich-Erzähler Jack mit Büchern wie „On The Road“ (1957) den American Way of Life kritisierte und die Sinnsuche einer entwurzelten Generation beschrieb, befindet er sich in den 60ern auf der Flucht vor seinen Fans und zieht sich in Big Sur zum Meditieren zurück und widmet sich seinem „spontanen Schreiben“. Er liest die Briefe seines Freundes Neal, dem er nie antwortet, mit dem ihn aber die Hoffnung verbindet, die Welt vor dem Grauen zu retten, das irgendwo da draußen in der Tiefe lauerte. Tatsächlich werden Jack, Neal und später auch Bill Burroughs mit dem Ausbruch des sagenhaften R’lyeh konfrontiert, der Heimat des urzeitlichen Gottes Cthulhu, dessen Heerscharen von Schoggothen und Kultisten bereits in Menschengestalt zu schlüpfen versuchen und die Menschheit zu vernichten drohen. Die drei Beatniks machen sich auf eine Reise durch ein apokalyptisches Amerika, von Nevada über San Francisco bis nach New York, um sich dem Bösen entgegenzustellen … Mamatas versteht es blendend, die
Sprache und das Anliegen der Beat-Autoren mit dem kosmischen Schrecken Lovecrafts zu verbinden. Heraus gekommen ist ein herrlich abgedrehtes, groteskes Road Movie in Romanform.

H.P. Lovecraft - “Der Kosmische Schrecken“

Freitag, 10. Juli 2009

(Festa, 317 S., HC)
Echte Lovecraft-Fans, die es sich auch noch leisten können, haben mit den bei Edition Phantasia veröffentlichten, bislang zehn sorgfältig editierte Bände umfassenden „Gesammelten Werken“ von H.P. Lovecraft bereits das Nonplusultra in den heimischen Bücherregalen stehen. Für den kleineren Geldbeutel bietet der Festa-Verlag, der schon viel an Sekundärliteratur und Lovecraft-verwandten Autoren veröffentlicht hat, aber auch schön eingebundene Geschichtensammlungen an, von denen der erste nun mit „Der Kosmische Schrecken“ vorliegt.
Kaum ein anderer Autor bot in seinen Erzählungen so viel Stoff für tiefenpsychologische Deutungen, denn der scheue Lovecraft war bekanntermaßen ein echter Sonderling mit ausgeprägten Vorurteilen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten, ein Atheist und Materialist, der in seinen Geschichten nichtsdestotrotz grauenhafte Gottheiten schuf. So einigen begegnet man auch in „Der Kosmische Schrecken“. In neuer Übersetzung liegen hier mit „Die Ratten im Gemäuer“, „Das Ding auf der Schwelle“, „Dagon“, „Der Flüsterer im Dunkeln“, „Der Außenseiter“ und „Der Schatten über Innsmouth“ einige der populärsten Storys des amerikanischen Schriftstellers vor. Dazu gibt es sehr aufschlussreiche Anmerkungen zu letzterer Geschichte von S.T. Joshi und David E. Schultz sowie die von Lovecraft verworfene Version dieser schaurigen Novelle. Mit „Namenlose Kulte“ ist ein weiterer Lovecraft-Band bereits in Vorbereitung.

H.P. Lovecraft - „Der Ruf des Dämon – Dunkle Geschichten“

(Eichborn LIDO)
Neben Edgar Allan Poe ist Howard Philips Lovecraft (1890-1937) einer der bedeutendsten Wegbereiter der modernen Horror-Literatur gewesen. Das kosmische Grauen, das Lovecraft in seinen Erzählungen heraufbeschwor, eignet sich aufgrund seiner extrem bildhaften Sprache besonders gut für die immer beliebter werdenden Grusel-Hörbücher. Nachdem LPL Records bereits mit „Der Cthulhu Mythos“, „Der Schatten über Innsmouth“ und „Das Ding auf der Schwelle & Die Ratten im Gemäuer“ die bekanntesten Lovecraft-Storys als Hörbücher veröffentlicht haben, legt der Eichborn-Verlag nun mit der Doppel-CD „Der Ruf des Dämon“ nach. Die beiden hier vertretenen Stories „Der Hund“ und „Das Fest“ sind zwar nicht so bekannt wie andere, wobei Lovecraft selbst sogar erstere als seine schlechteste Erzählung betrachtete, entfalten aber nichtsdestotrotz ihre mehr als unheimliche Wirkung. In „Der Hund“ berichtet der Ich-Erzähler von seinem makabren Museum und seinen abscheulichen Ausstellungsstücken.
Mit den Themen Leichenraub und dekadente Todessehnsucht versuchte Lovecraft hier die Literatur der französischen Décadence von Autoren wie Baudelaire und Huysmans auf die Spitze zu treiben, was durchaus augenzwinkernde Züge annimmt.
In „Das Fest“ besucht der Ich-Erzähler das fremdartige Julfest in einer albtraumhaften Hafenstadt, die von einer jahrhundertealten Rasse bewohnt wird und dort ihre schaurigen Rituale durchführt … Beide Geschichten werden von Simon Jäger (Synchron-Stimme u.a. von Josh Hartnett und Heath Ledger) sehr stimmungsvoll erzählt. Dazu sorgt das Orchester der Schatten für einen atmosphärisch dichten Soundtrack aus Klavier, Bläsern, Cello und Percussions. Drei Gedichte, von Simon Newby im Original gelesen, und ein informatives Booklet runden die Produktion sehr schön ab.

H.P. Lovecraft - “Gesammelte Werke: Erzählungen – 5 Bände” + “Saat von den Sternen”

(edition phantasia)

200 S., HC)
Der exklusive Kleinverlag edition phantasia hat sich der dankbaren Aufgabe angenommen, das Gesamtwerk des bedeutenden Schriftstellers herauszugeben, und legt eine insgesamt fünf Bände umfassende erste Werkgruppe mit Erzählungen vor.
Mit seinen beklemmenden Visionen von uralten Göttern mit unaussprechlichen Namen wie Nyarlathotep, Yog-Sototh und Cthulhu, die einst von der Erde verstoßen wurden und sich seither danach sehnen, an ihre alte Wirkungsstätte zurückzukehren, avancierte Lovecraft nach Edgar Allan Poe zum bedeutendsten Horror-Schriftsteller Amerikas und wurde durch seinen Cthulhu-Mythos unsterblich. In „Erzählungen I“, dem ersten, auf 350 limitierten und handnummerierten Band der ersten, nur komplett zu beziehenden Werkgruppe, sind neben den aus den Suhrkamp-Sammelbänden wie „In der Gruft“, „Stadt ohne Namen“ und „Die Katzen von Ulthar“ bekannten Geschichten wie „Das Grab“, „Die Aussage des Randolph Carter“, „Celephais“, „Der Tempel“, „Die Musik des Erich Zann“ und „Azathoth“ bereits sieben bislang hierzulande unveröffentlichte, von Joachim Körber (der sich als Übersetzer vieler Bücher von Stephen King, Peter Straub und Clive Barker sowie als Herausgeber verschiedener Horror-Anthologien einen Namen gemacht hat) übersetzte Geschichten enthalten, die das Herz eines jeden Lovecraft-Fans höher schlagen lassen. Schließlich hat es Lovecraft wie kaum ein anderer verstanden, beklemmende Atmosphären zu kreieren, die den Leser nachhaltig zu beeindrucken wussten und die eindrucksvoll das Bild einer ohnmächtigen Menschheit zeichnete, die den mächtigen, alten Göttern hilflos ausgeliefert war.
„Erzählungen II“ widmet sich dem reiferen Werk des Autors und enthält u.a. seine berühmten Geschichten “Die Ratten im Gemäuer”, “In der Gruft”, “Cthulhus Ruf” und “Pickmans Modell". Zwar sind im Gegensatz zum ersten Band keine Erstveröffentlichungen vertreten, was den zweiten Band aber - abgesehen von der exklusiven Gestaltung - so wertvoll macht, ist das informative Vorwort des Lovecraft-Experten Marco Frenschkowski, der zu jeder Geschichte auch noch eine interessante Einführung verfasste, die jeweils gerade auf die ganz spezielle Ästhetik des Autors eingeht.
In “Erzählungen 3” sind mit “Die Traumsuche nach dem unbekannten Kadath”, “Der Fall Charles Dexter Ward” und “Die Farbe aus dem All”, die Lovecraft Ende der 20er Jahre verfasst hatte und die - wie Frenschkowski in seinem Vorwort anmerkt - einmal mehr eine “Topographie des Schreckens” entfalten und sich dabei auf unheimliche Weise der Genres historischer Roman, Science Fiction und Fantasy bedienen, zugleich Lovecrafts längsten Erzählungen zusammengefasst, die fast schon Roman-Charakter haben. Für Lovecraft-Liebhaber sind vor allem die ausführlichen historischen Anmerkungen von Frenschkowski zu jeder Geschichte von besonderem Reiz.
Abseits der “Gesammelten Werke” hat der Verlag mit “Saat von den Sternen” eine weithin unbekannte Facette von Lovecraft ans Tageslicht befördert, nämlich die Ausformung seiner Ästhetik des Schreckens in makabren Gedichten, die hier in zweisprachiger Fassung und vollfarbig von Heiner Stiller illustriert veröffentlicht worden sind. Kenneth W. Faig, Jr. verfasste dazu eine einfühlsame Einleitung, in der er nicht nur auf den Sonett-Zyklus “Fungi from Yuggoth”, sondern auch auf Lovecrafts Leben und Werk eingeht, und Muriel E. Eddy, eine persönliche Bekannte Lovecrafts, schließt den schönen Band mit einer “Reminiszenz” ab, die weitere Facetten von Lovecrafts Persönlichkeit enthüllt.

China Miéville - „Spiegel“

Mittwoch, 8. Juli 2009

(Edition Phantasia, 130 S., HC)
Der in London lebende China Miéville zählt in seiner englischen Heimat mit nur wenigen Romanen bereits zu den meistbeachteten Horror-Schriftstellern und wurde schon mit Auszeichnungen wie dem British Fantasy Award, dem Arthur C. Clarke Award und dem Locus Award geehrt. Nun bringt der Bellheimer Verlag Edition Phantasia Miéville auch dem deutschen Publikum nahe.
„Spiegel“ ist eine kleine, aber feine Horror-Erzählung, die von Jorge Luis Borges’ „Das Buch der imaginären Wesen“ inspiriert der interessanten Vorstellung nachspürt, was geschehen könnte, wenn unsere Spiegelbilder ein Eigenleben entwickeln würden. Das kurze Szenario spielt sich in einem apokalyptisch zerstörten London ab, in dem sich Sholl in einem gestrandeten Doppeldecker-Bus mit vergitterten Fenstern häuslich eingerichtet hat. Sporadisch zerfetzt das Donnern von Handfeuerwaffen die Luft. Führerlos versuchen einzelne militärische Trupps, Kontakt zu ihren Befehlshabern und zur nicht mehr vorhandenen Regierung aufzunehmen. Sholl macht sich auf den Weg zu einem dieser versprengten Trupps und versucht Anhänger für seinen Plan zu finden, den so genannten Patschogen den Garaus zu machen. Sie haben sich einst aus der Abhängigkeit von den Menschen befreien können, waren nicht mehr nur Spiegelbilder, sondern entwickelten erst hinter dem verspiegelten Glas ein eigenes, die Menschen zutiefst erschreckendes Dasein, dann traten sie durch das Glas auf die andere Seite und entfachten einen fürchterlichen Krieg. Sholl begibt sich in den U-Bahn-Schacht von Hampstead, um dort den Vampiren, niederen Formen der Patschogen, entgegenzutreten… Höchst interessantes und vergnüglich zu lesendes Gedankenspiel um die Welt, die sich möglicherweise hinter unseren Spiegelbildern verbirgt. Die auf 250 nummerierte Exemplare limitierte Vorzugsausgabe wurde wunderschön von Reinhard Kleist illustriert und sowohl vom Autor als auch vom Illustrator handsigniert.

Umberto Eco - „Die geheimnisvolle Flamme der Königin Loana“

Sonntag, 5. Juli 2009

(Hanser, 508 S., HC)
Umberto Eco, dessen Name wohl für immer untrennbar mit dem kongenial verfilmten Erfolg seines Mittelalterkrimis „Der Name der Rose“ verbunden ist, taucht mit seinem neuen Roman in das Reich der Erinnerungen ein. Als der knapp sechzigjährige Bibliothekar Giambattista Bodoni aus dem Koma erwacht, kann er sich zwar an alles Mögliche erinnern, was irgendwie mit seinem Beruf zu tun hat, kennt sämtliche historischen Ereignisse und literarischen Kostbarkeiten, mit denen er je zu tun hatte, doch an seine Frau Paola, seine Töchter, seine persönliche Vergangenheit kann er sich nicht erinnern. Indem seine Frau ihn nach Norditalien aufs Land in das Haus seines Großvaters zur Erholung schickt, macht sich der liebevoll Yambo genannte Buchhändler an alte Bücher, Magazine, Schallplatten und Comics, lässt sich von Paola über seine Familiengeschichte aufklären und trifft sich mit seinem alten Freund Gianni Laivelli, der Bodoni auch von Lila erzählt, Bodonis große Liebe in der Schule, die er im Alter von sechzehn Jahren plötzlich aus den Augen verloren hat.
Es sind vor allem die Erinnerungen an dieses geheimnisvolle Mädchen, nach denen Bodoni fast verzweifelt sucht, und der Leser wird Zeuge der Suche, indem die allmählich zurückkehrenden Erinnerungen und Geschichten mit entsprechenden Filmplakaten, Comic-Bildern, Briefmarken, Zeitungsausschnitten und anderen Illustrationen in dem Roman mit abgebildet sind. Zwar sind die ausführlich geschilderten Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg für jüngere Leser vielleicht nicht ganz so interessant, aber die Geschichte der Suche nach der ersten großen Liebe ist dafür umso lesenswerter!

Ramsey Campbell - „Steif vor Angst“

Mittwoch, 1. Juli 2009

(Edition Phantasia, 244 S., HC im Schuber)
Neben Clive Barker und James Herbert zählt Ramsey Campbell fraglos zu den wichtigsten modernen britischen Horrorautoren, der seine Geschichten oft in der Anonymität moderner Großstädte, bevorzugt in seiner Heimatstadt Liverpool ansiedelt und dadurch seinen gruseligen Szenarien noch glaubwürdigere Züge verleiht.
In seinem 1987 verfassten, von Heiner Stiller collagenartig illustrierten und von Clive Barker eingeleiteten Werk verweist der Titel nicht nur auf die Erzeugung eines Angstgefühls, sondern tatsächlich auch auf die Erregung sexueller Leidenschaften und ausgefallener Fantasien, die selbst hinter den sorgfältig aufgebauten Fassaden bürgerlicher Einsamkeit die skurrilsten Formen annehmen. Campbell beschreibt dabei sehr deutlich, wie die Erfüllung unterschwelliger Sehnsüchte traditionelle Beziehungen untergräbt und der Versuch, die ganz eigenen sexuellen Fantasien auszuleben, stets ein unglückliches Ende nimmt. So werden in „Puppen“ die erotischen Gelüste einer christlichen Gemeinde bei einem Hexensabbat kanalisiert, wobei den Beteiligten erst spät gewahr wird, welch unmenschliche Züge manche Geschlechtspartner angenommen haben. In „Die andere Frau“ hat ein Buchillustrator mit Impotenzproblemen bei seiner Freundin zu kämpfen, wird aber hochgradig durch die Frau erregt, die er immer wieder malt, bis er das Bild der Fantasiegeliebten auf seine Freundin überträgt. Der Schuber in Schlangenlederoptik macht das auf 250 Exemplare limitierte, von Autor und Illustrator signierte Buch wieder zu einem echten Schmuckstück.

Fritz Leiber - „Die Umtriebe des Daniel Kesserich“

(Edition Phantasia, 116 S., HC im Schuber)
Ein wahres Schmuckstück hat der feine Bellheimer Verlag Edition Phantasia da auftun können. Die Novelle „Die Umtriebe des Daniel Kesserich“ des mit Literaturpreisen reich gesegneten Science-fiction-, Horror- und Fantasy-Autors Fritz Leiber (1910-1992) wurde nämlich in den 30er Jahren verfasst und war lange Zeit verschollen, ehe sie 1996 wieder auftauchte und ein Jahr später erstmals in den USA veröffentlicht wurde. Der versierte Übersetzer Joachim Körber (u.a. Stephen King, Clive Barker, Peter Straub) nahm sich nun das faszinierende Kleinod vor und ließ es von Lars Nestler auch gleich wunderschön illustrieren.
In bester Lovecraft-Tradition lässt Leiber den Ich-Erzähler George Kramer von seinen schwer zu begreifenden Erlebnissen berichten, die ihm bei seinem Besuch in der kleinen Stadt Smithville widerfuhren, wo seine beiden Collegefreunde Daniel Kesserich und John Ellis lebten. Ellis hatte dort die schöne Mary Andrews, Mündel eines Obstbauers, geheiratet, während Kesserich seinen Experimenten um Raum und Zeit nachging. Ellis schrieb Kramer vom unglücklichen Tod seiner Frau, die scheinbar versehentlich durch ein neues hochwertiges Spritzmittel vergiftet wurde. Auf dem Weg zu Kesserich fragt sich Kramer, wieso quasi aus dem Nichts Steine auf dem Boden auftauchen, die ihm den Weg zu weisen scheinen, dann explodiert auch noch Kesserichs Haus … Erst ein in den Trümmern gefundenes Notizbuch des exzentrischen Forschers und Ellis, der auch noch das Verschwinden der Leiche seiner Frau verkraften muss, lassen das ganze Ausmaß von Kesserichs Forschungen erahnen … Lovecraft hätte diese klaustrophobische Erzählung kaum packender schreiben können! Das wundervoll aufgemachte Buch ist vom Illustrator signiert und auf 250 handnummerierte Exemplare limitiert.

Henry Rider Haggard - “Der Mahatma und der Hase”

(Edition Phantasia, 120 S., Pb.)
Der 1912 zum Ritter geschlagene Beamte, Politiker und Schriftsteller Sir Henry Rider Haggard (1856 – 1925) wurde vor allem durch seine vierzig Jahre lang erscheinenden, oft verfilmten Geschichten um den Abenteurer Allan Quatermain weltberühmt, aber auch durch – ebenfalls verfilmte - Romane wie „King Solomon’s Mines“ und „She“. Die 1911 verfasste, nun erstmal auf Deutsch erscheinende Fabel „Der Mahatma und der Hase“ zählt zu Recht zu den beeindruckendsten Werke der Fantasy-Literatur, ist es doch ein eindringliches Plädoyer gegen die Jagd.
Der Ich-Erzähler, der sich als nom-de-plume etwas selbstironisch mit dem Namen Mahatma schmückt, erzählt davon, wie er vor Trauer über den Verlust seiner geliebten Frau und Tochter erst zu trinken anfing und dann seinem Leben im Wasser ein Ende setzen wollte. Ein geheimnisvoller Mann namens Jorsen rettete den Lebensmüden nicht nur vor dem Ertrinken, sondern wies ihn in gewisse spirituelle Techniken ein, so dass sich Mahatma u.a. auch an frühere Leben bis zurück zu Zeiten des prähistorischen Menschen erinnern oder das wahre Wesen der Menschen erkennen konnte. Im Schlaf vermeint er, sogar seinen Körper verlassen zu können, und einmal gelangt er dabei auf eine große weite Straße, auf denen die Toten vom Totenbett zu den Himmelspforten schreiten. Dabei begegnet er einem Hasen, der Mahatma ausführlich von seinem von Todesangst und Flucht und körperlichen Peinigungen geprägten Dasein berichtet… Selten hat man die Qualen, die Tiere bei der Jagd empfinden müssen, derartig bestürzend vor Augen geführt bekommen. Haggard war übrigens selbst jahrelang begeisterter Jäger, ehe er ebenso leidenschaftlich zu ihrem Gegner wurde.

Maarten ´T Hart - „In unnütz toller Wut“

Sonntag, 21. Juni 2009

(Piper, 348 S., HC)
Das Leben im südholländischen Örtchen Monward treibt wie ein langer ruhiger Fluss so dahin. Unruhig wird es erst, als die junge und fesche Fotografin Lotte Weeda auftaucht und den ehrgeizigen Plan umzusetzen gedenkt, die zweihundert markantesten Gesichter des Dorfes für einen Fotoband zu fotografieren. Viele der katholischen, oft abergläubischen Einwohner haben so ihre Bedenken, vor allem Taeke Gras, der unter keinen Umständen sein Gesicht mit einem Blatt Papier teilen möchte, oder Abel, der plötzlich von dem Wahn befallen wird, dass seine Kinder nicht von ihm seien, aber letztlich erliegen sie allesamt Lottes Charme.
Auch der Ich-Erzähler, ein ehemaliges Mitglied des Führungsstabs der Abteilung für Evolutionäre und Ökologische Wissenschaften, leidenschaftlicher Musikliebhaber und Hobby-Schriftsteller, lässt sich dafür einspannen, das Vorwort zu „Verschlusszeiten“ zu schreiben. Wirklich turbulent geht es allerdings in Monward zu, nachdem Lotte Weeda wie vom Erdboden verschluckt zu sein scheint, als ihr Buch erscheint und einer der Portraitierten nach dem anderen stirbt. Die meisten Einwohner wollen an einen Zufall nicht glauben, auch wenn es sich zumeist um ältere Menschen handelt, die Lotte fotografiert hat. Dieses Unbehagen bekommt vor allem der Erzähler zu spüren, der sich indes von einigen attraktiven Frauen wie der Malerin Molly oder Sirena aus dem Schönheitssalon umgarnt sieht… Herrliche Posse über den Aberglauben, die Eitelkeit, Liebe und Lust.

Sam Shepard - „Der große Himmel“

Samstag, 20. Juni 2009

(S. Fischer, 157 S., HC)
Der 1943 geborene Sam Shepard hat sich nicht nur als hervorragender Schauspieler („Die Akte“, „Fool For Love“) auf sich aufmerksam machen können, sondern sich auch als Regisseur, Drehbuchautor („Paris, Texas“) und vor allem Theaterautor einen Namen gemacht und wurde bereits mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet. Seit 1977 erscheinen seine Geschichten auch in Buchform. „Der große Himmel“ ist sein fünfter Prosa-Band, in dem er sich einmal mehr mit dem kleinen Mann und seinen Ängsten und Sehnsüchten auseinandersetzt.
Auf gerade mal 157 Seiten finden sich 18, gelegentlich gerade mal zwei Seiten kurze Geschichten, in denen die Protagonisten Abschied von ihren Träumen nehmen oder unfähig sind, ihre zwischenmenschlichen Konflikte zu lösen, geschweige denn ihre eigene innere Zerrissenheit zu heilen. Dabei schwanken die Stories zwischen rührender Komik und Absurdität. Da flüchtet in „Coalinga auf halbem Weg“ ein Mann vor Frau und Kind zu einer anderen Frau, wie schon so oft zuvor, doch seine neue Geliebte, zu der er unterwegs ist, ist bereits dabei, mit ihrem Mann ebenfalls weiterzuziehen. In „Das blinkende Auge“ macht sich eine Frau mit der großen, grüne Urne, in der sich die sterblichen Überreste ihrer Mutter befinden, auf den Weg zur Familientrauerfeier in Green Bay und nimmt dabei einen am Straßenrand verletzt liegenden Bussard mit, der mit dafür verantwortlich zeichnet, dass sich die Asche der Mutter im ganzen Auto verteilt. „Die Botschaft leben“ erzählt die Geschichte eines Reisenden, der in einem Fast-Food-Restaurant auf das Schild „Leben ist das, was passiert, während du irgendwelche Pläne machst“ aufmerksam wird und unbedingt den Autoren kennen lernen will. So reiht sich eine irrwitzige, warmherzige Episode aus den zivilisationsfernen amerikanischen Dörfern an die andere.

Adam Thirlwell - „Strategie“

(S. Fischer, 320 S., HC)
Der von der Presse allseits gefeierte Debütroman des 26-jährigen Oxford-Absolventen Adam Thirlwell beginnt damit, dass Moshe seiner Freundin Nana (die eigentlich Nina heißt, aber da sie als Baby nicht Nina sagen konnte, sondern nur Nana, hieß sie eben fortan Nana) pinkfarbene, plüschbesetzte Handschellen anlegen will, die aber zu groß für Nanas schmale Hände sind, also nimmt er stattdessen das pinkfarbene Bondageseil.
Alles muss richtig arrangiert sein, schließlich ist Sex eine ernste Sache. Zumindest nehmen Moshe und Nana den Sex sehr ernst. Als die geplante Penetration in Nanas Arsch aber nicht gelingt und Moshe stattdessen in die für den Geschlechtsverkehr vorgesehene Öffnung rutscht, ist das nur eine weitere von vielen kleinen Katastrophen. Denn auch die vorherigen Experimente wie Oralverkehr, Rollenspiele, Lesbianismus, Undinismus, Dreier und Fisten waren nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Problematisch wird es, als Nanas Freundin Anjali mit ins Spiel kommt, erst mit Nana eine Affäre (aber unter Moshes Aufsicht) anfängt und dann so guten Sex mit Moshe hat, dass sich Nana von Moshe trennt. Der versteht die Welt nicht mehr… Adam Thirlwell betont zwar immer wieder, dass es in seinem Buch nicht um Sex geht, aber er macht auf witzige Weise deutlich, wie wichtig Sex für eine funktionierende Beziehung offenbar ist und wie schwierig es ist, guten Sex zu haben.

Benjamin Prado - „Als einer von uns Laura Salinas töten wollte“

Freitag, 19. Juni 2009

(Luchterhand, 190 S., HC)
Um seinem Traum von einem besseren Leben Ausdruck zu verleihen, sieht sich der Versicherungsangestellte Alcaén Sanchez teure zum Verkauf stehende Häuser an, die er sich zwar nie im Leben leisten kann, doch liebt er das Spiel mit der Identität eines wohlhabenden Mannes – bis er eines Tages der schönen Immobilienmaklerin Laura Salinas begegnet. Dieser Frau verfällt Sanchez dermaßen, dass er sogar mit dem Gedanken spielt, den Tresor seines Arbeitgebers auszurauben, um seiner Angebeteten das Leben zu bieten, das sie seiner Meinung nach verdient.
Tatsächlich verabredet er sich einige Male mit Laura, doch als es zur Unterzeichnung der Papiere für den Hauskauf kommen soll, zieht Sanchez den Geldraub, den er bereits so minutiös vorbereitet hat, doch nicht durch und gesteht Laura seine wahre Identität. Entsetzt zieht sich Laura von dem verzweifelten Verehrer zurück und bringt auf einmal einen gewalttätigen Ehemann ins Spiel, den Sanchez gewillt ist, aus dem Wege zu räumen. Derweil schreibt sein Freund Iker Obáiz an einem Roman, der nicht so recht vorankommen will, und bittet Sanchez darum, Ereignisse aus seinem Leben verwenden zu dürfen, um die Geschichte voranzutreiben. Der Arzt Ángel Biedma versorgt ihn dabei ständig mit Ideen und schmückt Episoden aus Sanchez’ Leben entsprechend aus. Als es schließlich zur Katastrophe kommt, fragt sich der Leser, welche Motive jeder der drei Freunde gehabt haben könnte… Benjamin Prado gibt als allwissender Erzähler erst nach und nach die pikanten Details der ungewöhnlichen Männerfreundschaft preis und sorgt mit allerlei Finten für kurzweilige Unterhaltung.

Benjamin Prado - „Nicht nur das Feuer“

(Luchterhand, 240 S., HC)
Als sich die rassige wie schöne Studentin Ruth in den jungen, wilden und radikalen Studentenführer Samuel verliebte, war das der Anfang einer feurigen Liebe, die mit vielen Träumen und Hoffnungen für die Zukunft verbunden gewesen ist. Etliche Jahre später scheint jeder Funken des ehemaligen Feuers vollkommen erloschen. Der damals so beliebte wie gefürchtete Samuel konnte die Hoffnungen in sein Talent nie erfüllen und nervt Ruth nun mit seiner zunehmenden Kleinlichkeit.
Beide fragen sich, wohin der Zauber ihrer Liebe entschwunden ist. Während Samuel sich Hoffnungen macht, die Beziehung wieder ins Lot zu bekommen, überlegt Ruth bereits, wie sie ihm beibringen soll, dass sie ihn verlassen wird. Doch gerade dann wird ihr Sohn Maceo von einem Blitz getroffen und lässt sich am Krankenbett tagelang die schönen Geschichten seines Großvaters Truman erzählen, der noch immer seiner Geliebten Cecilia nachtrauert. Derweil plagt Samuels und Ruths Tochter Marta heftigster Liebeskummer. Ihr Freund Lucas, für den sie alles tun würde, scheint nichts mehr von ihr wissen zu wollen, und schlägt sie auch noch. Auf einmal sehen Samuel und Ruth wieder eine Chance für ihre Liebe. Der spanische Autor Benjamin Prado, der bereits mit Raymond Chandler und Paul Auster verglichen wird, erzählt die Krise einer Liebe auf rasant episodenhafte Weise, dass einem anfangs etwas schwindelig wird. Schade, dass nach 240 Seiten schon wieder Schluss ist.

DBC Pierre - „Jesus von Texas“

Donnerstag, 18. Juni 2009

(Aufbau, 384 S., HC)
Eigentlich wäre die Lebensgeschichte von DBC Pierre allein schon ein Buch - oder besser noch – einen Film wert. Der 42-jährige Australier heißt eigentlich Peter Warren Finlay und führte bis vor einigen Jahren ein wildes Leben jenseits aller Legalität, schlug sich als Grafiker, Schmuggler, Filmemacher und Schatzjäger eher erfolglos durch, machte immense Schulden und betrog etliche Frauen – bis er sich zu einem Lebenswandel entschloss, sich in D(irty) B(ut) C(lean) Pierre umbenannte und noch Irland zog, wo er seinen mittlerweile vielfach prämierten Debütroman „Jesus von Texas“ schrieb.
Der 15-jährige Vernon Gregory Little wird in ein Massaker verwickelt wird, bei dem sein bester Freund Jesus Navarro in der texanischen Kleinstadt Martirio 16 Mitschüler, einen Lehrer und am Ende sich selbst erschießt. Vernon war unterwegs, für seinen Lehrer eine Besorgung zu erledigen und entkam so dem Massaker. Als Überlebender scheint er für diesen Umstand nun büßen zu müssen und wird wegen Beihilfe zum Mord angeklagt. Schnell wird klar, dass ich Vernon wie Jesus auf der Verliererstraße befindet. Falsche Beweise, falsche Beschuldigungen, eine überambitionierte Polizistin, schon steckt Vernon in Untersuchungshaft und in einem noch größeren Schlamassel. Seine Flucht nach Mexiko und der große Medienrummel tun ihr Übriges, dass sich die Schlinge um Vernons Hals immer enger zieht… DBC Pierre nimmt mit beißendem Humor gleich mehrere wunde Punkte der amerikanischen Gesellschaft aufs Korn: das Schulmassaker, die Todesstrafe, die Gier der Medien nach Sensationen und beschreibt auf lakonische Art und Weise, wie die sozial Minderbemittelten in dieser unerbittlichen Mühle untergehen.

Nino Filastò - „Fresko in Schwarz“

(Aufbau, 280 S., HC)
Der Florentiner Anwalt Corrado Scalzi gilt als Alter ego des ebenfalls in Florenz lebenden Rechtsanwalts und Krimiautors Nino Filastò, der seinen Avvocato Scalzi bereits vier knifflige Fälle lösen ließ. Auch sein neuer Auftrag lässt sich mit konventionellen Polizeimethoden, denen Scalzi wie überhaupt dem juristischen Apparat sehr skeptisch gegenübersteht, kaum lösen. Der in ärmlichen Verhältnissen lebende Bibliothekar Jacopo „Ticchie“ Branca, ein Experte für das alte Florenz, wird nämlich eines Tages über einem Buch aus dem 17. Jahrhundert erdrosselt in der kleinen Kammer einer Bibliothek aufgefunden, in die er sich während seiner Recherchen stets einsam zurückzog.
Doch in letzter Zeit teilte er den Arbeitsplatz mit einem weiteren Bibliothekar, Signor Chelli, der Branca murmeln hörte, dass ihn die Erkenntnisse aus dem Buch zum Millionär machen könnten. Chellis Bemühungen, bei der Polizei seine Aussage protokollieren zu lassen, fruchten wenig. Stattdessen stellt Scalzi eigene Forschungen über die Bedeutung des Buches und den kryptischen handschriftlichen Notizen des Ermordeten an, die ein befreundetes Mädchen aus der Nachbarschaft in Ticchies Wohnung gefunden hatte. Das unter einem Pseudonym von einem Rechtsgelehrten aus Bologna verfasste Buch beschäftigt sich mit einem alten Manuskript, das im florentinischen Gefängnis „Le Stinche“ von zwei Verfassern geschrieben wurde und die Umstände des Todes des großen Künstlers Masacchio zum Inhalt hatte, über dessen Lebensende so gut wie nichts publik geworden ist. Darin wird nicht nur beschrieben, dass Masacchio vergiftet worden ist, sondern auch einer Geheimgesellschaft namens „Fedeli d’Amore“ vorstand, die der Heiligen Römischen Kirche in ihrem Inquisitionswahn natürlich ein Dorn im Auge war. Scalzi muss aber erst die letzten beiden dem Buch entrissenen Seiten ausfindig machen, ehe er das Geheimnis nicht nur von Brancas, sondern auch Masacchios Tod lösen kann… Spannendes, wunderbar die italienische Kultur einfangendes Renaissance-Pendant zu Umberto Ecos Mittelalter-Krimi „Der Name der Rose“.

Richard David Precht - „Die Kosmonauten“

Sonntag, 14. Juni 2009

(Kiepenheuer & Witsch, 384 S., HC)
1990 ist ein denkwürdiges Jahr. Im Weltraum dreht der letzte sowjetische Kosmonaut, Sergej Krikaljow, einsam seine Runden. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in ihre Kleinstteile und der Inflation ist kein Geld mehr vorhanden, die Mir auf die Erde zurückkehren zu lassen. Dreiundfünfzig Kilometer unter ihm sieht es auf seinem Heimatplaneten auch nicht viel besser aus. In Deutschland herrscht nach Mauerfall und Wiedervereinigung eine ganz eigene Stimmung, in der sich eines Tages Georg und Rosalie über den Weg laufen.

Georg hatte seinen unbefriedigenden Bürojob gekündigt und wartet in Köln an der Haltestelle auf die S-Bahn. Rosalie erblickt den Fremden und lächelt ihn an, was sie selbst am meisten erstaunt. Sie nehmen die gleiche Bahn, kommen ins Gespräch, steigen am Kölner Dom aus, gehen ins Museum und stellen schnell fest, wie viele Gemeinsamkeiten sie doch haben. Georg will nach Berlin gehen, ein anderes Leben leben. Rosalie kommt einfach mit, nachdem sie sich von ihrem Freund getrennt hat. Das glückliche Paar nimmt sich eine sanierungsbedürftige Wohnung im Osten Berlins, lernt nette Leute wie das Künstlerpärchen Franziska und Edgar kennen, den Hotelbesitzer Leonhard, aber mit dem Alltag kehrt bald Tristesse in die anfangs so aufregende Beziehung ein. Rosalie lernt bald einen anderen kennen... Precht schildert im poetischen, bilderreichen wie rasanten Stil das Auf und Ab einer ganz besonderen, irgendwie aber alltäglichen Beziehung mit all ihren Schmetterlingsträumen und trüben Alltagsproblemen. Das macht den Roman so sympathisch.

Bret Easton Ellis - „Glamorama“

Samstag, 13. Juni 2009

(Diana, 828 S., Tb.)
Mit „American Psycho“ hat sich der junge amerikanische Schriftsteller Bret Easton Ellis nicht nur als skandalträchtiger Autor etabliert, sondern auch als scharfzüngiger Beobachter der oberflächlich glamourösen Yuppie-Szene der 80er und 90er Jahre erwiesen. Mit seinem bereits fünften Roman gewährt uns Ellis einmal mehr Einblick in die Abgründe der schillernden von prominenzgeilen Welt Manhattans. Hier ist das aufstrebende 28jährige Model Victor Ward gerade dabei, DEN Szene-Club schlechthin zu eröffnen. Da müssen die Sitzordnungen der eingeladenen Stars abgestimmt, Ersatz für den plötzlich verschwundenen Star-DJ gefunden und etliche Telefonate geführt und Termine abgesprochen werden. Schließlich muss man sich auch um die Geliebte und die Schauspielkarriere kümmern.
Auf der Suche nach Geld, Macht und Ruhm gerät Victor allerdings bald in den Sog des Verbrechens. Ein Auftrag führt ihn nach London und Paris, wo er Kontakt zu einer terroristischen Vereinigung aufnimmt, die Hotels und Flugzeuge sprengt. Auf einmal scheint es keine Fluchtmöglichkeit für Victor mehr aus diesem Sumpf von Verbrechen und Gewalt zu geben. Ellis schildert aus Victors Perspektive ganz unverblümt die oberflächlichen Umgangsformen der Model- und Promiszene, was sich trotz des enormen Umfangs des Buches sehr kurzweilig und amüsant verfolgen lässt.