Lee Child – (Jack Reacher: 11) „Trouble“

Donnerstag, 4. November 2010

(Blanvalet, 448 S., HC)
Als der ehemalige Spitzenermittler einer Army-Eliteeinheit Jack Reacher auf seinem Kontoauszug eine Überweisung von exakt 1030 Dollar entdeckt, stellt er schnell fest, dass die Transaktion von seiner ehemaligen Kollegin Frances Neagley getätigt worden ist, die seit dem Ausscheiden aus dem Militärdienst in Chicago eine private Sicherheitsfirma unterhielt, und einen Notfallcode darstellt. Also macht er sich auf den Weg, sie in Los Angeles zu treffen, wo sie ihm erzählt, dass Calvin Franz ermordet worden ist.
Er zählte wie Neagley und Reacher zu einem achtköpfigen Team von Sonderermittlern, das offensichtlich systematisch dezimiert werden soll. Auf ihre Notrufe bei den verbliebenen Ex-Kollegen reagieren nämlich nur noch Dave O’Donnell und Karla Dixon, während die anderen vermisst oder tot aufgefunden werden. Getreu ihrem Motto „Mit Sonderermittlern legt man sich nicht an“ ermittelt das übrig gebliebene Quartett unter Reachers Kommando auf eigene Faust. Doch viele Anhaltspunkte hat das Team nicht. Im Postfach von Calvin Franz findet es Passwort-geschützte USB-Sticks und Listen mit kryptischen Zahlenreihen. Mit seinem speziellen Faible für Zahlen vermutet Reacher einen Zusammenhang mit Glücksspielmanipulationen in ganz großem Stil. Doch in Vegas kommt sein Team einer weitaus brisanteren Geschichte auf die Spur, weshalb Franz & Co. ihr Leben lassen mussten …
In präziser Regelmäßigkeit verwöhnt Lee Child seine Jack-Reacher-Fangemeinde jährlich mit einem neuen Abenteuer seines abgebrannten, aber überaus cleveren Helden. In schnörkelloser Sprache schildert Child auch in „Trouble“ ein gelungenes Husarenstück des ehemaligen Sonderermittlers und lässt den Leser einmal mehr an dessen reichhaltigen Fundus in Sachen Tricks, Auffassungsgabe, Berechnungen, Planung und effizientes Ausschalten von Zielpersonen teilhaben. Das ist einfach packende, mit trockenem Humor und kompromissloser Härte gespickte Unterhaltung auf höchstem Thriller-Niveau!

Joe Hill – „Teufelszeug“

Samstag, 30. Oktober 2010

(Heyne, 543 S., HC)
Ignatius Martin Perrish wächst wohlbehütet in einer prominenten Familie auf. Sein Vater ist ein berühmter Trompeter, der mit Frank Sinatra und Dean Martin Platten aufgenommen hat. Und auch sein zwei Jahre älterer Bruder Terry hat es mit seiner eigenen TV-Show „Hothouse“ zu etwas gebracht. Mit seinem Asthma blieb Ig eine derartige Karriere verwehrt. Stattdessen wurde er angeklagt, vor einem Jahr seine Freundin Merrin Williams vergewaltigt und ermordet zu haben. Da es an Beweisen fehlte, wurde Ig freigesprochen, doch seitdem ist nichts mehr wie zuvor. Sein bester Freund Lee hat ihn im Stich gelassen, und nach dem Verlust seiner großen Liebe unterhält Ig mit Glenna eine leidenschaftslose Beziehung.
Doch dann wacht Ig nach einer durchzechten Nacht mit Teufelshörnern auf der Stirn auf. Glenna kümmert sich nicht weiter um die bizarren Auswüchse im Gesicht ihres Freundes, sondern steckt ihm frei von der Leber weg, dass sie letzte Nacht Lee in Gegenwart seiner Kumpels einen geblasen hat. Doch dieses Geständnis ist nur der Anfang. Auf einmal erfährt Ig auf unerklärliche Weise Dinge von Menschen, die sie lieber für sich behalten sollten. Vor allem wird Ig mit der Tatsache konfrontiert, dass seine ganze Familie Ig für Merrins Mörder hält. Doch Terry weiß, wer für die Tat verantwortlich gewesen ist. Mit diesem Wissen und seiner Fähigkeit, die dunkelsten Geheimnisse seiner Mitmenschen aufzudecken, macht sich Ig daran, seine Welt wieder ins Lot zu bringen …
Joseph Hillstrom King weiß als Sohn des berühmten Stephen King, wie man Horror schreibt. Mit „Teufelszeug“ legt der talentierte Horror-King-Sprössling ein faszinierendes Buch vor, das über lange Strecken gar nicht wie ein Gruselthriller wirkt, sondern erst wie eine Groteske, dann in der Rückblende wie die großartigen Szenarien jugendlichen Lebens, wie sie Stephen King in Werken wie „Atlantis“ oder „Stand By Me“ zur Perfektion gebracht hat. Die Horrormomente hat Joe Hill sehr subtil verarbeitet und kommen eher durch die Darstellung menschlicher Bösartigkeit zum Ausdruck, für die Ig mit seinen teuflischen Hörnern und seiner übersinnlichen Begabung sensibilisiert wird. Obwohl recht früh offenbart wird, wer für den Tod von Igs Freundin verantwortlich gewesen ist, bleibt die Geschichte bis zum Schluss äußerst spannend, weil es Joe Hill hervorragend versteht, die Fäden aus der Vergangenheit in der Gegenwart zusammenzuführen.

Guillermo Del Toro/Chuck Hogan – „Das Blut“

Mittwoch, 20. Oktober 2010

(Heyne, 397 S., HC)
Einen Monat nach dem geheimnisvollen Vorfall auf dem New Yorker JFK-Flughafen, bei dem vier Überlebende des Flugs Regis 753 ein bislang unbekanntes Vampir-Virus verbreiteten, haben die Vampire unter der Führung ihres Meisters in der Gestalt von Josef Sardu begonnen, ihre Macht auszuweiten. Flugzeuge mit der todbringenden Fracht landeten auch in London, Tokio, München, Tel Aviv, Peking und ließen so die Vampirpopulation auf der ganzen Welt in die Höhe schnellen. Ermöglicht hat das der todkranke Milliardär Eldritch Palmer, der mit dem Meister einen Deal abgeschlossen hat, bei entsprechender Unterstützung selbst das ewige Leben geschenkt zu bekommen. Bei dem wütenden Chaos, das die Vampire in New York anrichteten, auf das die staatlichen Behörden viel zu spät reagierten, wurde auch Kelly, die Exfrau von Ephraim Goodweather, der als Teamleiter des Centers for Disease Control die Obduktionen an den Leichen in besagtem Flugzeug durchführte, zu einem Vampir. Sie setzt alles daran, ihren elfjährigen Sohn Zachary aus der Obhut von Eph und dem Völkerkundler Abraham Setrakian zu reißen.

Dieser sieht nur eine Möglichkeit, der Vampirplage effektiv gegenüberzutreten: Das 1667 verfasste „Occido Lumen“, das auf einer Sammlung antiker mesopotamischer Keilschrifttafeln basiert, enthält alle Informationen über die strigoi – und die Mittel und Wege, sie zu vernichten. Im Auktionskatalog von Sotheby’s wird sein Wert mit 15 bis 25 Millionen Dollar beziffert. Da Setrakian und Co. nicht über das nötige Kleingeld verfügen, muss ein anderer Weg gefunden werden, das für das Überleben der Menschheit so wichtige Buch an sich zu bringen. Derweil bietet Palmer der Stadt New York an, ein neues Kernkraftwerk in Betrieb zu nehmen, um das zusammengebrochene Energienetz wieder aufzurichten. Zu spät erkennen die Verantwortlichen, welch perfides Spiel Palmer mit seinem Plan verfolgt …
Nachdem das Autoren-Gespann Chuck Hogan („Mördermond“, „Kopfgeld“) und Guillermo Del Toro (Regisseur von „Pan’s Labyrinth“, „The Devil’s Backbone“, „Blade 2“) mit „Die Saat“ den spektakulären Auftakt ihrer modernen Vampir-Trilogie vorgelegt haben, geht es nun in die Vollen, nämlich um den Endkampf zwischen Vampiren und Menschen. Zwar funktioniert „Das Blut“ auch als eigenständiges Werk, doch für den vollen Genuss ist die Lektüre von „Die Saat“ sehr zu empfehlen. Dann entfaltet sich nämlich ein eindrucksvolles Epos, das sich weniger an der nicht zuletzt durch die „Twilight“-Reihe verstärkten Faszination für Vampire labt, sondern menschliche Tugenden und Schwächen in den Vordergrund stellt. So wird auch viel mehr Wert auf die vielseitigen menschlichen Charaktere gelegt als auf die nur als Monster gezeichneten Blutsauger. Das ist den beiden Autoren so gut gelungen, dass das Grauen, das sie beschreiben, fast körperlich spürbar wird.

Guillermo Del Toro/Chuck Hogan – „Die Saat“

Dienstag, 19. Oktober 2010

(Heyne, 524 S., HC)
Als am 24.09.2010 der Flug Regis 753 von Berlin nach New York auf dem JFK International Airport abgefertigt werden soll, bricht der Funkverkehr unmittelbar nach der Landung ab. In der Maschine herrscht absolute Dunkelheit und Stille. Als die Port Authority das Flugzeug betritt, findet man die Passagiere allesamt tot vor. Ephraim Goodweather von der amerikanischen Seuchenschutzbehörde CDC wird von seinem Chef Dr. Everett Barnes zum Tatort geschickt, wo das Carnary-Team doch noch einen Lebenden auffindet.
Währenddessen unterzieht sich der 67-jährige Investor, Geschäftsmann und Theologe Eldritch Palmer in Dark Harbour, Virginia seiner täglichen stundenlangen medizinischen Behandlung, mit der sein Blut gefiltert und gereinigt wird. Als er von der geheimnisvollen Ankunft des Fluges Regis 753 erfährt, ordert er sofort einen Hubschrauber, der ihn nach Manhattan bringt. Schließlich erfährt auch Abraham Setrakian aus dem Fernsehen von der Tragödie. Der angesehene Professor für osteuropäische Literatur und Volkskunde hatte den Holocaust überlebt, doch die Affäre mit einer seiner Studentinnen kostete ihn die Karriere, so dass er jetzt eine Pfandleihe in Spanish Harlem betreibt. Die Fernsehbilder manifestieren sich zu einem sicheren Gefühl, dass sich doch noch eine Chance auf Rache ergeben hat.
Das Team um Eph Goodweather steht derweil bei der Obduktion der Leichen vor einem Rätsel. Schließlich finden seine Leute im Frachtraum einen mit stinkender Erde gefüllten Sarg. Als New York von der mit Spannung erwarteten Sonnenfinsternis heimgesucht wird, bricht das Chaos aus. Als Setrakian Kontakt zum Seuchenspezialisten Goodweather aufnimmt, nimmt dieser die Warnung nicht ernst, dass Vampire für das Chaos in New York verantwortlich sind, doch die Zeichen mehren sich, dass der alte Mann mit seiner abenteuerlichen Behauptung Recht haben könnte …
Chuck Hogan hat bereits mit „Endspiel“ und „Mördermond“ Thriller-Bestseller vorlegen können, nun legt er zusammen mit Ausnahme-Regisseur Guillermo Del Toro („Pans Labyrinth“, „Hellboy“, „Mimic“) den ersten Band einer außergewöhnlichen wie spannenden Vampir-Trilogie vor. „Die Saat“ gefällt durch lebendig geschilderte starke Figuren, ein geheimnisvolles Setting und eine gekonnte Mischung aus Mythen, Wissenschaft und packender Fiktion.

Cesarina Vighy – „Mein letzter Sommer“

Freitag, 15. Oktober 2010

(Hoffmann und Campe, 190 S., HC)
Jahrzehntelang erfreute sich Amelia bester Gesundheit, hatte nie Probleme mit dem Alter, sah eher zehn Jahre jünger aus, ging mit Begeisterung ihrer Arbeit als Bibliothekarin nach, führte die ausgefallensten Recherchen für ihre Leser durch. Doch dann beginnt sie zu schwächeln, wandert von Arzt zu Arzt, bis ihr jemand die erschütternde Diagnose stellt, dass sie an ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) leide. Doch statt leidend ihrem unvermeidlichen Ende entgegenzusehen, nimmt die Siebzigjährige ihr Schicksal mit ironischer Gelassenheit an und blickt auf ihr bewegtes Leben zurück.
Es beginnt in den Wirren des Ersten Weltkriegs, als die Großmutter bei der Geburt ihrer Tochter an Tuberkulose starb, worauf Amelias Mutter Nives bei verschiedenen Tanten in Mailand aufwuchs, von ihrem Vater aber gequält wurde, wo er nur konnte. Nives, die wegen ihres zweiten Namens nur Pina gerufen wurde, ließ sich bald mit einem verheirateten Rechtsanwalt ein, um dem grausamen Vater zu entfliehen, und zeugte mit ihm Amelia. Ihre Geschichte geht weiter über den Zweiten Weltkrieg hinweg, hinein in die turbulenten 70er Jahre, in denen die Roten Brigaden Aldo Moro hinrichteten. In all den unruhigen Zeiten machte Amelia ihren Weg, und sie schreibt liebevoll über ihre Eltern, über ihr Leben in Venedig und Rom. Es entsteht das Portrait einer gut beobachtenden, hoch gebildeten Frau, die ihre Eindrücke stets mit literarischen Vergleichen versieht und sie ebenso poetisch in Worte fasst.
„Die Kranken werden wieder zu Kindern. So bereiten sie sich in den Lehrjahren der Vernunft und Hinnahme der Behandlungen auf jene näher rückende Zeit vor, in der fremde (hoffentlich wenigstens rücksichtsvolle) Hände sie füttern, waschen und ankleiden werden und so aus ihren Körpern jene wehrlosen Gegenstände machen, die sie schon immer gewesen sind.“ (S. 145)
Es ist nicht immer leicht, den zeitlichen Sprüngen und Erzählsträngen zu folgen, die die Erinnerungen einer Todkranken durchziehen, doch in jeder Zeile wird die Intensität eines Lebens transparent, das auch zum Ende hin noch sehr bewusst wahrgenommen wird. Im Mai 2010 erlag die Autorin ihrer schweren Krankheit. „Mein letzter Sommer“ ist ihr ausdrucksvolles literarisches Testament.

Giacomo Cacciatore – Der Sohn“

(Rowohlt, 222 S., HC)
Der neunjährige Giovanni Vetro erlebt in Palermo eine außergewöhnliche Kindheit. Sein Vater Vincenzo arbeitet nicht nur bei der Polizei, sondern dient auch dem lokalen Mafiaboss Matteo Scavone, was Giovannis Familie einige Türen öffnet. Als Giovanni beispielsweise den sehnlichen Wunsch äußert, einen Farbfernseher zu besitzen, damit die vor der Tür stehende Fußball-WM 1978 auch in schillernden Farben verfolgt werden kann, dauert es nicht lange, bis dieses Zaubergerät auch im heimischen Wohnzimmer steht, ohne dass der Papa dafür etwas bezahlen musste. Giovanni verfolgt mit Begeisterung die Fernsehserie „George und Mildred“, vor allem aber „Starsky & Hutch“.
Der Junge bekommt allerdings auch mit, dass das Telefon zu den unmöglichsten Zeiten klingelt. Die nach einem Autounfall psychisch labile Mutter kann mit den Anrufen nichts anfangen, doch als Giovanni seinen Vater belauscht, ahnt er, dass dieser in Schwierigkeit steckt. Wie das enden kann, erfährt er aus den Nachrichten, die von dem Attentat auf aufstrebenden Ganoven Nunzio Cardaci berichten, der Giovanni vor kurzem noch einen japanischen Roboter geschenkt hatte und nun vielleicht „zwischen die Fronten zweier Familien“ geraten ist. Dann fällt auch sein eigener Vater in Ungnade …
Der italienische Journalist, Autor und Schriftsteller Giacomo Cacciatore hat mit „Der Sohn“ eine wunderbare Geschichte über eine komplexe Vater-Sohn-Beziehung geschrieben, die aus der staunenden Perspektive eines kleinen Jungen erzählt wird, der immer mehr in das Geflecht der sizilianischen Mafia eindringt und schließlich alles dafür tut, seinen Vater vor dem drohenden Unheil zu retten. Das ist manchmal rührend, melancholisch oder auch tragisch, oft aber auch warmherzig und voller Humor.

Alex Garland - „Das Koma“

Mittwoch, 13. Oktober 2010

(Goldmann, 160 S., HC)
Es ist kurz vor Mitternacht. Carl wird im Büro von Catherine daran erinnert, dass bald die letzte U-Bahn fährt. Am Bahnsteig geht er weiter seine Unterlagen durch, dann fährt die Bahn ein. Carl bemerkt ein junges Mädchen am Ende des Wagens, das von jungen Männern belästigt wird und Carl darum bittet, bei ihm sitzen zu dürfen. Doch das schreckt die Burschen nicht ab, weiter an dem Mädchen zu zerren. Carl versucht mit einem „Hey“ dazwischen zugehen, doch dann spürt er auch schon die Schläge und schließlich die Bewusstlosigkeit. Als er im Krankenhaus aus dem Koma erwacht und nach Hause fährt.
„Auf der Taxifahrt von der Klinik nach Hause hatte mich die bange Frage beschäftigt, welchen psychologischen Fallout ich nach diesem Überfall zu erwarten hätte. Sicherlich würden sich die Auswirkungen vor allem zu Hause bemerkbar machen, wenn ich versuchte, nach einem so unnormalen und schockierenden Ereignis wieder ins normale Leben zurückzufinden. Die Vertrautheit meines Heims würde im krassen Gegensatz dazu stehen, ganz anders als die sowieso ungewohnte Umgebung des Krankenhauses. Konkret befürchtete ich Alpträume, glaube ich – den Angriff in einer Traumwelt noch einmal zu durchleben, in einem Traum, der sich vielleicht in einer Endlosschleife wiederholen und in dem der Überfall womöglich noch brutaler und unangenehmer sein würde als sein reales Gegenstück.“ (S. 20)
Tatsächlich sind die Spätfolgen enorm. Carl kann sich nicht erinnern, wie er zu seinem Freund Anthony gelangt ist, wie die Nacht dem Morgen gewichen ist, und verstört lässt er sich immer von ein und demselben Taxifahrer mal nach Hause kutschieren, mal versucht dieser, Carl anhand von vagen Erinnerungsfetzen zu dessen Geburtshaus führen. Alles verschwimmt in einem konfusen Nebel, aus dem Carl kein Entrinnen gegönnt ist. Die verzweifelte Suche nach seinem Gedächtnis, das ganz mit seinem Selbst verbunden ist, führt ihn immer wieder in die Leere …
Alex Garland hat mit „The Beach“, „The Tesseract“ und „28 Days Later“ zwar erst drei – ganz unterschiedliche - Romane abgeliefert, die aber bereits allesamt verfilmt wurden. Mit „Das Koma“ liefert er nun eine extrem kurze, von seinem Vater Nicholas Garland stimmungsvoll illustrierte Novelle, die sich auf verstörende wie spannende Weise mit der Frage nach der Identität eines Menschen auseinandersetzt und stark kafkaeske Züge trägt.

Patricia Cornwell - (Kay Scarpetta: 16) „Scarpetta“

Sonntag, 10. Oktober 2010

(Hoffmann und Campe, 591 S., HC)
Als die Psychologiestudentin Terri Bridges am Silvesterabend erdrosselt in ihrem New Yorker Apartment aufgefunden wird, bittet ihr Freund Oscar Bane um die Aufnahme in die Gefängnispsychiatrie. Dort will er sich nur der landesweit bekannten Gerichtsmedizinerin Dr. Kay Scarpetta anvertrauen, die in diesem Fall ebenso um Amtshilfe von der New Yorker Staatsanwältin Jaime Berger gebeten wurde wie Scarpettas erst vor einem Jahr angeheirateten Polizisten Benton. Als er sie telefonisch mit den besonderen Umständen des freiwillig Gefangenen vertraut macht, erwähnt er noch nicht, dass seine Frau im Fokus eines bösartigen wie populären, allerdings anonymen Bloggers geraten ist.
Während sich seine Frau auf den Weg nach New York macht, besucht Benton seine Psychiaterin und Kollegin Dr. Thomas, mit der noch immer über den sexuellen Überfall spricht, den Kay von ihrem Kollegen Pete Marino über sich ergehen lassen musste. Dass Benton nicht bei ihr war, um sie zu beschützen, macht ihn noch immer stinksauer. Ausgerechnet Marino und sein verhasster Kollege Morales ermitteln nun gegen den von vielen Phobien geplagten, kleinwüchsigen Oscar Baines, der Scarpetta gegenüber merkwürdige Andeutungen macht, dass er gewarnt worden sei, aber nie daran gedacht hätte, dass Terri auch ein Opfer werden könnte.
Offensichtlich hatte Baines die Staatsanwaltschaft schon früher von seinem Verdacht gegen eine unbekannte Gruppierung erzählen wollen, die es auf ihn abgesehen habe, doch niemand wollte ihn anhören. Nach der von ihm gewünschten Unterredung mit Scarpetta verschwindet Baines spurlos. Während der Ermittlungen im Mordfall der kleinwüchsigen Terri fällt der Verdacht von Baines ab, doch Berger, Scarpetta & Co tappen lange im Dunkeln, bis der wahre Täter gefunden ist …
Ein ungewöhnlicher Mordfall erfordert einmal mehr alle ermittlungstechnischen Raffinessen des Teams um die sympathische Forensikerin Kay Scarpetta. Vor allem die erste Hälfte des ungewöhnlich umfangreichen Thrillers ist packend geschrieben, dann nehmen die persönlichen Beziehungen zwischen den Ermittlern immer mehr Raum ein, was der Figurenzeichnung auf angenehme Weise zugutekommt. Perfekter Mix aus spannender Unterhaltung und vielschichtigem Psychogramm!

David Benioff - „Alles auf Anfang“

Samstag, 25. September 2010

(Blessing, 269 S., HC)
Eigentlich ist der 1970 geborene Autor David Benioff im Kino zuhause, adaptierte Khaled Hosseinis „Drachenläufer“ für die große Leinwand und schrieb die Drehbücher zu „Troja“, „Stay“, „Brothers“ und „X-Men: Wolverine“. Bereits sein Debütroman „25 Stunden“ aus dem Jahre 2000 wurde verfilmt, mit dem Nachfolger „Stadt der Diebe“ etablierte sich Benioff als literarische Größe. Seine besondere Affinität zu bewegten Bildern kann kaum überraschen, denn auch die in seinem aktuellen Buch „Alles auf Anfang“ zusammengestellten Geschichten gefallen durch ihre sehr bildhafte Sprache und lebendige, interessante Figuren in außergewöhnlichen Situationen.
In der eröffnenden Titelgeschichte wird die Sängerin Molly Minx aus SadJoes Punk-Band von dem A&R-Manager Tabachnik umworben, in Los Angeles Karriere zu machen. Tatsächlich unterschreibt sie einen Vertrag, zieht mit ihrem Manager von New York nach L.A., rechnet aber nicht damit, dass SadJoe plötzlich bei ihr auftaucht.
In „Zersetzung“ beschreibt der Ich-Erzähler, wie er zur Erheiterung seiner Nachbarn einen unterirdischen Betonbunker einrichtete, in dem er nun auf einem 1468er Computer seine Erinnerungen und Gedanken niederschreibt, während alle anderen bereits zu Staub zerfallen sind. Doch eines Tages wird dieser von einem Virus befallen …
Der jungen Schauspielerin June wird in „Zeit der Absagen“ stets zum Verhängnis, dass sie Cassie Whitelaw, dem Star der Krankenhausserie „St. James Infarmery“, so ähnlich sieht. Erst als die Serie überraschend abgesetzt wird, erhält June ihre Chance. In der vielleicht traurigsten Story "Merde bringt Glück" erzählt der Maler Alexander, wie er zu einer Party eingeladen wurde, auf der er den nackten Tänzer Hector kennen- und lieben lernte. Als beide an AIDS erkranken, scheint nur noch eine nicht erprobte Therapie zu helfen … Allen Geschichten ist gemeinsam, dass David Benioff seine Figuren zwar oft als Außenseiter beschreibt, ihren wendungsreichen Weg aber stets mit unverhohlener Sympathie begleitet. Selten siegt dabei die Vernunft. Benioffs Figuren wagen oft das Unerwartete, Riskante, Verrückte, versuchen mit entwaffnender Naivität ihre Träume zu leben. Benioffs (Anti-)Helden strahlen so viel warmherzige Lebensfreude und Zuversicht aus, dass es eine Freude ist, sie auf ihren verrückten Abenteuern zu begleiten.

Richard Laymon - „Das Grab“

Donnerstag, 23. September 2010

(Heyne, 527 S., Tb.)
Als Wes und Manny den brennenden Trans Am ihres Mitschülers Steve an der Mauer der Brücke entdecken, wird ihnen beim Anblick der gerösteten Leiche des Football-Stars kotzübel. Noch interessanter ist allerdings die nahezu nackte, enthauptete Leiche von Steves hübscher Freundin Darlene, doch nahende Scheinwerfer machen eine nähere Untersuchung zunichte. Vicky entschuldigt sich für die Beerdigung ihrer Mitschülerin und arbeitet lieber an ihrem letzten Wissenschaftsprojekt, bevor sie mit der High School fertig ist. Bei der Ausstellung kommt es jedoch zum Eklat.
Der merkwürdige Melvin hat bei der Präsentation seiner „Wundermaschine“ tatsächlich versucht, die exhumierte Leiche von Darlene wie Frankenstein mit Strom wiederzubeleben. Melvin landet in einer psychiatrischen Anstalt, ist aber wieder auf freiem Fuß, als Vicky nach Jahren nach Ellsworth zurückkehrt, wo sie in der Familienpraxis von Dr. Gaines aushilft, bis das Darlehen, das er ihr zum Medizinstudium eingeräumt hat, abgearbeitet ist. Das zwangsläufige Wiedersehen mit Melvin, der mittlerweile die Tankstelle seiner verstorbenen Eltern im Ort übernommen hat, bereitet Vicky großes Unbehagen. Noch immer wird sie von Albträumen heimgesucht, die das Geschehen während der Ausstellung nicht vergessen lassen. Noch ahnt sie nicht, dass Melvin längst nicht mit den Versuchen aufgehört hat, die Leichen von jungen Frauen wiederzubeleben. Immer wieder bringt er Mädchen in seine Gewalt, tötet sie und unterzieht sie verschiedenen Experimenten, die jedoch nie das gewünschte Ergebnis erzielen. Doch dann ist es soweit. Mit dem recht einfachen Ritual, das „Gesicht des Ram-Chotep“ auf den Unterleib der Toten zu ritzen und in den Schnitt etwas von der Wurzel vom „Baum des Lebens“ zu stopfen, erweckt er Patricia Gordon wieder zum Leben, die sich als nützliche Gefährtin auf seinem Weg erweist, Vicky für sich zu gewinnen …
Wieder einmal hat Richard Laymon einen spannenden Plot mit überzeugenden Charakteren geschaffen. Dass „Das Grab“ nicht ganz so blutrünstig und erotisch aufgeladen ausgefallen ist wie viele seiner anderen Werke (z.B. „Die Insel“, „Das Treffen“ und „Nacht“), erklärt, warum der Roman diesmal in der Allgemeinen Reihe von Heyne und nicht in der Heyne-Hardcore-Sparte erschienen ist. Doch das tut dem Lesevergnügen keinen Abbruch. Die geschickt konstruierten Wendungen und die interessante Zombie-Variation sorgen für durchgehende Kurzweil.

John Grisham - „Das Gesetz“

Samstag, 18. September 2010

(Heyne, 383 S., HC)
Der Titel des neuen Buchs von John Grisham fügt sich zwar nahtlos in die Folge seiner Justiz-Thriller („Der Anwalt“, „Die Jury“, „Der Richter“) ein, doch tatsächlich verbirgt sich hinter „Das Gesetz“ eine Sammlung von sieben Stories, die eher zu seinen lesenswerten Südstaaten-Büchern „Die Farm“ und „Der Coach“ passen, auch wenn Anwälte mal mehr, mal weniger immer wieder eine Rolle in den Stories spielen. „Blutsbrüder“ erzählt eröffnend die Geschichte der Twens Calvin, Roger und Aggie, die sich aus Box Hill auf den Weg nach Memphis machen, wo ihr Freund Bailey nach einem Arbeitsunfall offensichtlich mit dem Leben rang und auf eine Blutspende von Verwandten wartete. Doch die Fahrt hält so viele Überraschungen bereit, dass Baileys Schicksal bald in Vergessenheit gerät …
In „Raymonds Heimkehr“ leiht sich Leon Graney in seiner Heimatstadt Clanton den Lieferwagen des Polsterers McBride aus, verfrachtet seine Mutter samt Rollstuhl und seinen jüngeren Bruder Butch in den Wagen und fährt mit ihnen nach Parchman, wo sein anderer Bruder Raymond nach dem vermutlichen Mord an Sheriff Childers auf seine Hinrichtung wartet. Dieser hofft immer noch darauf, dass seine Heerscharen von Anwälten ein Berufungsverfahren bekommen …
„Fischakten“ sind in der Kanzlei von Mack Stafford die Akten, die noch nicht abgeschlossen sind, aber desto mehr stanken, je länger sie unberührt herumlagen. Nach siebzehn Jahren hat Mack die Schnauze voll von allem. Als er einen Anruf von einer New Yorker Kanzlei erhält und das Angebot für eine Vergleichssumme von einer halben Million in einem dieser nicht weiter bearbeiteten Fälle unterbreitet bekommt, sieht er endlich die Chance, die überfällige Insolvenz zu beantragen, Kinder und Frau zu verlassen und kurzum ein neues Leben zu beginnen … Und so erzählt John Grisham in „Das Gesetz“ auf leichtfüßige wie kurzweilige Weise meist höchst vergnügliche („Das Casino“, „Alte Freunde“), aber auch nachdenkliche Episoden („Michael“, „Ein Ort zum Sterben“) von den Menschen im Süden, ihren manchmal skurrilen Eigenheiten und festen Grundsätzen. Grishams Meisterschaft des Erzählens wird jeweils schnell deutlich, wenn sich der Leser unmittelbar im Geschehen zu befinden glaubt und sich mit den Figuren anfreundet, mit ihnen schmunzelt und leidet. Schade nur, dass die sieben Stories so schnell ausgelesen sind …

Karin Slaughter - (Will Trent: 2) „Entsetzen“

Dienstag, 14. September 2010

(Blanvalet, 510 S., HC)
Als Abigail Campano nach dem Tennis nach Hause in ihre Villa in Atlantas noblem Ansley-Viertel kommt, entdeckt sie mit Schrecken, dass eingebrochen wurde. Ihr Mann Paul, mit dem sie gerade telefoniert, alarmiert sofort die Polizei, doch Abigail schlägt die Warnung ihres Mannes, das Haus nicht zu betreten, in den Wind, als sie Blut im Flur entdeckt und Angst um ihre 17-jährige Tochter Emma bekommt. Tatsächlich entdeckt sie einen Mann mit einem Messer bewaffnet über der verunstalteten Leiche eines Mädchens. Der mutmaßliche Täter stürmt auf Abigail zu, doch Abigail gelingt es, den Angreifer zu erwürgen.
Als Will Trent und seine Vorgesetzte Amanda Wagner vom Georgia Bureau of Investigation am Tatort eintreffen, sind die örtlichen Kollegen schon vor Ort. Erst Paul Campano stellt bei seinem Blick auf die Leiche fest, dass es sich nicht um Emma, sondern wahrscheinlich um ihre Freundin Kayla handelt. Vor allem Trent fragt sich, wo sich Emma während des Verbrechens aufgehalten hat, ob sie Zeugin oder Mittäterin war, ob sie entführt wurde oder auf der Flucht ist. Trent muss ausgerechnet mit Detective Faith Mitchell vom Atlanta Police Department zusammenarbeiten, deren Mutter Evelyn er wegen Geschäften mit Drogendealern vom Polizeidienst in die Frühpensionierung schicken lassen musste. Als die beiden Cops das schulische Umfeld der drei beteiligten Jugendlichen untersuchen und Zimmergenossen, Freunde, Mitschüler, Lehrer und den zuständigen Dekan am Georgia Tech befragen, stoßen Mitchell und Trent auf etliche merkwürdige Gestalten, soziale Konflikte und Abhängigkeiten, die in einen immer tieferen Abgrund führen.
Karin Slaughter hat mit ihrer Grant-County-Reihe um die Rechtsmedizinerin Sara Linton und den Polizeichef Jeffrey Tolliver schnell eine große Anhängerschaft um sich versammeln dürfen, nun legt sie mit „Entsetzen“ nach „Verstummt“ den zweiten Fall von Special Agent Will Trent vor, der zwar unter Legasthenie leidet, aber dieses Manko durch besonderen Scharfsinn wieder wettmacht.
Nach furiosem Beginn nimmt das Tempo zwar ab, doch dafür nimmt sich Karin Slaughter viel Zeit und Raum, um ihre Figuren präzise zu zeichnen und die sozialen Abgründe zu sezieren, in denen sich nicht nur Opfer und Verdächtige bewegen, sondern auch Trent und seine neue Partnerin tragen die Dämonen ihrer Vergangenheit noch spürbar mit sich herum.  
„Entsetzen“ macht seinem Titel alle Ehre, auch wenn der Originaltitel „Fractured“ besser das Thema des packenden wie verstörenden Thrillers beschreibt.

James Patterson – (Women's Murder Club) „Das 8. Geständnis“

Dienstag, 7. September 2010

(Limes, 351 S., HC)
An einer roten Ampel explodiert ein Schulbus und fordert fünf Tote und etliche Verletzte. Am Tatort erfahren Lieutenant Lindsay Boxer und ihr jüngerer Partner Richard Conklin vom Brandursachenermittler Chuck Hanni, dass es sich bei dem Bus um ein fahrendes Meth-Labor handelte. Derweil stößt ihre Freundin, die San-Francisco-Chronicle-Reporterin Cindy Thomas, auf dem Weg zur Arbeit auf einen brutal ermordeten Obdachlosen, der wegen seiner Barmherzigkeit nur als Bagman Jesus bekannt gewesen ist. Bei der Obduktion entdeckt die Gerichtsmedizinerin Claire Washburn, dass der Samariter nicht nur mit sechs Kugeln niedergestreckt und fürchterlich verprügelt wurde, sondern dass der wütende Täter seinem Opfer auch dessen selbstgebasteltes Kruzifix in den Rachen gestopft hat.
Doch da ermordete Obdachlose auf der Prioritätenliste stehen, bekommen Lindsay und Rick die Order, den Fall nicht weiter zu verfolgen. Schließlich erfordert ein weiterer Doppelmord in High-Society-Kreisen ihre volle Aufmerksamkeit: Die Promis Isa und Ethan Bailey werden von ihrer Haushälterin tot in ihrem Bett aufgefunden. Allerdings lassen sich keine Spuren eines Einbruchs oder von Gewalteinwirkung feststellen. Weitere Promis sterben unter ähnlich mysteriösen Umständen. Erst als bei einer der Leichen eine hochgiftige Schlange auftaucht, kommen die Ermittlungen in Schwung. Das gilt auch für das Liebesleben von Yuki, Cindy und Lindsay!
Der achte Fall des „Club der Ermittlerinnen“ hat es wieder in sich. Von Beginn an nimmt der Thriller nicht nur ein enormes Tempo auf, sondern konfrontiert die vier Freundinnen mit ungewöhnlichen Fällen und persönlichen Prüfungen. Doch sowohl mit den beruflichen als auch privaten Herausforderungen gehen die starken Frauen gewohnt souverän um, so dass am Ende wieder bei allen eitel Sonnenschein angesagt ist. Aber die turbulente Fahrt dahin raubt auch dem Leser den Atem. James Patterson beweist einmal mehr, warum er der erfolgreichste Thriller-Autor der Welt ist.

Jilliane Hoffman – (Bobby Dees: 1) „Mädchenfänger“

Freitag, 3. September 2010

(Wunderlich, 461 S., HC)
Die 13-jährige Lainey Emerson ist von so ziemlich allem extrem angeödet: von ihrer Mutter, ihrem Bruder Brad, ihrer älteren Schwester Liza, ihrem Stiefvater und von der neuen Schule, an der sie noch keine richtigen Freunde gefunden hat. Dafür hat sie mit Zach einen echt coolen Football-Kapitän im Yahoo-Chatroom zum Film „Zombieland“ aufgetan, dem sie nach leichtem Zögern ein sexy Bild von sich mailt. Mit ihrer besten Freundin Molly hat Lainey Stunden zugebracht, um die Nägel, das Make-up und die Klamotten für das Shooting herzurichten. Im Chat hat Lainey angegeben, schon 16 zu sein, und offensichtlich findet Zach Gefallen an Lainey und ihrem Look. Entsprechend aufgeregt ist sie, als Zach sie für Freitag zu Kino und Essen einlädt, wovon sie ihrer strengen Mutter natürlich nichts sagen kann, also treffen sich die beiden heimlich an der Carol High School. Doch im Wagen ihres Schwarms erlebt das Mädchen eine böse Überraschung. Wenig später findet sie sich betäubt und gefesselt in der Wohnung ihres Entführers wieder.
Als Special Agent Supervisor Bobby Dees vom Florida Department of Law Enforcement über die Vermisstenanzeige informiert wird, hört sich zunächst alles nach einem typischen Ausreißer-Szenario an. Das Gespräch mit der Mutter ergibt nicht viel, umso mehr aber die Recherche an Laineys Computer. Laineys MySpace-Seite gibt mehr von ihr preis, als ihre Mom je von ihr wissen könnte. Schnell gerät der Stiefvater in Verdacht, auf dessen Computer sich Hinweise auf obskure Websites und aufreizende Fotos von jungen Mädchen befinden. Dann bekommt die Polizei das Foto eines Ölgemäldes zugeschickt, auf dem ein gefesseltes Mädchen mit ausgestochenen Augen zu sehen ist. Anhand der detaillierten Hinweise auf dem Bild wird das tote Mädchen in einem abbruchreifen Hotel gefunden, und der Mörder hat schnell den Namen „Picasso-Mörder“ weg. Das nächste Bild lässt nicht lange auf sich warten …
Mit nur drei Romanen hat sich Jilliane Hoffman in die Liga erstklassiger Thriller-Autorinnen à la Karin Slaughter, Tess Gerritsen und Patricia Cornwell geschrieben, nun schließt sie mit „Mädchenfänger“ nahtlos an ihre bisherige Klasse an. Mit der Entführung, Folterung und Tötung jugendlicher Mädchen hat sich die ehemalige Staatsanwältin aus Florida auch ein extrem grausames Thema ausgesucht, mit dem sie ihre Leser zu packen versteht. Abgesehen von der spannenden Story überzeugen vor allem die Charakterisierungen von Special Agent Bobby Dees und seiner Frau LuAnn, die durch den Fall auf beunruhigende Weise an das Verschwinden ihrer eigenen Tochter erinnert werden und befürchten müssen, dass sie ebenfalls dem Picasso-Mörder zum Opfer gefallen ist.

Matthew Sharpe - „Eine amerikanische Familie“

Samstag, 28. August 2010

(Aufbau, 336 S.,HC)
Teenager haben es bekanntlich nie wirklich leicht. Besonders hart scheint es aber die beiden 16-jährigen Geschwister Cathy und Chris Schwartz in Bellwether, Connecticut, getroffen zu haben. Nachdem ihr Vater Bernard, ehemaliger Presseberater und Redenschreiber für verschiedene Unternehmen, erst seine Frau Lila verloren hatte, damit sie Karriere als Prozessanwältin machen konnte, verlor er nun auch noch das Bewusstsein, als er sein Prozac zusammen mit einem dazu unverträglichen Medikament einnahm.
Dass Cathy und Chris zu ihren pubertären Problemen auch noch einen komatösen Vater zu betreuen haben, erleichtert ihre Situation nicht wirklich, zumal Cathy gerade eine Phase übermäßigen religiösen Eifers durchmacht und Chris seine Bemühungen, die Erwachsenenreife zu erlangen, durch aggressives Gehabe überlagert. Während sein Vater im Koma liegt, macht Chris wenigstens seine ersten sexuellen Erfahrungen, als ihm die Pflegerin kurzerhand einen bläst, dann aber nichts mehr von ihm wissen will. Aber eigentlich steht Chris auch mehr auf Lisa Danmeyer, die Ärztin seines Vaters, die er bei jeder Gelegenheit rüde anpflaumt. Währenddessen bandelt Cathy mit Frank Dial an, Chris’ bestem Freund, und Bernies geschiedene Frau Lila erst mit ihrem Gärtner, dann mit Lisas Vater Moe … Matthew Sharpe beschreibt den Alltag einer amerikanischen Durchschnittsfamilie mit feinem Humor in bester „American Beauty“-Tradition und stellt seine Charaktere zwar verschroben, aber sympathisch dar. Time Warner arbeitet bereits an einer Verfilmung dieses kurzweiligen, ironisch-amüsanten und feinfühligen Romans.

Olen Steinhauer – „Der Tourist“

(Heyne, 543 S., HC)
Ein Tag vor dem berüchtigten 11. September 2001 ist CIA-Agent Milo Weaver in Holland unterwegs, um dort eine von den USA unterstützte 60-jährige Politikerin zu beschützen, die mit ihrer konservativen Gesetzesvorlage zur Einwanderungspolitik für so große Unruhen gesorgt hat, dass ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt worden ist. Der berüchtigte Auftragskiller „Der Tiger“ hat am Morgen bereits seinen dritten Anschlag verübt, den Weaver erneut vereiteln konnte. Doch kaum ist er dem letzten Kugelhagel entkommen, hat sein Chef Tom Grainger schon den nächsten Auftrag für ihn. In Slowenien soll er sich mit der Kontaktfrau Angela Yates treffen, die im Büro des Basisleiters Frank Dawdles arbeitet und mit Milo befreundet ist. Dem vermissten Dawdles wird vorgeworfen, einen Koffer mit Steuergeldern entwendet zu haben. Yates und Weaver können Dawdle zwar aufspüren, doch Weaver wird bei dem Einsatz so schwer verletzt, dass er ans Aufhören denkt.
Doch sechs Jahre später ist er dem berüchtigten „Tiger“ endlich auf der Spur. In Blackdale, irgendwo im Dreiländereck zwischen Mississippi, Alabama und Tennessee, wurde der „Tiger“ festgenommen, nachdem er eine Prostituierte geschlagen hatte. Bei der Vernehmung von Benjamin Harris, so „Tigers“ echter Name, stellt sich heraus, dass Harris es auf eine Begegnung mit Weaver angelegt hat. Bevor sich der ohnehin an AIDS sterbende Killer mit einer Zyanidkapsel umbringt, verrät er Weaver, dass er – wie Weaver – ein „Tourist“ gewesen ist, ein Geheimagent, der ohne Identität und soziale Kontakte auf der ganzen Welt Aufträge für die CIA erledigt. Und er bittet Weaver, sich an die Fersen derjenigen zu heften, die den Tod des „Tigers“ zu verantworten haben. Doch bevor er sich darum kümmern kann, wird er nach Paris geschickt, wo nun auf einmal seine Kollegin Angela Yates im Visier der CIA steht. Weaver glaubt nicht an ihren Verrat, doch bevor er das beweisen kann, wird sie vergiftet in ihrer Wohnung aufgefunden. Auf einmal ist Milo Weaver der Verdächtige und muss ganz schnell untertauchen, um die Hintermänner des Komplotts aufdecken zu können, ohne selbst ausgeschaltet zu werden.
Nach fünf Romanen, die vor dem Hintergrund des Kalten Krieges in einem fiktiven osteuropäischen Land angesiedelt waren, legt der in Virginia aufgewachsene Olen Steinhauer mit „Der Tourist“ den faszinierenden Grundstein für eine Spionage-Thriller-Trilogie, für deren ersten Teil sich Warner Bros. schon mal die Filmrechte und George Clooney als Hauptdarsteller gesichert hat.
Mit dem sympathischen CIA-Agenten Milo Weaver ist dem Autor ein charismatischer Protagonist gelungen, der ähnlich wie Lee Childs Jack Reacher, Ian Flemings James Bond oder Robert Ludlums Jason Bourne das Zeug besitzt, zu einer neuen Ikone des Genres zu werden, und auch Fans von Ken Follett und John Le Carré ansprechen dürfte. Dabei überzeugen nicht nur der packende und vertrackte Plot mit überraschendem Ende, sondern auch die für das Genre ungewöhnlich präzisen Charakterzeichnungen, die über den beruflichen Horizont der Protagonisten weit hinausgehen. Fortsetzungen sind unbedingt erwünscht!

William Nicholson - „Die Gesellschaft der Anderen“

Donnerstag, 26. August 2010

(Eichborn, 258 S., HC)
Da er genügend Unterhalt zum Leben von seinem vermögenden Vater bekommt, hat es sich ein namenloser junger Mann bequem, aber auch gelangweilt eingerichtet. Sich einen Job zu suchen, kommt ihm nicht in den Sinn, vielmehr verlangt es ihn, dem Dasein aus enttäuschten Erwartungen zu entfliehen. Am Abend des 70. Geburtstages seines Großvaters fasst er den Entschluss, am kommenden Morgen aufzubrechen.
Ein großer Laster liest den Jungen an einer Autobahnraststätte auf und nimmt ihn mit auf eine Reise mit unbekannter Fracht und ebensolchem Ziel. Doch nach dem Überqueren einer unbekannten Grenze wird der Laster überprüft, der verwirrte Passagier flüchtet, im Gepäck das ihm vom Fahrer anvertraute verbotene Buch eines untergetauchten Dissidenten. Der Junge wird von einem Trupp namens „Die Bewegung“ aufgenommen, die mit terroristischen Aktionen den Polizeistaat beseitigen wollen. Der junge Mann will sich aber nicht für ihre Ziele vereinnahmen lassen und flieht erneut und lernt auf seiner gefährlichen Reise durch einen totalitären Staat allerlei Kurioses kennen … Dem Engländer Nicholson ist mit seinem Romandebüt eine spannende Mischung aus Thriller, Road Movie und politischer Parabel gelungen.

Richard Laymon – „Das Inferno“

Donnerstag, 15. Juli 2010

(Heyne, 639 S., Tb.)
Jeden Morgen setzt sich der 32-jährige Stanley Banks mit der Tageszeitung um 8 Uhr morgens ans Fenster, um den Sportteil zu lesen, doch eigentlich will er nur beobachten, wie seine hübsche Nachbarin Sheila ihre Joggingrunden zieht. Doch seine an den Rollstuhl gefesselte Mutter Alma, zu der er nach dem Tod seiner Frau Thelma zurückgezogen ist, macht ihm das Leben zur Hölle.
Da kommt es Stanley ganz gelegen, als ein Erdbeben Los Angeles erschüttert und er seine nervende Mutter mit einem von der Decke herabgefallenen Putzbrocken erschlagen kann. Nun hat er freie Bahn zu Sheilas Haus, wo er das Objekt seiner Begierde nackt und hilflos in der verschütteten Badewanne entdeckt. Währenddessen wird Sheilas Ehemann Clint im Büro von den Erschütterungen überrascht. Da sein Wagen im Parkhaus eingesperrt ist, lässt er sich von der jungen Sekretärin Mary mitnehmen, die gerade in einen Autounfall verwickelt gewesen war und nun völlig verstört den abgetrennten Kopf eines Mannes auf ihrem Beifahrersitz anstarrt. Zusammen mit der 13-jährigen Em müssen die beiden bald ohne Marys BMW den Heimweg antreten und sich dabei mit so einigen unangenehmen Typen herumschlagen. Clints Tochter Barbara nimmt derweil mit Peter, Earl und Heather an einer Fahrstunde teil und muss tatenlos zusehen, wie Fahrlehrer Wellen aus Sorge um seine Tochter die Flucht nach Downtown antritt. Auch die vier Teenager erleben am eigenen Leib, wie Plünderer und Freaks durch das zerstörte Los Angeles ziehen. Am schlimmsten hat es jedoch Sheila erwischt. Während die zunächst dankbar ist, dass Stan sie befreien will, muss sie bald erkennen, dass Stan jeden brutal aus dem Weg räumt, der die ersehnte Zweisamkeit zwischen ihm und Sheila zu stören wagt …
Vor dem realistischen Hintergrund eines Erdbebens entwickelt Richard Laymon in seinem 1995 veröffentlichten Horror-Thriller „Quake“, der jetzt endlich erstmals in deutscher Sprache erschienen ist, ein erschreckendes Szenario, das beschreibt, wie zivilisierte Menschen augenblicklich in die Barbarei zurückfallen, sobald sie keine Strafen für ihr Tun zu befürchten haben. Plünderungen, Folterungen, Morde und Vergewaltigungen prägen das Treiben auf den aufgebrochenen Boulevards und in den Trümmern zerstörter Häuser. Laymon beschreibt diese Gräueltaten mit gewohnt plastischen Worten, doch er setzt dem allgegenwärtigen Blutrausch auch humanitäre Elemente wie Nächstenliebe, Mut, Tapferkeit und Aufopferungsbereitschaft entgegen, mit denen Menschen teilweise über sich hinauswachsen, eigene Schwächen überwinden und den Zusammenhalt mancher Zweckgemeinschaften stärken. Der Autor bedient sich dabei einer schnörkellosen, einfachen Sprache, arbeitet viel mit Dialogen und entwickelt ohne Anlauf ein actionreiches Blut- und Sex-Spektakel. Fans härteren Horrors werden wieder begeistert sein!

John Katzenbach - „Der Täter“

Samstag, 10. Juli 2010

(Knaur, 591 S., Tb.)
Gerade als Simon Winter, ein ehemaliger Detective bei der Mordkommission von Miami Beach, seinem Leben mit der Pistole ein Ende setzen will, klopft seine Nachbarin, Sophie Millstein, an seine Tür und erzählt ihm verzweifelt, dass sie jemanden entdeckt hat, der 1943 in Berlin für den Verrat ihrer Familie an den Nazis verantwortlich gewesen sei. Damals gab es viele wie ihn, sogenannte „Greifer“, Juden, die für die Gestapo andere Juden verrieten.
Aber der „Schattenmann“ war der schlimmste von allen, berichtet die aufgelöste alte Frau dem lebensmüden Ex-Cop. Winter kann die alte Dame beruhigen und bringt sie sicher in ihre Wohnung zurück. Doch der Schein trügt. Noch in der Nacht wird die arme Mrs. Millstein von einem unbekannten Täter erwürgt, unter ihr, ebenfalls erwürgt, ihre Katze. Zeugen haben einen jungen Schwarzen vom Tatort flüchten gesehen, und der ermittelnde Detective Walter Robinson findet bald einen Pfandleiher, wo er eine Kette der Toten wiederfindet. Während Robinson einen Drogensüchtigen jagt, der offensichtlich schon für andere Einbrüche in der Gegend verantwortlich gewesen ist, unternimmt Winter eigene Nachforschungen, die allerdings bei alten Freunden der Toten beginnen, Rabbi Rubinstein, Irving Silver und Frieda Kroner. Sie können zunächst nicht glauben, dass der Schattenmann noch immer auf ihrer Spur ist, doch dann mehren sich die Zeichen, dass der diabolische Juden-Killer sein Werk von damals vollenden will … Vor dem geschichtlichen Hintergrund des Holocaust entwickelt der amerikanische Erfolgsautor John Katzenbach die spannende Jagd nach einem Phantom. Neben der packenden Geschichte gefallen aber auch die Charakterzeichnungen der beiden engagierten Ermittler.

John Katzenbach - „Das Opfer“

(Droemer, 654 S., HC)
Es gibt One-Night-Stands, die man ganz schnell vergessen und am besten gar nicht erst erlebt haben möchte. Das denkt auch die attraktive Kunststudentin Ashley Freeman, nachdem sie sich mit dem geheimnisvollen, aber gut aussehenden Michael O’Connell eingelassen hat. Dieser ist nämlich absolut nicht davon abzubringen, dass Ashley und er für immer zusammengehören. Ein Nebenbuhler landet so im Rollstuhl, ein Privatschnüffler, den Ashleys Familie anheuert, um Michael mit Nachdruck von seinem Wahn abzubringen, tot in einer Gasse.
Schnell wird Ashleys Familie klar, dass man selbst mit einer gerichtlichen Verfügung bei diesem cleveren Psychopathen nicht viel ausrichten kann. Also nehmen Ashleys Vater, der Geschichtsprofessor Scott Freeman, seine geschiedene Frau, die Anwältin Sally, ihre Lebensgefährtin Hope und Ashleys Großmutter Catherine den Kampf gegen Michael in die eigene Hand. Auf der Suche nach einem Angriffspunkt werden die Freemans schnell in Michaels Vergangenheit fündig und hecken einen teuflischen Plan aus, der alle Beteiligten für immer verändern wird … John Katzenbach hat sich mit „Die Anstalt“ und „Der Patient“ als hervorragender Thriller-Autor schnell einen Namen machen können. Mit „Das Opfer“ ist ihm ein beklemmender Stalker-Thriller gelungen, den man gar nicht mehr aus der Hand legen kann!