Montag, 23. Juni 2025

Stephen King – „Kein Zurück“

(Heyne, 640 S., HC)
Über die Jahre hat sich Stephen King offensichtlich etwas in seine Figur Holly Gibney verliebt. Als Privatermittlerin in der von Bill Hodges geleiteten Agentur Finders Keepers spielte sie zunächst in der Bill-Hodges-Trilogie (bestehend aus „Mr. Mercedes“, „Finderlohn“ und „Mind Control“) zunächst eine sympathische Nebenrolle, ehe sie eine prominentere Rolle in „Der Outsider“ und in der Titelgeschichte der Kurzgeschichtensammlung „Blutige Nachrichten“ einnehmen durfte. 2023 nahm die hochbegabte Ermittlerin in „Holly“ die ungeteilte Hauptrolle ein. Nun hat Holly Gibney in Stephen Kings neuen Roman „Kein Zurück“ die nicht leichte Aufgabe, als Bodyguard für eine feministische Rampensau zu fungieren, während ein Serienkiller ihre Freundin Izzy auf Trab hält.
Als Detective Isabelle „Izzy“ James zu ihrem Vorgesetzten gebeten wird, überreicht dieser ihr einen Brief, in dem ein gewisser Bill Wilson ankündigt, für den Tod eines unschuldig Verurteilten 13 Unschuldige und einen Schuldigen zu töten. Offenbar ist mit dem Unschuldigen Alan Duffrey gemeint, den zwölf Geschworene der Kinderpornographie für schuldig befanden, worauf Duffrey im Knast niedergestochen wurde. Später gestand sein an Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium leidender Arbeitskollege, Duffrey die belastenden Pornomagazine untergeschoben zu haben, um sich dafür zu rächen, dass Duffrey statt seiner befördert worden war. Dass der Briefeschreiber keinen Scherz gemacht hat, beweist er mit dem Mord an einer unbescholtenen Frau - in ihrer Hand fand die Polizei einen Zettel mit dem Namen einer Geschworenen, die an der Verurteilung eines Unschuldigen beteiligt war. Izzy zieht ihre Freundin Holly Gibney zurate, die den Fall höchst interessant findet, aber selbst alle Hände voll zu tun hat. Die Feministin Kate McKay, die von Bundesstaat zu Bundesstaat zieht, um in großen Hallen gegen Abtreibungsgegner zu wettern, ist zur Zielscheibe radikaler Kirchengruppierungen geworden, und nachdem ihre Assistentin Corrie Anderson bereits Opfer zweier Attacken geworden ist, nimmt Holly die Stelle als Bodyguard für den egozentrischen Medienstar an. Als McKay in der Halle auftreten soll, in der auch die Soulsängerin Sista Bessie ihr Comeback feiert, bahnt sich eine Katastrophe an…

„Sie muss daran denken, wie ein Irrer namens Brady Hartsfield versucht hat, genau diesen Saal in die Luft zu sprengen. Dem alten Spruch, dass der Blitz nie zweimal an derselben Stelle einschlägt, traut sie absolut nicht, aber was kann sie machen? Nicht zum ersten Mal hat sie den Eindruck, von den Ereignissen einfach mitgerissen zu werden.“ (S. 424)

Obwohl er vor allem als Meister des übernatürlichen Horrors gilt, was er Werken wie „Carrie“, „The Stand“, „Es“, „Friedhof der Kuscheltiere“ und „Brennen muss Salem“ zu verdanken hat, wird Stephen King längst einfach als glänzender Erzähler geschätzt, der gerade in den Romanen mit Holly Gibney auch auf klassische Horrorelemente verzichtet. Schließlich bietet der Alltag in dieser Zeit so viel Grauen, dass ein Autor wie Stephen King, der stets das Zeitgeschehen im Blick hat und dieses mit seinen Romanen auch reflektiert, keine übernatürlichen Gruselszenarien beschwören muss, um seine Leserschaft zu fesseln. „Kein Zurück“ präsentiert sich als klassische Kriminalgeschichte mit zwei zunächst parallellaufenden Plots und zwei weiteren Nebenschauplätzen. Im Mittelpunkt stehen die sogenannten „Stellvertretermorde“ eines Mannes, der durch die harte Erziehung seines Vaters auf Abwege geraten ist, und die religiös motivierten Taten eines Mannes, der den Verlust seiner Schwester auf ganz eigene Art zu verarbeiten versucht. Unnötig aufgebläht wird das Ganze durch einen Sportwettkampf zwischen der Feuerwehr und der Polizei und dem Auftritt von Sista Bessie, was „Kein Zurück“ auf stolze 640 Seiten anschwellen lässt. Es braucht nicht viel, um „Kein Zurück“ als Kommentar auf sowohl religiöse Fanatiker als auch engstirnige Populisten zu verstehen, die momentan auf der ganzen Welt für politischen und gesellschaftlichen Zündstoff und blutige Kriege sorgen. Das ist durchaus spannend zu verfolgen, bleibt aber zu sehr an der Oberfläche, um nachhaltig überzeugen zu können. Die Charakterisierungen sind - für King ungewöhnlich – nämlich recht klischeehaft ausgefallen. King selbst führt seine Hüftoperation im September 2023 an, dass er den Roman mehrmals umschreiben musste.

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