(Heyne, 640 S., HC)
Über die Jahre hat sich Stephen King offensichtlich
etwas in seine Figur Holly Gibney verliebt. Als Privatermittlerin in der von
Bill Hodges geleiteten Agentur Finders Keepers spielte sie zunächst in
der Bill-Hodges-Trilogie (bestehend aus „Mr. Mercedes“, „Finderlohn“ und
„Mind Control“) zunächst eine sympathische Nebenrolle, ehe sie eine
prominentere Rolle in „Der Outsider“ und in der Titelgeschichte der
Kurzgeschichtensammlung „Blutige Nachrichten“ einnehmen durfte. 2023 nahm
die hochbegabte Ermittlerin in „Holly“ die ungeteilte Hauptrolle ein.
Nun hat Holly Gibney in Stephen Kings neuen Roman „Kein Zurück“ die
nicht leichte Aufgabe, als Bodyguard für eine feministische Rampensau zu fungieren,
während ein Serienkiller ihre Freundin Izzy auf Trab hält.
Als Detective Isabelle „Izzy“ James zu ihrem Vorgesetzten
gebeten wird, überreicht dieser ihr einen Brief, in dem ein gewisser Bill Wilson
ankündigt, für den Tod eines unschuldig Verurteilten 13 Unschuldige und einen
Schuldigen zu töten. Offenbar ist mit dem Unschuldigen Alan Duffrey gemeint,
den zwölf Geschworene der Kinderpornographie für schuldig befanden, worauf
Duffrey im Knast niedergestochen wurde. Später gestand sein an Bauchspeicheldrüsenkrebs
im Endstadium leidender Arbeitskollege, Duffrey die belastenden Pornomagazine
untergeschoben zu haben, um sich dafür zu rächen, dass Duffrey statt seiner befördert
worden war. Dass der Briefeschreiber keinen Scherz gemacht hat, beweist er mit
dem Mord an einer unbescholtenen Frau - in ihrer Hand fand die Polizei einen
Zettel mit dem Namen einer Geschworenen, die an der Verurteilung eines
Unschuldigen beteiligt war. Izzy zieht ihre Freundin Holly Gibney zurate, die
den Fall höchst interessant findet, aber selbst alle Hände voll zu tun hat. Die
Feministin Kate McKay, die von Bundesstaat zu Bundesstaat zieht, um in großen
Hallen gegen Abtreibungsgegner zu wettern, ist zur Zielscheibe radikaler
Kirchengruppierungen geworden, und nachdem ihre Assistentin Corrie Anderson
bereits Opfer zweier Attacken geworden ist, nimmt Holly die Stelle als Bodyguard
für den egozentrischen Medienstar an. Als McKay in der Halle auftreten soll, in
der auch die Soulsängerin Sista Bessie ihr Comeback feiert, bahnt sich eine
Katastrophe an…
„Sie muss daran denken, wie ein Irrer namens Brady Hartsfield versucht hat, genau diesen Saal in die Luft zu sprengen. Dem alten Spruch, dass der Blitz nie zweimal an derselben Stelle einschlägt, traut sie absolut nicht, aber was kann sie machen? Nicht zum ersten Mal hat sie den Eindruck, von den Ereignissen einfach mitgerissen zu werden.“ (S. 424)
Obwohl er vor allem als Meister des übernatürlichen Horrors
gilt, was er Werken wie „Carrie“, „The Stand“, „Es“, „Friedhof der
Kuscheltiere“ und „Brennen muss Salem“ zu verdanken hat, wird Stephen
King längst einfach als glänzender Erzähler geschätzt, der gerade in den
Romanen mit Holly Gibney auch auf klassische Horrorelemente verzichtet. Schließlich
bietet der Alltag in dieser Zeit so viel Grauen, dass ein Autor wie Stephen
King, der stets das Zeitgeschehen im Blick hat und dieses mit seinen Romanen
auch reflektiert, keine übernatürlichen Gruselszenarien beschwören muss, um seine
Leserschaft zu fesseln. „Kein Zurück“ präsentiert sich als klassische
Kriminalgeschichte mit zwei zunächst parallellaufenden Plots und zwei weiteren
Nebenschauplätzen. Im Mittelpunkt stehen die sogenannten „Stellvertretermorde“
eines Mannes, der durch die harte Erziehung seines Vaters auf Abwege geraten
ist, und die religiös motivierten Taten eines Mannes, der den Verlust seiner
Schwester auf ganz eigene Art zu verarbeiten versucht. Unnötig aufgebläht wird
das Ganze durch einen Sportwettkampf zwischen der Feuerwehr und der Polizei und
dem Auftritt von Sista Bessie, was „Kein Zurück“ auf stolze 640 Seiten anschwellen
lässt. Es braucht nicht viel, um „Kein Zurück“ als Kommentar auf sowohl
religiöse Fanatiker als auch engstirnige Populisten zu verstehen, die momentan auf
der ganzen Welt für politischen und gesellschaftlichen Zündstoff und blutige
Kriege sorgen. Das ist durchaus spannend zu verfolgen, bleibt aber zu sehr an
der Oberfläche, um nachhaltig überzeugen zu können. Die Charakterisierungen
sind - für King ungewöhnlich – nämlich recht klischeehaft ausgefallen. King
selbst führt seine Hüftoperation im September 2023 an, dass er den Roman
mehrmals umschreiben musste.
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