(btb, 318 S., Tb.)
Hanns-Josef Ortheil, Fachmann für Kreatives Schreiben
und Kulturjournalismus hat bereits in seinen vorangegangenen Romanen „Faustinas
Küsse“ und „Im Licht der Lagune“ sein Faible für das Sehnsuchtsland Italien
sprachgewaltig zum Ausdruck gebracht, in dem 2003 veröffentlichten Roman mit
dem programmatischen Titel „Die große Liebe“ holte der in Köln geborene
und in Hildesheim lehrende Schriftsteller, Pianist, Drehbuchautor und Ratgeber
zumindest in Sachen Sprache zum großen Wurf aus.
Der Fernsehredakteur Giovanni reist mit dem Zug nach San
Benedetto an die italienische Adriaküste, um für einen Dokumentarfilm über das
Meer zu recherchieren. Nachdem er sich mit den örtlichen Gegebenheiten vertraut
gemacht und ein Bad im Meer genossen hat, sucht er die Direktorin des meeresbiologischen
Instituts, Dottoressa Franca, auf, erzählt ihr von seinem Vorhaben, in seinem
Film das Thema Meer auf einfache, meeresbiologische Weise auf angenehm
lehrreiche Art anzugehen, mit genauem Beobachten der Fische, der Pflanzen und
des Treibens am Strand. Schon bei diesem ersten Gespräch wird von beiden Seiten
eine besondere Magie wahrgenommen, die sie bei weiteren Begegnungen zu erkunden
versuchen. Giovanni hat sich ohnehin gerade aus einer längeren Beziehung
verabschiedet, die er durch Francas Kennenlernen kurz Revue passieren lässt. Franca
ist allerdings mit dem ambitionierten Institutskollegen Dottore Alberti verlobt
ist. „Es ist schön hier mit Ihnen“, offenbart die Meeresbiologin bei einem der
ersten Treffen, doch bei aller Anziehungskraft lassen sich Giovanni und Franca
Zeit miteinander, bis für beide völlig klar ist, dass sie füreinander bestimmt
sind…
„… ich glaube, dachte ich, es ist auch in ihrem Fall die große Liebe, ich bin sicher, auch sie erlebt es zum ersten Mal, das Wort ,Liebe‘ ist zwischen uns noch nicht gefallen, aber es muss nicht ausgesprochen werden, das ganze Brimborium der Annäherung mit all seinen Umwegen und den oft kindischen Komplikationen haben wir uns einfach erspart. Wenn das aber so ist und sie es auch so empfindet, gibt es im Blick auf die Zukunft im Grunde nichts zu überlegen, die Zukunft ist vorgezeichnet, wir werden zusammenbleiben, wir sind ein Paar, noch nie habe ich mich mit jemandem so verbunden gefühlt…“ (S. 198)
Es ist tatsächlich eine ungewöhnlich, fast schon langweilig
unkomplizierte Liebesgeschichte, die Hanns-Josef Ortheil mit diesem
Roman erzählt, der mit dem provozierend kitschigen Titel „Die große Liebe“
versehen ist. Denn auch wenn Ortheils Ich-Erzähler kaum größere Hürden
zu überwinden hat, als die mahnenden Ratschläge seines Kollegen und Freundes
Rudolf sowie des Hoteliers Carlo in den Wind zu schießen, sich mit Francas
Verlobten – ganz gesittet – auseinanderzusetzen und ihren Vater kennenzulernen,
nimmt der Autor die Herausforderung an und erzählt schlicht und einfach vom Kennen-
und Liebenlernen zweier intelligenter, psychisch unauffälliger Erwachsener, die
keine Tragödien, Dramen oder unüberwindbare Konflikte bewältigen müssen, um
endlich zueinander zu finden. So unspektakulär das in der Nacherzählung klingt,
gelingt es Ortheil jedoch, die besonderen Vorzüge und Genüsse der italienischen
Kultur, Lebensart und Kulinarik einzusetzen, um das Aufkeimen und Entwickeln
der großen Liebe ansprechend in Szene zu setzen. Es ist aber nicht nur die absolut
authentisch wirkende Kulisse, die die Leserschaft für sich einnimmt, es ist vor
allem Ortheils sprachliches Geschick, mit dem die beschriebene Liebe an Farben,
Gerüchen, Geschmack und Klängen gewinnt. Das muss man bei einem so ballastfreien
Plot auch erst einmal schaffen, sein Publikum damit zufriedenzustellen.