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Jardine Libaire – „Dein Herz, ein wildes Tier“

Samstag, 26. April 2025

(Diogenes, 322 S., HC)
Hierzulande ist die New York geborene, mittlerweile im texanischen Austin lebende Jardine Libaire mit dem 2018 bei Diogenes erschienenen Liebesroman „Uns gehört die Nacht“ bekannt geworden. Nun legt Libaire, die ehrenamtlich für ein Hilfsprogramm für Frauen im Gefängnis arbeitet, mit „Dein Herz, ein wildes Tier“ einen ebenfalls rasant inszenierten Roman voller wilder Gefühle vor.
Eben noch zählten Staci, Ray, Ernie und Coral zu einer Clique von verkrachten Existenzen, die in einem ehemaligen Pfadfinder-Lager in Oklahoma ihren Lebensunterhalt mit dem Kochen und Verkaufen von Drogen verdienten. Doch nachdem das Quartett aus der Stadt zurückgekehrt ist, um gut 10.000 Dollar für den verkauften Stoff einzusacken, finden die Vier ihr altes Heim nach einer Explosion in Trümmern zerfetzt vor. Bevor die Polizei sie erwischen kann, machen sie sich auf ihren beiden Bikes auf den Weg nach Texas. Unterwegs erfahren sie, dass ihr Anführer Tim und seine Freundin Shayna fliehen konnten, die anderen haben sich in alle Winde verstreut. Nur Lynn wird noch vermisst, Judy liegt im Koma im Krankenhaus. Nach ein paar Wochen sollen sie Chris anrufen, um in Erfahrung zu bringen, wo sie Tim das Geld übergeben sollen. Der über fünfzigjährige Biker Ray und die ehemalige Striptänzerin Staci sind schon seit Ewigkeiten ein Paar, Ernie war mit Anfang dreißig eine Leseratte, die ein dramatisches Leben zwischen manischer Freude und Depressionen führte. Das taube Teenagermädchen Coral hatte im Camp noch Shaynas Baby die Brust gegeben und wurde von den sechzehn anderen Bewohnern heftig umworben worden. Während ihrer Reise nach Texas, aber auch nach ihrer Ankunft in dem Haus mit Schuppen, Scheune und riesigem Garten, das sie mieten, versuchen die drei Erwachsenen, vor allem aber Ernie, irgendeine Beziehung zu ihr aufzubauen.

„Die Wahrhaftigkeit ihrer Existenz war ins Innerste seines Bewusstseins gedrungen. Sie war real. Er spürte die Wärme ihres Blutes, das Pumpen ihrer Herzkammern, den Puls an ihrem Hals, und er erschauderte. Kleeblüten umrahmten ihr Gesicht, und sie kniff die Augen zusammen, als wollte sie fragen: Was ist los mit dir? Er konnte nicht mal ihren Blick erwidern.“ (S. 195)

Coral beweist nicht nur ein geschicktes Händchen im Garten, sondern baut auch eine Beziehung zu einem außergewöhnlichen Haustier auf. Schließlich entscheidet sich die Gemeinschaft, die Beziehung zu Tim abzubrechen und das Geld zu behalten, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Doch dann erhält ihr idyllisches Versteck ungewollte Aufmerksamkeit, und das Leben, das sich die vier verschrobenen Individuen gerade erst aufgebaut haben, droht wie ein Kartenhaus in sich zusammenzufallen…
Bereits in ihrem Romandebüt hat Jardine Libaire es überzeugend verstanden, die Geschichte einer Liebe zweier Menschen aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten als Drama mit Shakespeare-Touch zu erzählen. Auch in „Dein Herz, ein wildes Tier“ nimmt sich die Autorin ungewöhnlicher Figuren an, die am Rande der Gesellschaft irgendwie zurechtzukommen versuchen, teilweise ihre Träume von Erfolg und Familie und Heimat begraben haben, um in einer zusammengewürfelten Schicksalsgemeinschaft neu anzufangen und dabei ganz eigene Bindungen eingehen. Gerade der Beginn in dem ehemaligen Pfadfinder-Lager mit unübersichtlich eingeführtem Figurenarsenal macht deutlich, wie sich quasi per Zufall eine Gemeinschaft geformt hat, die durch den Drogenhandel zusammengehalten und zerrissen wird, aber die wirklich bedeutenden Beziehungen und die Tiefe der Erzählung entwickelt sich erst mit dem Road Trip der vier Ausreißer auf ihrem Weg nach Texas. Libaire gelingt es, im Verlauf ihrer Geschichte nicht nur die besonderen Eigenschaften ihrer Figuren sehr bildhaft zu beschreiben, sondern auch die ungewöhnlichen Beziehungen zwischen ihnen mit viel Empathie zum Leben zu erwecken. So ist Libaires zweiter Roman eine gelungene Mischung aus literarischem Road Movie, zärtlichem Coming-of-Age-Roman und exzentrischem Abenteuer-Drama gelungen, der Lust auf die weiteren Werke dieser außergewöhnlich talentierten Autorin macht.               
 Leseprobe Jardine Libaire - "Dein Herz, ein wildes Tier"

Jardine Libaire – „Uns gehört die Nacht“

Montag, 6. August 2018

(Diogenes, 457 S., Pb.)
Elise Perez ist froh, endlich dem Sozialwohnungskomplex in der South Bronx entkommen zu sein und in New Haven in der Wohnung von Robbie, der am South Central Community College Flugzeugtechnik studiert und nebenbei im Red Lobster kellnert, ein neues Zuhause gefunden zu haben. Elise, Anfang Zwanzig, halb Puerto-Ricanerin, halb Amerikanerin, findet einen Job in einer Zoohandlung und lernt nach drei Monaten im Januar 1986 ihre Nachbarn James und Matt kennen, die aus einer ganz anderen Welt stammen.
Während Elise ohne Vater und ohne Schulabschluss aufgewachsen ist, stammt James aus der schwerreichen Investmentbankerfamilie Hyde, Moore & Kent, seine Mutter Tory ist eine berühmte Schauspielerin. Trotzdem lädt James Elise zum Abendessen ein, lässt sich zum Abschied zu einem Blow Job verführen und ist ganz hin und weg von Elise. James‘ Familie ist von dem nicht standesgemäßen Umgang natürlich alles andere als begeistert, doch davon lässt sich der Yale-Student nicht irritieren. Stattdessen will er sogar sein Erbe ausschlagen, die Uni abbrechen und mit Elise zusammenziehen.
„Vielleicht sind Elise und Jamey ihr eigenes Volk, vielleicht gehören sie zu niemandem sonst, zu nichts Größerem als zueinander. Können wir so leben? Darüber denkt Elise nach, als sie sich müde die schwarzen Turnschuhe aufschnürt, an deren Sohlen Gold klebt.“ (S. 329) 
Doch über dem jungen Glück schwebt eine dunkle Bedrohung, die nicht nur von dem Groll des Hyde-Clans herrührt …
Nachdem die in New York geborene und in Austin, Texas, lebende Jardine Libaire Kurzgeschichten im New York Magazine, in der Los Angeles Review of Books und in Elle veröffentlicht hat, legt sie mit „Uns gehört die Nacht“ ihr Romandebüt vor, das passenderweise durch ein Zitat aus Shakespeares „Romeo und Julia“ eingeleitet wird. Ihre außergewöhnliche Liebesgeschichte, die aus einer Affäre entsteht und über anfängliche Neugier und wachsendem Interesse ganz kompromisslose Wege einschlägt, wirkt wie eine moderne Variante von Shakespeares Tragödie, und auch James und Elise scheint ein ähnliches Schicksal zu drohen wie ihren berühmten „Vorbildern“.
Der Autorin gelingt es erstaunlich gut, die ausgetretenen Pfade einer Liebesgeschichte zwischen zwei Menschen aus ganz unterschiedlichen gesellschaftlichen Kreisen zu umschiffen, indem sie vor allem mit wunderbaren Vergleichen und einer eigenen Sprache arbeitet, die den unterschiedlichen Gefühlen der Liebenden eine sehr individuelle Note verleiht – bis zum Shakespeare-würdigen Finale.
Leseprobe Jardine Libaire - "Uns gehört die Nacht"