(Diogenes, 322 S., HC)
Hierzulande ist die New York geborene, mittlerweile im
texanischen Austin lebende Jardine Libaire mit dem 2018 bei Diogenes
erschienenen Liebesroman „Uns gehört die Nacht“ bekannt geworden. Nun
legt Libaire, die ehrenamtlich für ein Hilfsprogramm für Frauen im
Gefängnis arbeitet, mit „Dein Herz, ein wildes Tier“ einen ebenfalls rasant
inszenierten Roman voller wilder Gefühle vor.
Eben noch zählten Staci, Ray, Ernie und Coral zu einer
Clique von verkrachten Existenzen, die in einem ehemaligen Pfadfinder-Lager in
Oklahoma ihren Lebensunterhalt mit dem Kochen und Verkaufen von Drogen
verdienten. Doch nachdem das Quartett aus der Stadt zurückgekehrt ist, um gut
10.000 Dollar für den verkauften Stoff einzusacken, finden die Vier ihr altes
Heim nach einer Explosion in Trümmern zerfetzt vor. Bevor die Polizei sie
erwischen kann, machen sie sich auf ihren beiden Bikes auf den Weg nach Texas.
Unterwegs erfahren sie, dass ihr Anführer Tim und seine Freundin Shayna fliehen
konnten, die anderen haben sich in alle Winde verstreut. Nur Lynn wird noch
vermisst, Judy liegt im Koma im Krankenhaus. Nach ein paar Wochen sollen sie
Chris anrufen, um in Erfahrung zu bringen, wo sie Tim das Geld übergeben
sollen. Der über fünfzigjährige Biker Ray und die ehemalige Striptänzerin Staci
sind schon seit Ewigkeiten ein Paar, Ernie war mit Anfang dreißig eine
Leseratte, die ein dramatisches Leben zwischen manischer Freude und
Depressionen führte. Das taube Teenagermädchen Coral hatte im Camp noch Shaynas
Baby die Brust gegeben und wurde von den sechzehn anderen Bewohnern heftig umworben
worden. Während ihrer Reise nach Texas, aber auch nach ihrer Ankunft in dem
Haus mit Schuppen, Scheune und riesigem Garten, das sie mieten, versuchen die
drei Erwachsenen, vor allem aber Ernie, irgendeine Beziehung zu ihr aufzubauen.
„Die Wahrhaftigkeit ihrer Existenz war ins Innerste seines Bewusstseins gedrungen. Sie war real. Er spürte die Wärme ihres Blutes, das Pumpen ihrer Herzkammern, den Puls an ihrem Hals, und er erschauderte. Kleeblüten umrahmten ihr Gesicht, und sie kniff die Augen zusammen, als wollte sie fragen: Was ist los mit dir? Er konnte nicht mal ihren Blick erwidern.“ (S. 195)
Coral beweist nicht nur ein geschicktes Händchen im Garten,
sondern baut auch eine Beziehung zu einem außergewöhnlichen Haustier auf. Schließlich
entscheidet sich die Gemeinschaft, die Beziehung zu Tim abzubrechen und das Geld
zu behalten, um sich eine neue Existenz aufzubauen. Doch dann erhält ihr
idyllisches Versteck ungewollte Aufmerksamkeit, und das Leben, das sich die
vier verschrobenen Individuen gerade erst aufgebaut haben, droht wie ein
Kartenhaus in sich zusammenzufallen…
Bereits in ihrem Romandebüt hat Jardine Libaire es
überzeugend verstanden, die Geschichte einer Liebe zweier Menschen aus
unterschiedlichen Gesellschaftsschichten als Drama mit Shakespeare-Touch zu
erzählen. Auch in „Dein Herz, ein wildes Tier“ nimmt sich die Autorin
ungewöhnlicher Figuren an, die am Rande der Gesellschaft irgendwie
zurechtzukommen versuchen, teilweise ihre Träume von Erfolg und Familie und
Heimat begraben haben, um in einer zusammengewürfelten Schicksalsgemeinschaft
neu anzufangen und dabei ganz eigene Bindungen eingehen. Gerade der Beginn in dem
ehemaligen Pfadfinder-Lager mit unübersichtlich eingeführtem Figurenarsenal
macht deutlich, wie sich quasi per Zufall eine Gemeinschaft geformt hat, die durch
den Drogenhandel zusammengehalten und zerrissen wird, aber die wirklich bedeutenden
Beziehungen und die Tiefe der Erzählung entwickelt sich erst mit dem Road Trip
der vier Ausreißer auf ihrem Weg nach Texas. Libaire gelingt es, im
Verlauf ihrer Geschichte nicht nur die besonderen Eigenschaften ihrer Figuren sehr
bildhaft zu beschreiben, sondern auch die ungewöhnlichen Beziehungen zwischen
ihnen mit viel Empathie zum Leben zu erwecken. So ist Libaires zweiter
Roman eine gelungene Mischung aus literarischem Road Movie, zärtlichem Coming-of-Age-Roman
und exzentrischem Abenteuer-Drama gelungen, der Lust auf die weiteren Werke
dieser außergewöhnlich talentierten Autorin macht. Leseprobe Jardine Libaire
- "Dein Herz, ein wildes Tier"
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