(Zsolnay, 592 S., HC)
Mit der kulturpessimistischen Figur des schwedischen
Kommissars Kurt Wallander hat Henning Mankell maßgeblich dazu zur weltweiten
Popularität der skandinavischen Kriminalliteratur beigetragen. Nach dem ersten
Auftritt in „Mörder ohne Gesicht“ Anfang der 1990er Jahre war die Reihe 1998
mit dem achten Fall „Die Brandmauer“ eigentlich schon abgeschlossen,
doch dann erschien mit „Wallanders erster Fall“ noch ein Band mit zusammengefassten
Erzählungen die Vorgeschichte sowie 2002 mit „Vor dem Frost“ der erste (und
einzige) Band um Wallanders Tochter Linda, in dem er selbst nur als Nebenrolle
auftaucht. Umso überraschender war 2009 die Veröffentlichung von „Der Feind
im Schatten“, dem letzten großen Fall des mittlerweile sechzigjährigen
Kommissars.
Nachdem Kurt Wallander vor fünf Jahren seine Wohnung in Ystad
aufgegeben hat und in ein Haus auf dem Land bei Löderup gezogen ist, hat sich einiges
getan im Leben des alternden Kommissars. Mit Jussi legte er sich einen schwarzen
Labradorwelpen zu und nimmt freudig die Nachricht entgegen, dass seine Tochter
Linda, die als Polizistin in Ystad arbeitet und in einer Neubausiedlung bei
Malmö wohnt, ein Kind erwartet. Sie zieht mit dem fünfunddreißigjährigen
Finanzmakler Hans von Enke zusammen und bringt am 30. August 2007 im
Krankenhaus von Ystad mit Klara eine Tochter zur Welt.
Wallander wird zum 75. Geburtstag von Hans von Enkes Vater nach
Stockholm eingeladen. Der Korvettenkapitän a. D. Håkan von Enke erzählt ihm in
einer vertraulichen Situation, dass mehrere Male fremde U-Boote in schwedischen
Gewässern entdeckt wurden, doch der Abwurf einer Unterwasserbombe, die das
mutmaßlich sowjetische U-Boot zum Auftauchen zwingen sollte, wurde von der
schwedischen Marineführung im letzten Moment verhindert. Es gab noch weitere
Vorfälle dieser Art. Wallander kann sich keinen Reim auf die Erzählung des
Mannes machen, doch dann kehrt Håkan von Enke von seinem täglichen Spaziergang nicht
zurück, und seine Ehefrau Louise meldet ihn als vermisst. Während Kommissar
Ytterberg in Stockholm die Ermittlungen leitet, unterstützt ihn Kurt Wallander
während seines Urlaubs und macht zwei langjährige Freunde des Vermissten
ausfindig, zum einen den Maschineningenieur Sten Nordlander, der mit Håkan von
Enke bei der Marine war, zum anderen den pensionierten US-amerikanischen
U-Boot-Kapitän Steven Atkins, den von Enke 1961 in Berlin kennengelernt und den
er häufig in den USA besucht hat. Kurz darauf wird auch Louise von Enke
vermisst. Die frühere Wasserspringerlehrerin soll die sagenumwobene schwedische
Spionin gewesen sein, von der seit Jahrzehnten in Geheimdienstkreisen gemunkelt
worden ist. Als Louise unter merkwürdigen Umständen tot aufgefunden wird, ist
Wallander ratlos, was er von den Enkes halten soll…
„Lindas feste Überzeugung, dass Louise keine Spionin war, machte ihn nachdenklich. Es handelte sich nicht um einen Beweis, sondern um eine Überzeugung: Es konnte nicht sein. Aber wenn es so ist, dachte Wallander, was ist dann die Erklärung? Konnten Louise und Håkan trotz allem irgendwie zusammengearbeitet haben? Oder war Håkan von Enke so kaltblütig verlogen, dass er von seiner großen Liebe zu Louise sprach, damit niemand auch nur auf den Gedanken kam, er könne sie nicht geliebt haben? Steckte er hinter ihrem Tod und versuchte, alle Nachforschungen in eine falsche Richtung zu lenken?“ (S. 487)
Doch Wallander hat neben diesem undurchsichtigen Fall vor
allem mit persönlichen Problemen zu kämpfen. Nach einem weinseligen Abend in
einem Restaurant hat er dort seine Waffe liegengelassen, was ihm eine disziplinarische
Strafe einbringt, dann macht seine Ex-Frau Mona, Lindas Mutter, einen
Alkoholentzug in einer Klinik. Am schwersten trifft Wallander aber der Besuch
seiner großen Liebe Baiba aus Riga, die unheilbar an Krebs erkrankt ist und
nicht mehr lange zu leben hat. Und dann sind da diese Gedächtnislücken, die
Wallander sich nicht erklären kann und die immer häufiger auftreten…
Der 2015 verstorbene Henning Mankell bereitete seiner
Lieblingsfigur in „Der Feind im Schatten“ einen großartigen Abgang. Der
Fall um die vermissten Eheleute Håkan und Louise von Enke macht vor allem
deutlich, wie unsicher sich die Schweden im Spannungsfeld des Kalten Krieges zwischen
der Sowjetunion auf der einen und den USA auf der anderen Seite fühlten. Wer
wie für wen spioniert haben könnte, wird allerdings nebensächlich bei den
privaten Problemen, mit denen sich Wallander herumschlagen muss, vor allem die
Sorge um die drei wichtigsten Frauen in seinem Leben – Mona, Baiba und Linda –
sowie die eigene, vor allem geistige Gesundheit. Zwischendurch kommt natürlich
immer wieder der obligatorische Kulturpessimismus durch, wenn Mankell seinen
Protagonisten über die maroden Polizeistrukturen, rassistische Tendenzen und
überteuerte Preise schwadronieren lässt. Das ist nicht unbedingt spannende
Kriminalliteratur, aber auf jeden Fall emotional berührender Stoff, der Mankell-
und Wallander-Fans im Besonderen versöhnlich stimmt.
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