Henning Mankell – (Kurt Wallander: 11) „Der Feind im Schatten“

Sonntag, 17. August 2025

(Zsolnay, 592 S., HC)
Mit der kulturpessimistischen Figur des schwedischen Kommissars Kurt Wallander hat Henning Mankell maßgeblich dazu zur weltweiten Popularität der skandinavischen Kriminalliteratur beigetragen. Nach dem ersten Auftritt in „Mörder ohne Gesicht“ Anfang der 1990er Jahre war die Reihe 1998 mit dem achten Fall „Die Brandmauer“ eigentlich schon abgeschlossen, doch dann erschien mit „Wallanders erster Fall“ noch ein Band mit zusammengefassten Erzählungen die Vorgeschichte sowie 2002 mit „Vor dem Frost“ der erste (und einzige) Band um Wallanders Tochter Linda, in dem er selbst nur als Nebenrolle auftaucht. Umso überraschender war 2009 die Veröffentlichung von „Der Feind im Schatten“, dem letzten großen Fall des mittlerweile sechzigjährigen Kommissars.
Nachdem Kurt Wallander vor fünf Jahren seine Wohnung in Ystad aufgegeben hat und in ein Haus auf dem Land bei Löderup gezogen ist, hat sich einiges getan im Leben des alternden Kommissars. Mit Jussi legte er sich einen schwarzen Labradorwelpen zu und nimmt freudig die Nachricht entgegen, dass seine Tochter Linda, die als Polizistin in Ystad arbeitet und in einer Neubausiedlung bei Malmö wohnt, ein Kind erwartet. Sie zieht mit dem fünfunddreißigjährigen Finanzmakler Hans von Enke zusammen und bringt am 30. August 2007 im Krankenhaus von Ystad mit Klara eine Tochter zur Welt.
Wallander wird zum 75. Geburtstag von Hans von Enkes Vater nach Stockholm eingeladen. Der Korvettenkapitän a. D. Håkan von Enke erzählt ihm in einer vertraulichen Situation, dass mehrere Male fremde U-Boote in schwedischen Gewässern entdeckt wurden, doch der Abwurf einer Unterwasserbombe, die das mutmaßlich sowjetische U-Boot zum Auftauchen zwingen sollte, wurde von der schwedischen Marineführung im letzten Moment verhindert. Es gab noch weitere Vorfälle dieser Art. Wallander kann sich keinen Reim auf die Erzählung des Mannes machen, doch dann kehrt Håkan von Enke von seinem täglichen Spaziergang nicht zurück, und seine Ehefrau Louise meldet ihn als vermisst. Während Kommissar Ytterberg in Stockholm die Ermittlungen leitet, unterstützt ihn Kurt Wallander während seines Urlaubs und macht zwei langjährige Freunde des Vermissten ausfindig, zum einen den Maschineningenieur Sten Nordlander, der mit Håkan von Enke bei der Marine war, zum anderen den pensionierten US-amerikanischen U-Boot-Kapitän Steven Atkins, den von Enke 1961 in Berlin kennengelernt und den er häufig in den USA besucht hat. Kurz darauf wird auch Louise von Enke vermisst. Die frühere Wasserspringerlehrerin soll die sagenumwobene schwedische Spionin gewesen sein, von der seit Jahrzehnten in Geheimdienstkreisen gemunkelt worden ist. Als Louise unter merkwürdigen Umständen tot aufgefunden wird, ist Wallander ratlos, was er von den Enkes halten soll…

„Lindas feste Überzeugung, dass Louise keine Spionin war, machte ihn nachdenklich. Es handelte sich nicht um einen Beweis, sondern um eine Überzeugung: Es konnte nicht sein. Aber wenn es so ist, dachte Wallander, was ist dann die Erklärung? Konnten Louise und Håkan trotz allem irgendwie zusammengearbeitet haben? Oder war Håkan von Enke so kaltblütig verlogen, dass er von seiner großen Liebe zu Louise sprach, damit niemand auch nur auf den Gedanken kam, er könne sie nicht geliebt haben? Steckte er hinter ihrem Tod und versuchte, alle Nachforschungen in eine falsche Richtung zu lenken?“ (S. 487)

Doch Wallander hat neben diesem undurchsichtigen Fall vor allem mit persönlichen Problemen zu kämpfen. Nach einem weinseligen Abend in einem Restaurant hat er dort seine Waffe liegengelassen, was ihm eine disziplinarische Strafe einbringt, dann macht seine Ex-Frau Mona, Lindas Mutter, einen Alkoholentzug in einer Klinik. Am schwersten trifft Wallander aber der Besuch seiner großen Liebe Baiba aus Riga, die unheilbar an Krebs erkrankt ist und nicht mehr lange zu leben hat. Und dann sind da diese Gedächtnislücken, die Wallander sich nicht erklären kann und die immer häufiger auftreten…
Der 2015 verstorbene Henning Mankell bereitete seiner Lieblingsfigur in „Der Feind im Schatten“ einen großartigen Abgang. Der Fall um die vermissten Eheleute Håkan und Louise von Enke macht vor allem deutlich, wie unsicher sich die Schweden im Spannungsfeld des Kalten Krieges zwischen der Sowjetunion auf der einen und den USA auf der anderen Seite fühlten. Wer wie für wen spioniert haben könnte, wird allerdings nebensächlich bei den privaten Problemen, mit denen sich Wallander herumschlagen muss, vor allem die Sorge um die drei wichtigsten Frauen in seinem Leben – Mona, Baiba und Linda – sowie die eigene, vor allem geistige Gesundheit. Zwischendurch kommt natürlich immer wieder der obligatorische Kulturpessimismus durch, wenn Mankell seinen Protagonisten über die maroden Polizeistrukturen, rassistische Tendenzen und überteuerte Preise schwadronieren lässt. Das ist nicht unbedingt spannende Kriminalliteratur, aber auf jeden Fall emotional berührender Stoff, der Mankell- und Wallander-Fans im Besonderen versöhnlich stimmt.

 

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