John Grisham „Die Liste“

Samstag, 1. August 2009

(Heyne, 480 S., HC)
Nachdem sich John Grisham mit „Die Farm“ und „Der Coach“ eine kleine Auszeit von seinen Justiz-Thrillern genommen hatte, kehrt er nach „Die Schuld“ mit „Die Liste“ zu seinem klassischen Thema zurück, der Frage nach Schuld und Sühne, Rache und Gerechtigkeit. Willie Traynor übernimmt 1970 in Clanton, Mississippi die bankrotte Kleinstadtzeitung Ford County Times, nachdem der 23-jährige Student das dafür nötige Geld von seiner reichen Tante erhalten hatte. Als die dreißigjährige Witwe Rhoda Kassellaw vor den Augen ihrer beiden Kinder vergewaltigt und ermordet wird, ist der mutmaßliche Täter schnell gefasst.
Danny Padgitts Name ist mit das letzte, was der sterbenden Frau noch von den Lippen geht, wenig später wird der von Rhodas Blut besudelte und betrunkene Verdächtige von der Polizei gestellt. Die Jury, in der erstmals eine Schwarze sitzt, befindet den Angeklagten zwar für schuldig, verhängt aber nur eine lebenslange Haftstrafe, nicht wissend, dass „lebenslänglich“ in Mississippi gerade mal zehn Jahre ausmachen. Bereits vor seiner Verurteilung versprach Danny Padgitts, die Mitglieder der Jury im Falle eines Schuldspruchs persönlich umzubringen, und bereits während des Verfahrens spart seine mächtige wie kriminelle Familie nicht an Einschüchterungsmanövern. Als Danny Padgitt nach neun Jahren wieder auf freien Fuß kommt, muss vor allem Willie Traynor um sein Leben fürchten, nachdem er mit seiner effektheischenden Berichterstattung maßgeblich zur Vorverurteilung des Angeklagten beigetragen hatte... „Die Liste“ schreit wie „Die Akte“, „Die Jury“, „Der Klient“ oder zuletzt „Das Urteil“ nach einer Verfilmung!

John Grisham „Die Schuld“

(Heyne, 448 S., HC)
Der wie viele andere Pflichtverteidiger stark überlastete Clay Carter kann es kaum fassen, dass ihm schon wieder ein Mordfall aufgedrückt wird. Der junge Schwarze Tequila Watson hat offensichtlich ohne erkennbares Motiv den Drogendealer Pumpkin erschossen und wurde dabei eindeutig von Zeugen identifiziert. Bevor sich Carter überhaupt richtig mit der Verteidigung befassen kann, wird er von dem mysteriösen Max Pace aufgesucht, der von einem Pharma-Unternehmen als Troubleshooter engagiert wurde und Carter ein unglaubliches Angebot unterbreitet: Der Konzern hatte ein ungenehmigtes Präparat an Drogensüchtigen getestet, das die Abhängigkeit heilen sollte. Erst spät wurde entdeckt, dass einige der Patienten grundlos anfingen zu morden. Um diesen Umstand nicht bei einem Gerichtsverfahren publik zu machen, strebt das Unternehmen einen großzügigen Vergleich an.
Carter nimmt das Angebot an, kündigt beim Office of the Public Defender, bekommt seine eigene Kanzlei in der nobelsten Gegend Washingtons und stellt eigene Anwälte ein. Schon schanzt ihm Pace die nächste Schadensersatz-Geschichte zu. Carter gibt die Millionen-Honorare allerdings auch schneller aus, als das Geld wieder in die Kassen strömt. Er hofft auch, mit seinem neuen Reichtum seine Freundin Rebecca zurückzugewinnen, die ihn vor kurzem auf Druck ihrer reichen Eltern verlassen hat. Doch dann ziehen dunkle Wolken am Horizont auf. Max Pace verschwindet spurlos, das FBI ermittelt wegen Handel mit Insiderwissen, sich übervorteilt fühlende Mandanten klagen gegen Carter... Grisham schildert sehr anschaulich die Problematik überhöhter Schadensersatzvergleiche, doch wirkt die Story längst nicht so spannend wie die meisten seiner früheren Werke.

John Grisham – „Das Testament“

(Heyne, 512 S., Tb.)
Dem exzentrischen Milliardär Troy Phelan ist die Vorstellung, dass sein Imperium den geldgierigen Erben zufällt, so zuwider, dass er vor seinem Freitod sein Testament zugunsten seiner unehelichen Tochter Rachel ändert.
Während die entrüstete Phelan-Familie versucht, die Änderung des Testaments anzufechten, macht sich der ehemalige, seit längerem sich aber schon auf dem absteigenden Ast befindende Staranwalt Nate O’Riley auf die Suche nach der legitimen Erbin. Als er sie nach einer abenteuerlichen Reise endlich im brasilianischen Regenwald findet, zeigt sie sich wenig interessiert an dem Erbe, dafür aber an Nate. Wenn dieser aber Rachel nicht umstimmen kann, das Erbe anzutreten, verfällt es letztlich doch der habgierigen Familie, die bis dato noch nichts von der Existenz von Troys unehelicher Tochter gewusst hat. Grisham versteht es dabei sehr gut, den Wettlauf gegen die Zeit im Strudel der interessanten Begegnung zwischen Rachel und dem Rechtsanwalt darzustellen, deren Verhalten zunächst von ganz unterschiedlichen Motivationen geprägt ist.

Lucius Shepard - „Endstation Louisana“

Donnerstag, 16. Juli 2009

(Edition Phantasia, 157 S., Pb.)
Es ist noch gar nicht so lange her, da erschien bei Edition Phantasia mit „Aztech“ eine furiose Science-Fiction-Novelle des 1947 geborenen amerikanischen Schriftstellers Lucius Shepard, der sich aber ebenso in den Genres Fantasy und Horror beheimatet fühlt, wie er mit der prägnanten Horror-Story „Endstation Louisana“ eindrucksvoll dokumentiert.
So könnte man auch Grail bezeichnen, dieses kleine Nirgendwokaff am Golf mit einem aus zwei Blocks bestehenden Geschäftsviertel, ein paar Fischerbooten am verwitterten Kai, etlichen Bars, den benachbarten Kirchen The Assembly of God und St. Jude’s und dem Restaurant Vida’s Moonlight Diner. Die 29-jährige Inhaberin Vida Dumars war vor elf Jahren aus Grail weggelaufen und ließ sich in New Orleans von einem Hexer namens Clifford Marsh misshandeln. Seit ihrer Rückkehr nach Grail versucht sie diese Schmach zu vergessen. Sie ist die amtierende Mittsommernachtskönigin, zu der alle zwanzig Jahre ein zehnjähriges Mädchen gekürt wird, das alles Unglück der Stadt auf sich nehmen muss, damit es der Stadt selbst gut geht. Diesen Pakt schlossen Grails Gründerväter vor Jahrhunderten mit einem mysteriösen „Guten Grauen Mann“. Am Abend des 22. Juni, als Vidas Nachfolgerin gekürt werden soll, hat der durchreisende Musiker Jack Mustaine, mit seinem BMW eine Panne am Straßenrand von Grail, wartet die Reparatur seines Wagens in der Stadt ab und lernt Vida kennen und lieben. Doch dann stattet der „Gute Graue Mann“ der Stadt wieder einen Besuch ab, und über das Schicksal von Grail und seinen Bewohnern wird neu verhandelt ... „Endstation Louisana“ beschreibt den magischen Pantheismus im Süden von Louisana mit eindringlicher Intensität.

Lucius Shepard - „Aztech“

(Edition Phantasia, 111 S., Pb.)
Der 1947 geborene amerikanische Schriftsteller hat sich bislang sowohl in Fantasy-, Science-Fiction- als auch Horror-Kreisen einen Namen gemacht und präsentiert in der neu gegründeten Science-Fiction-Paperback-Reihe des Bellheimer Verlags Edition Phantasia mit „Aztech“ eine kleine, aber sehr feine SciFi-Erzählung. Das darin utopische Szenario treibt dabei die aktuelle politische und soziale Situation auf dem gesamtamerikanischen Kontinent nur auf die Spitze. In Lateinamerika herrschen anarchistische Zustände. Allein die mächtigen Drogenkartelle sorgen trotz ständiger kriegerischer Auseinandersetzung für etwas soziale Ordnung. Dagegen haben sich die reichen Vereinigten Staaten mit einem riesigen Elektrozaun an der gesamten Grenze zu Mexiko abgeschottet.
Der 24-jährige Eddie Poe, der mit seinem Vater aus den Staaten nach Mexiko gegangen ist und dort eine Personenschutzfirma leitet, erhält den Auftrag, mit Zett einen Abgesandten der High-Tech-Firma Aztech zu einem Treffen mit dem Drogenboss Carbonell zu begleiten. Doch die Verhandlungen enden in einer riesigen Schießerei, bei der Zett tödlich verletzt wird und Eddie mit seiner Freundin Lupe von seiner eigenen Crew gefangen genommen wird. Die durch Drogen zu Kampfmaschinen mutierten, Sammys genannten Söldner zwingen auch Eddie zum Drogenkonsum. Allein seine mediengeile Freundin Lupe, mit der er für ihre Sendung auch live vor der Kamera fickt, um ihre Einschaltquoten in die Höhe zu treiben, kann ihm offensichtlich helfen, nicht nur den Konflikt zwischen seiner eigenen und der neuen Sammy-Persönlichkeit zu lösen, sondern auch den innerhalb des gesellschaftlichen Brandherdes, der zu explodieren droht… Sehr spannende, zeitweise auch witzige Parabel über die Beziehungen von Politik, Sex, Medien, Macht und Manipulation.

Nick Mamatas - „Abwärts – Move Under Ground“

(Edition Phantasia, 199 S., Pb.)
In den limitierten Vorzugsausgaben des aufwändig gestalteten Hardcover-Programms hat der Verlag Edition Phantasia bislang fast ausschließlich – auch moderne - Klassiker der Science-fiction- und Horror-Literatur wie ausgewählte Werke von H.P. Lovecraft, Ray Bradbury,
Clive Barker, Peter Straub oder Stephen King veröffentlicht. In der recht jungen Paperback-Reihe eröffnet man nun auch hoffnungsvollen Newcomern die Möglichkeit, auf dem
deutschen Markt entdeckt zu werden.
Nick Mamatas wurde bereits für seine Story „Northern Gothic“ für den Bram Stoker Award nominiert, hat sich in den USA mit etlichen Beiträgen für Musik- und Underground-Magazine einen Namen gemacht und legt nun mit „Abwärts – Move Under Ground“ seinen ersten Roman vor, mit dem er den berühmten Beat-Autoren Jack Kerouac, Neal Cassidy und William S. Burroughs neues Leben einhaucht. Nachdem der Ich-Erzähler Jack mit Büchern wie „On The Road“ (1957) den American Way of Life kritisierte und die Sinnsuche einer entwurzelten Generation beschrieb, befindet er sich in den 60ern auf der Flucht vor seinen Fans und zieht sich in Big Sur zum Meditieren zurück und widmet sich seinem „spontanen Schreiben“. Er liest die Briefe seines Freundes Neal, dem er nie antwortet, mit dem ihn aber die Hoffnung verbindet, die Welt vor dem Grauen zu retten, das irgendwo da draußen in der Tiefe lauerte. Tatsächlich werden Jack, Neal und später auch Bill Burroughs mit dem Ausbruch des sagenhaften R’lyeh konfrontiert, der Heimat des urzeitlichen Gottes Cthulhu, dessen Heerscharen von Schoggothen und Kultisten bereits in Menschengestalt zu schlüpfen versuchen und die Menschheit zu vernichten drohen. Die drei Beatniks machen sich auf eine Reise durch ein apokalyptisches Amerika, von Nevada über San Francisco bis nach New York, um sich dem Bösen entgegenzustellen … Mamatas versteht es blendend, die
Sprache und das Anliegen der Beat-Autoren mit dem kosmischen Schrecken Lovecrafts zu verbinden. Heraus gekommen ist ein herrlich abgedrehtes, groteskes Road Movie in Romanform.

H.P. Lovecraft - “Der Kosmische Schrecken“

Freitag, 10. Juli 2009

(Festa, 317 S., HC)
Echte Lovecraft-Fans, die es sich auch noch leisten können, haben mit den bei Edition Phantasia veröffentlichten, bislang zehn sorgfältig editierte Bände umfassenden „Gesammelten Werken“ von H.P. Lovecraft bereits das Nonplusultra in den heimischen Bücherregalen stehen. Für den kleineren Geldbeutel bietet der Festa-Verlag, der schon viel an Sekundärliteratur und Lovecraft-verwandten Autoren veröffentlicht hat, aber auch schön eingebundene Geschichtensammlungen an, von denen der erste nun mit „Der Kosmische Schrecken“ vorliegt.
Kaum ein anderer Autor bot in seinen Erzählungen so viel Stoff für tiefenpsychologische Deutungen, denn der scheue Lovecraft war bekanntermaßen ein echter Sonderling mit ausgeprägten Vorurteilen gegenüber gesellschaftlichen Minderheiten, ein Atheist und Materialist, der in seinen Geschichten nichtsdestotrotz grauenhafte Gottheiten schuf. So einigen begegnet man auch in „Der Kosmische Schrecken“. In neuer Übersetzung liegen hier mit „Die Ratten im Gemäuer“, „Das Ding auf der Schwelle“, „Dagon“, „Der Flüsterer im Dunkeln“, „Der Außenseiter“ und „Der Schatten über Innsmouth“ einige der populärsten Storys des amerikanischen Schriftstellers vor. Dazu gibt es sehr aufschlussreiche Anmerkungen zu letzterer Geschichte von S.T. Joshi und David E. Schultz sowie die von Lovecraft verworfene Version dieser schaurigen Novelle. Mit „Namenlose Kulte“ ist ein weiterer Lovecraft-Band bereits in Vorbereitung.