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David Benioff – „Stadt der Diebe“

Dienstag, 17. Mai 2011

(Heyne, 384 S., Tb.)
Der siebzehnjährige Lew erlebt in Piter des Jahres 1942 eine Zeit großer Entbehrungen. Der vorher schon in Armut lebende Junge muss erleben, wie alles, was zu Kleinholz gemacht werden konnte, bereits in Ofen verfeuert wurde, sämtliche Haustiere und sogar Tauben waren geschlachtet. Als Teil des Feuerlöschtrupps verbringt der Junge viel Zeit auf dem Dach seines Wohnblocks, wo er eines Abends beobachtet, wie ein deutscher Soldat tot vom Himmel fällt. Doch gerade als Lew und seine Freunde den Toten seiner Habseligkeiten berauben, wird der kleine Trupp von Soldaten überrascht, die in der Regel kurzen Prozess mit Deserteuren und Plünderern machen. Weil Lew seiner angebeteten Vera bei der Flucht hilft, wird er selbst gefangen genommen und ins Kresty-Gefängnis in eine Zelle mit dem mutmaßlichen Deserteur Kolja gesperrt.
Die beiden jungen Männer erhalten vom Oberst eine Gnadenfrist: Wenn sie bis zum nächsten Donnerstag ein Dutzend Eier für die Hochzeitstorte seiner Tochter besorgen können, kommen sie mit dem Leben davon und erhalten ihre Freiheit zurück. Allerdings müssen sie bald feststellen, dass in Leningrad nirgendwo Eier aufzutreiben sind, weshalb Kolja vorschlägt, ins fünfzig Kilometer entfernte Mga zu gehen, das allerdings hinter den deutschen Linien liegt.
„Schlafen war vernünftiger, als nach Mga zu marschieren – wo die Deutschen zu Tausenden warteten – und nach Hühnern zu suchen. Alles war vernünftiger als das. Aber so vehement ich auch gegen diese absurde Idee protestierte, wusste ich doch von Anfang an, dass ich mitkommen würde. Kolja hatte recht: In Leningrad gab es keine Eier. Aber das war nicht der einzige Grund mitzukommen. Kolja war ein Aufschneider, ein Besserwisser, ein Juden schindender Kosak, aber sein Selbstbewusstsein war so absolut und ungetrübt, dass es schon nicht mehr wie Arroganz wirkte, sondern lediglich wie das Merkmal eines Mannes, der mit seinem heroischen Schicksal im Einklang war. So hatte ich mir meine Abenteuer nicht vorgestellt – ich wollte der Hauptdarsteller sein, nicht die Witzfigur am Rand -, doch die Realität scherte sich von Beginn an nicht um meine Wünsche, sondern gab mir einen Körper, der bestenfalls geeignet war, in einer Bibliothek Bücher zu sortieren, und träufelte mir so viel Angst in die Adern, dass ich mich nur im Treppenhaus zusammenkauern konnte, wenn es brenzlig wurde. Vielleicht würden meine Arme und Beine eines Tages kräftige Muskeln entwickeln und die Angst ablaufen wie schmutziges Badewasser. Ich wünschte, ich hätte daran geglaubt, doch das tat ich nicht. Ich war mit dem Pessimismus der Russen wie der Juden gestraft, zwei der schwermütigsten Völker der Welt. Aber auch wenn keine Größe in mir steckte, so hatte ich doch vielleicht das Talent, Größe in anderen zu erkennen, sogar in denen, die mich am meisten in Rage brachten.“ (S. 148 f.)
Der 1970 geborene Autor David Benioff ist ein begnadeter Autor. Bereits sein 2002 veröffentlichter Debütroman „25 Stunden“ wurde erfolgreich von Spike Lee verfilmt, und seither ist Benioffs Talent, filmreife Geschichten zu schreiben, in Hollywood gern angenommen. Er verfasste die Drehbücher zu Khaled Hosseinis Bestseller-Verfilmung „Der Drachenläufer“, zu Wolfgang Petersens „Troja“ und zu „X-Men Origins: Wolverine“, verfilmte sein Drehbuch zu „When The Nines Roll Over“ im Jahre 2006 sogar selbst. Mit „Stadt der Diebe“ hat Benioff, wie er im Vorwort schreibt, die eindrucksvolle Geschichte seines Vaters niedergeschrieben und sie auf seine eigene Art und Weise mit sehr lebendigen Charakteren ausgestattet, die in die unmöglichsten Situationen geraten. Bei allen Entbehrungen, die der Zweite Weltkrieg zum Ende hin für die Russen mit sich brachte, ist es Benioff gelungen, die Menschlichkeit, Warmherzigkeit und den Humor in seiner Geschichte hervorzuheben und so ein Meisterwerk zu schaffen, das man gar nicht mehr aus der Hand legen mag.
Lesen Sie im Buch: Benioff, David - Stadt der Diebe

David Benioff - „Alles auf Anfang“

Samstag, 25. September 2010

(Blessing, 269 S., HC)
Eigentlich ist der 1970 geborene Autor David Benioff im Kino zuhause, adaptierte Khaled Hosseinis „Drachenläufer“ für die große Leinwand und schrieb die Drehbücher zu „Troja“, „Stay“, „Brothers“ und „X-Men: Wolverine“. Bereits sein Debütroman „25 Stunden“ aus dem Jahre 2000 wurde verfilmt, mit dem Nachfolger „Stadt der Diebe“ etablierte sich Benioff als literarische Größe. Seine besondere Affinität zu bewegten Bildern kann kaum überraschen, denn auch die in seinem aktuellen Buch „Alles auf Anfang“ zusammengestellten Geschichten gefallen durch ihre sehr bildhafte Sprache und lebendige, interessante Figuren in außergewöhnlichen Situationen.
In der eröffnenden Titelgeschichte wird die Sängerin Molly Minx aus SadJoes Punk-Band von dem A&R-Manager Tabachnik umworben, in Los Angeles Karriere zu machen. Tatsächlich unterschreibt sie einen Vertrag, zieht mit ihrem Manager von New York nach L.A., rechnet aber nicht damit, dass SadJoe plötzlich bei ihr auftaucht.
In „Zersetzung“ beschreibt der Ich-Erzähler, wie er zur Erheiterung seiner Nachbarn einen unterirdischen Betonbunker einrichtete, in dem er nun auf einem 1468er Computer seine Erinnerungen und Gedanken niederschreibt, während alle anderen bereits zu Staub zerfallen sind. Doch eines Tages wird dieser von einem Virus befallen …
Der jungen Schauspielerin June wird in „Zeit der Absagen“ stets zum Verhängnis, dass sie Cassie Whitelaw, dem Star der Krankenhausserie „St. James Infarmery“, so ähnlich sieht. Erst als die Serie überraschend abgesetzt wird, erhält June ihre Chance. In der vielleicht traurigsten Story "Merde bringt Glück" erzählt der Maler Alexander, wie er zu einer Party eingeladen wurde, auf der er den nackten Tänzer Hector kennen- und lieben lernte. Als beide an AIDS erkranken, scheint nur noch eine nicht erprobte Therapie zu helfen … Allen Geschichten ist gemeinsam, dass David Benioff seine Figuren zwar oft als Außenseiter beschreibt, ihren wendungsreichen Weg aber stets mit unverhohlener Sympathie begleitet. Selten siegt dabei die Vernunft. Benioffs Figuren wagen oft das Unerwartete, Riskante, Verrückte, versuchen mit entwaffnender Naivität ihre Träume zu leben. Benioffs (Anti-)Helden strahlen so viel warmherzige Lebensfreude und Zuversicht aus, dass es eine Freude ist, sie auf ihren verrückten Abenteuern zu begleiten.