Posts mit dem Label Verlag: Pendragon werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Verlag: Pendragon werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 15) „Dunkle Tage im Iberia Parish“

Samstag, 22. Juli 2023

(Pendragon, 480 S., Pb.) 
Zwar hat der 1936 im texanischen Houston geborene James Lee Burke bereits seit Mitte der 1960er Jahre (hierzulande noch unveröffentlichte) Romane wie „Half of Paradise“ (1965), „To the Bright and Shining Sun“ (1970), „Two for Texas“ (1982) und „The Lost Get-Back Boogie“ (1986) veröffentlicht, doch internationale Anerkennung heimste der Südstaaten-Autor erst mit der 1987 begonnenen Reihe um den Vietnam-Veteranen, Alkoholiker und Detective Dave Robicheaux ein. 
Der 2006 erschienene 15. von insgesamt 23 Bänden, „Dunkle Tage im Iberia Parish“, zählt zu den besten Werken der Reihe, aus der sowohl „Heaven’s Prisoners“ als auch „In the Electric Mist“ verfilmt worden sind. 
In den 1980er Jahren nahm Dave Robicheaux vom NOPD an einem Austausch-Programm mit der Trainingsakademie für Polizeischüler im Dade County, Florida, teil, wo er in der Mordkommission des Miami Police Department arbeitete und Strafrecht an einem College in der Nähe der Kleinstadt Opa Locka unterrichtete. Vor allem war diese Zeit aber durch exzessiven Alkoholkonsum geprägt, was dazu führte, dass er nicht verhindern konnte, dass sein einziger Freund, der wegen seiner Spielsucht hochverschuldete Kriegsheld Dallas Klein, von Handlangern des Buchmachers Whitey Bruxal getötet worden ist, als der Geldtransporter der Firma, für die Klein arbeitete, überfallen wurde. 
Zwei Jahrzehnte später sind der Raubüberfall und der Mord an Dallas Klein noch immer unaufgeklärt, doch Robicheaux wird zwei Jahrzehnte später noch immer von Schuldgefühlen geplagt. Mittlerweile ist er Detective im Iberia Parish Sheriff‘s Department und lebt mit seiner Frau, der ehemaligen Nonne Molly, am Bayou Teche. Als eine junge Frau mit einem gekennzeichneten 100-Dollar-Schein im Casino Chips eintauschen will, stellt Robicheaux fest, dass es sich bei der jungen Dame um Trish Klein handelt, Dallas Kleins Tochter. Wenig später wird die Kellnerin Yvonne Darbonne nahe der Zuckerfabrik tot aufgefunden. Offensichtlich hat sich die 18-Jährige mit dem neben ihrer Hand liegenden .22er Revolver selbst erschossen. Die Obduktion ergibt, dass das Mädchen jede Menge Alkohol, Gras und Ecstasy intus und kurz vor ihrem Tod Sex mit mehreren Partnern hatte. 
Die Ermittlungen führen zunächst zu dem Unternehmer Bello Lujan, mit dessen Sohn Tony die Tote liiert gewesen sein soll und der auch in einen Vorfall von Fahrerflucht verwickelt ist, bei dem ein Obdachloser ums Leben kam. Tonys Freund Slim wiederum ist der Sohn von Whitey Bruxal, dessen Handlanger Tommy „Lefty“ Lee Raguza kurzen Prozess mit allen macht, die seinem Chef in die Quere kommen. Am meisten verdächtigt wird allerdings der schwarze Drogenhändler Monarch Little. Ebenfalls vor Ort ist FBI-Agentin Betsy Mossbacher, die vor allem hinter Bruxals illegalen Machenschaften her ist. Robicheaux ist vor allem besorgt, dass sein bester Kumpel Clete Purcel etwas mit Trish Klein angefangen hat, die mit ihren merkwürdigen Freunden offenbar vorhat, sich an Bruxal für den Mord an ihrem Vater zu rächen… 
„Es war einer dieser Momente, in denen die Wahrheit nichts als wehtun würde. Hatte Clete vielleicht recht? Waren wir am Ende des Weges angelangt und führten einen aussichtslosen Kampf gegen Kräfte, die längst von Gesellschaft und Staat anerkannt wurden? Waren wir wie zwei Narren, die auf einem sinkenden Schiff die Sektkorken knallen ließen? Redeten wir uns ein, dass wir ewig jung bleiben würden, wenn wir ab und an einen Scheißkerl verprügelten, und dass die Party niemals enden würde?“ (S. 329) 
Oft genug wird James Lee Burkes rechtschaffender Protagonist Dave Robicheaux von den Dämonen seiner Vergangenheit heimgesucht, die von ihm während des Vietnamkriegs Besitz ergriffen haben und sich in Form alkoholindizierter Delirien bemerkbar machen. Diesmal ist es ein unaufgeklärter Mord an seinem damaligen einzigen Freund Dallas Klein, der den Detective wieder stärker umtreibt, als Kleins Tochter Trish unvermittelt in seinem Bezirk auftaucht und offensichtlich mehr vorhat, als nur das hiesige Casino zu erleichtern. 
Zusammen mit seinem Partner Clete hat Robicheaux alle Mühe, die losen Fäden zusammenzuführen, die der Mord an der 18-jährigen Kellnerin, die Fahrerflucht mit einem toten Obdachlosen als Folge und rassistische Vorfälle, in denen der Sohn des einflussreichen Bello Lujan, ein schwarze Drogendealer und der Buchmacher Whitey Bruxal verwickelt sind, hinterlassen haben. 
Die komplexe Krimi-Handlung reichert Burke wie gewohnt mit bilderreichen Beschreibungen der Landschaft und Kultur in Louisiana sowie gesellschaftskritischen Überlegungen an, die die Bobbsey Twins vor allem immer dann anstellen, wenn sie es mit besonders selbstgefälligen Exemplaren der menschlichen Spezies zu tun haben, die aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung und ihres Reichtums glauben, sich alles erlauben zu können. 
Trotz aller brutalen Gewalt spart Burke nicht an der Hoffnung auf eine bessere Welt, zu der jeder ein wenig beitragen kann, indem er nur das Richtige tut.  
„Dunkle Tage im Iberia Parish“ ist somit nicht nur ein starkes Stück Kriminalliteratur, sondern auch ein zutiefst moralisches Lehrstück mit zwei charismatischen Protagonisten, wie sie das Genre noch nie erlebt hat. 

 

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 23) „Verschwinden ist keine Lösung“

Donnerstag, 15. Juni 2023

(Pendragon, 472 S., Pb.) 
22 Jahre nach seinem ersten Roman legte der in Houston, Texas, geborene und in Louisiana aufgewachsene James Lee Burke 1987 mit „Neon Rain“ den Grundstein für eine der außergewöhnlichsten Krimi-Reihen. Denn in den Südstaaten-Krimis um den Vietnam-Veteranen, ehemaligen Detective des New Orleans Police Departments und Alkoholiker Dave Robicheaux verstand es der u.a. mit dem Edgar Allan Poe Award, dem Hammett Prize, dem Deutschen Krimi Preis und dem Gold Dagger ausgezeichneten Schriftsteller, auf atmosphärisch dichte Weise die außergewöhnliche Südstaaten-Landschaft und -kultur mit ungewöhnlichen Kriminalfällen zu verbinden, in denen fast ausnahmslos Mafia-Größen, Großgrundbesitzer, skrupellose Unternehmer und korrupte Politiker involviert gewesen sind. 
Nun soll nach über dreißig Jahren Schluss sein, der 23. Band „Verschwinden ist keine Lösung“ wird als letzter Band der Reihe um den charismatischen Cop Dave Robicheaux angekündigt. 
Der musikalisch begnadete Johnny ist nach dem Tod seiner Eltern von seinem Onkel Mark Shondell großgezogen worden, einem Mann, der – Robicheaux‘ Meinung nach - sein Geld „auf dem Rücken Anderer“ erworben hat und Familiengeheimnisse hütete, bei denen es um „Sex mit anderen Ethnien und die Ausbeutung der außerehelichen Kinder ging, die sie zeugten“. 
Als sich Johnny ausgerechnet in die minderjährige Isolde Balangier verliebt, die Tochter eines rivalisierenden Clans, liegt natürlich Ärger in der Luft, denn Isolde soll als Friedensangebot an Mark Shondell ausgeliefert werden, dessen Familie Frachter, Segeljachten und Plantagen in Chile, Costa Rica und Kolumbien besaßen und oft Besuch von lateinamerikanischen Diktatoren bekamen. Als der berüchtigte Mafia-Auftragskiller Marcel La Forchette aus dem Gefängnis entlassen wird, trifft Robicheaux ihn auf dem Shondell-Anwesen, wo der Detective versucht, Informationen zum Aufenthaltsort des jungen Liebespaares zu erhalten. Zusammen mit seinem alten Kumpel Clete Purcel bekommt es Robicheaux nicht nur mit unangenehmen Schergen sowohl der Shondell- als auch der Balangier-Sippe zu tun, er verliebt sich auch noch ausgerechnet in Adonis Balangiers Frau Penelope und die ehemalige Prostituierte Leslie Rosenberg, bekommt es schließlich mit einem selbsternannten „Offenbarer“ zu tun, Gideon Richetti, der seit dem 17. Jahrhundert sein Unwesen auf der Erde zu treiben scheint und bei den Bobbsey Twins übernatürliche Empfindungen hervorruft. 
„… in unserer Mitte befand sich das Böse, und es war unsere eigene Schöpfung und hatte nichts mit dem Zeitreisenden aus dem Jahr 1600 zu tun. Das Böse, über das ich rede, wurde als Mann mit Sorbonne-Ausbildung wiedergeboren, dessen Familie seit Generationen unter uns lebte. Er hatte geschworen, Hollywood und die Juden darin zu zerstören, war vermutlich ein Kinderschänder und hatte die Morde an seinen Feinden angeordnet. Wir fürchteten seine Macht und seinen Namen und wir logen uns an, zogen den Hut und taten so, als würden wir einfach an einer vornehmen Kultur aus früheren Zeiten festhalten.“ (S. 368) 
Am – voraussichtlichen - Ende der Reise blickt Dave Robicheaux auf drei verstorbene Ehefrauen und seine abwesende Adoptivtochter Alafair zurück, so dass er im Kampf gegen böse, vermeintlich übernatürliche Kräfte diesmal allein auf Clete Purcel bauen kann. Mit einem deutlich reduzierten Figurenensemble und recht klar definierten Fronten bekommen es die unerschrockenen Bobbsey Twins einmal mehr mit narzisstischen, selbstgerechten reichen Familien zu tun, die ihre Interessen über die der Allgemeinheit stellen und rücksichtslos selbst über das Schicksal ihrer Jüngsten bestimmen. Was den Plot angeht, präsentiert Burke wenig Neues, hinter neuen Namen verbergen sich vertraute Strukturen und Phänomene wie Rassismus, Antisemitismus, Korruption und Prostitution. 
Allein das übernatürliche Element wird stärker hervorgehoben, untergräbt damit aber leider auch die Glaubwürdigkeit der Story. Im Gegensatz zu früheren Romanen, in denen vor allem Purcel sich mit den falschen Frauen einlässt, ist es diesmal Robicheaux, der unangebrachte Leidenschaften für die Frau eines Mafia-Bosses und eine ehemalige Prostituierte entwickelt. 
Seine größten Stärken entwickelt „A Private Cathedral“, so der 2020 veröffentlichte Originaltitel, im Zusammenspiel der Bobbsey Twins, die sich immer wieder selbst und einander versichern müssen, dass sie auf der rechten Seite kämpfen, dabei aber natürlich wie gewohnt immer wieder über die Stränge schlagen, bis sie sich im actionreichen Finale aus arger Bedrängnis befreien müssen. Bis dahin bietet „Verschwinden ist keine Lösung“ literarisch anspruchsvolle, allerdings recht vorhersehbare Krimi-Kost, die nicht das große Finale einer der bedeutendsten Krimi-Reihen der letzten Jahrzehnte darstellt, das man sich erhofft hatte. Noch darf man ja träumen, dass Burke noch etwas Großes nachlegt… 

 

Raymond Radiguet – „Den Teufel im Leib“

Mittwoch, 15. März 2023

(Pendragon, 224 S., HC) 
Der frühe Tod von begnadeten Künstlern wie Jim Morrison, Ian Curtis, Janis Joplin, James Dean oder Jimi Hendrix scheint sich in der Regel positiv auf ihre nachfolgende kultische Verehrung und Popularität auszuwirken. Posthumen Ruhm erfuhr auch der französische Journalist, Dichter und Schriftsteller Raymond Radiguet, der im zarten Alter von 17 Jahren seinen ersten, weitgehend autobiografischen Roman „Den Teufel im Leib“ veröffentlichte und das Erscheinen seines zweiten Romans „Der Ball des Comte d’Orgel“ schon nicht mehr miterlebte, da er bereits zwanzigjährig an Typhus verstarb. 
Mit seinem 1923 veröffentlichten Erstlingswerk schockierte der junge Mann, der sich im Umfeld der Künstler Jean Cocteau, Max Jacob, George Auric, Francis Poulenc, Picasso und Modigliani bewegte, die literarische Welt, erntete aber auch viel Anerkennung, die letztlich sogar zu mehreren Verfilmungen führte. Nun hat der Bielefelder Pendragon-Verlag den Klassiker mit Illustrationen von Jean Cocteau neu aufgelegt. 
Als der Erste Weltkrieg ausbricht, ist der in einem kleinen Dorf an der Marne aufgewachsene François gerade zwölf Jahre alt und erlebt die folgenden vier Jahre vor allem als eine Zeit großer Ferien. Da seine Mutter ihn für zu jung befand, um in Paris aufs Lycée Henri-Quatre zu gehen, verbrachte François die Zeit zuhause, absolvierte das Lernpensum in wenigen Stunden und hatte so genügend Zeit für ausgiebige Wanderungen am Fluss entlang. 
Bei einem Ausflug an einem Sonntag im April 1917 nach La Varenne lernt François die achtzehnjährige Marthe kennen und verliebt sich in sie. Da er selbst erst fünfzehn ist und Marthe bereits mit einem Soldaten namens Jacques verlobt ist, steht die Liebe zunächst unter einem ungünstigen Stern. François lässt sich jedoch nicht beirren und findet immer neue Ausreden und Tricks, um sich aus dem elterlichen Haus und in die kleine Wohnung seiner Angebeteten zu schleichen. Schwierig wird es erst, wenn Marthes Verlobter im Fronturlaub nach Hause kommt – und erst recht, als Marthe schwanger wird… 
„Wenn das Herz seine Gründe hat, die dem Verstand verborgen bleiben, dann bedeutet das, dass unser Verstand weniger vernünftig ist als unser Herz. Wahrscheinlich ist jeder von uns ein Narziss, der sein Bild liebt und hasst, aber kein anderes ansehen mag. Dieses Gespür für Ähnlichkeit leitet uns im Leben und lässt uns innehalten angesichts einer Landschaft, einer Frau, eines Gedichtes. Bewundern können wir auch andere, aber ohne diesen Ruck zu spüren.“ (S. 108) 
Radiguet war zwar ein mittelmäßiger Schüler, machte sich aber frühzeitig mit den Werken von Stendhal, Proust, Verlaine, Mallarmé, Rimbaud, Baudelaire und Lautréamont vertraut. Deren sprachliche Virtuosität hat sich der Teenager schnell zu eigen gemacht, denn sein Romandebüt „Den Teufel im Leib“ fasziniert hundert Jahre nach seiner Erstveröffentlichung vor allem durch die bildreiche Sprache, die die frühreife Geilheit eines Fünfzehnjährigen sehr reflektiert zum Ausdruck bringt. 
Als das Buch 1923 veröffentlicht wurde, sorgte vor allem der beschriebene Umstand, dass ein tapfer für Frankreich im Krieg kämpfender Soldat von seiner Frau und ihrem minderjährigen Liebhaber betrogen wird, natürlich für einen Skandal. Heute ist es eher die ausführliche, für einen 15-Jährigen wohl typische narzisstische Beschreibung einer leidenschaftlichen, natürlich alles andere als problemfreien Amour fou, die das Interesse des Lesers weckt, denn Radiguet versteht es, die ganze Bandbreite der Empfindungen, Motive und Entscheidungen seines Alter egos lebensnah zu dokumentieren, mitsamt der Täuschungsmanöver und der Ausgrenzung durch Nachbarn und nahestehende Familienmitglieder. 
Die Neuausgabe von „Den Teufel im Leib“ enthält nicht nur Illustrationen von Radiguets Freund und Mentor Jean Cocteau, sondern auch Briefe und Gedichte, die das persönliche Bild um den früh verstorbenen Autors ebenso abrunden wie das kurze Nachwort des versierten Übersetzers Hinrich Schmidt-Henkel. 

 

Gabriel Herlich – „Freischwimmer“

Mittwoch, 15. Februar 2023

(Pendragon, 262 S., HC) 
Donnie Frey ist Anfang 20, stammt aus einer wohlhabenden Galeristen-Familie und studiert in Hamburg Malerei. Doch sein Leben verläuft längst nicht so sorglos, wie die äußeren Umstände es vermuten lassen. Als stiller Außenseiter hat es Donnie seit jeher schwer gehabt, Freunde zu finden, so dass er sich zunächst glücklich schätzt, in Hamburg mit Marlon und dessen fünfunddreißigjährigen Cousin Alwin zwei Burschenschaftler gefunden zu haben, die mit ihm um die Häuser ziehen. 
Dafür sieht Donnie auch darüber hinweg, dass sich seine beiden Freunde als waschechte Nazis entpuppen. Als die drei Freunde dabei erwischt werden, wie sie Hakenkreuze in Autos geritzt haben, ist Donnie bei seinem Vater unten durch. Um der Strafe von neunzig Tagessätzen à 120 Mark zu entgehen, verdrückt sich Donnie mit seinen beiden Kumpels in Alwins Schrebergarten in Groß Borstel und trifft dort Meggie wieder, die er zuvor auf einer Party kennengelernt hatte. Als er erfährt, dass ihre Oma in einem Ottenser Seniorenheim lebt, leistet Donnie dort seine Sozialstunden ab und findet in dem Altenpfleger Vincent einen echten Freund. In dem Zimmer von Meggies jüdischer Großmutter Teofila Rosen stößt er in ihrer Mesusa auf einen handgeschriebenen Brief, den ein gewisser Jakob für Teo hinterließ und in dem er sie darüber informierte, dass er bei seinem Onkel auf einem Bauernhof in Aix-les-Bains auf sie warten würde. Wie Donnie von der alten Dame erfährt, hat sie Jakob nach ihrem Abitur 1935 kennengelernt, als sie ihre Schneiderlehre anfing, doch verloren sie sich während des Krieges aus den Augen, als die Nazis überall Jagd auf die Juden machten. 
Donnie klaut Alwins Buchanka und macht sich mit Meggie und etwas Proviant über Frankfurt (wo Meggie noch einen alten Freund aufsucht) auf nach Frankreich, wo sie alle noch bestehenden Bauernhöfe in Aix-les-Bains absuchen und schließlich in einem Hotel fündig werden. Für Donnie ist diese Reise ein einzig großes Abenteuer. Nachdem er mit Vincent seinen ersten echten Freund gefunden hat, lernt er mit Meggie nicht nur seine erste große Liebe kennen, sondern sie bringt ihm sogar das Schwimmen bei. Doch so ganz ungetrübt verläuft der Aufenthalt bei Meggies Großvater nicht… 
„Ich verstand ihr Spiel immer noch nicht. Weder ihre Reaktion auf meine Dummheiten noch die Art, wie sie mich auf der Fahrt hierher behandelt hatte. Mal wirkte sie interessiert und zugewandt, dann zeigte sie mir wieder die kalte Schulter. Je länger ich darüber nachdachte, desto mehr schwand meine Hoffnung, dass sie jemals meine Freundin sein würde.“ (S. 184) 
Der 1988 in Frankfurt am Main geborene Gabriel Herlich hat sich mit seinem Debütroman „Freischwimmer“ eines Themas angenommen, das ihm als in Deutschland aufgewachsener Jude mit Großeltern, die den Holocaust überlebt haben, sehr vertraut ist. Dabei beschäftigten ihn vor allem die Fragen, was den Hass auf Menschen bestimmter Herkunft hervorruft und wie er aufgebrochen werden kann. Mit dem 21-jährigen Donnie hat Herlich einen Protagonisten als Ich-Erzähler etabliert, der zunächst wenig sympathisch erscheint. Dass er mit einem goldenen Löffel im Mund geboren ist und mit zwei bekennenden Nazis abhängt, hält das Mitleid in Grenzen, das der Leser entwickelt, als Donnie vor der Geburtstagsgesellschaft seines empörten Vaters mit dem Schreiben der Senatskanzlei bloßgestellt wird, in dem sein Vergehen und die dafür vorgesehene Strafe beschrieben wird. 
Auf gerade mal 260 Seiten versucht Herlich ein breites Themenspektrum abzudecken, wobei die Reise, die Donnie mit Meggie in dem geklauten Buchanka nach Frankreich unternimmt, einem klassischen Road Trip gleicht, bei dem mit den zurückgelegten Kilometern auch ein innerer Reifeprozess einhergeht. 
„Freischwimmer“ ist darüber hinaus natürlich auch eine Liebesgeschichte, der allerdings ebenso mehr Raum zur Entfaltung gutgetan hätte wie die Auseinandersetzung mit dem jüdischen Erbe, das die Schicksale von Donnies und Meggies Familie auf etwas arg konstruierte Weise miteinander verbindet. 
Mit einer klaren, leicht verständlichen Sprache führt der Autor zwar die Entwicklung seines Protagonisten seinem Publikum vor Augen, setzt dabei aber immer nur ein paar Akzente, belässt es bei Andeutungen, wo man sich eine intimere Thematisierung der Gedanken und Gefühle wünschen würde, mit denen sich sowohl Donnie und Meggie als auch Donnies Vater und Meggies Großeltern angesichts ihrer bewegten Vergangenheit und der neuen Erkenntnisse auseinandersetzen müssen. 


 

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 20) „Angst um Alafair“

Sonntag, 12. Februar 2023

(Pendragon, 670 S., Pb.) 
Der 1936 in Houston, Texas, geborene und mittlerweile in Montana und Louisiana lebende James Lee Burke hat seit seinem – hierzulande noch unübersetzten – Debütroman „Half of Paradise“ (1965) bereits einige weitere Romane und die Geschichtensammlung „The Convict“ (1985) veröffentlicht, bevor 1987 mit „The Neon Rain“ den ersten Band um den alkoholsüchtigen Cop Dave Robicheaux erschien. Zusammen mit seinem besten Kumpel, dem Vietnam-Kriegskameraden und NOPD-Kollegen Clete Purcel, hat Robicheaux über die Jahre einigen sehr üblen Burschen das Handwerk gelegt, wobei sie das Gesetz sehr weiträumig auslegten und wenig zimperlich bei ihren Methoden vorgingen, das Übel bei seinen Wurzeln zu packen. In dem mittlerweile 20. Band der Reihe bekommen Robicheaux und Purcel noch tatkräftige Unterstützung von Robicheaux‘ Adoptivtochter Alafair und Purcels unehelicher Tochter Gretchen Horowitz. 
Dave Robicheaux verbringt mit seiner Frau Molly, seiner Tochter Alafair und seinem Kumpel Clete den Sommer auf der Ranch des Schriftstellers Albert Hollister in Montana, als Alafair beim Joggen fast von einem Pfeil getroffen wurde. Auf der Suche nach dem Schützen begegnet sie einem Mann, der sich als Wyatt Dixon aus Texas vorstellt. 
Wie Robicheaux bei einem Gespräch mit dem örtlichen Sheriff herausfindet, saß der Stierkämpfer und wiedergeborene Christ wegen Mordes an einem Vergewaltiger in Deer Lodge ein, wo man ihn mit Elektroschocks behandelte, weil man in dem Gefängnis nicht mit ihm fertig wurde. Doch Dixon ist nicht der einzige Mann, der den Bobbsey Twins aus New Orleans in Montana Sorgen bereiten. Vor sechs Monaten ist der Serienmörder Asa Surrette angeblich bei einem Gefangenentransport ums Leben gekommen. Zuvor hatte Alafair unter dem Vorwand, ein Buch über ihn veröffentlichen zu wollen, einige Interviews mit Surrette geführt, das Material aber dazu verwendet, einige kritische Artikel über ihn zu veröffentlichen, um die öffentliche Meinung dahingehend zu beeinflussen, dass die Todesstrafe für Surrette mehr als gerechtfertigt sei. Nun fühlt sich Alafair von ihm verfolgt. Ihr Vater versucht, ihr diese Vorstellung auszureden, doch dann häufen sich die grausamen Todesfälle. 
Zunächst wird die Indianerin Angel Deer Heart, die adoptierte Enkelin des milliardenschweren Ölunternehmers Love Younger, tot aufgefunden, dann der Polizist Bill Pepper. Dass sich Clete mit Felicity, der unglücklichen Frau von Youngers Sohn Caspian, einlässt, führt nicht gerade zur Entspannung einer gefährlichen Situation bei, in der sowohl die Youngers als auch Wyatt Dixon ihre Finger im Spiel haben. Schließlich werden nicht nur eine Kellnerin und zwei Mädchen vermisst, sondern auch Felicity. Zusammen mit Gretchen, die einst als Auftragskillerin für die Mafia tätig gewesen ist, machen sich Robicheaux, Purcel und Alafair auf die Jagd nach dem geheimnisvollen Killer, dessen Identität zunehmend auf Asa Surrette hindeutet… 
„Ich gelangte zu einer Erkenntnis, die mir bis zu diesem Morgen entgangen war, nämlich, dass Asa Surrette, ein Mann, den ich nie gesehen hatte, sich in unser aller Leben geschlichen und Zwietracht unter uns gesät hatte. Ich hatte es mir sowohl mit Alafair als auch mit Gretchen verscherzt, als ich zum FBI gegangen war und Gretchen in ihr Fadenkreuz geschoben hatte. Ich vermutete, dass Streit und Misstrauen genau das waren, was Surrette wollte. Die große Ironie beim Kampf gegen böse Menschen liegt in der Tatsache, dass jede Nähe, die man zu ihnen bekommt, einen unweigerlich beschmutzt zurücklässt, ein wenig geschwächt, ein wenig unsicherer, was die Mitmenschen betraf. Es ist Diebstahl durch Osmose.“ (S. 474) 
James Lee Burke ist zweifellos ein Meister des literarischen Krimis und wurde für seine Werke mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, gleich zweimal sogar mit dem begehrten Edgar Allan Poe Award. Seine Meisterschaft stellt der Südstaaten-Autor auch mit seinem 20. von bislang 23 Robicheaux-Bänden unter Beweis. Zwar rückt hier – wie der deutsche Titel „Angst um Alafair“ andeutet – die Adoptivtochter des Protagonisten etwas mehr in den Mittelpunkt, da sie nach der Pfeil-Attacke nicht nur den ersten direkten Kontakt mit dem vorbestraften Rodeoreiter Wyatt Dixon hat, sondern zuvor schon mit dem weitaus diabolischeren Serienmörder Asa Surrette zu tun hatte. Doch natürlich ist es wieder das eingespielte Bobbsey-Twins-Gespann, das sich mit seinen forschem Vorgehen nicht nur den Ärger der örtlichen Polizeibehörden, sondern vor allem des wohlhabenden Younger-Clans zuzieht. Burke bewegt sich dabei auf allzu vertrauten Pfaden. 
Wieder müssen sich der forsche Clete Purcel und der etwas besonnenere Dave Robicheaux über die richtige Vorgehensweise bei der Verfolgung der bösen Jungs verständigen, wieder sind es natürlich die Reichen, die um zur Erhaltung ihrer Macht über Leichen gehen und sich dabei der Dienste besonders skrupelloser Handlanger bedienen, und wieder lässt sich Clete Purcel mit einer Frau ein, von der er vernünftigerweise die Finger hätte lassen sollen. 
Dass „Angst um Alafair“ trotz der Handlung nach Burkes Schema F bis zum Schluss bestens unterhält, liegt natürlich an der literarischen Kompetenz des Autors, der wie kein Zweiter die Atmosphäre des US-amerikanischen Südens zu beschreiben versteht und immer wieder moralische Fragen aufwirft. 

 

Stephen Crane – „Das Monster und andere Geschichten“

Dienstag, 6. September 2022

(Pendragon, 272 S., HC) 
Stephen Crane (1871-1900) war leider kein langes Leben vergönnt, doch da er bereits im Kindesalter zu schreiben begann, hat er der Nachwelt ein umfangreiches literarisches Vermächtnis hinterlassen. H.G. Wells bezeichnete ihn als „besten Schriftsteller unserer Generation“, Paul Auster widmete Crane mit „In Flammen“ erst kürzlich eine eigene Biografie. 
Hierzulande ist von ihm vor allem der Bürgerkriegsroman „Die rote Tapferkeitsmedaille“ aus dem Jahre 1895 bekannt, der 1951 von John Huston erstmals verfilmt wurde und seither zwei Remakes erfuhr. Der Pendragon-Verlag hat es sich dankenswerter Weise zur Aufgabe gemacht, die großen Lücken seiner Werke in deutscher Übersetzung zu füllen. Nach der Story-Sammlung „Geschichten eines New Yorker Künstlers“ folgt nun mit „Das Monster und andere Geschichten“ eine weitere Kollektion meist beachtenswerter Erzählungen, die vor allem den naturalistischen Stil des Schriftstellers veranschaulichen. 
Im Mittelpunkt der Sammlung steht der Kurzroman „Das Monster“, der ähnlich wie andere Geschichten in der fiktiven, Port Jervis nachempfundenen Stadt Whilomville spielt und in dem Stephen Cranes junges Alter Ego Jimmy Trescott die Hauptrolle spielt. Als im Haus seines Vaters, Dr. Trescott, ein Feuer ausbricht, ist es der schwarze Stallknecht Henry Johnson, der dem Jungen das Leben rettet, allerdings selbst so schwer verletzt wird, dass er in der Nachbarschaft bereits für tot erklärt wird. Zwar überlebt Johnson, doch mit seinem furchtbar entstellten Gesicht wird er als „Monster“ betrachtet und ausgegrenzt. Selbst der herzensgute Doktor wird von dieser Ausgrenzung betroffen, als seine Patienten andere Ärzte aufsuchen, die weit weniger qualifiziert sind. 
Jimmy Trescott taucht auch in „Redner in Nöten“ auf, einer Geschichte, die dem jungen Protagonisten vor Augen führt, dass er für immer unfähig sein würde, öffentliche Vorträge zu halten, in „Der kleine Engel“ und „Das kleine Biest“
Wie schon in seinem ersten Roman „Maggie, ein Mädchen von der Straße“ beschreibt Crane vor allem das Leben einfacher Menschen. Bereits als Journalist in New York berichtete er über das Leben in den Slums der Stadt. Der amerikanische Bürgerkrieg, den Crane so eindrücklich in seinem berühmtesten Werk „Die rote Tapferkeitsmedaille“ thematisierte, spielt auch in „Das kleine Regiment“ eine Rolle, wo die beiden Brüder Dan und Billy Dempster ihre ganz eigene Fehde austragen. 
„Hinsichtlich ihrer Position in der Rangordnung hatten sie gelernt, solch verwirrende Situationen zu akzeptieren, und waren mittlerweile Träger eines einfachen, aber völlig unverrückbaren Glaubens, dass irgendjemand dieses Durcheinander durchschaute. Auch wenn man ihnen versichert hätte, dass die Armee ein kopfloses Monstrum sei, hätten sie bloß genickt, mit dem den Veteranen eigenen Zynismus. Als Soldaten hatten sie damit nichts zu tun.“ (S. 207) 
Dass Crane aber auch über einen feinsinnigen Humor verfügte, bewies er mit Geschichten wie „Zwölf Uhr“, in denen eine Kuckucksuhr für Aufsehen sorgt, und „Ein Hirngespinst in Rot und Weiß“, wo ein Mann die Mutter seiner Kinder tötet und den Kindern anschließend geschickt eintrichtert, einen ganz anders aussehenden Mann als Täter zu identifizieren. 
Berücksichtigt man das junge Alter, in dem Crane all diese Erzählungen verfasst hat, zeugen gerade die längeren Geschichten wie „Das Monster“ und „Das kleine Regiment“ von einer persönlichen wie schriftstellerischen Reife, die umso bemerkenswerter erscheint, da die Geschichten oft aus der kindlichen Perspektive des Jungen Jimmy Trescott erzählt werden und so auch immer ein Staunen über die Abläufe in der Welt zum Ausdruck bringen. 
Darüber hinaus sind die Beschreibungen des Lebens ganz gewöhnlicher Menschen im ausgehenden 19. Jahrhundert so lebendig und detailliert, dass es nicht verwundert, wenn die Strahlkraft von Cranes Schaffen bis in die heutige Zeit anhält und renommierte Autoren wie Paul Auster animiert, sich intensiver mit Leben und Werk des hierzulande noch viel zu unbekannten Schriftstellers auseinanderzusetzen. In seinem Nachwort gibt der Übersetzer Lucien Deprijck noch wertvolle Einblicke in Cranes Biografie und ordnet beispielsweise die Verwendung von Begriffen wie „Neger“ und „Nigger“ in den historischen Kontext ein. 

 

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 19) „Die Tote im Eisblock“

Samstag, 30. Juli 2022

(Pendragon, 684 S., Pb.) 
Detective Dave Robicheaux kuriert im Krankenhaus gerade seine Verletzungen von der fast tödlichen Schießerei aus, der sein bester Kumpel Clete Purcel im letzten Moment ein glückliches Ende beschert hatte, als er Besuch von dem Cajun-Mädchen Tee Jolie Melton bekommt, die ihm einen bestückten iPod mitbringt und davon erzählt, dass sie mit einem verheirateten, sehr berühmten Mann zusammen sei. Aus einem Gespräch habe sie mitbekommen, dass er von „Zentrierkörben bei Bohrrohren“ sprach. Für Robicheaux ist diese Information nicht nur von Bedeutung, weil sein eigener Vater Big Aldous selbst bei einem Bohrturm-Unglück ums Leben kam, sondern weil gerade erst die Explosion einer Ölbohrinsel vor der Küste Louisianas eine Umweltkatas¬trophe unvorstellbaren Ausmaßes zur Folge hatte. 
Clete hat indes eigene Probleme. Vor seinem Ableben hatte der Gangster Didi Giacano einen Schuldschein von Clete in seinem Safe, der nun an Bix Golightly verkauft worden ist. Golightly taucht schließlich mit einem punkigen Teilzeitkiller namens Waylon Grimes in Cletes Büro auf und verlangt 30.000 Dollar innerhalb einer Woche. Als Clete in die Wohnung seines Erpresser einsteigt, stößt er auf Geschäfte, die der Mann mit gefälschten Gemälden betreibt. 
Wenig später werden Grimes, Frankie Giacano und Golightly erschossen, wobei Clete Zeuge des Mordes an Golightly wird. Besonders brisant ist die Angelegenheit deshalb, weil er seine uneheliche Tochter Gretchen für die Täterin hält, die unter dem Namen Caruso Auftragsmorde ausführt. Wenig später wird die Leiche von Tee Jolie Meltons Schwester Blue in einem Eisblock treibend im St. Mary Parish aufgefunden, von Tee Jolie fehlt jede Spur. 
Für Robicheaux liegt es auf der Hand, dass Pierre Dupree mit der Sache zu tun hat, doch dass Clete eine Affäre mit seiner schönen, aber verhassten Ehefrau Varina Leboeuf anfängt, machen die Ermittlungen nicht leichter. Während immer mehr Tote in diesem verworrenen Netz aus Lügen und Geldgier zu beklagen sind, gerät auch Robicheaux ins Visier der geheimnisvollen Killer, die offenbar beste Beziehungen zu den höheren Gesellschaftskreisen in Louisiana unterhalten. 
Als Gretchen und Cletes Adoptivtochter Alafair entführt werden, gibt es für die beiden Kriegskameraden kein Zurück mehr… 
„Man darf seinem Feind keine Macht einräumen, man darf ihm nicht erlauben, das Spiel nach seinen Regeln zu spielen. Ich nahm einen Kiefernzapfen in die Hand und warf ihn in hohem Bogen ins Wasser. Es war ein Gefühl, als sei ich am Ende eines langen Tunnels angekommen. Und doch war mein Herz noch immer so schwer wie ein Amboss. Ich wusste, dass ich meinen Frieden erst finden würde, wenn ich die Mörder von Blue Melton aufgespürt – und Tee Jolie in ihre Heimat am Bayou Teche zurückgebracht hatte.“ (S. 391) 
Es ist schon so etwas wie ein Opus Magnum, das der Südstaaten-Schriftsteller James Lee Burke in seinem 2012 als „Creole Belle“ veröffentlichten 19. Band seiner grandiosen Reihe um den Vietnam-Veteran, Alkoholiker und Detective Dave Robicheaux vorgelegt hat und der nun unter dem nicht ganz so poetischen Titel „Die Tote im Eisblock“ auch hierzulande das Licht der Welt erblickt. 
Burke präsentiert hier nicht nur einen ungewöhnlich hohen Bodycount, sondern auch eine komplexe, undurchschaubare Geschichte, in der die Strippenzieher der Verbrechen, mit denen es Clete, Dave, seine Chefin Helen Soileau und ihr Kollege Dana Magelli vom NOPD es hier zu tun haben. 
Wer am Ende für die unzähligen Morde, Attentate, Entführungen und die Umweltkatastrophe durch das ausgetretene Öl verantwortlich ist und die treibende Kraft hinter den ausgeklügelten Operationen darstellt, wird erst zum actionreichen Finale aufgedeckt. 
Bis dahin erweist sich vor allem die Beziehung zwischen Clete und seiner Tochter Gretchen als interessanteste Konstellation, denn wenn sie tatsächlich hinter den Morden an den drei Gangstern steckt, kann das Cletes Kumpel schwerlich ignorieren. Das sorgt zwar für etwas Knatsch zwischen den beiden Freunden, aber im Kampf gegen das Verbrechen werden sie natürlich wieder zusammengeschweißt. Da bringt Burke Nazi-Verbrechen, Folter mit der Eisernen Jungfrau, mitgefilmte Schäferstündchen, die Varina mit ihren prominenten Gästen unterhielt, und Mafia-Killer mit ins Spiel, so dass es in dem knappen 700-Seiten-Wälzer nie langweilig wird. 
Burke nimmt sich wie gewohnt viel Zeit für die Charakterisierung seiner Figuren, überzeugt mit wunderbar knackigen Dialogen und erweist sich als Meister der Spannung und der Atmosphäre. „Die Tote im Eisblock“ wartet mit allen Finessen und Stärken auf, die ein literarisch anspruchsvoller Krimi nur in sich vereinen kann.  

Stephen Crane – „Geschichten eines New Yorker Künstlers“

Mittwoch, 23. Februar 2022

(Pendragon, 288 S., HC) 
Gerade mal 28 Jahre wurde der 1871 in Newark, New Jersey, geborene Stephen Crane, der für seine naturalistisch geschilderten Lebensentwürfe von Menschen bekannt wurde, die am Rande der Gesellschaft um ihre Existenz zu kämpfen hatten. Cranes Blick auf die Armen ist nicht zuletzt deshalb so bemerkenswert, weil er selbst als Sohn eines Methodisten-Predigers keine Not zu leiden hatte, sich früh für das Schreiben begeisterte und nach dem Tod seiner Eltern sein Studium abbrach, um als Journalist in New York vor allem über das Leben in den Slums der Stadt zu schreiben. Diese Erfahrungen brachte Crane in seinen ersten, 1893 veröffentlichten Roman „Maggie, a Girl of the Streets“ ein, der das Zentrum der Story-Sammlung „Geschichten eines New Yorker Künstlers“ bildet. Neben „Maggie, ein Mädchen von der Straße“ und dem damit korrelierenden Roman „Georges Mutter“ enthält das Buch viele Geschichten als deutsche Erstveröffentlichung. 
In der eröffnenden, 1902 erstmals veröffentlichten Titelgeschichte beschreibt Crane die Nöte einer Künstlergemeinschaft im New York der 1890er Jahre, das verzweifelte Warten auf ausstehende Honorarzahlungen, das Einteilen der kaum noch vorhandenen Nahrungsvorräte und das schwierige Haushalten mit dem wenigen Geld, das durch den Verkauf von Zeichnungen und Geschichten reinkommt. Dabei ist Crane gar nicht so penetrant darauf aus, Mitleid für seine Figuren zu erzeugen, doch führt seine einfühlsame Sprache genau dorthin. Wenn er beschreibt, wie Penny seine zwanzig noch verbliebenen Cent in zwei Stück Kuchen investiert, von denen er auch ein Stück dem alten Tim abgibt, zeichnet Crane nicht nur das triste Bild eines täglichen Überlebenskampfes. Er beschreibt damit ebenso, dass diese armen Menschen trotz ihrer Armut noch nicht ihre Würde und Nächstenliebe verloren haben. 
Besonders eindringlich ist Crane diese lebensnahe Schilderung in seinem Debüt-Roman „Maggie, ein Mädchen von der Straße“ gelungen, den Crane 1893 noch unter Pseudonym veröffentlichte. Mit Maggie Johnson, die mit ihrem Bruder Jimmie und ihren alkoholsüchtigen Eltern in einer schäbigen Mietskaserne in der Bowery aufwächst, sich in einer Textilfabrik mit dem Nähen von Kragen und Manschetten abmüht und sich in den großspurigen Pete verliebt, beschreibt Crane ein berührendes Schicksal, wie es viele Mädchen geteilt haben dürften, die von einem besseren Leben geträumt haben und bitter enttäuscht wurden. Ein ähnliches Schicksal teilt George Kelcey in dem Roman „Georges Mutter“. Es stellt sich heraus, dass er im selben Mietshaus wie Maggie wohnt, dass ihr Schicksal vielleicht einen anderen Weg eingeschlagen hätten, wenn ihre jeweiligen Träume sie nicht in die Irre geführt hätten. Denn so wie sich Maggie von Petes arroganten Getue blenden lässt, führt auch Kelceys Bedürfnis nach gesellschaftlicher Anerkennung nicht zu der erhofften Wende in seinem Leben. 
„Sein brummender Schädel brachte ihn zu der Einsicht, dass es Zeit war, sein Leben zu ändern. Sein Magen vermittelte ihm die Erkenntnis, dass die Weisheit darin lag, ein guter Mensch zu sein. Der Blick in die Zukunft gab jedoch wenig Anlass zur Hoffnung. Vor einer Rückkehr zum alten Trott graute ihm. Für die tägliche Müh und Plage war er nicht geschaffen. Er zitterte beim bloßen Gedanken daran. Doch auch der Weg durch die goldenen Pforte des Lasters hatte seinen Reiz verloren.“ (S. 181) 
Sowohl Maggie als auch George leiden massiv unter dem familiären Umfeld, in dem sie aufwachsen. Während Maggies Eltern im Alkohol die Flucht aus der bedrückenden Realität suchen, ist es bei Georges Mutter der Glauben, an den sie sich so fest klammert, dass sie immer wieder versucht, dass ihr Sohn sie in die Kirche und zur Betstunde begleitet. 
Crane schildert eindringlich den Kampf, den seine Figuren nicht nur ums Überleben, sondern auf dem Weg zum Glück bestreiten, ohne aber aus ihrem Milieu ausbrechen zu können. Selbst kleine Freuden wie ein zugelaufener Hund (in „Der kleine braune Hund“) oder die Teilnahme an einem Picknick („Das Picknick“) bringen nicht die erwünschten Veränderungen auf dem Weg zum Glück. Am Ende steht stets Ernüchterung und Enttäuschung über die geplatzten Träume und die erdrückende Einsicht, dass sich nichts ändern wird. 
Nachdem Pendragon im vergangenen Jahr mit „Die tristen Tage von Coney Island“ Stephen Crane der deutschsprachigen Leserschaft wieder nähergebracht hat, lädt auch „Geschichten eines New Yorker Künstlers“ dazu ein, tief in Cranes schriftstellerisches Können einzutauchen.  

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 18) „Eine Zelle für Clete“

Donnerstag, 27. Januar 2022

(Pendragon, 544 S., Pb.) 
Seit der aus Louisiana stammende Schriftsteller James Lee Burke 1987 mit „The Neon Rain“ den ersten Roman um den Vietnam-Kriegsveteranen, Alkoholiker und Cop Dave Robicheaux und seinen besten Freund und Partner Clete Purcel veröffentlichte, ist der Südstaaten-Autor aus der internationalen Krimi- und Literaturszene nicht mehr wegzudenken. Die meist um die 500 Seiten starken Romane tauchen nicht nur tief in die außergewöhnliche Atmosphäre der Landstriche ein, in der die Narben der Sklaverei längst nicht verheilt sind, sondern machen den Leser mit den dunkelsten und hellsten Seiten der menschlichen Seele vertraut. Das trifft vor allem auf den mittlerweile 18. Band der preisgekrönten Reihe zu, in der es Robicheaux und Purcel mit einer Reihe von bestialischen Morden an jungen Frauen zu tun bekommen. 
Als Detective Dave Robicheaux im Iberia Parish die Morde an sieben jungen Frauen untersucht, erhält er einen Tipp von dem Häftling Elmore Latiolais. Eines der Opfer war nämlich seine Schwester Bernadette, die allerdings, wie er betont, keine Prostituierte wie die anderen Mädchen gewesen sei. Für ihren Tod macht er allerdings den Zuhälter Herman Stanga verantwortlich. Robicheaux verhört den Mann, bekommt aber keine weiteren sachdienlichen Informationen aus dem Mann heraus. Mit etwas mehr Nachdruck versucht es später Robicheaux‘ Kumpel Clete. Im betrunkenen Zustand prügelt er Stanga halbtot, wenig später wird Stanga ermordet aufgefunden. 
Während Robicheaux alle Hände voll zu tun hat, seinen Kumpel vor dem Knast zu bewahren, sorgt er sich auch noch um seine Adoptivtochter Alafair, die ihre erste große Liebe mit dem bekannten Schriftsteller Kermit Abelard erlebt. Allerdings wirkt der Mann in den Augen des Cops und fürsorglichen Vaters alles andere als koscher, hängt er doch mit dem schmierigen Ex-Knacki Robert Weingart ab. Robicheaux vermutet, dass die beiden Männer Alafair nur ausnutzen, da sie ihren ersten Roman durch die Kontakte der beiden wahrscheinlich besser in einem Verlag unterbringen könnte. Doch je mehr sich Robicheaux und Purcel in die Angelegenheiten der einst mächtigen Abelard-Familie und des Knast-Autors Weingart einmischen, umso mehr wühlen sie Dreck auf, bei dem ein soziales Hilfsprojekt und Landnutzungsrechte eine große Rolle spielen und nach weiteren Todesfällen auch auswärtige Auftragskiller auf den Plan rufen. Aber vor allem mit Clete Purcel ist nicht zu spaßen … 
„Dass er sich für die gerechte Sache einsetzte, befreite ihn in seinen Augen von jeder Schuld, so als wären seine Verfehlungen nur ein Opfer, das er für die gute Sache brachte. Doch er war in seiner Naivität nicht allein. Ich selbst ermittelte in Angelegenheiten, für die ich nicht zuständig war, meine Einschätzungen waren oft von Vorurteilen beeinflusst, meine Hartnäckigkeit grenzte wahrscheinlich an Besessenheit. In den Augen der anderen war vieles, was ich tat, genauso verrückt wie Cletes Eskapaden. Und da waren wir nun, die zwei Hofnarren in Louisiana, die es mit Angehörigen der gesellschaftlichen Elite aufnahmen, ohne den kleinsten Beweis in der Hand zu haben.“ (S. 419) 
Einmal mehr wühlen Detective Dave Robicheaux und sein ehemaliger Partner im Vietnam-Krieg und im New Orleans Police Department, Clete Purcel, mächtig im Dreck, den die herrschende Schicht im Iberia Parish stets so gut zu verbergen versteht. Die beiden „Bobbsey Twins“ nehmen dabei nicht immer Rücksicht auf rechtliche Vorgaben und Dienstvorschriften. Wenn sie erst einmal das Gefühl haben, dass eine Sache stinkt, lassen sie nicht mehr locker, bis die Pestbeule ausgemerzt ist – oft sehr zum Missfallen von Robicheaux’ Chefin Helen Soileau, die aber auch weiß, dass Robicheaux meist auf der richtigen Spur ist. Sein Kumpel Clete ist da weniger zimperlich und als Privatdetektiv ohnehin etwas offener in seiner Vorgehensweise. 
James Lee Burke inszeniert ein fein gesponnenes Netz aus menschlichen Abgründen und unheilvollen Beziehungen, die zu dem schmerzlichen Tod sieben junger Frauen geführt haben, aber viel tiefer in die über Jahrhunderte gewachsene Geschichte der Südstaaten reicht. Auch hier kommen wieder mafiöse Verbindungen und ein Menschenbild zum Vorschein, das zeigt, dass die Sklaverei noch tief in den Köpfen der Menschen verwurzelt ist. Der Plot ist durchweg fesselnd und so geschickt konstruiert, dass fortwährend interessante Verknüpfungen und Hintergründe aufgedeckt werden, die allerdings schwer zu beweisen sind und die Bobbsey Twins zu drastischen Maßnahmen zwingen, denn ihre Gegner erweisen sich weit skrupelloser bei ihren Verbrechen. Etwas kurz kommt allerdings Robicheaux‘ Familie. Da Alafair direkt an dem Geschehen beteiligt ist, bekommt sie etwas Raum zur Entwicklung, aber Robicheaux‘ Frau Molly spielt die kleinste Nebenrolle, die man sich nur vorstellen kann. 
Dafür sind Burke die Charakterisierungen seiner beiden Protagonisten, aber auch der undurchsichtigen Typen im Umfeld der Abelards und Blanchets ausgesprochen tiefgründig und faszinierend gelungen, die Dialoge und Action herrlich spritzig formuliert. „Eine Zelle für Clete“ gehört fraglos zu den besten Romanen der großartigen Robicheaux-Reihe. 

 

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 12) „Die Schuld der Väter“

Donnerstag, 19. August 2021

(Pendragon, 468 S., Pb.) 
Im Sommer 1942 beobachteten der damals 12-jährige Dave Robicheaux und sein 15 Monate jüngerer Halbbruder Jimmie am Rande eines Parks in New Iberia, Louisiana, wie sich in einem alten Ford zwei Pärchen miteinander vergnügten, worauf ein Mann, die seine weibliche Begleitung Legion nannte, den Jungs mit seinem aufgeklappten Taschenmesser einen gehörigen Schrecken einjagte. Nun bekommt es Dave Robicheaux, mittlerweile Detective in der Sheriff-Dienststelle des Iberia Parish, erneut mit diesem unheimlich erscheinenden Mann zu tun, als er zusammen mit seiner Partnerin Helen Soileau den Mord an zwei jungen Frauen aufklären muss. 
Für die brutale Vergewaltigung und den Mord an der sechzehnjährigen weißen Einser-Schülerin Amanda Boudreau wird zunächst der 25-jährige schwarze Cajun-Musiker und Straßengauner Tee Bobby Hulin aufgrund seiner Fingerabdrücke am Tatort festgenommen und von Perry LaSalle verteidigt, doch Amandas Freund, der gefesselt worden ist, will zwei Männer mit Sturmhauben gesehen haben, die für die Tat verantwortlich gewesen sein sollen. Der großmütige Perry LaSalle, der Tee Bobbys Verteidigung übernimmt und Spross des mächtigen Plantagenbesitzers Julian LaSalle ist, strengt sich nicht besonders an, die Unschuld seines Mandanten zu beweisen. 
Die Dinge verkomplizieren sich, als mit Marvin Oates ein zwielichtiger Bibelverkäufer auftaucht und die Prostituierte Linda Zeroski ebenfalls tot aufgefunden wird, was ihren Vater, den Mafioso Joe Zeroski, dazu animiert, den Schuldigen selbst zur Rechenschaft zu ziehen. Doch ist es vor allem eine alte Geschichte zwischen Legion, der als Aufseher auf der LaSalle-Plantage berüchtigt dafür gewesen war, sich über beliebige schwarze Frauen herzumachen, und Tee Bobbys Großmutter Landice, die Licht in die Ermittlungen bringt. 
Aber auch der Clubbesitzer Jimmy Dean Styles, der als Manager von Tee Bobby fungiert, beunruhigen sowohl Dave als auch seinen besten Freund und ehemaligen Kollegen bei der Mordkommission in New Orleans, Clete Purcel. Während Purcel sich wie gewohnt mit den falschen Frauen einlässt und seine Unbeherrschtheit kaum zügeln kann, wird auch Robicheaux bei all den zwielichtigen Typen, mit denen er zu tun hat, von gewalttätigen Phantasien heimgesucht … 
„In dieser Nacht lag ich schlaflos in der Dunkelheit, während der Wind draußen durch die Bäume strich und das Laub im Sumpf im gespenstisch weißen Licht der Blitze im Süden flackerte. Ich hatte mich in meinem ganzen Leben noch nie so allein gefühlt. Einmal mehr gierte ich geradezu danach, die Finger um die Griffschalen und den Abzug einer schweren, großkalibrigen Pistole zu legen, den beißenden Korditgestank zu riechen, alle Selbstbeherrschung fallen zu lassen, mich loszureißen von den Banden, die mich einschränkten und mir die Luft aus den Lungen quetschten. Und ich wusste, was ich tun musste.“ (S. 352) 
Seit James Lee Burke 1987 mit „The Neon Rain“ den ersten Krimi um den Vietnam-Veteranen und Südstaaten-Cop Dave Robicheaux veröffentlichte, bringt die mittlerweile 23 Bände (von denen noch einige auf ihre deutsche Erstveröffentlichung warten) umfassende Reihe immer wieder die besten Werke des Genres hervor. „Die Schuld der Väter“, der 12. Band der gefeierten Reihe, macht da keine Ausnahme. Burke lässt seinen Ich-Erzähler Dave Robicheaux, dessen Adoptivtochter Alafair demnächst aufs College gehen wird, einmal mehr durch die Labyrinthe menschlicher Abgründe waten. Dabei wirken die Charaktere, mit denen er und Purcel zu tun haben, so undurchsichtig, dass es auch dem Leser, der die Geschichte fast ausschließlich aus Robicheaux‘ Perspektive erzählt bekommt, schwer fällt, die richtigen Schlüsse zu ziehen. 
Einzig bei dem einhellig als unheimlich und stinkenden Legion sind sich alle Beteiligten einig, dass er das pure Böse personifiziert. Burke erweist sich einmal als Meister darin, seinem Publikum nicht nur die besondere Atmosphäre der Südstaaten in seinen bildhaften Beschreibungen lebendig vor Augen zu führen, sondern mit pointierten Dialogen und vielschichtigen Beobachtungen seines Protagonisten tief in die Irrungen und Wirrungen des menschlichen Wesens einzudringen und auf den Grund der Seele der vielschichtigen Figuren zu stoßen, die selten einfach nur gut oder schlecht sind, sondern von je eigenen Dämonen getrieben werden, die sie manchmal nur im Leben scheitern, manchmal aber auch extrem brutale Verbrechen verüben lassen.  

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 17) „Keine Ruhe in Montana“

Sonntag, 25. Juli 2021

(Pendragon, 572 S., Pb.) 
Nachdem der 1936 in Louisiana geborene Schriftsteller James Lee Burke beim Bielefelder Pendragon Verlag seine deutsche Heimat gefunden hat, bemüht man sich dort, nach und nach die zum Glück nur noch wenigen Lücken in der schon legendär gewordenen Dave-Robicheaux-Reihe zu füllen. Mit der deutschen Erstveröffentlichung des 17. von mittlerweile insgesamt 23 Bänden um den charismatischen Detective aus dem New Iberia Parish präsentiert Burke ein weiteres Meisterwerk der Kriminalunterhaltung mit dem ihm typischem Südstaaten-Flair. 
Nachdem der Hurrikan Katrina in New Orleans eine vernichtende Schneise der Verwüstung hinterlassen hat, nimmt sich Detective Dave Robicheaux eine Auszeit und fährt mit seiner Frau Molly und seinem besten Freund, dem Privatermittler Clete Purcel, zum Fischen auf eine Ranch in Montana, die ihr Freund Alber Hollister dort besitzt. 
Als Clete, der von dort aus auf einen zweitägigen Trip zu Swan River Country aufgebrochen war, eines Morgens aus seinem Zelt steigt, wird er von zwei unangenehmen Zeitgenossen, Lyle Hobbs und Quince Wigley, darauf hingewiesen, dass er sich auf dem Privatbesitz von Ridley Wellstone befinde. Als sie seine Personalien überprüfen, stellen sie zudem fest, dass er früher als Fahrer für den Mafioso Sally Dio gearbeitet habe, der bei einem tragischen Flugzeugabsturz ums Leben kam. 
Doch nicht nur für Clete bedeutet der Trip nach Montana Ärger. Robicheaux wird von seinem Kollegen im Missoula County, Joe Bim Higgins, um Mithilfe bei den Morden an der Studentin Cindy Kershaw und ihrem Freund Seymour Bell gebeten. Es dauert nicht lange, da haben es Clete und Dave mit einer ganzen Reihe von unangenehmen Zeitgenossen und merkwürdigen Begegnungen und Ereignissen zu tun. Da findet der entflohene Häftling Jimmy Dale Greenwood unter neuem Namen einen Job bei Daves Freund Albert und wird von dem Gefängnisaufseher Troyce Nix verfolgt, den Greenwood fast tödlich verletzt hatte, nachdem ihn Nix vergewaltigt hatte. 
Greenwood, der ein begnadeter Gitarrist und Sänger ist, will mit Jamie Sue Wellstone durchbrennen, seiner ehemaligen Freundin und ehemals prominenten Country-Sängerin, die es in der Ehe mit dem völlig entstellten Leslie Wellstone nicht mehr aushält. Dass Clete mit der ebenfalls ermittelnden FBI-Agentin Alicia Rosecrans ins Bett steigt, macht die Sache nicht einfacher. Und schließlich mischt noch ein Fernsehprediger mit, der längst nicht so fromm ist, wie er es nach außen hin erscheinen lässt … 
„Unser Leben war untrennbar mit Gewalt und Blutvergießen verbunden. Wir hatten unsere Jugend in Vietnam verloren und ein Souvenir nach Hause gebracht, das uns Albträume bis ans Lebensende bescherte. Wir hatten aus der Vergangenheit nichts gelernt, sondern waren verdammt, unsere Fehler zu wiederholen. Dieser Parkplatz hier war vielleicht nur ein weiterer Zwischenstopp auf unserer deprimierenden Odyssee.“ (S. 370f.) 
Mit seinem 17. Band, der unter dem Originaltitel „Swan Peak“ bereits 2009 erschienen war, legt der mehrfach preisgekrönte Autor James Lee Burke ein ungewöhnlich handlungsintensives Krimi-Drama vor, das mit dem Mord an einem Studentenpärchen beginnt, aber sehr schnell weite Kreise zieht, in denen auch Cletes Vergangenheit mit dem Mafioso Sally Dio wieder aufgewärmt wird. 
Vor allem ist es eine weit verzweigte Geschichte um Sex, Gewalt, Korruption und Verrat, in der viele, oft undurchsichtige Typen mitmischen. Bei so vielen Nebenschauplätzen, die allerdings alle miteinander verknüpft sind, bleiben einige Figuren allerdings ziemlich auf der Strecke, vor allem Daves Frau Molly, aber auch die für Burke typischen atmosphärisch dichten Landschaftsbeschreibungen kommen etwas zu kurz. 
Dafür bietet er einen durchweg packenden Plot, bei dem zwar viele Zufälle für immer neue Konstellationen und Begegnungen führen, der aber den Leser bis zum furiosen Finale in Atem hält. 

Robert B. Parker – (Jesse Stone: 7) „Der Killer kehrt zurück“

Sonntag, 18. Oktober 2020

(Pendragon, 312 S., Tb.) 
Jesse Stone bekommt unerwarteten Besuch von dem Apachen Wilson „Crow“ Cromartie, der vor zehn Jahren bei einem brutalen Überfall einige Tote in Paradise hinterlassen hat und mit einer stattlichen Millionen-Beute untergetaucht ist, wofür ihn der Polizei-Chef aber nie belangen konnte. Der in Süd-Florida herrschende Mafioso Louis Francisco hat Crow nun beauftragt, seine in Paradise lebende Frau Fiona, die sich hier Frances Franklin nennt, zu töten und seine vierzehnjährige Tochter Amber zu ihm nach Hause zu bringen. 
Doch Amber alias Alice Franklin ist alles andere als daran interessiert, zu ihrem gefühllosen Dad zurückzukehren. Stattdessen hängt sie mit der aus Marshport stammenden Latino-Gang von Esteban Carty ab. Tatsächlich wird Franciscos Frau wenig später erschossen auf dem Grundstück der Crowne-Villa aufgefunden. Der Tatort ist deshalb so interessant, weil die Miriam Fiedler alles daran setzt, dass auf diesem Grundstück nicht wie geplant eine Schule für lateinamerikanische Einwandererkinder entsteht, da sie die Sorge um den Verfall der Grundstückspreise in dem Nobelviertel der Stadt umtreibt. Da sich Crow weigert, Amber zu ihrem Dad zurückzubringen, schickt der Mafioso einen Trupp von Killern, die zuerst Crow zur Strecke und dann dessen Auftrag zu Ende führen sollen. 
Aber auch Esteban wittert das große Geld und verspricht dem Gangster-Boss, Amber zu ihm zu bringen. Jesse Stone ist vor allem am Wohl des Mädchens gelegen und bringt Amber bei seiner Ex-Frau Jenn unter, die als Fernsehreporterin bereits eine tolle Story wittert. Zusammen mit Crow heckt Chief Stone einen Plan aus, Estebans Gang und Franciscos Männer gegeneinander auszuspielen … 
„Stone hatte einen Mordfall aufzuklären und wollte möglicherweise auch Recht und Ordnung zum Siege verhelfen. Für Crow hingegen war’s vor allem ein großer Spaß: Cops gegen Gangster, Cowboys gegen Indianer – ein spannendes Spiel, aber ein Spiel mit scharfer Munition. Eine Episode aus der Reihe ,Crows atemberaubende Abenteuer.‘“ 
Auf wenig mehr als 300 Seiten lässt es Robert B. Parker ordentlich krachen. Das Wiedersehen mit dem Apachen Crow verläuft ganz anders als bei „Terror auf Stiles Island“. Diesmal macht er mit dem prinzipientreuen Auftragskiller nahezu gemeinsame Sache, was dem Krimi eine besondere Atmosphäre verleiht. Zwar werden auch die Bemühungen um die millionenteure Crowne-Villa, die verkorkste Beziehung zwischen Jesse und Jenn sowie und etliche Affären – so vergnügt sich Chief Stones Kollege Suitcase mit der einsamen Fiedler-Frau, deren Mann ständig auf Reisen ist, und selbst die glücklich verheiratete Molly Crane lässt sich auf einen One-Night-Stand mit Crown ein – thematisiert, doch die Spannung fokussiert sich ganz auf das Aufeinandertreffen von Crow und Stone auf der einen Seite mit den jugendlichen Horn-Street-Boys um Esteban und den Mafiakillern aus Südflorida auf der anderen. Bei so viel Action bleiben die einzelnen Figuren leider etwas auf der Strecke. Die Beziehung zwischen Jesse und seiner Ex-Frau, die sich immer noch lieben, aber weder mit noch ohne einander leben können, wird vor allem in den Sitzungen aufgearbeitet, die Jesse bei seinem Psychiater Dix wahrnimmt. Und Crow erweist sich als durchaus sympathischer Mann, der Frauen liebt und bei seinem Vorgehen ebenso effektiv wie vorsichtig agiert. 
So bietet „Der Killer kehrt zurück“ flotte Krimi-Unterhaltung mit pointierten Dialogen und amüsanten zwischenmenschlichen Aktivitäten, doch an den lakonischen Ton der besten Spenser-Romane von Robert B. Parker kommt das Buch nicht heran.


James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 22) „Blues in New Iberia“

Samstag, 4. Juli 2020

(Pendragon, 586 S., Pb.)
Sucht man nach eindrücklichen Beispielen für Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichten, wird man auch im New Iberia Parish in der Gestalt von Desmond Cormier fündig. Er wuchs als indianischer Mischling bei seinen Großeltern im Chitimacha Indianerreservat in Armut auf, nachdem ihn seine Mutter in der Schlafkoje eines Sattelschleppers entbunden hatte und dabei verstorben war, mochte sein vorherbestimmtes Leben aber nicht akzeptieren. So stählte er seit seinem 12. Lebensjahr seinen Körper, ging nach der Highschool bei einem Straßenmaler auf dem Jackson Square in die Lehre und verwirklichte in Hollywood seinen Traum, Filmregisseur zu werden.
25 Jahre später kehrt Cormier mit einer Golden-Globe- und einer Oscar-Nominierung in seine Heimat zurück und lässt sich in einem Haus auf Stelzen am Cypremort Point nieder, an dessen südlichen Ende Detective Dave Robicheaux und sein erst seit sieben Monaten bei der Polizei arbeitende Kollege Sean McClain drei frühmorgendlichen Notrufen wegen einer um Hilfe schreienden Frau nachgehen. Am Strand finden sie jedoch nur einen einzelnen Tennisschuh, Größe 40. Als sie Cormier einen Besuch abstatten und durch sein Fernrohr die Bucht absuchen, entdeckt Robicheaux eine auf einem Kreuz angenagelte und festgebundene junge Schwarze, die auf ritualistisch anmutende Weise ermordet worden ist und als Lucinda Arcenaux identifiziert wird.
Doch das ist erst der Anfang einer ganzen Reihe von Morden, die einem ähnlichen Muster folgen und bei denen auch Tarot-Karten in die Inszenierung eingebunden werden. So wird Joe Molinari wird in einem Schuppen gefesselt und mit einem durch seine Brust gestoßenen angespitzten Gehstock wie der Gehängte auf der Tarot-Karte aufgefunden, der Informant Travis Lebeau wird gefoltert und mit dem Auto zu Tode geschleift. Robicheaux und sein langjähriger Freund Clete Purcell, mit dem er einst in New Orleans in der Mordkommission zusammengearbeitet hatte und der nun als Privatdetektiv arbeitet, haben sofort Cormier und sein merkwürdiges Gefolge, vor allem den Produzenten Lou Wexler und den undurchsichtigen Antoine Butterworth, in Verdacht.
Schließlich hat die Ermordete bei einer Catering-Firma gearbeitet, die Filmsets beliefert. Doch die Ermittlungen werden durch mehrere Komponenten erschwert: Robicheaux‘ Adoptivtochter Alafair, die nach ihrer juristischen Ausbildung an der Reed und Stanford University zunächst als Bezirksstaatsanwältin in Portland, Oregon gearbeitet hatte, schreibt mittlerweile Romane und Drehbücher und begleitet Cormier und seine Crew bei seinen derzeitigen Aufnahmen zu einem Film, der aus allerlei fragwürdigen Quellen, von Russen, Arabern und der Mafia, finanziert wird.
Mit im Spiel sind auch der entflohene Häftling Hugo Tillinger, der für die Morde an seiner Frau und Tochter eingesessen hat, die er bestreitet, begangen zu haben und durch Lucinda Arcenaux, die ihn vor seinem Ausbruch im Gefängnis besucht hatte, die Hoffnung hatte, dass ihm Leute aus Hollywood helfen könnten, begnadigt zu werden. Und schließlich mischt auch noch ein kleingewachsener Killer namens Smiley Wimple mit, der systematisch bösen Menschen das Licht ausknipst. Als wäre das noch nicht genug, verliebt sich Dave Robicheaux auch noch in seine viel jüngere neue Partnerin Bailey Ribbons, die nicht nur Kontakt zu den Filmleuten sucht, sondern auch ein dunkles Geheimnis aus ihrer Vergangenheit mit sich herumträgt …
„Ich versuchte, all die wahllosen Informationsbrocken zusammenzusetzen, aus denen sich ein mögliches Motiv oder Muster für die Morde an Lucinda Arceneaux, Joe Molinari, Travis Lebeau, Axel Devereaux und Hilary Bienville ergab. Jeder einzelne war auf seine Art rituell. Vielleicht spielten das Tarot und das Malteserkreuz eine Rolle. Genau wie Grausamkeit und Wut. Doch sobald ich einen Mord mit einem zweiten oder dritten in Verbindung setzte, fiel mein logisches Gebäude wieder auseinander.“ (S. 332) 
Es gibt wohl kaum einen anderen Autor, der die besondere Atmosphäre in den Südstaaten so eindringlich zu beschreiben versteht, wie der 1936 in Houston, Texas, geborene teilweise in New Iberia, Louisiana, lebende Schriftsteller James Lee Burke. Aus seiner populären und von der Kritik gefeierten Reihe um den Südstaaten-Cop Dave Robicheaux, die 1987 mit dem Roman „Neonregen“ ihren Anfang nahm, wurden bereits „Heaven’s Prisoners“ (als „Mississippi Delta“ mit Alec Baldwin und Kelly Lynch in den Hauptrollen) und „In the Electric Mist“ (mit Tommy Lee Jones in der Hauptrolle) verfilmt. „Blues in New Iberia“ stellt nicht nur den bereits 22. Band der Reihe, sondern fraglos einen ihrer Höhepunkte dar. Von Ermüdungserscheinungen, nervigen Wiederholungen, einfallslosen Plots oder schwachen Charakterisierungen ist bei diesem epischen Krimi-Drama mit Hollywood-Touch nichts zu spüren. Stattdessen drehen Dave Robicheaux und sein bester Kumpel Clete Purcel wieder groß auf. Allerdings befinden sich die beiden charismatischen Protagonisten mit ihrem jeweils sehr eigenen Rechtsempfinden sehr lange im Strudel schwer zu deutender Ereignisse und undurchsichtiger Personen und Liebschaften.
Burke erweist sich einmal mehr als Meister der feinen Charakterisierungen, wie sie sein kriegs- und berufserfahrener Ich-Erzähler Dave Robicheaux vornimmt.
„Blues in New Iberia“ bezieht seine dramaturgisch sorgfältig und dicht inszenierte Spannung aus dem schwer entwirrbaren Netz ritualistisch anmutender Mordfälle, verschrobenen Hollywood-Leuten und ihren anrüchigen Finanziers sowie den schwierigen persönlichen Beziehungen, die sein Protagonist mit den unterschiedlichsten Frauen - seien es eine Blues-Sängerin, seine junge Kollegin oder seine eigene Tochter – unterhält. Dabei webt er die einzigartige Geschichte der Südstaaten ebenso in den vielschichtigen Plot ein wie John Fords Klassiker „Faustrecht der Prärie“.
Leseprobe James Lee Burke - "Blues in New Iberia"

Wallace Stroby – (Sara Cross: 1) „Zum Greifen nah“

Dienstag, 18. Februar 2020

(Pendragon, 358 S.,Pb.)
Als die Streifenpolizistin Sara Cross in einer Nacht Mitte Oktober zu einem Tatort gerufen wird, stößt sie auf niemand Geringeren als ihren Kollegen und Ex-Freund Billy Flynn vor einem Honda aus New Jersey. Für den jungen, viel zu gut für diese Gegend gekleideten Schwarzen am Boden kommt jede Hilfe zu spät. Wie Billy ihr glaubhaft versichert, hat er den Fahrer des Wagens wegen seiner merkwürdigen Fahrweise zum Stehen und Aussteigen aufgefordert, doch als der Unbekannte den Kofferraum öffnen sollte, schien er mit dem nun am Boden liegenden Taurus-Revolver das Feuer auf Billy eröffnen zu wollen, worauf der Cop den Mann mit drei Schüssen in die Brust und in die Seite niederstreckte.
Im Kofferraum des Wagens entdeckt Sara eine Nylontasche voller Waffen. Für Sheriff Hammond, den stellvertretenden und für interne Ermittlungen zuständigen Sheriff Elwood und Boone vom Büro des Staatsanwalts in La Belle scheint die Sache ebenso klar zu sein, dass es sich um „unvermeidliche Schüsse“ handelte, doch Sara hat so ihre Zweifel, die nicht nur dadurch verstärkt werden, dass die Lebensgefährtin des getöteten Derek Willis auftaucht, um sich eine eigene Meinung von den Ereignissen zu bilden, sondern auch durch Billys Verhalten, der auf einmal wieder die Nähe von Sara sucht, die ihn vor zwei Jahre in die Wüste schickte, weil er sich mit einer anderen Frau herumgetrieben hatte. Dass an der ganzen Sache etwas faul ist, wird Sara spätestens dann klar, als üble Typen in der Kleinstadt auftauchen, die offensichtlich eine Menge Geld vermissen …
„Ob Elwood und der Sheriff wohl auch über die Taurus ins Grübeln gekommen waren? Und falls nicht: Machte es überhaupt noch Sinn, ihre Aufmerksamkeit auf diese Ungereimtheit zu lenken? Der Fall war angeschlossen, Billy juristisch entlastet. Wäre es nicht etwas seltsam, wenn gerade sie den Fall wieder aufrollen würde?“ (S. 183) 
Der ehemalige Polizeireporter Wallace Stroby hat bereits mit der Auftragsdiebin Crissa Stone eine faszinierende Frauenfigur geschaffen, die immerhin in vier Fällen die Krimi-Leserschaft fesseln durfte. Mit der taffen Kleinstadt-Polizistin Sara Cross sorgt der Bielefelder Pendragon-Verlag nun für adäquaten Nachschub und veröffentlicht den bereits 2009 erschienen ersten Band der Reihe um Kleinstadtpolizistin Sara Cross, „Gone ´Til November“, als deutsche Erstausgabe. Der temporeiche Krimi beginnt gleich mit dem Besuch des Tatorts, auf den in rascher Folge noch einige weitere folgen werden. Erst nach und nach werden die Figuren eingeführt. Sara Cross wird als alleinerziehende Mutter eingeführt, deren sechsjähriger Sohn Danny gerade eine Erstbehandlung wegen Leukämie zu verkraften hat. Billy erweist sich dagegen als charakterschwacher Ex-Freund, dem zwar noch spürbar viel an Sara liegt, aber jetzt mit einer echten Schlampe liiert ist und der ganz offensichtlich Dreck am Stecken hat.
Die Spannung wird aber vor allem durch das Eintreffen des darmkrebskranken Morgan erzeugt, der im Auftrag des Drogenhändlers Mikey das Geld wiederbeschaffen soll, dass nach Dereks Tod spurlos verschwunden zu sein scheint. Zur Sicherheit schickt Mikey auch noch die beiden Brüder Dante und DeWayne hinterher. Wirklich überraschende Wendungen hat „Zum Greifen nah“ nicht zu bieten. Tatsächlich spult Stroby den Plot absolut schnörkellos zu seinem voraussagbaren Ende ab. Die Dialoge zwischen Sara und Billy, in denen immer wieder Billys Fehler und Entschuldigen thematisiert werden, nerven auf Dauer etwas, auch wird in den Szenen zwischen Sara und ihrem Sohn längst nicht das Potential der emotional aufgeladenen Beziehung erschöpft. Wer sich an den recht oberflächlich gezeichneten Figuren aber nicht stört und einfach unkomplizierte und straff inszenierte Krimi-Action konsumieren möchte, ist mit „Zum Greifen nah“ gut bedient.

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 11) „Straße ins Nichts“

Mittwoch, 15. Januar 2020

(Pendragon, 436 S., Pb.)
Obwohl Dave Robicheaux, Detective beim Sheriff’s Department von New Iberia, schon länger den Verdacht hegte, dass Vachel Carmouche, Henker des Staates Louisiana, die beiden kreolischen Zwillingsschwestern Passion und Letty Labiche missbraucht, für die er seit dem Tod ihrer Eltern sorgt, konnte dem Staatsdiener bislang noch keine Straftat nachgewiesen werden.
Als Carmouche eines Tages erschlagen in seinem Haus aufgefunden wird, verhängt der Staat die Todesstrafe für Letty Labiche. Nach acht Jahren in der Todeszelle rückt nun der Tag der Vollstreckung nahe. Robicheaux setzt alles daran, bei Gouverneur Belmont Pugh um einen Aufschub zu bitten, aber da dessen Wiederwahl ansteht, möchte dieser keine unpopulären Entscheidungen fällen.

Von seinem alten Kumpel Clete Purcel, der eine Privatdetektei im French Quarter führt, erfährt er von dem Zuhälter Zipper Clum, der offensichtlich nicht nur Näheres über den Mord an Carmouche weiß, sondern auch über das Verschwinden von Robicheaux‘ Mutter vor dreißig Jahren. Wie es scheint, ist sie von zwei Polizisten als unliebsame Zeugin ermordet worden.
„Was ich jetzt empfand, war nicht Verlust, sondern Diebstahl und Schändung. Man hatte mir das Andenken an meine Mutter gestohlen, den traurigen Respekt, den ich immer vor ihr gehabt hatte. Jetzt lag in einem Aktenordner bei der Polizei in New Orleans eine Kassette mit lauter Lügen, besprochen von einem inzwischen toten Gauner in dem Gefängnis von Morgan City, der behauptete, meine Mutter wäre eine Hure und Trickdiebin gewesen, und ich konnte nichts daran ändern.“ (S. 232f.) 
Robicheaux‘ Ermittlungen ziehen auf einmal weite Kreise. Ein cleverer wie selbstzerstörerischer Killer namens Johnny Remeta schaltet nacheinander alle Zeugen aus, die Näheres über den Mord an Robicheaux‘ Mutter wissen, und als der Detective selbst das Leben des Killers rettet, schwingt sich dieser wiederum zu dessen Schutzengel auf und macht sich an Robicheaux‘ Adoptivtochter Alafair heran.
So steht der Cop vor dem Dilemma, auf der einen Seite Alafair vor dem Soziopathen Remeta zu schützen, auf der anderen Seite ist der Killer als Informant zu wichtig, um ihm einfach das Licht auszublasen. Derweil läuft die Zeit für Letty Labiche in der Todeszelle gnadenlos ab …
Mit dem elften Band in der preisgekrönten Reihe um den temperamentvollen Vietnam-Veteranen, Bootsverleiher und Detective Dave Robicheaux bringt der selbst aus Louisiana stammende Autor James Lee Burke wieder ein dichtes Geflecht aus Korruption in Polizei- und Regierungskreisen zum Vorschein, vor dessen Hintergrund die Mutter des sympathischen Protagonisten ermordet worden ist. Indem Robicheaux sich des Schicksals der noch lebenden Letty und seiner ermordeten Mutter annimmt, taucht er tief in seine eigene Familiengeschichte ein und muss alte (Un-)Gewissheiten in ein neues Licht rücken.
Wie üblich beschreibt Burke in „Straße ins Nichts“ seine Figuren jenseits eindeutiger Gut-und-Böse-Kategorien, sondern als Menschen, die in ihrem Leben nicht immer die richtigen Entscheidungen treffen und dafür früher und später die Quittung präsentiert bekommen. Burke gelingt es einmal mehr, die feucht-tropische Hitze in dem nach wie vor von Rassismus geprägten Süden der USA bildgewaltig und wortgewandt zu beschreiben, ebenso wie die innere Zerrissenheit, die sowohl Robicheaux als auch seinen Freund Purcel prägt.
Am Ende gibt es etliche Tote und Versehrte zu beklagen, und weder Robicheaux noch der Leser bleiben nach etlichen Wendungen und einem furiosen Finale unbeeindruckt zurück.

James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 21) „Mein Name ist Robicheaux“

Mittwoch, 23. Oktober 2019

(Pendragon, 600 S., Pb.)
Als Dave Robicheaux die schwerkranke Mafia-Größe Fat Tony Nemo/Tony Squid/Tony Nine Ball/Tony the Nose in seinem Büro aufsucht, bekommt er ein Schwert aus dem Bürgerkrieg überreicht, auf dessen Messinggriff der Name von Lieutenant Robert S. Broussard eingraviert ist und von dem der Mafioso glaubt, dass es die in New Iberia ansässige Familie gern in ihrem Besitz haben möchte. Tony Squid wartet aber auch mit Informationen über den Mann auf, der vor zwei Jahren Robicheaux‘ Frau Molly an einer Kreuzung so schwer gerammt hat, dass sie verstarb. Offensichtlich hat der Mann vor zehn oder fünfzehn Jahren schon ein Kind in Alabama überfahren. Bevor sich der Detective des New Orleans Police Department jedoch mit diesen Informationen befasst, hilft er seinem besten Kumpel Clete Purcel aus der Klemme, steckt er doch mit 250.000 Dollar bei einem Kredithai in den Miesen und droht sein Haus zu verlieren.
Robicheaux stattet dem elitären, doch stets bürgernahen Aristokraten Jimmy Nightingale einen Besuch ab, da dieser Teilhaber bei der Gesellschaft ist, bei der Purcel die Hypothek aufgenommen hat. Dafür, dass sich Nightingale, der für den US-Senat kandidieren will, sich um Purcels Hypothek kümmert, bittet er Robicheaux, ihn mit dem Romanautor Levon Broussard bekanntzumachen, um mit ihm und Tony Nemo die Verfilmung eines seiner Bücher zu realisieren. Robicheaux stattet anschließend T.J. Dartez einen Besuch ab, jenem Mann, der an dem Unfall beteiligt war, bei dem Molly zu Tode gekommen ist. Nach einer durchzechten Nacht wacht Robicheaux mit blutig verschrammten Fingerknöcheln auf und kann sich an nichts mehr erinnern. Als Dartez tot auf seinem Grundstück aufgefunden wird, kann Robicheaux nicht beschwören, dass er nicht für den Tod des Mannes verantwortlich ist.
Während sich Robicheaux in diesem Fall vor allem mit seinem korrupten Kollegen Spade Labiche herumschlagen muss, erfährt er von Purcel, dass Nightingale längst nicht der Saubermann sei, den er in der Öffentlichkeit zu repräsentieren versucht, sondern sich von einem schmierigen Typen namens Kevin Penny Koks und Prostituierte habe liefern lassen. Purcel, der als Privatdetektiv Büros in New Orleans und New Iberia unterhält, hat auch ein privates Interesse an Penny, denn er ist berüchtigt dafür, seinen Sohn Homer zu schlagen, weshalb ihn Purcel am liebsten aus dem Verkehr ziehen will. Das Filmprojekt von Broussard, Nightingale und Tony Nemo nimmt langsam Formen an, wobei Robicheaux‘ Tochter Alafair einen Drehbuchentwurf beisteuert. Als Broussards Frau Rowena Nightingale allerdings beschuldigt, sie auf seinem Boot betrunken gemacht und vergewaltigt zu haben, läuft nicht nur das Filmprojekt aus dem Ruder. Ein Auftragskiller, der sich Smiley nennt, dezimiert konsequent Leute aus dem Umfeld der Filmproduktion. Und Purcel ist wieder einmal in eigener Mission unterwegs …
„Er war der Gauner aus der volkstümlichen Sagenwelt, der die Respektabilität mit Scheiße bewarf. Aber er war ein erheblich komplexerer Mann, im Kern eine griechische Tragödie, eine prometheische Gestalt, die niemand als solche erkannte, einer der 36 Gerechten der jüdischen Legende, der für uns alle litt. Falls es Engel unter uns gibt, wie der Apostel Paulus sagt, dann war ich überzeugt, dass Clete einer von ihnen war, seine Flügel verhüllt in Rauch, sein Umhang getaucht in Blut …“ (S. 410) 
Seit James Lee Burke 1987 seine preisgekrönte Reihe um den Vietnam-Veteran und Alkoholiker Dave Robicheaux ins Leben gerufen hatte, sind mittlerweile insgesamt 22 Bände erschienen, die weithin zum Besten gehören, was das Krimi-Genre zu bieten hat. Der Bielefelder Pendragon-Verlag hat sich seit 2015 der rühmlichen Mission angenommen, die großenteils noch unveröffentlichten bzw. nicht mehr lieferbaren Titel um den charismatischen, von den Dämonen seiner Vergangenheit in Fernost und des Alkohols verfolgten Cop Dave Robicheaux neu aufzulegen. In der Chronologie der Reihe war Pendragon mittlerweile bis zum 16. Band „Sturm über New Orleans“ gekommen, so dass zum jetzt veröffentlichten 21. Band „Mein Name ist Robicheaux“ einige Sprünge zu erwähnen sind, von denen neben dem Tod von Robicheaux‘ Frau Molly vor allem die Entwicklung seiner Adoptivtochter Alafair am bemerkenswertesten ausfällt. Sie hat nämlich eine Karriere als Schriftstellerin hingelegt und sich damit auch die Bewunderung von Levon Broussard verdient. Davon abgesehen sind Dave Robicheaux und sein bester - und eigentlich einzig nennenswerter - Freund Clete Purcel wie gewohnt den geschickt agierenden Gangstern auf der Spur, die ihre Aktivitäten gekonnt unter dem Deckmantel der Kultiviertheit verstecken, aber unter ihrer glänzenden Oberfläche mächtig Dreck am Stecken kleben haben. Burke erweist sich einmal mehr als Meister darin, das besondere Klima in Amerikas Süden mit der Verderbtheit gerissener wie skrupelloser Gauner zu verknüpfen und angesichts der Wut, die sowohl Robicheaux als auch Purcel gegenüber den schändlichen Taten, gegen die sie ankämpfen, immer wieder zu extremen Mitteln zu greifen bereit sind, bis sie sich im letzten Moment doch eines Besseren besinnen.
Die Figuren sind in „Mein Name ist Robicheaux“ wieder angenehm vielschichtig angelegt. Einer simplen Kategorisierung in Gut und Böse, Schwarz und Weiß, entzieht sich Burke bewusst, lässt seine Protagonisten aber auch lange nur dunkel ahnen, mit welcher Art von Verbrechern sie es letztlich zu tun haben. Die Spannung wird durch sich häufende Todesfälle und neue Mitspieler im Karussell der Gewalt konstant auf einem hohen Niveau gehalten, wobei die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren erst nach und nach freigelegt werden. Alafair präsentiert sich in dem Wirbel um die Hollywood-Produktion und im Umgang mit den nicht immer koscheren Menschen, mit denen ihr Vater zu tun hat, als erfrischend eigenständige Persönlichkeit, doch im Mittelpunkt stehen natürlich Dave, der in der Geschichte wieder als Ich-Erzähler auftritt, und sein Kumpel Clete, dessen Part in dem Plot in der dritten Person wiedergegeben wird.
Bildreich beschreibt Burke, wie die beiden Kriegsveteranen damit hadern, wie sie mit offensichtlichen Verbrechern umgehen sollen, wie sie das Jucken in ihren Fingern, selbst für Gerechtigkeit zu sorgen, unter Kontrolle zu bekommen versuchen und bei der Last vor der richtigen Entscheidung auch mal gern einen über den Durst trinken und sich mit den falschen Frauen einlassen. Ergänzt wird der Roman durch die kurze Erzählung „The Wild Side of Life“, in der der Kriegsveteran Elmore auf den Ölfeldern an der Golfküste arbeitet und durch die Bekanntschaft der verheirateten, von ihrem Mann misshandelten Loreen an ein Verbrechen an indianischen Ureinwohnern erinnert wird, bei dem er tatenlos zugesehen hat.