James Lee Burke – (Dave Robicheaux: 23) „Verschwinden ist keine Lösung“

Donnerstag, 15. Juni 2023

(Pendragon, 472 S., Pb.) 
22 Jahre nach seinem ersten Roman legte der in Houston, Texas, geborene und in Louisiana aufgewachsene James Lee Burke 1987 mit „Neon Rain“ den Grundstein für eine der außergewöhnlichsten Krimi-Reihen. Denn in den Südstaaten-Krimis um den Vietnam-Veteranen, ehemaligen Detective des New Orleans Police Departments und Alkoholiker Dave Robicheaux verstand es der u.a. mit dem Edgar Allan Poe Award, dem Hammett Prize, dem Deutschen Krimi Preis und dem Gold Dagger ausgezeichneten Schriftsteller, auf atmosphärisch dichte Weise die außergewöhnliche Südstaaten-Landschaft und -kultur mit ungewöhnlichen Kriminalfällen zu verbinden, in denen fast ausnahmslos Mafia-Größen, Großgrundbesitzer, skrupellose Unternehmer und korrupte Politiker involviert gewesen sind. 
Nun soll nach über dreißig Jahren Schluss sein, der 23. Band „Verschwinden ist keine Lösung“ wird als letzter Band der Reihe um den charismatischen Cop Dave Robicheaux angekündigt. 
Der musikalisch begnadete Johnny ist nach dem Tod seiner Eltern von seinem Onkel Mark Shondell großgezogen worden, einem Mann, der – Robicheaux‘ Meinung nach - sein Geld „auf dem Rücken Anderer“ erworben hat und Familiengeheimnisse hütete, bei denen es um „Sex mit anderen Ethnien und die Ausbeutung der außerehelichen Kinder ging, die sie zeugten“. 
Als sich Johnny ausgerechnet in die minderjährige Isolde Balangier verliebt, die Tochter eines rivalisierenden Clans, liegt natürlich Ärger in der Luft, denn Isolde soll als Friedensangebot an Mark Shondell ausgeliefert werden, dessen Familie Frachter, Segeljachten und Plantagen in Chile, Costa Rica und Kolumbien besaßen und oft Besuch von lateinamerikanischen Diktatoren bekamen. Als der berüchtigte Mafia-Auftragskiller Marcel La Forchette aus dem Gefängnis entlassen wird, trifft Robicheaux ihn auf dem Shondell-Anwesen, wo der Detective versucht, Informationen zum Aufenthaltsort des jungen Liebespaares zu erhalten. Zusammen mit seinem alten Kumpel Clete Purcel bekommt es Robicheaux nicht nur mit unangenehmen Schergen sowohl der Shondell- als auch der Balangier-Sippe zu tun, er verliebt sich auch noch ausgerechnet in Adonis Balangiers Frau Penelope und die ehemalige Prostituierte Leslie Rosenberg, bekommt es schließlich mit einem selbsternannten „Offenbarer“ zu tun, Gideon Richetti, der seit dem 17. Jahrhundert sein Unwesen auf der Erde zu treiben scheint und bei den Bobbsey Twins übernatürliche Empfindungen hervorruft. 
„… in unserer Mitte befand sich das Böse, und es war unsere eigene Schöpfung und hatte nichts mit dem Zeitreisenden aus dem Jahr 1600 zu tun. Das Böse, über das ich rede, wurde als Mann mit Sorbonne-Ausbildung wiedergeboren, dessen Familie seit Generationen unter uns lebte. Er hatte geschworen, Hollywood und die Juden darin zu zerstören, war vermutlich ein Kinderschänder und hatte die Morde an seinen Feinden angeordnet. Wir fürchteten seine Macht und seinen Namen und wir logen uns an, zogen den Hut und taten so, als würden wir einfach an einer vornehmen Kultur aus früheren Zeiten festhalten.“ (S. 368) 
Am – voraussichtlichen - Ende der Reise blickt Dave Robicheaux auf drei verstorbene Ehefrauen und seine abwesende Adoptivtochter Alafair zurück, so dass er im Kampf gegen böse, vermeintlich übernatürliche Kräfte diesmal allein auf Clete Purcel bauen kann. Mit einem deutlich reduzierten Figurenensemble und recht klar definierten Fronten bekommen es die unerschrockenen Bobbsey Twins einmal mehr mit narzisstischen, selbstgerechten reichen Familien zu tun, die ihre Interessen über die der Allgemeinheit stellen und rücksichtslos selbst über das Schicksal ihrer Jüngsten bestimmen. Was den Plot angeht, präsentiert Burke wenig Neues, hinter neuen Namen verbergen sich vertraute Strukturen und Phänomene wie Rassismus, Antisemitismus, Korruption und Prostitution. 
Allein das übernatürliche Element wird stärker hervorgehoben, untergräbt damit aber leider auch die Glaubwürdigkeit der Story. Im Gegensatz zu früheren Romanen, in denen vor allem Purcel sich mit den falschen Frauen einlässt, ist es diesmal Robicheaux, der unangebrachte Leidenschaften für die Frau eines Mafia-Bosses und eine ehemalige Prostituierte entwickelt. 
Seine größten Stärken entwickelt „A Private Cathedral“, so der 2020 veröffentlichte Originaltitel, im Zusammenspiel der Bobbsey Twins, die sich immer wieder selbst und einander versichern müssen, dass sie auf der rechten Seite kämpfen, dabei aber natürlich wie gewohnt immer wieder über die Stränge schlagen, bis sie sich im actionreichen Finale aus arger Bedrängnis befreien müssen. Bis dahin bietet „Verschwinden ist keine Lösung“ literarisch anspruchsvolle, allerdings recht vorhersehbare Krimi-Kost, die nicht das große Finale einer der bedeutendsten Krimi-Reihen der letzten Jahrzehnte darstellt, das man sich erhofft hatte. Noch darf man ja träumen, dass Burke noch etwas Großes nachlegt… 

 

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