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Cormac McCarthy – „Land der Freien“

Donnerstag, 26. Dezember 2019

(Rowohlt, 334 S., Tb.)
John Grady arbeitet als junger Cowboy auf einer Ranch in New Mexico und hat sich dort mit dem etwas älteren Billy Parham angefreundet. Der Umgang mit den Pferden macht ihnen Spaß, obwohl die Arbeit ebenso hart wie unspektakulär ist. Abwechslung bringen nur die Ausflüge ins nahegelegene El Paso oder über die Grenze nach Ciudad Juárez, wo sie sich in den Kneipen und Bordellen vergnügen. Erst als John Grady in einer der Kneipen die Hure Magdalena entdeckt und sich in sie verliebt, gerät sein geordnetes Leben ins Wanken. Obwohl er von ihren epileptischen Anfällen weiß und später erfährt, dass sie den Zuhälter Eduardo heiraten soll, bringt ihn nichts davon ab, mit ihr zusammen sein zu wollen.
Zunächst versucht er es noch auf die diplomatische Tour und schickt Billy vor, die Bedingungen mit Eduardo auszuhandeln, doch der hat nicht vor, Magdalena ziehen zu lassen. Das verliebte Paar fasst einen waghalsigen Plan, will mit gefälschten Papieren fliehen und heimlich heiraten, doch das Vorhaben wird verraten – mit tragischen Konsequenzen für alle Beteiligten …
„Er wusste, dass uns das, was wir unbedingt in unserem Herzen bewahren möchten, oft genommen wird, während das, was wir loswerden wollen, durch ebendiesen Wunsch oft ein unerwartetes Beharrungsvermögen zu gewinnen scheint. Er wusste, wie zerbrechlich die Erinnerung an einen geliebten Menschen ist. Wie wir die Augen schließen und mit ihm sprechen. Wie wir uns danach sehnen, noch einmal seine Stimme zu hören, und wie diese Stimme und die Erinnerung schwach und schwächer werden, bis das, was einst Fleisch und Blut war, nurmehr Nachhall und Schatten ist.“ (S. 220) 
Mit „Land der Freien“ hat Cormac McCarthy seine 1992 mit „All the Pretty Horses“ (dt. „All die schönen Pferde“, 1993) begonnene und 1994 mit „The Crossing“ (dt. „Grenzgänger“, 1995) fortgesetzte Border-Trilogie beendet und die Schicksale seiner beiden Protagonisten John Grady Cole und Billy Parham zusammengeführt. Während John Grady Cole im Jahre 1949 als Sechszehnjähriger aufbrach, mit seinem Freund Lacey Rawlins von Texas nach Mexiko zu reiten, um dort das Leben in vermeintlicher Freiheit zu genießen und sich mit dem Wesen von Pferden anzufreunden, überquerte Billy Parham in „Grenzgänger“ bereits neun Jahre zuvor mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Boyd die Grenze, um die Mörder ihrer Eltern aufzuspüren, die sich auch noch die Pferde der Familie unter den Nagel gerissen haben. In „Land der Freien“ kreuzen sich nun die Wege der beiden jungen Männer, die auf ihren Reisen zwischen den Grenzstaaten der USA und Mexiko schreckliche Dinge erlebt, auf der Ranch in New Mexiko aber ihre Bestimmung gefunden haben. Es ist eine ebenso raue wie schöne Welt, die McCarthy wie gewohnt detailreich in seiner kargen, poetischen Prosa beschreibt, so ausführlich, dass der Leser wie hypnotisiert in die Szenerie hineingezogen wird. Allerdings wendet sich der Autor im weiteren Verlauf der Geschichte zunehmend seinen Figuren zu, vor allem John Grady, der sich unsterblich in eine junge Hure verliebt und alles bereit ist zu tun, um mit ihr zusammen sein zu können. Dabei ist jedem, der Zeuge der unglücklichen Konstellation wird, dass Magdalena einem anderen, weitaus mächtigeren und skrupelloseren Mann versprochen ist, sofort klar, dass diese unmögliche Liebe zwischen der Hure und ihrem jungen Verehrer ein böses Ende nehmen muss. Die finale Konfrontation zwischen John Grady und Eduardo beschreibt McCarthy wie einen tödlichen Tanz, bei dem die eingesetzten Messer unauslöschliche Wunden in die Körper und Seelen der beiden Kontrahenten hinterlassen.
Fünfzig Jahre später blickt Billy Parham auf die blutigen Ereignisse zurück und vertieft sich mit einem weisen alten Mann unter einer Autobahnbrücke in tiefgehende philosophische Betrachtungen, die McCarthys Selbstverständnis vom Leben im zunehmend zivilisierten Wilden Westen verdeutlichen, die romantischen Vorstellungen des Lesers mit Staub, Whisky und Blut beflecken.
Leseprobe Cormac McCarthy "Land der Freien"

Cormac McCarthy – „Grenzgänger“

Sonntag, 22. Dezember 2019

(Rowohlt, 448 S., Tb.)
Der 16-jährige Billy Perham und sein jüngerer Bruder Boyd wachsen im Grant County auf, von wo man noch auf direktem Weg nach Mexiko gelangen kann, ohne auf einen Zaun zu stoßen. Zusammen mit seinem Vater unternimmt Billy regelmäßig Jagdausflüge und stellt Fallen für die Wölfe aus, die ihre Viehherde bedrohen. Als Billy eines Tages eine trächtige Wölfin aus der Falle befreit, will er sie allein zurück in die mexikanische Sierra bringen, wobei er unterwegs mit anderen Reisenden und Einwohnern aus der Gegend von Chihuahua ins Gespräch kommt.
Als er Monate später aber zur elterlichen Farm zurückkehrt, findet er sie verlassen vor: Die Eltern wurden ermordet, die Pferde gestohlen, sein Bruder ist bei Pflegeeltern untergekommen. Die beiden Brüder machen sich auf die Reise nach Mexiko, wo sie die Pferdediebe vermuten, wobei sich Boyd mit einem gleichaltrigen mexikanischen Mädchen in Mexiko niederlässt. Mit 21 Jahren unternimmt Billy seine nächste Reise nach Mexiko, diesmal, um seinen Bruder zu suchen, dessen sterbliche Überreste er zurück nach New Mexiko bringen will. Einmal mehr beschäftigt sich Billy mit der Frage nach seiner Heimat und Identität …
„Die Welt kann sich nicht verirren. Nur wir. Und weil diese Namen und Gradnetze von uns stammen, können sie uns nicht helfen. Können sie uns die Suche nach dem richtigen Weg nicht abnehmen. Dein Bruder ist dort, wo die Welt ihn haben wollte. Er ist an dem Platz, der für ihn bestimmt war. Zugleich hat er sich diesen Platz selber ausgewählt. Und so einen glücklichen Zufall sollte man nicht geringschätzen.“ (S. 408) 
Mit dem Auftakt seiner sogenannten „Border-Trilogie“, „All die schönen Pferde“, gelang Cormac McCarthy 1992 der internationale Durchbruch, zwei Jahre später legte er mit dem epischen „Grenzgänger“ auf imponierende Weise nach. Minutiös schildert der Pulitzer-Preisträger in seiner ebenso archaischen wie poetischen Sprache die Mühsal des Lebens auf einer Ranch, wo Wölfe die Lebensgrundlage der Menschen bedrohen. Doch statt den ausgemachten und endlich gefangenen Übeltäter zu töten, erbarmt sich der 16-jährige Romanheld der trächtigen und geschundenen Wölfin und unternimmt mit ihr eine abenteuerliche Reise voller lebensbedrohlicher Gefahren, wobei sich Billy auch deshalb so um das Wohl der Wölfin bemüht, weil er sie für eine Botin aus einer anderen Welt betrachtet, in der die Natur nach eigenen Gesetzen funktioniert.
Immer wieder bringt McCarthy Gegensätze zusammen, Wildnis und Zivilisation, Gewalt und Güte, Einsamkeit und Geselligkeit, Mordlust und Vergebung, Hoffnung und Verzweiflung, Heimat und die Fremde. Es ist nichts Glorifizierendes, das der Autor zum Western-Genre beizutragen hat. Stattdessen beschreibt er eindrucksvoll die kleinen und großen Gesten, die den Unterschied zwischen Gut und Böse ausmachen.
Neben den fast schon manieristisch detaillierten Beschreibungen der Alltagsszenen, der Reisen und gefahrvollen Aufeinandertreffen mit Dieben und Mördern webt McCarthy aber immer wieder betörend eindringliche, mit lakonisch humorvollen Akzenten versehene Dialoge ein, die oft leider im spanischen Original belassen werden, so dass sich für den Leser der Sinn nur aus dem Kontext erschließt.
Wie brutal die Welt letztlich ist, stellt Billy am Ende seiner ersten Reise nach Mexiko fest, als er auf die verlassene Ranch seiner Familie zurückkehrt. Statt jedoch zu verzweifeln, macht sich Billy immer wieder auf den schicksalhaften Weg zu den Verursachern des Unglücks und wird dabei selbst mit den unterschiedlichsten Empfindungen konfrontiert. Wie McCarthy all diese Gegensätze zu großer Literatur vereint, ist nicht unbedingt leichtverdauliches Pageturner-Futter, bleibt aber nachhaltig in der Vorstellungskraft des Lesers haften.
Leseprobe Cormac McCarthy "Die Border-Trilogie"

Cormac McCarthy – „All die schönen Pferde“

Donnerstag, 21. November 2019

(Rowohlt, 334 S., Tb.)
Die beiden jungen Männer John Grady Cole und Lacey Rawlins haben genug vom eintönigen Leben als Viehtreiber in New Mexico und träumen von großen Abenteuern. Nachdem Grady bei seinem Großvater auf dessen Ranch im texanischen San Angelo aufgewachsen war, hält den Sechszehnjährigen nichts mehr dort, als der alte Mann 1949 stirbt. Zusammen mit ihren Pferden hoffen sie jenseits der Grenze in Mexiko ihr Glück zu finden und werden unterwegs vom dreizehnjährigen Jimmy Blevins ergänzt, der offensichtlich auf einem Pferd reitet, das ihm nicht gehört, und zudem eine Waffe trägt, die ihm aber während eines Gewitters gestohlen wird. Tatsächlich finden sie in der Nähe von Coahuila Arbeit auf einer mexikanischen Hacienda, wo sich der reiche Pferdezüchter schnell beeindruckt von Gradys Pferdekenntnissen und seiner Fähigkeit zeigt, Wildpferde zuzureiten.
Doch das Glück der angebotenen Festanstellung hält nicht lange an: Grady verliebt sich in die hübsche Tochter des Patrons und beginnt eine heimliche Liebesaffäre mit Alejandra, die allerdings nicht lange geheim bleibt. Vor allem Alejandras dem unspektakulären Leben auf dem Lande nach Mexiko City entflohene Mutter interveniert und untersagt ihrer Tochter jeden weiteren Umgang mit dem unterprivilegierten Jungen, den sie zu bestechen versucht. Als währenddessen Blevins beim Versuch, seine Pistole zurückzubekommen, einen Mann tötet, festgenommen wird und beim Verhör die Namen seiner beiden vermeintlichen Komplizen verrät, dauert es nicht lange, bis auch Rawlins und Grady verhaftet werden und eine harte Zeit in einem mexikanischen Gefängnis verbringen müssen, wo sie gequält und zusammengeschlagen werden.
„Er erinnerte sich an Alejandra und an die Traurigkeit, die er von Anfang an in ihren geneigten Schultern gesehen und zu verstehen gemeint hatte, obwohl er doch gar nichts von ihr wusste, und er empfand eine Einsamkeit wie seit seiner Kindheit nicht mehr. Er fühlte sich gänzlich fremd in dieser Welt, auch wenn er sie immer noch liebte. Er fand, in der Schönheit der Welt lag ein Geheimnis verborgen. Er fand, der Herzschlag der Welt hatte einen furchtbar hohen Preis.“ (S. 312) 
Zwischen 1965 und 1985 veröffentlichte der aus Rhode Island, Providence, stammende Schriftsteller Cormac McCarthy gerade mal fünf Romane (darunter „Ein Kind Gottes“ und „Die Abendröte im Westen“), doch erst mit dem 1992 erschienenen Werk „All the Pretty Horses“ gelang McCarthy der Durchbruch, der mit der Platzierung auf Bestseller-Listen und der Auszeichnung mit dem National Book Award einherging. Dabei ist „All die schönen Pferde“ – im Jahre 2000 auch erfolgreich von Billy Bob Thornton mit Matt Damon und Penelope Cruz in den Hauptrollen verfilmt – alles andere als leichtverdauliches romantisches Western-Abenteuer.
Zwar greift McCarthy verschiedene Mythen und Träume von Freiheit und einem Leben in Abenteuer auf, doch nimmt er sich viel Zeit, die unwirtlichen Umstände zu beschreiben, unter denen die beiden jugendlichen Freunde Richtung Mexiko losziehen. Auf ihrem Roadtrip zu Pferde machen sie die unterschiedlichsten Bekanntschaften, von denen ausgerechnet die mit dem gerade mal 13-jährigen Blevins tragische Konsequenzen nach sich zieht. Zu dem dramatischen Verlauf trägt aber natürlich auch die unmögliche Liebe zwischen dem reichen Mädchen und dem mittellosen Abenteurer bei, die vorhersehbaren Zügen folgt.
Der Mythos vom Reisen durch unentdeckte Landstriche bekommt durch schicksalhafte Begegnungen zunehmend tiefere Risse, findet die romantische Liebe letztlich keine Erfüllung. McCarthy beschreibt diese Odyssee in einer unvergleichlichen Sprache, die die karge Landschaft und die wilden Pferde zum Leben erweckt, wobei die teils wunderschönen Dialoge mitten ins Herz gehen.
„All die schönen Pferde“ ist der Auftakt der sogenannten „Border-Trilogie“, zu der noch „Grenzgänger“ (1994) und „Land der Freien“ (1998) zählen.
Leseprobe Cormac McCarthy "Die Border-Trilogie"

Cormac McCarthy – „Der Feldhüter“

Mittwoch, 21. März 2018

(Rowohlt, 287 S., Pb.)
Ende der Dreißigerjahre ist Kenneth Rattner als Anhalter nach Knoxville unterwegs. Als er an einer Tankstelle kurz vor Atlanta von dem Schnapsschmuggler Marion Sylder mitgenommen wird, endet die Zusammenkunft tödlich. Eine Reifenpanne will Rattner nutzen, seinen vermeintlichen Wohltäter mit dem Wagenheber zu erschlagen, doch Sylder kann den Mann in letzter Sekunde überwältigen, bringt ihn um und verscharrt die Leiche in der Mischgrube eines Gartens, ohne zu wissen, dass er dabei von Arthur Ownby, dem Hüter eines verwilderten Apfelhains beobachtet wird.
Als Sylder später ein Autounfall hat, rettet ihn ausgerechnet Rattners Sohn John Wesley aus der misslichen Lage, worauf die beiden eine Art Vater-Sohn-Beziehung eingehen, ohne zu ahnen, mit wem sie es eigentlich jeweils zu tun haben. Selbst als Sylder schließlich in den Knast wandert, bleibt ihm der Junge treu.
„Du willst so was wie ein verdammter Held sein. Tja, eins kann ich dir sagen, es gibt keine Helden mehr. Der Junge schien zu schrumpfen, lieg rot an. Verstehst du das?, sagte Sylder. Ich hab nie behauptet, dass ich ein Held sein will, sagte der Junge mürrisch. Niemand hat das je behauptet, sagte Sylder. Jedenfalls, ich hab nie was wegen dir gemacht, wie du sagst. Ich mach nichts, was ich nicht machen will.“ (S. 249) 
Der aus Knoxville, Tennessee, stammende Schriftsteller Cormac McCarthy hat sich nie um die Gesetze und Mechanismen des Buchmarktes gekümmert. In seinen alle paar Jahre veröffentlichten Romanen sucht der Leser vergeblich nach Anführungszeichen bei wörtlicher Rede, von der McCarthy so häufig und lebendig Gebrauch macht, dass sich seine Romane wie Filmdrehbücher lesen.
Über die Jahrzehnte wurde McCarthy mit dem Faulkner Award, dem American Academy Award, dem National Book Award, dem National Book Critics Circle Award und 2007 für seinen Roman „Die Straße“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet.
Seither ist es leider sehr still um den großen amerikanischen Autor geworden, der sich in der Tradition von William Faulkner sieht, dessen legendärer Lektor Albert R. Erskine McCarthys Manuskript zu „The Orchard Keeper“ 1965 bei Random House veröffentlichte. Über fünfzig Jahre später erschien McCarthys Debüt mit dem Titel „Der Feldhüter“ erstmals auch in deutscher Sprache. Es ist eher ein zähes Vergnügen, das der damals 32-jährige McCarthy mit seinem literarischen Einstand dem Publikum bereitet. Denn trotz des Totschlags zu Beginn des Romans entwickelt sich kein ernstzunehmender Plot, der auf eine klassische Auflösung und Bestrafung des Täters hinausläuft. Stattdessen beschreibt der Autor wie in späteren Werken das (Über-)Leben am Rande der Gesellschaft.
Hier herrscht nicht nur Armut, Verzweiflung und Gewalt vor, sondern auch eine derbe Sprache, die McCarthy wie kaum ein anderer Autor authentisch wiederzugeben vermag. Daneben sind es vor allem seine charakteristischen, atmosphärisch dichten Naturbeschreibungen, die das Setting, in dem seine Romane angesiedelt sind, so lebendig werden lassen. Die (männlichen) Figuren in „Der Feldhüter“ sind äußerst lebendig beschrieben und gewinnen Gestalt durch die Verflechtungen von Erinnerungen und Erzählungen, die sich über verschiedene Zeitebenen miteinander verflechten, ebenso wie die Schicksale von Sylder, den beiden Rattner-Männern und Ownby unausweichlich aufeinander zusteuern.
Bei aller Dunkelheit und Trostlosigkeit bleiben McCarthys Figuren aber zutiefst menschlich. Besonders eindrucksvoll ist dem Autor dabei die Schilderung von Ownbys Verhaftung gelungen, der beim Abtransport in der Kutsche seinen geliebten alten Hund zurücklassen muss.
„Der Feldhüter“ ist sicherlich noch kein Meisterwerk, wie es McCarthy später mit „Verlorene“, „Ein Kind Gottes“ oder „Kein Land für alte Männer“ abliefern sollte, aber es führt den geneigten Leser ein in die Welt eines wahrhaftigen Sprachvirtuosen, der sein erzählerisches Talent noch entwickeln muss. 
Leseprobe CormacMcCarthy - "Der Feldhüter"

Cormac McCarthy – „Die Abendröte im Westen“

Samstag, 10. Februar 2018

(Rowohlt, 444 S., Pb.)
Im Jahr 1849 verlässt ein namenloser, ebenso blasser wie magerer Junge, dessen Mutter bei seiner Geburt vor vierzehn Jahren verstarb und dessen Vater vom ehemaligen Lehrer zum Dichter rezitierenden Trinker heruntergekommen ist, das Elternhaus und kehrt nicht mehr zurück. Mit seinem latenten Hang zu sinnloser Gewalt zieht er westwärts nach Memphis und dann weiter durch die pastorale, flache Landschaft nach Saint Louis und New Orleans. Er arbeitet in einem Sägewerk, in einer Quarantänestation für Diphtheriekranke und auf einer Farm, wo er sich seinen Lohn in Gestalt eines bejahrten Maultiers auszahlen lässt. Zunächst lässt er sich von der amerikanischen Armee anwerben, doch dann schließt er sich einer Gruppe von Freischärlern um den skrupellosen John J. Glanton an, die mit Freuden auf Skalpjagd gehen, die Ohren ihrer Opfer auf eine makabre Halskette aufreihen und dort schwarz verschrumpeln lassen.
Der mexikanisch-amerikanische Krieg fordert aber auch unter der Glanton-Bande zahlreiche Opfer. Am Ende zählen der Junge und der charismatische „Richter“ Holden zu den wenigen Überlebenden des Massakers. Der gebildete, große und komplett haarlose Richter hält sich für unsterblich und macht seinerseits Jagd auf den Jungen …
„Die ganze Nacht über brannten ihre Wachfeuer im finsteren Weltrund; der Junge löste den Revolverlauf, hielt ihn wie ein Fernrohr vors Auge, suchte die warme Sandkimmung vor dem Brunnen ab und forschte nach, ob sich bei den Feuern etwas rührte. Wohl keine Wüste ist so verlassen, dass nicht nachts irgendein Wesen einen Laut von sich gibt, aber hier war es so; umgeben von Dunkel und Kälte lauschten sie ihren Atemzügen, lauschten dem Schlag ihrer rubinfleischernen Herzen.“ (S. 371) 
Dass der ursprünglich 1985 veröffentlichte fünfte Roman von Cormac McCarthy von der US-amerikanischen Kritik sehr gespalten aufgenommen worden war, ist verständlich. Schließlich beschreibt der später mit dem National Book Award (für „All die schönen Pferde“) und Pulitzer Preis (für „Die Straße“) ausgezeichnete Autor in schonungsloser Manier das Ausleben der dunkelsten Triebe des Menschen, das rücksichtslose Foltern und Morden und Abschlachten von Menschen, vornehmlich von Schwarzen, Indianern und Mexikanern, aber auch vermeintliche Konkurrenten aus den eigenen Reihen fallen hier reihenweise dem blutgierigen Treiben der Freischärler zum Opfer. Damit entromantisiert er die Mythen des Wilden Westens und seziert den Siegeszug des weißen Mannes als mörderisches, blutiges Spektakel. McCarthy macht sich nicht die Mühe, um das Skalpieren und Töten herum eine sinnvolle, dramatisch-spannende Geschichte aufzubauen. Er konzentriert sich ganz auf seine ganz und gar unsympathischen triebhaften und bösen Figuren, die ihr räuberisches Tun in keiner Weise moralisch zu rechtfertigen versuchen, sondern aus der puren Lust und Möglichkeit dazu anderen Menschen Leid zufügen.
Nicht mal der vierzehnjährige Junge ohne Namen, mit dem die Geschichte ihren Anfang nimmt, taugt zur Identifikationsfigur, auch wenn er zumindest mehr als eine Ahnung von dem Unterschied zwischen Gut und Böse besitzt. Stattdessen führt der hochgebildete, selbstherrliche, moralisch aber völlig verkommene Richter das Wort, wobei er das Böse und so auch den Krieg als natürlichen Bestandteil der Weltenschöpfung betrachtet.
Als Widerpart zu den unreflektierten Gewaltdarstellungen zeichnet McCarthy allerdings eindringlich schöne Landschaftsbilder, die ein wenig von dem Zauber bewahren, den der Leser durch den Hollywood-Mainstream vom Wilden Westen gewonnen hat.
Es ist beileibe kein kurzweiliges Vergnügen, dem sinnlosen Abschlachten durch das Buch zu folgen, aber in Sachen sprachlicher Eleganz und bildreicher Fabulierkunst gehört „Die Abendröte im Westen“ fraglos zu den ganz großen Werken der amerikanischen Literatur. 
Leseprobe CormacMcCarthy - "Die Abendröte im Westen"

Cormac McCarthy – „Verlorene“

Samstag, 30. Dezember 2017

(Rowohlt, 734 S., Tb.)
Obwohl er das College besucht hat, ist Cornelius Suttree Anfang der 1950er Jahre in einem Slum am Tennessee River in Knoxville gestrandet, wo er allein auf einem Hausboot lebt und sich durch die Fischerei über Wasser hält. Zu seinen wenigen Weggefährten zählt der junge Gene Harrogate, den Suttree im Arbeitshaus kennengelernt hatte und der nun seine Bleibe am nahegelegenen Viadukt findet. Beide lassen sich nicht nur auf dem Fluss durch das Leben treiben, immer am Rande der Gesellschaft, immer wieder im Konflikt mit dem Gesetz oder den Frauen in ihrem Leben.
Suttree schließt sich einer Familie von Muschelfängern an und tut sich mit einer Prostituierten zusammen, durch die er für eine kurze Zeit Wohlstand kennenlernt.
Als er vom Tod seines Sohnes erfährt, den er kaum gesehen hat, und zu dessen Beerdigung fährt, erlebt Suttree eine weitere Enttäuschung in seinem von Not, Unglück, Gewalt und Unrat geprägten Leben. Gelegentlich riskiert er einen Blick zum anderen Ufer, zu den Versprechen der wohlhabenden Stadt.
„Suttree ging vorbei, damals lief er durch die Straßen wie ein streunender Hund. Das Alte sonderbar neu, ein Blick auf die Stadt, als sei es ihm wie Schuppen von den Augen gefallen. Die stete Wiederkehr der Bilder hatte alles verwischt und nivelliert, dräuende Gebilde schienen auf einmal steil aus dem toten Schwemmland zu ragen, die Stadt seiner Erinnerungen ein Geist gleich ihm, er selbst ein Schemen zwischen Ruinen, der die dorren Artefakte durchstöberte wie ein bleicher Paläoanthrop die Gebeine versunkener Siedlungen, wo keine Seele mehr Zeugnis gibt vom Vergangenen.“ (S. 386) 
In seinem bereits 1979 veröffentlichten Underdog-Epos „Suttree“, den der Rowohlt Verlag 1992 auch in deutscher Übersetzung präsentierte, erweist sich der amerikanische Pulitzer-Preisträger Cormac McCarthy („Kein Land für alte Männer“, „Die Straße“) einmal mehr als akribischer Chronist des Lebens am Abgrund. Kaum ein anderer Schriftsteller beschreibt die Trostlosigkeit und Erschöpfung des alltäglichen Überlebenskampfes so akribisch und wortgewaltig wie die „legitime Nachfolge Faulkners“ (Washington Post).
Es kostet den Leser allerdings einiges an Mühe und Durchhaltevermögen, sich durch dieses in jeder Hinsicht monströs-epochale Werk zu wühlen, durch all den Schmutz und Unrat, durch die Gossensprache und ganze Buchstabenreihen verschluckende, Worte verschmelzende Alltagssprache, durch die von brutaler Gewalt, stinkendem Tod und verzehrender Krankheit geborenen Delirien. Es ist eine mythische Welt, die McCarthy ebenso schonungslos wie poetisch beschreibt; eine Welt, in der der Fluss Leben schenkt und nimmt. Eben noch verkauft Suttree die Fische, die er gefangen hat, dann sieht er, wie Leichen aus dem Strom geborgen werden, aufgedunsene Schweine- und zersetze Kinderkörper vorübergeschwemmt werden.
Detailliert beschreibt McCarthy die widrigen Lebensumstände am Rande der südstaatlichen, rassistischen Gesellschaft, die rohe Gewalt, die verdreckten Zimmer, in denen Suttree zwischenzeitlich sein Leben fristet, Krankheiten ausschwitzt und ausscheißt, fieberhafte Sexträume träumt und auf Geld seiner auswärts arbeitenden Lebensabschnittspartnerin wartet.
Bei aller Düsternis und Trostlosigkeit schleicht sich aber immer wieder McCarthys trockener Humor ein. Wenn er beschreibt, wie Harrogate ins Arbeitshaus muss, weil er ein Melonenfeld durchgepimpert hat, oder er bei der mutmaßlichen Bergung eines unterirdischen Schatzes vom stinkenden Inhalt des gesprengten Kanalrohrs überflutet wird, regt der schwergewichtige Roman auch zum Schmunzeln ein. Am nachhaltigsten allerdings wirkt McCarthys geschliffene Sprache, die selbst das Unaussprechliche zu großer Literatur zu formen versteht.

Cormac McCarthy – „Die Straße“

Dienstag, 20. Juni 2017

(Rowohlt, 253 S., Tb.)
Seit Monaten, vielleicht Jahren schon bewegen sich Vater und Sohn durch eine völlig zerstörte Welt. Die Ursache der Apokalypse ist unbekannt, wird zumindest nicht thematisiert. Gewiss ist nur das allgegenwärtige Zelt aus Asche, das selbst den Schnee schwarz färbt. Vater und Sohn sind auf dem Weg nach Süden, zur Küste, wo es nur besser sein kann als in der kalten Gegend, durch die sie so lange Zeit schon wandern, einen Einkaufswagen mit ihren immer spärlicher werdenden Vorräten vor sich herschiebend. Unterwegs begegnen sie nur sporadisch Menschen, die der Mann in die „Guten“ – wie sie selbst – und die „Bösen“ einteilt, die anderen Menschen ihre Vorräte stehlen und sogar vor Kannibalismus nicht zurückschrecken.
Als der Sohn einmal in die Hände einer Kannibalenhorde gelangt, kann sein Vater ihn mit einem Kopfschuss aus der Waffe des Kannibalen befreien, und so lässt sie die Angst vor weiteren unliebsamen Begegnungen mit den „Bösen“ sehr vorsichtig vorangehen, doch einzelnen Wanderern, denen es offenbar schlechter als ihnen geht, wird auch – zumindest vorübergehend - geholfen. Schließlich muss das „Feuer bewahrt“ werden, der moralische Kompass im Inneren. Doch der Weg in den Süden gestaltet sich bei der Kälte und Nässe schwierig und ermüdend, die ersehnte Küste dann doch nicht als das heilsbringende Paradies.
„Im grauen Licht ging er hinaus, blieb stehen und erkannte einen Moment lang die absolute Wahrheit der Welt. Das kalte, unerbittliche Kreisen der hinterlassenschaftslosen Erde. Erbarmungslose Dunkelheit. Die blinden Hunde der Sonne in ihrem Lauf. Das alles vernichtende Vakuum des Universums. Und irgendwo zwei gehetzte Tiere, die zitterten wie Füchse in ihrem Bau. Geliehene Zeit, geliehene Welt und geliehene Augen, um sie zu betrauern.“ (S. 118) 
Als der Mann mit einem Pfeil angeschossen wird, entzündet sich das Bein. Der Tod ist nur noch eine Frage der Zeit, das Schicksal des Jungen ungewiss …
„Die Straße“ ist der bislang letzte Roman des amerikanischen Autors Cormac McCarthy („Kein Land für alte Männer“, „All die schönen Pferde“) und wurde 2007 u.a. mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet. Einmal mehr erweist sich der großartige Stilist und Chronist der menschlichen Abgründe als brillanter Erzähler, dessen Geschichte vom Überlebenskampf eines Mannes mit seinem Sohn wirklich zu Herzen geht. Die spärlich eingestreuten Dialoge zeugen von dem Grundvertrauen, das der gutmütige Sohn in seinen aufrichtigen Vater setzt, immer wieder müssen jedoch beide einander vergewissern, ob ihre Gedanken, Träume und Geschichten okay sind.
Nur schwach erinnert sich der Mann an seine Frau, die sich zu Beginn der Katastrophe das Leben genommen und die Verantwortung für die Rettung ihres Sohnes in die Hände des Vaters abgegeben hat. Wie die beiden monatelang durch die Schlangen von rostigen und verkohlten Autos und aschebedeckte, vereinsamte Landstriche wandern, zeugt von einem starken Überlebenswillen und ist rührend inszeniert, aber auch von alttestamentarischer Wucht.
McCarthy beschränkt sich bei seinem eindringlichen Werk auf die Beschreibung der dystopischen Welt, durch die seine beiden Protagonisten streifen und verliert kein Wert über die Ursache für die Katastrophe. Der Leser kann sich denken, dass der Mensch dafür verantwortlich ist, ob durch einen Atomkrieg oder die Umweltzerstörung oder einen terroristischen Anschlag, ist schließlich nebensächlich und ändert nichts am Ergebnis.
So wie McCarthy die Apokalypse beschreibt, kann dem Leser nur angst und bange werden, denn die Reduzierung des Figuren-Ensembles auf nahezu ein Vater-Sohn-Gespann macht die Geschichte sehr persönlich und emotional, dass jeder für sich angeregt sein sollte, sein Bestes zu tun, um die Menschheit nicht vor die Hunde gehen zu lassen.

Cormac McCarthy – „Ein Kind Gottes“

Montag, 19. Juni 2017

(Rowohlt, 192 S., Pb.)
Sevier County, Tennessee, in den 1960er Jahren. Der 27-jährige Lester Ballard, ein kleiner, unsauberer, unrasierter und verbissen wirkender Mann mit sächsischem und keltischem Blut, sieht vom Scheunentor aus zu, wie die Farm, auf der er aufgewachsen ist und immer noch lebt, versteigert wird. Als er den Auktionator beschimpft, wird Lester niedergeschlagen. Er kommt in einem verwahrlosten Zwei-Zimmer-Häuschen unter, doch als er dieses versehentlich niederbrennt, ist Lester obdachlos und wandert ziellos durch die Wälder.
Einzig zum Whiskeybrenner Fred Kirby und dem Müllhaldenbesitzer Reubel pflegt er gelegentlich Kontakt. Sobald er jedoch junge Frauen – in Begleitung oder ohne – in abgeschiedener Umgebung entdeckt, wird Lester zum Tier. Erregt vom Sex, dessen Zeuge er ist, ejakuliert er und bringt dann die ahnungslosen Opfer um, wobei er zu den toten Frauen eine besondere Beziehung pflegt. Doch sein Tun bleibt nicht unentdeckt, und Lester ist gezwungen, sich noch tiefer in den Wäldern und Höhlen zu verstecken.
„Er beobachtete die ins Winzige verkleinerten Vorgänge im Tal, die grauen, sich unterm Pflug mit schwarzen Rippenmustern überziehenden Felder, die grüne Decke, die die Bäume langsam über alles breiteten. Während er da hockte, ließ er den Kopf zwischen die Knie sinken und begann zu weinen.“ (S. 165) 
Nach „Der Feldhüter“ (1965) und „Draußen im Dunkel“ (1968) ist „Ein Kind Gottes“ (1974) der erst dritte Roman des mittlerweile mit dem Faulkner Award, dem American Academy Award, dem National Book Award, dem National Book Critics Circle Award und schließlich für „Die Straße“ auch mit dem Pulitzer Preis ausgezeichneten amerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy, und doch sind in diesem Werk schon die sprachliche Brillanz und das finstere Menschenbild angelegt, das sich vor allem in „Kein Land für alte Männer“ wiederfindet, das durch die Oscar-prämierte Verfilmung der Coen-Brüder berühmt geworden ist.
„Ein Kind Gottes“ wirkt wie ein düsteres Vorspielt zu dem späteren Meisterwerk, denn auch hier scheint das Wesen eines Mannes ganz darauf ausgerichtet zu sein, abscheuliche Taten zu vollbringen. McCarthy verurteilt aber weder dieses abseitige Verhalten, noch psychologisiert er es. Als einzige Hintergrundinfo zur Lebensgeschichte von Lester Ballard bekommt der Leser die Tatsache präsentiert, dass Lester seinen Vater vom Strick schneiden musste, nachdem sich dieser erhängt und somit den Verkauf der Farm initiiert hatte. Ansonsten weist nichts darauf hin, warum Lester die Neigungen verspürt, die er so ungehemmt auslebt und die McCarthy mit gnadenloser Präzision beschreibt.
Kein Wunder also, dass die Verfilmung von und mit James Franco eine FSK-18-Einstufung erhielt. Von einem „Kind Gottes“, wie der Titel suggeriert, kann bei Lester Ballard also kaum die Rede sein, hier kommt dem Leser eher der Teufel in den Sinn. Wie McCarthy auf der einen Seite die prachtvolle Natur beschreibt und im Gegensatz dazu das schändliche Treiben seines Antihelden inszeniert, fesselt ungemein. Die Geschichte fasziniert ebenso wie sie abstößt – das ist einfach große Literatur.
Leseprobe Cormac McCarthy - "Ein Kind Gottes"

Cormac McCarthy – „Draußen im Dunkel“

Samstag, 18. März 2017

(Rowohlt, 220 S., HC)
Irgendwo im Süden der Vereinigten Staaten bringt die 19-jährige Rynthie Holme in einer heruntergekommenen Hütte einen Jungen zur Welt. Der Vater des Kindes, Ryhnthies Bruder Culla, bringt das Neugeborene in den Wald und erzählt der jungen Mutter, dass das Kind verstorben sei. Tatsächlich wird es von einem umherfahrenden Kesselflicker aufgelesen. Rynthies entlarvt die Lüge ihres Bruders und macht sich auf die Suche nach ihrem Kind. Culla wiederum sucht nach seiner Schwester und nimmt unterwegs immer wieder einfache Jobs für Unterkunft und Essen an. Bei einem Friedensrichter zerlegt er einen Baum, an anderer Stelle soll er ein Grab ausheben.
Ihre ganze Suche nach dem Baby/der Schwester sind die Holmes auf die Gnade und Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen, auf einen kühlen Schluck Wasser hier, einen Teller voll Bohnen mit knochentrockenem Brot dort. Doch immer wieder begegnen sie auch Menschen, die es nicht so gut mit ihnen und ihren Mitmenschen meinen, Tod, Gewalt und Blut begleiten ihre Wege durch die kärgliche Landschaft ebenso wie Hunger und Durst und der Wunsch nach einem Dach über dem Kopf.
„Er marschierte hangab aus bebautem Land in sonnenloses Gehölz; die kühle Landschaft beschrieb eine dunkle, von riesigen Farnen überhangene Kurve, das graue Moos an den Bäumen wie Hexenhaar, ein grüner triefender Hag voller Vogellaute, wie er sie nie gehört hatte. Keine Spuren im festgetretenen Sand, auch er hinterließ keine.“ (S. 109) 
„Outer Dark“ ist der zweite, im Original 1968 veröffentlichte Roman des 1933 geborenen Schriftstellers Cormac McCarthy, der später durch seine erfolgreich verfilmten Romane „All die schönen Pferde“, „Kein Land für alte Männer“ und „Die Straße“ weltberühmt wurde. In „Draußen im Dunkel“, 1994 endlich durch den Rowohlt Verlag auch der deutschen Leserschaft zugänglich gemacht, beschreibt McCarthy von Beginn an eine düstere, schreckliche Welt, in der ein Geschwisterpaar in ärmlichen Verhältnisse durch die Folgen ihres Inzest auseinandergetrieben wird und sich in den staubigen, unwirtlichen Landstrichen einfach nicht wiederfinden, dafür immer wieder in Situationen geraten, in der sie um Wasser betteln, nach Mitfahrgelegenheiten oder Arbeit suchen, aber auch um ihr Leben kämpfen müssen.
Für ihre Sünde bezahlen Culla und Rynthie einen hohen Preis, ungeschützt irren sie durch von finsteren Gestalten bevölkerte Landschaften, atmen den Geruch von Blut und Tod und verzweifeln selbst an den erbärmlichen Verhältnissen, in die sie hineingezwungen wurden.
„Draußen im Dunkel“ ist ein zutiefst pessimistischer, deprimierender Roman, der keine Hoffnung bereithält, weder für die bemitleidenswerten Figuren noch für die Leser. Faszinierend ist vor allem, mit welch starken Bildern McCarthy die Landschaft und das schreckliche Schicksal seiner Protagonisten beschreibt, für die das Leben nur eine zermürbende Aneinanderreihung von Ärgernissen bereithält. Diese apokalyptische Wucht muss man auch als Leser erst einmal ertragen können.

Cormac McCarthy – „Kein Land für alte Männer“

Freitag, 20. Mai 2011

(Rowohlt, 284 S., HC)
Als sich Hobbyjäger Llewelyn Moss im vulkanischen Geröll der texanischen Wüste nach Antilopen Ausschau hält, entdeckt er durch sein Fernglas drei Pick-ups und Broncos auf dem Schwemmland, die darum verstreuten Männer schienen tot zu sein. Moss untersucht die Fahrzeuge, findet zunächst eine Wagenladung mit Drogen, dann neben all den Toten auch einen schwerverletzten Mann, der um Wasser bittet. Doch Moss geht der blutigen Spur eines weiteren Mannes nach, der es allerdings nicht weit geschafft hat. Moss nimmt aber den Koffer mit über zwei Millionen Dollar an sich und macht sich auf den Weg nach Hause, wo seine 19-jährige Frau Carla Jean auf sich wartet und er den Koffer versteckt.
Nachts kommt Moss auf die nicht so clevere Idee, dem Mann doch noch Wasser zu bringen, denn auf nun nehmen die schwer bewaffneten Männer, die um ihr Geld betrogen worden sind, Moss mit einem Kugelhagel in Empfang. Lew kann zwar entkommen, weiß aber, dass er sich von nun sein Leben lang auf der Flucht befinden wird, denn eins ist sicher: Die Gangster werden nicht eher Ruhe geben, bis sie ihr Geld zurück haben. Dabei ahnt Moss nicht einmal, dass ihm mit Chigurh ein stoischer Killer auf der Spur ist, der wahlweise mit seinem Bolzenschussgerät oder anderen schweren Waffen, die er seinen Gegnern abnimmt, alles ausmerzt, was seiner Mission im Wege stehen könnte. Allein der zuständige County-Sheriff Bell weiß, in welcher Gefahr sich Moss befindet, und will ihn finden, bevor Chigurh oder die Behörden Moss in die Zange nehmen.
Als Moss im Krankenhaus seine Wunden nach seiner ersten Begegnung mit Chigurh behandeln lässt, bekommt er Besuch von Wells, einem weiteren Killer, der Chigurh außer Gefecht setzen und das Geld wieder zurückbringen soll. Vergeblich versucht er Moss vor Augen zu führen, was Chigurh für ein Typ ist.
„Sie können keinen Deal mit ihm machen. Ich sage es Ihnen nochmal. Selbst wenn Sie ihm das Geld gäben, er würde sie trotzdem umbringen. Auf diesem Planeten lebt kein Mensch, der jemals auch nur ein unfreundliches Wort zu ihm gesagt hat. Sie sind alle tot. Das sind keine sehr sonnigen Aussichten. Er ist ein eigenartiger Mann. Man könnte sogar sagen, er hat Prinzipien. Prinzipien, die über Geld oder Drogen oder dergleichen hinausgehen.
Warum erzählen Sie mir überhaupt von ihm?
Sie haben nach ihm gefragt.
Und warum geben Sie mir Antwort?
Wahrscheinlich, weil ich glaube, dass es mir meinen Job erleichtern würde, wenn ich Sie dazu bringen könnte zu begreifen, in welcher Lage Sie sind. Ich weiß nichts über Sie. Aber ich weiß, dass Sie ihm nicht gewachsen sind. Sie glauben, Sie sind es. Aber Sie sind es nicht.“ (S. 141)
Tatsächlich sind weder Wells noch Lew dem gnadenlosen Killer gewachsen, der mit stoischer Beharrlichkeit seine Mission zu erfüllen gedenkt. Tatenlos muss der von seinen Vietnam-Erinnerungen noch immer mit schlechtem Gewissen geplagte Sheriff Bell verfolgen, wie Chigurgh seine Blutspur durch Texas zieht. Ihm ist ebenso klar wie jedem anderen Beteiligten, dass es für niemanden Erlösung gibt.
Der für sein apokalyptisches Road Movie in Romanform „Die Straße“ mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnete Autor Cormac McCarthy („All die schönen Pferde“) beschreibt in den von den Coen-Brüdern meisterhaft verfilmten Werk „Kein Land für alte Männer“, wie selbst die abgeschiedensten Wüstenregionen in Amerikas Süden von hässlicher Gewalt, Geldgier und Mordlust verdorben wird. Vor allem in den immer wieder eingeschobenen, von Selbstvorwürfen und Ratlosigkeit triefenden Gedanken-Monologen des Sheriffs wird deutlich, dass es kein Heilmittel gegen die durch den Menschen vorangetriebene Zerstörung gibt. So muss er als fassungsloser Beobachter hinnehmen, wie Unschuldige entweder per Gerichtsbeschluss oder durch die willkürliche Lust eines Killers dem Tode geweiht sind.
Cormac McCarthy kennt nur Punkt und Komma als Satzzeichen, Gänsefüßchen für wörtliche Rede sind ihm fremd. Insofern bedarf es einer gewissen Gewöhnung, sich mit seiner Sprache anzufreunden, aber die schnörkellosen, doch poetischen Beschreibungen dieser ans Groteske grenzenden Katz-und-Maus-Jagd, bei der es keine Gewinner gibt, fasziniert mit magischer Sogkraft.
Lesen Sie im Buch "Kein Land für alte Männer"