(Diogenes, 560 S., Pb.)
Mit seinen mittlerweile acht Bänden der „Slough House“-Reihe,
die unter dem Titel „Slow Horses“ erfolgreich mit Gary Oldman in
der Hauptrolle als Apple+-Serie verfilmt worden ist, ist der Brite Mick Herron
längst aus dem Schatten von Genre-Größen wie Ian Fleming, John le
Carré oder Robert Ludlum herausgetreten. Doch bevor er im Jahr 2010
mit dieser ebenso spannenden wie humorvollen Thriller-Reihe um in Ungnade
gefallene Agenten des britischen Geheimdienstes für Furore sorgte, sind vier
Romane um die Ermittlerin Zoë Boehm erschienen, die nun ebenfalls von Apple+ als
Serie adaptiert worden ist. Diogenes präsentiert nun den ersten, 2003
veröffentlichten Band „Down Cemetery Road“ als deutsche Erstausgabe.
Die arbeitslose und völlig mit ihrem Leben in Oxford unzufriedene
Sarah Trafford ist alles andere als begeistert, als ihr in Finanzgeschäften
tätige Mann Mark den ebenso finanzkräftigen wie unsympathischen Unternehmer
Gerard Inchon mit seiner Vorzeigefrau zum Essen einlädt, damit dieser mit ihm
ins Geschäft kommt. Um das Ganze etwas bekömmlicher zu gestalten, bittet Sarah
ihre Freundin Wigwam und ihren Mann Rufus dazu. Gerard reizt Sarah gerade mit
dem Begriff „BHS“ (Bored Housewife Syndrome), als das Nachbarhaus in die Luft
fliegt. Wie sich herausstellt, ist bei dem Unglück nicht nur die Frau, sondern
auch ihr zuvor vom Militär bereits als verstorben gemeldeter Mann Tom Singleton
ums Leben gekommen. Nur ihre Tochter Dinah, die Sarah einmal auf dem Spielplatz
gesehen hat, scheint mit dem Leben davongekommen zu sein, wird aber nach einem
Krankenhausaufenthalt vermisst. Sarah fühlt sich auf unerklärliche Weise für
das Schicksal des Mädchens verantwortlich und engagiert den Privatdetektiv Joe
Silverman. Als Sarah ihn eines Tages mit durchgeschnittener Kehle in seinem
Büro auffindet, ist sie sich sicher, dass hinter Dinahs Verschwinden und dem
erneuten Tod ihres Vaters mehr steckt als zunächst angenommen. Sie ahnt nicht,
dass sich längst eine Geheimorganisation mit zwei außer Rand und Band geratenen
Killern alle aus dem Weg räumt, die ihre Mission gefährden, sie weiß aber, dass
Gerard mit diesem Schlamassel zu tun hat.
„In allen Filmen, allen Büchern waren es die Kleinigkeiten, die einen verrieten – die Schreibmaschine mit dem erhöhten T, der Ersatzschlüssel, der immer noch auf der Leiste über der Tür lag. Bei ihr war es dieser verdammte kleine Computer. Sinnlos einen Knopf gedrückt, und Gerard wusste, dass sie herumschnüffelte, dass sie wusste, was er getan hatte. Und jetzt saß sie an einer belebten Straße, auf der die Leute in alle Richtungen drängten, und war allein und verängstigt, weil Gerard Bescheid wusste und bereits zwei Menschen getötet und einen dritten hatte verschwinden lassen. Vielleicht auch mehr, denn wer eine Bombe legt, ist kein Amateur: Amateure benutzen Küchenmesser.“ (S. 166)
Zunächst einmal: Zoë
Boehm, die im Untertitel der deutschsprachigen Ausgabe erwähnte Ermittlerin,
nimmt als Ehefrau und Partnerin des ermordeten Privatdetektivs Joe Silverman nur
eine Nebenrolle ein, die erst im letzten Drittel etwas mehr Präsenz zeigt. Bis
dahin besticht Mick Herron in seinem Debütroman mit seiner schwungvollen,
literarischen und pointierten Sprache, die später auch die berühmte „Slough
House“-Reihe prägen werden. Davon abgesehen versteht es der Autor, einen
faszinierenden Plot zu inszenieren, bei dem Samariter auf eigentlich tote Soldaten
und psychopathische Killer treffen. Dabei wird die Leserschaft immer wieder von
neuen Wendungen überrascht, wenn die Figuren in diesem perfiden Spiel um
Menschenleben nicht das sind, was sie zuvor zu sein schienen. Das sorgt bis zum
packenden Finale für anhaltende Spannung. Man kann gut verstehen, warum die
prominente Schauspielerin Emma Thompson („Was vom Tage übrig blieb“, „Saving
Mr. Banks“) so begeistert davon war, die Rolle der Zoë Boehm in der Apple+-Verfilmung
zu übernehmen, wie sie in ihrem Vorwort zur deutschen Ausgabe schreibt. 


 
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