Richard Laymon – „Die Klinge“

Sonntag, 30. März 2014

(Heyne, 411 S., Tb.)
Sein Date mit Betty hat sich Albert etwas anders vorgestellt. Nachdem er sie zum Kino eingeladen hatte, war er natürlich davon ausgegangen, dass sie ihm auch anderweitig zur Verfügung stehen würde, doch als es zur Sache geht, verlangt das Mädchen zwanzig Dollar, die Albert nach dem Kino nicht mehr hat. Seinen Frust lässt der junge Mann an einem vorüberlaufenden Hund aus, den er brutal ersticht.
Um die zwanzig Dollar für Betty aufzubringen, bricht er bei den Braxtons ein und vergeht sich an der Frau, wobei einmal mehr sein Messer zum Einsatz kommt. So zieht Albert durch die Staaten, nistet sich in verschiedenen Häusern ein, tötet deren Bewohner und verlustiert sich mit den attraktiveren Frauen.
„Sie humpelte langsam durch den Flur, die Treppe hinab und durch den anderen Flur zur Küche. Albert genoss es, ihr beim Laufen zuzusehen. Er hatte schon viele Frauen von hinten beobachtet. Frauen in Röcken, unter denen man die Beine fast bis zum Schritt sehen konnte; Frauen in Hosen, die wie Röcke aussahen, jedoch zwischen den Schenkeln verbunden waren; Frauen in so weiten Shorts, dass man wahrscheinlich alles sehen konnte, wenn man durch die Hosenbeine blickte; Frauen in winzigen Shorts, die sich eng an die Hinterbacken schmiegten und blasse Halbmonde freiließen; Frauen in weiten Cordhosen oder Jeans; andere in Hosen, die so eng waren, dass sich die Unterwäsche darunter abzeichnete – oder eben nicht, was noch besser war. Immer mit offensichtlicher Nacktheit darunter. Immer der Drang, eine Hand unter den Rock oder in den Bund der Hose zu schieben. Immer der Drang, aber nie die Möglichkeit. Bis jetzt.“ (S. 142f.) 
In Kalifornien kommt es bei einer Halloween-Party zum großen Showdown. Hier versammeln sich vor allem Lehrkräfte, die alle ihre eigenen Probleme haben. Während eine Lehrerin eine Affäre mit einem ihrer Schüler unterhält, will die Aushilfskraft Janet einen guten Eindruck hinterlassen, um eine Festanstellung zu bekommen, andere sind miteinander verbandelt und verkracht, so dass hinter all den Masken und Kostümen auch ein gehöriges Maß an Wut, Enttäuschung, Angst, Hoffnung und Begierde schlummert – ideale Voraussetzungen für Albert, um seinen Blutrausch auszuleben …
Der 1999 in den USA veröffentlichte Horror-Thriller „Die Klinge“ zählt zu den letzten Werken des 2001 an einem Herzinfarkt verstorbenen Schriftstellers Richard Laymon, der mit Romanen wie „Rache“, „Die Insel“ und „Die Jagd“ bemerkenswerte Beiträge zum Horror-Genre geleistet hat. In „Die Klinge“ bleibt er seinem charakteristischen Stil treu und lässt einen psychopathischen Mörder in seiner Wut auf das weibliche Geschlecht wild durch das Land metzeln. Dass dabei natürlich nicht nur viel Blut fließt, sondern auch brutale Sexphantasien beflügelt werden, gehört bei Laymon natürlich dazu. Allerdings bleibt dabei die Qualität der Story auf der Strecke. Im Gegensatz zu früheren Werken, in denen von Beginn an ein starker Spannungsbogen aufgebaut wurde, kommt bei „Die Klinge“ durch die vielen Erzählstränge nicht die übliche Nähe zu den Figuren auf.
So bleibt der Roman ein eher durchschnittlicher Gewaltporno, in dem ein einzelnes frustrierendes Sexerlebnis für die psychopathischen Züge der Hauptfigur herhalten muss und sich die vielen Nebenfiguren eher unscheinbar durch die Nöte und Sehnsüchte des Alltags und Liebeslebens quälen.
Leseprobe Richard Laymon - "Die Klinge"

Robin Sloan – „Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra“

Sonntag, 16. März 2014

(Blessing, 351 S., HC)
Auf der Suche nach einem neuen Job hat der Webdesigner Clay Jannon seine Ansprüche mit der Zeit ziemlich heruntergeschraubt und blättert auf seinem Laptop mittlerweile auch die „Aushilfe gesucht“-Anzeigen durch. Dabei stößt er eines Tages auf die etwas kuriose Annonce der durchgehend geöffneten Buchhandlung Penumbra: „Aushilfe gesucht – Spätschicht – Spezielle Anforderungen – Gute Zusatzleistungen“. Als sich Clay in der Buchhandlung vorstellt, wird von ihm vor allem verlangt, sich auf der Leiter geschickt zwischen den ungewöhnlich hohen Regalen bewegen zu können.
In der Nachtschicht von 22 Uhr bis 6 Uhr morgens kommt sich der junge Mann allerdings eher wie ein Nachtwächter vor als wie ein Verkäufer, denn der Kundenandrang hält sich doch arg in Grenzen. Dabei fällt Clay schnell auf, dass neben den gewöhnlichen Buchhandelskunden ein zweiter Kundenstamm Penumbras Buchhandlung frequentiert, ältere Leute, die Bücher nur ausleihen. Clay hat diesen besonderen Mitgliedern die gewünschten Werke auszuhändigen und muss die Transaktionen genauestens protokollieren, ein Durchblättern oder Lesen der Bücher ist ihm nicht gestattet. Als eines Nachts ein Mann namens Corvina in der Buchhandlung auftaucht, ist Penumbra ganz aus dem Häuschen, schließt kurzerhand den Laden und verschwindet spurlos. Zusammen mit seiner bei Google arbeitenden neuen Freundin Kat, seinem alten Unternehmer-Kumpel Neel und Penumbras Vertrauten einer Geheimgesellschaft namens Der Ungebrochene Buchrücken macht sich Clay an die Lösung eines alten Rätsels, dessen Ursprung in den Anfängen des Buchdrucks liegt.
„Der Ungebrochene Buchrücken. Ungebrochen, das klingt nach einer Gruppe von Attentätern, nicht nach ein paar Buchliebhabern. Was spielt sich in dem Gebäude ab? Gibt es sexuelle Fetische, bei denen Bücher eine Rolle spielen? Bestimmt. Ich versuche mir nicht vorzustellen, wie das vonstattenginge. Müssen die Ungebrochenen einen Mitgliedsbeitrag zahlen? Wahrscheinlich sogar einen hohen. Wahrscheinlich machen sie teure Kreuzfahrten. Ich mache mir Sorgen um Penumbra. Er steckt so tief da drin, dass ihm gar nicht klar ist, wie seltsam das Ganze ist.“ (S. 157) 
Mit seinem Debütroman „Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra“ hat der in San Francisco lebende Autor Robin Sloan Umberto Ecos Setting des mittelalterlichen „Der Name der Rose“ auf witzige Weise in die Neuzeit verlegt und die Geheimnisse, die das Verfassen, Übersetzen, Drucken und Beherbergen von Buchschätzen seit Beginn der Buchdruck-Ära immer mit sich gebracht haben, mit den grenzenlosen Möglichkeiten weltumspannenden Internets verknüpft.
Bei Sloan trifft sich das vertraute Flair alteingesessener Buchhandlungen mit dem modernen Schick eines dynamisch wachsenden Google- Campus, der mittelalterliche Foliant mit der neuesten E-Book-Reader-Generation, der Hüter alten Wissens mit dem international agierenden Hacker. Wie Sloan seine sympathischen Protagonisten dabei durch die Geschichte des Buchdrucks und die Errungenschaften des Internets jagen lässt, ist ebenso humorvoll wie kurzweilig geschrieben, wartet mit schönen Wendungen auf und mündet in einem herrlich turbulenten Finale. Liebhaber bibliophiler Rätsel dürften an diesem Roman ebenso viel Freude haben wie die moderne E-Book-Generation.
Leseprobe Robin Sloan- "Die sonderbare Buchhandlung des Mr. Penumbra"

Irvine Welsh – „Skagboys“

Mittwoch, 5. März 2014

(Heyne, 832 S., HC)
Mit seinem erfolgreich von Danny Boyle verfilmten Romandebüt „Trainspotting“ (1993) wurde der schottische Schriftsteller Irvine Welsh weltberühmt, konnte aber mit seinen nachfolgenden Werken nicht mehr an den rauen wie authentischen Ton seines Erstlings anknüpfen. Zwar versuchte sich der mittlerweile in Chicago lebende Autor 2002 mit „Porno“ an einem Sequel, doch erst mit dem jetzt erschienenen Prequel „Skagboys“ kehrt Welsh zu alten Qualitäten zurück, wenn er in epischer Länge rekapituliert, wie die Junkies aus „Trainspotting“ zu dem wurden, was sie sind.
Die alten Bekannten Mark "Rents" Renton, Simon "Sick Boy" Williamson, David "Scruffy" Murphy, Francis "Franco" Begbie und weitere Figuren aus ihrem Umfeld beschreiben im Wechsel als Ich-Erzähler ihre verzweifelten Versuche, im sozialen Brachland des Thatcher-Regimes Anfang der 80er irgendwie klarzukommen. Die besten Chancen auf einen sozialen Aufstieg hat Mark Renton mit guten Aussichten auf einen erfolgreichen Abschluss an der Universität und einer netten Freundin. Doch als sein behinderter kleiner Bruder Davie stirbt, sind die Träume von einer besseren Zukunft nur noch Schall und Rauch. Ebenso wie seine arbeitslosen Kumpels in Leith hangelt sich Rents von einem Trip zum anderen, bis sie durch den Raub einer Spendenbüchse vor die Wahl gestellt werden, in den Knast zu wandern oder an einer Reha-Maßnahme teilzunehmen. „Eigentlich hätte ich jetzt schon einen Uniabschluss und wäre mit einem wunderschönen Mädchen verlobt! Aye, sicher könnte ich die Sucht weiter als Krankheit ansehen und auf der Grundlage des medizinischen Suchtmodells argumentieren, aber nachdem ich die Entgiftung geschafft hab, bin ich nun offiziell nicht mehr physisch abhängig. Das Problem: Im Moment sehne ich mich stärker denn je danach und auch nach der damit einhergehenden sozialen Komponente – der Deal, das Aufkochen, das Spritzen, das Abhängen mit den anderen abgefuckten Gestalten … nachts wie ein untoter Vampir durch die Gegend latschen, hin zu den schmuddligen Wohnungen in den schäbigsten Teilen der Stadt, um dort mit den anderen durchgeknallten Losern, die ihr Leben genauso wenig in den Griff bekommen wie ich, ohne Ende Dünnschiss zu labern“, schreibt Rents in sein Reha-Journal. „Ich weiß, dass das Zeug mein Leben zerstört, aber ich brauche es. Ich bin nicht bereit, aufzuhören.“ (S. 703f.) Irvine Welsh ist ein Meister darin, in der Sprache seiner Skagboys die sozialen Abgründe aufzuzeigen, die der Thatcherismus in den 80ern heraufbeschworen hat, und zeichnet authentisch das Lebensgefühl einer Generation nach, die nie in den Genuss kommen sollten, dass die Versprechen von Arbeit und Wohlstand eingelöst wurden. Dabei nimmt Welsh absolut kein Blatt vor den Mund und entfesselt in unverblümtem Slang kuriose Aktionen wie das Wettkacken am Montag, sexuelle Phantasien und Seitensprünge sowie den Wunsch, all das Elend zu vergessen, das in den Sozialbaugegenden in Edinburgh herrscht. Diese Schilderungen sind manchmal etwas lang geraten, aber voll drastischer Humoreinlagen und tiefer Einsichten in die sozialen Befindlichkeiten der britischen Thatcher-Ära. Lesen Sie im Buch: Welsh, Irvine - Skagboys