(Diogenes, 182 S., HC)
Hal Ashbys Film „Harold und Maude“ (1971) darf
getrost als Klassiker der Filmgeschichte betrachtet werden und ist nicht nur
durch das kongeniale Zusammenspiel von Bud Cort als Harold und Ruth
Gordon in den Titelrollen, sondern auch durch den ikonischen Soundtrack von
Cat Stevens zu internationaler Berühmtheit gelangt. Das Drehbuch stammt
vom Australier Colin Higgins und stellte dessen Abschlussarbeit eines Drehbuchseminars
an der Universität Los Angeles dar. Im selben Jahr brachte Higgins die
Geschichte um Harold und Maude auch als Roman heraus, den der Diogenes Verlag
nun in seiner neuen Reihe „Modern Classics“ wiederveröffentlicht.
Der 19-jährige Harold Chasen hat schnell adaptiert, dass er
die Aufmerksamkeit seiner Mutter vor allem dann auf sich zieht, wenn er seinem
Leben ein Ende zu setzen scheint. Doch als er sich mit einer Schlinge um den
Hals mit Musik von Chopin im Hintergrund vom Stuhl stößt, rügt sie ihn
nur wegen seines unangemessenen Verhaltens, schließlich kämen die Crawfords heute
zum Abendessen. So sehr sich die wohlhabende Mrs. Chasen auch bemüht, ihren wohlerzogenen
Sohn zur Vernunft zu bringen – weder der Psychiater Dr. Harley noch ihr als Brigadegeneral
bei der Armee fungierende Bruder Victor können in dieser Hinsicht Erfolge
verbuchen -, denkt sich Harold immer weitere Arrangements für vorgetäuschte
Selbstmorde aus, die seine Mutter zunehmend verzweifeln lassen. Als letzten
Ausweg sieht sie in einer Partnervermittlung, die Harold mit drei potenziellen
Hochzeitskandidatinnen versorgt, die allerdings weder Harold noch seine wählerische
Mutter zufriedenstellen. Doch dann lernt Harold bei einer Beerdigung die
lebenslustige Maude kennen, die während ihres 79-jährigen Lebens zwar schon schwierige
Zeiten durchmachen musste, aber nie ihre Zuversicht und den Lebensmut verloren
hat. Mit ihr zusammen lernt Harold endlich, worauf es im Leben wirklich ankommt.
„,Ja. Ich weine. Ich weine um dich. Ich weine um das hier. Ich weine angesichts der Schönheit, eines Sonnenuntergangs oder einer Möwe. Ich weine, wenn ein Mann seinen Bruder quält … wenn er Reue zeigt und um Vergebung bittet … wenn Vergebung verweigert wird, ebenso, wie wenn sie gewährt wird. Wir lachen. Wir weinen. Dass sind zwei einzigartige menschliche Eigenschaften. Und das Wichtigste im Leben ist, dass man keine Angst davor hat, ein Mensch zu sein, mein lieber Harold.‘“ (S. 145)
Wer den Film wie ich bereits mehrere Male gesehen hat, wird
beim Lesen des Romans immer wieder die dazu entsprechenden Bilder des Films vor
Augen haben, was vor allem auf den Umstand zurückzuführen sein dürfte, dass der
1988 im Alter von 47 Jahren in Beverly Hills an Aids verstorbene Autor sein
Drehbuch einfach in eine knackige Romanform gegossen hat, die die Filmhandlung
nahezu identisch abbildet und insofern keine Überraschungsmomente bereithält. Es
ist allerdings ebenso wenig verwunderlich, warum „Harold und Maude“ zur
Pflichtlektüre für Englischschüler avanciert ist, denn die kurzweilige Novelle präsentiert
nicht nur eine unorthodoxe Liebesgeschichte, sondern thematisiert auf
humorvolle Art die Konventionen und Erwartungen von Mitglieder der sogenannten
besseren Gesellschaft und die bedingungslose Liebe zum Leben von Menschen, die
zu viel Schlimmes in ihrem Leben erlebt haben, um sich über die Misslichkeiten
des Alltags oder allzu einengende Vorschriften zu beschweren. „Harold und Maude“
ist auch über fünfzig Jahre nach seiner Erstveröffentlichung ein jederzeit
vergnügliches wie kluges Büchlein über die Liebe und den Tod, Freundschaft und
Freiheit, Poesie und Musik, und begeistert durch seine beiden schrulligen
Hauptfiguren.