Kent Haruf – „Unsere Seelen bei Nacht“

Montag, 30. September 2024

(Diogenes, 200 S., HC) 
Gerade mal sechs Romane hat der 2014 verstorbene, aus Colorado stammende Kent Haruf zwischen 1984 und 2015 geschrieben, allesamt in der fiktiven Kleinstadt Holt, Colorado, angesiedelt. Sein posthum veröffentlichter Roman „Unsere Seelen bei Nacht“ ist zugleich sein bekanntester, wurde er doch erfolgreich 2017 mit Jane Fonda und Robert Redford verfilmt. Seither hat Diogenes es sich zur Aufgabe gemacht, das überschaubare Gesamtwerk von Haruf dem deutschen Publikum zugänglich zu machen. Sein letztes und bekanntestes Buch machte dabei den Anfang. 
Die 70-jährige Witwe Addie Moore und ihr Nachbar Louis Waters sind zwar Nachbarn, nur einen Häuserblock voneinander entfernt, nur einen Häuserblock voneinander entfernt, haben bislang aber recht wenig miteinander zu tun gehabt. Bis Addie eines Maiabends bei Louis klingelt und ihn unverblümt fragt, ob er sich vorstellen könne, ab und zu bei ihr vorbeizukommen und bei ihr im Bett zu schlafen. Es gehe nicht um Sex, sondern einfach darum, die Nacht zu überstehen und miteinander zu reden. Louis bittet um etwas Bedenkzeit ob dieses überraschenden Angebots, steht aber schon nächsten Abend bei ihr vor der Tür. Das Arrangement funktioniert wunderbar, vertreibt es den beiden Witwern doch auf vertraute Weise die Einsamkeit. Abend für Abend kommt Louis zu Addie, trinkt mit ihr am Tisch ein Glas Bier, sie ein Glas Wein, dann gehen sie zu Bett und erzählen einander, wie sie ihre Liebsten verloren haben, wie ihre Ehen waren und welche Fehler man gemacht hat. 
Natürlich bleibt die Beziehung zwischen Addie und Louis in einer Kleinstadt wie Holt nicht lange ein Geheimnis, aber das Paar kümmert sich kaum darum. 
„Ich will nur friedlich vor mich hin leben und darauf achten, was Tag für Tag passiert. Und abends herkommen und bei dir schlafen. 
Ja, genau das tun wir. Wer hätte gedacht, dass wir in unserem Alter noch einmal so etwas erleben. Dass noch längst nicht alle Veränderungen und Aufregungen hinter uns liegen, wie sich herausstellt. Dass wir noch nicht körperlich und geistig vertrocknet sind. 
Und dabei tun wir nicht mal das, was die Leute glauben.“ (S. 163) 
Spannend wird es, als sich Addies Sohn Gene von seiner Frau trennt und seinen knapp sechsjährigen Sohn Jamie zu Addie bringt… 
In dem nicht mal 200 Seiten umfassenden Kurzroman hält sich Kent Haruf nicht lange mit Nebensächlichkeiten bzw. einer Einführung seiner Hauptfiguren auf und fällt gleich mit der Tür ins Haus, so wie auch Louis mit Addies unorthodoxen Antrag überrascht wird. Dabei dreht sich „Unsere Seelen bei Nacht“ letztlich um die wesentliche Frage, ob man sich im hohen Alter damit abfinden muss, allein zu bleiben, wenn der Partner gestorben ist. So offen, wie Addie die Lösung dieses Problems angeht, dürften die wenigsten das Thema umsetzen. Sowohl Addie als auch Louis finden schnell heraus, wie sehr es sich lohnt, sich auch im gesetzten Alter noch auf einen anderen Menschen einzulassen, sich mit ihm über alles zu unterhalten, was einem wichtig ist, einander nah zu sein, ob mit oder ohne Sex. Gemeinsam gehen Addie und Louis schließlich auch die Herausforderung an, dass mit Addies Enkel neuer – vorübergehender – Zugang ins Haus schneit und dass nicht jeder damit klarkommt, was Addie und Louis miteinander angefangen haben. 
Kent Haruf bleibt in „Unsere Seelen bei Nacht“ immer dicht bei seinen Figuren, verzichtet weitgehend auf Beschreibungen und lässt seine Figuren durch pointierte Dialoge Form annehmen. Da Addie und Louis so sympathisch und bodenständig sind, fällt die Identifikation mit ihnen leicht. Und Kent Haruf ist ein Meister darin gewesen, mit einfachen Mitteln tiefgründige Weisheiten über das Zusammenleben, das Vertrauen und die Liebe zu vermitteln.


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