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William Boyd – „Trio“

Sonntag, 28. März 2021

(Kampa, 432 S., HC) 
Während ihr Mann Reggie im Sommer 1968 im britischen Brighton den Film mit dem schwülstigen Titel „Emily Bracegirdles außerordentlich hilfreiche Leiter zum Mond“ abgedreht, lässt sich seine Frau Elfrida Wing mal wieder einen neuen Romantitel einfallen. Seit sie vor zehn Jahren mit „Das große Spektakel“ ihren letzten Roman veröffentlichte, ist sie zu nichts anderem mehr fähig gewesen, als ihr Notizbuch mit möglichen Titeln für einen neuen Roman zu füllen, doch der einmal thematisierte und dann stets wiederholte Vergleich ihrer Werke mit denen von Virginia Woolf hat ihre eigene Produktivität letztlich zum Erliegen gebracht und sie in den Alkohol getrieben. Talbot Kydd produziert den Film, frönt dabei seinem Hobby der Fotografie, mit der er seine geheimen homosexuellen Neigungen ausleben kann. Die Dreharbeiten verlaufen allerdings nicht reibungslos. 
Die 28-jährige Hauptdarstellerin Anny Viklund beginnt eine Affäre mit ihrem Filmpartner Troy, einem Pop-Sänger, dessen abknickende Karriere durch den Film wieder in Schwung kommen soll. Als Annys Liebhaber, der französische Philosoph Jacques Soldat, überraschend am Set auftaucht, braucht er nur die beiden bei ihrem Filmkuss zu beobachten, um zu begreifen, dass die beiden etwas miteinander haben. Doch richtig kompliziert wird es für Anny, als ihr Ex-Mann Cornell Weekes nach seiner Flucht aus dem Gefängnis ebenfalls bei ihr auftaucht und sie um Geld bittet, damit er für immer untertauchen und aus ihrem Leben verschwinden kann. 
Als das FBI den flüchtigen Terroristen jedoch festnehmen kann und das Bargeld bei ihm entdeckt, droht die ganze Filmproduktion zu kippen. Elfrida, die zunächst noch mit großem Elan für ihren Roman über Virginia Woolfs letzten Tag ihres Lebens recherchiert, entdeckt, dass ihr ohnehin treuloser Mann eine Affäre ausgerechnet mit der zusätzlich an Bord geholten Drehbuchautorin Janet unterhält, was sie mehr als sonst erschüttert und zu alkoholinduzierten Halluzinationen führt … 
„Ich bin am Ende meiner Kräfte, gestand Elfrida sich ein, völlig am Ende. Ihre Ehe war eine schmähliche Farce, und sie war offenkundig nicht in der Lage, mehr als ein paar Zeilen jenes Romans zu Papier zu bringen, der sie doch retten, die Jahre des Schweigens ungeschehen und ihren Ruhm wiederbeleben sollte. Zu allem Überfluss war ihr Arm von winzigen Parasiten befallen, die sich an ihrer Haut gütlich taten. Das war mehr, als ein Mensch ertragen konnte.“ (S. 350) 
Mit seinem neuen Roman „Trio“ taucht der in Ghana als Sohn schottischer Eltern und dann in Großbritannien aufgewachsene Bestseller-Autor William Boyd in die schillernde Welt einer Filmproduktion ein, zeigt aber von Beginn an auf, mit welch inneren Dämonen seine drei Hauptakteure zu kämpfen haben, auf die sich der Romantitel bezieht. Während die Schriftstellerin Elfrida Wing aber eher ihren eigenen, einsamen, durch freigebigen Wodka-Genuss vermeintlich leichteren Kampf gegen ihre Schreibblockade ausficht und sich durch ihre Recherche zum Selbstmord von Virginia Woolf selbst in eine ähnlich selbstzerstörerische Lage manövriert, sind die Beziehungen der Filmleute untereinander etwas komplizierter gestrickt. Dabei reichen Boyd nur wenige Hinweise auf die Machenschaften hinter den Kulissen, wo sich mit Geld und Erpressung alles regeln lässt, wo Stunt-Doubles für ausgerissene Hauptdarsteller etwas mehr eingesetzt werden als geplant und der ehemalige Pop-Star und Hauptdarsteller im Abspann des Films noch einen Titel singen darf, damit seine Karriere auch wirklich wieder einen Schub nach vorn bekommt. 
Auch wenn der Autor es versäumt, den interessanten Hintergrund der 1968er Bewegung mehr in seinem Plot zu berücksichtigen und auch nicht besonders tiefsinnig bei der Ausgestaltung seiner Figuren vorgegangen ist, ist ihm mit „Trio“ ein durchweg vergnüglicher Roman gelungen, der die moralischen Verfehlungen seiner Anti-Helden ebenso locker abhandelt wie die kurzfristigen Änderungen im Drehbuch und bei der Produktion. 
Am Ende spielen die drei Figuren nicht nur ihre Rollen als Kulturproduzenten, sondern auch in ihrem eigenen Leben. Boyd bringt diese anstrengenden Rollenwechsel ebenso ironisch wie temporeich voran, verändert durch kurze Kapitel stets die Erzählperspektiven und wirbelt so furios durch die teils tragisch verlaufenden Schicksale des Trios. 

William Boyd – „All die Wege, die wir nicht gegangen sind“

Samstag, 29. September 2018

(Kampa: Edition Gatsby, 174 S., HC)
Während ihr derzeitiger Freund Sholto den ganzen Tag lang zwischen irgendwelchen Nachrichtensendungen mit abgeschaltetem Ton hin- und herschaltet und dabei im Hintergrund Bob Dylan laufen lässt (was er für eine neue Kunstform erklärt), geht Bethany Mellmoth wie jeden Tag eines Jahres in ihre Stamm-Sushi-Bar. Ihren Wunsch, Sushi-Köchin zu werden und eine Sushi-Bar in London zu eröffnen, gibt sie jedoch sofort auf, als sie erfährt, dass dazu eine zweijährige Lehrzeit notwendig ist, in der man nichts anderes tut, als dem Sushi-Meister bei der Arbeit zuzusehen, ehe man selbst ein Messer in die Hand nehmen darf.
Mit ihrer beruflichen Karriere verhält es sich bei der 22-Jährigen wie im Liebesleben: Sie hat ihr Literaturstudium abgebrochen, nach sechs erfolglosen Vorsprechterminen ihre Ambitionen, Schauspielerin zu werden, abgeschrieben und will nun Schriftstellerin werden. Bis sie ihren ersten Roman bei einem Verlag untergebracht hat, jobbt sie in einem kleinen Laden, wo es antike Füllfederhalter und erlesene Papiersorten zu kaufen gibt.
Zwar hat sie schon einen Titel, aber mit ihrem Plot kommt sie nicht recht voran – bis sie im Green Park den Schriftsteller Yves Hill kennenlernt, der ihr ein paar gute Tipps gibt – auch dazu, wie sie am besten über die Trennung von Sholto hinwegkommt. Doch in der Folge hat Bethany weder Glück mit ihrer Statistenrolle bei einem Film über John Milton, noch bei den verschiedenen Männerbekanntschaften.
„Warum, fragt sie sich, ist es bloß so schwierig, sein Leben so hinzubekommen, dass alles läuft, wie man es sich wünscht? Immerzu Überraschungen, immerzu Sachen, die einem unerwartet in die Quere kommen. Sie wünscht sich nur eins, ein Leben ohne Überraschungen, zumindest mal einen Monat lang.“ (S. 88) 
In Anlehnung an F. Scott Fitzgeralds Klassiker „Der große Gatsby“ hat der gerade neu gegründete Schweizer Kampa Verlag mit der Edition „Der kleine Gatsby“ eine Reihe für leichtere Erzählungen ins Leben gerufen, für die William Boyds („Ruhelos“, „Die Fotografin“) Geschichte „All die Wege, die wir nicht gegangen sind“ einen wunderbaren Einstieg bildet.
In der humorvollen, mit leichter Hand geschriebenen Story begleitet der Leser die junge Protagonistin Bethany bei ungewöhnlich vielen Stolpersteinen ins Erwachsenendasein. Ohne ihre Rast- und Ziellosigkeit zu kritisieren, schildert der routinierte Autor, wie schnell sich Bethany in neue Beziehungen stürzt (und dabei immer sofort überlegt, wie sich der Nachname des potentiell Auserwählten mit ihrem Vornamen verträgt), ohne dabei auch nur im Ansatz glücklich zu werden. Aber auch in beruflicher Hinsicht schwebt der jungen Frau nichts Konkretes vor, außer etwas irgendwie Künstlerisches wie Malerei, Fotografie oder Schauspielerei, doch sobald die ersten Hürden auftreten, nimmt sie schon wieder Abstand davon.
Das ist einfach flott und mit sarkastischen Untertönen geschrieben und wartet mit humorvollen Wendungen auf, die Bethany nach all den Rückschlägen zum Glück immer wieder aufstehen lassen.