Posts mit dem Label Walter Tevis werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Walter Tevis werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Walter Tevis – „Die Partie seines Lebens“

Mittwoch, 27. Dezember 2023

(Diogenes, 256 S., HC) 
Manchmal braucht es schon eine Netflix-Serie, dass ein hierzulande kaum beachteter Autor endlich die wohlverdiente Anerkennung erfährt. So geschehen bei dem leider schon 1984 verstorbenen US-amerikanischen Schriftsteller Walter Tevis. Der 1928 geborene Zweiter-Weltkriegs-Veteran und ehemaliger Universitätsdozent für Englische Literatur schaffte bereits mit seinem 1959 veröffentlichten Debütroman „The Hustler“ den Durchbruch, wurde das Werk zwei Jahre später von Robert Rossen mit Paul Newman, Jackie Gleason und Piper Laurie erfolgreich verfilmt. Doch erst mit dem Erfolg der preisgekrönten Netflix-Serie „Das Damengambit“ wurde Tevis‘ Schaffen auch im deutschsprachigen Raum entdeckt. Nachdem Diogenes bereits die Romanvorlagen zu der Erfolgsserie und zu Nicolas Roegs „Der Mann, der vom Himmel fiel“ (1976) mit David Bowie veröffentlicht hatte, erscheint nun mit „Die Partie seines Lebens“ eine Neuübersetzung von „The Hustler“. Die Verfilmung ist wie die erste Übersetzung bislang unter dem Titel „Haie der Großstadt“ bekannt geworden. 
Als die Chicagoer Billardlegende Minnesota Fats geflüstert bekommt, dass ein junges Talent namens „Fast Eddie“ Felson unterwegs wäre, um mit ihm zu spielen, nimmt er die Ankündigung mehr als entspannt zur Kenntnis. Schließlich ist er in seiner Heimatstadt seit zwanzig Jahren unangefochtener Meister in dieser Disziplin und unzählige Möchtegern-Emporkömmlinge in die Schranken verwiesen. Auf dem Weg von Hot Springs nach Chicago machen Eddie und sein Manager Charlie Halt in Watkins, Illinois, wo Eddie einen unbekümmerten Spieler und einen Barkeeper um einige Hunderter erleichtert. Es ist nicht mehr als ein leichtes Aufwärmen für Eddies großen Auftritt in Bennington’s Billard Hall am nächsten Morgen in Chicago, wo sich Minnesota Fats nicht lange bitten lässt, mit dem Talent der Stunde zu spielen.
Nachdem der routinierte Platzhirsch erwartungsgemäß die ersten Runden für sich entscheiden konnte, zeigt Eddie endlich, was in ihm steckt, und nimmt Minnesota Fats zunächst einen Tausender nach dem anderen ab, doch dann wendet sich das Blatt und Eddie verlässt das Bennington’s nach vierzig Stunden ebenso enttäuscht wie entkräftet. Er gibt Charlie den Laufpass und lernt in einer Bahnhofskneipe die alleinlebende Sarah kennen, die Eddie zunächst etwas Halt gibt. Doch dann packt Eddie wieder das Spielfieber. In Bert findet er einen neuen Manager, der Eddie vor allem etwas über Charakterbildung beibringt. 
„… nach diesem spannenden, knappen Spiel begann er, die leise Stimme der Vernunft zu hören, die ihm sagte, du kannst dich jetzt zurücklehnen, es ist nicht mehr so wichtig, doch er brachte diese Stimme zum Schweigen. Und indem er seinen Gegner damit immer stärker unter Druck setzte, sich immer mehr konzentrierte, wurde ihm allmählich klar, dass das, was Bert über den Charakter gesagt hatte, nur die halbe Wahrheit war. Es gab noch etwas, das Bert nur teilweise begriffen und ihm vermittelt hatte, und das war das feste, unveränderliche Wissen um den Zweck des Spiels – nämlich zu gewinnen.“ (S. 219) 
Mit der deutschen Übersetzung des Originaltitels („The Hustler“) als „Der Schwindler“ oder „Der Betrüger“ ist der Kern von Walter Tevis‘ Debütroman bereits definiert, denn der Protagonist, das junge Billard-Talent Eddie Felson, verdient seinen Lebensunterhalt damit, seinen Gegnern im Billard-Salon zunächst vorzugaukeln, nur ein mittelmäßiger Spieler zu sein, sie ein paar Partien gewinnen zu lassen, bevor er sie am Ende mit leeren Taschen dastehen lässt und weiterzieht. 
Tevis erweist sich als Meister darin, die Atmosphäre in verrauchten, schweiß- und alkoholgeschwängerten Billard-Hallen so zu beschreiben, als sei man mittendrin im Geschehen und würde die überlegten Stöße mit den Queues, das Klacken und Einlochen der Kugeln beobachten und hören. Aber „Die Partie seines Lebens“ ist weit mehr als nur ein Billard-Roman. Mit Eddie Felson hat der Autor eine Figur geschaffen, die zwar talentiert, aber nicht über alle Maße ehrgeizig zu sein scheint, weil sie im entscheidenden Moment versagt. Er sei der geborene Verlierer, muss sich Fast Eddie in einer langen Ansprache von seinem Manager sagen lassen, und diese Konfrontation mit der eigenen Charakterschwäche hallt lange in Eddie nach. Er lässt sich auf eine Beziehung mit einer Frau ein, die sich für eine Alkoholikerin hält und eine leichte Beute für den charmanten Eddie zu sein scheint. 
Aus dieser Konstellation heraus beginnt Eddie an sich zu arbeiten. Wer den eindrucksvollen Film mit Paul Newman in der Hauptrolle einmal gesehen hat, wird bei einzelnen Szenen im Buch auch immer die entsprechenden Bilder auf der Leinwand im Kopf haben, und wie im Film überwiegt auch im Roman eher die Entwicklung, die Eddie durchmacht, als seine Spiele gerade gegen gute bis sehr gute Spieler, die mit Pool ihren Lebensunterhalt verdienen. Die schlichte, aber bildhafte Sprache macht „Die Partie seines Lebens“ zu einem leicht fließenden Lesevergnügen, und man kann nur hoffen, dass Diogenes auch die kurz vor Tevis‘ Tod erschienene Fortsetzung, „The Colour of Money“ (wiederum erfolgreich verfilmt, diesmal mit Paul Newman und Tom Cruise in den Hauptrollen), ebenfalls in einer Neuübersetzung von Diogenes wiederveröffentlicht wird.