Mick Herron – (Jackson Lamb: 6) „Joe Country“

Dienstag, 5. September 2023

(Diogenes, 480 S., Pb.) 
Zwar hat Mick Herron, der in Oxford englische Literatur studiert hat und dann als Korrektor bei einer juristischen Fachzeitschrift gearbeitet hat, bereits ab 2003 vier Romane um die Oxforder Privatdetektivin Zoë Boehm veröffentlicht, doch erst mit der 2010 begonnenen Reihe um Jackson Lamb und seine beim MI5 in Ungnade gefallenen „Slow Horses“ erreichte der englische Schriftsteller auch ein internationales Publikum. 2018 fing der Diogenes Verlag an, die Reihe auch der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen. Mit „Joe Country“ ist bereits der sechste Roman der Slough-House-Reihe erschienen, die seit 2022 mit Gary Oldman in der Hauptrolle als Fernsehserie bei Apple TV+ ausgestrahlt wird. 
Slough House, die abrissreife, verschimmelte Bruchbude, in der der unter Flatulenz und Abneigung gegen jegliche Höflichkeitsformen leidende Jackson Lamb seine liebevoll und sarkastisch als „Slow Horses“ bezeichnete Agenten führt, bekommt Zuwachs. Lech Wicinski wurde mit Kinderpornographie auf seinem dienstlichen Laptop erwischt und muss bis zur Aufklärung der Sachlage Dienst in Slough House schieben. Dort versucht Louisa Guy noch immer, über den Tod ihres Kollegen und Liebhabers Min Harper hinwegzukommen, als sie einen Anruf von Harpers Frau Clare erhält, die ihren Sohn Lucas vermisst und um Louisas Mithilfe bei der Suche bittet. 
Während River Cartwright seinen Großvater „O.B.“ (Old Bastard) beerdigen muss und dabei mal wieder Kontakt zu seiner egomanischen Mutter bekommt, versammelt sich auf dem Friedhof eine Reihe illustrer Gäste, darunter die neue MI5-Chefin Diana Taverner. Die Zeremonie wird allerdings empfindlich gestört, als unerwartet Rivers Vater, der in Ungnade gefallene Ex-CIA-Agent Frank Harkness, auftaucht und River zu einer ungewohnten Verfolgungsjagd animiert. 
Wie sich herausstellt, ist Harkness mit einem Team von drei Söldnern eingereist Während Louisa mit Hilfe der attraktiven Ex-Polizistin und Ex-Agentin Emma Flyte und ihrem Kollegen Roddy Ho Lucas‘ Handy in Wales ausfindig macht, wo der junge Mann mal als Kellner ausgeholfen hat, erfährt die Alkoholikerin Catherine Standish von ihrem Chef Jackson Lamb, wie und vor allem warum dieser seinen Vorgänger Charles Partner ausgeschaltet hat. 
Im verschneiten Wales spitzen sich die Ereignisse zu, als Louisa und Emma unfreiwillige Bekanntschaft mit Rivers Vater und seiner Crew machen. Die Sache entwickelt sich zu einem brisanten Politikum, bei dem nicht nur der Name eines Royals geschützt werden muss, sondern auch die Beziehung zwischen Lamb und Taverner einmal mehr auf dem Prüfstein steht… 
„Di Taverner hatte der Beerdigung beigewohnt und würde von Lamb genauso wenig vermuten, dass er Harkness‘ Anwesenheit ignorierte, wie sie damit rechnete, dass er sich in die Luft erhob oder die Zähne putzte. Aber das war nicht anders zu erwarten; ein Großteil des Lebens in Slough House wurde durch das ständige Tauziehen zwischen den beiden bestimmt. River hatte mal vorgeschlagen, sie sollten sich ein Zimmer nehmen – am besten schalldicht, abgeriegelt und mit einem Krokodil drin.“ (S. 152) 
Mick Herron hat mit der „Slough House“-Reihe fraglos die amüsanteste Variante des modernen Spionage-Romanes hoffähig gemacht. Während die von Herrons Landsmann Ian Fleming in den 1950er Jahren initiierte Reihe um den MI6-Agenten James Bond immerhin mit einigen pointierten Sprüchen aufwarten konnte, fiel die ebenfalls erfolgreich verfilmten „Jason Bourne“-Romane von Robert Ludlum recht humorlos aus. Da wirken Mick Herrons Plots weitaus erfrischender, die Figuren skurriler, der Humor derber. 
„Joe Country“ wartet nicht nur mit einem spannenden Fall für die lahmen Gäule auf, sondern beleuchtet auch die Beziehungen in Slough House etwas näher. Dabei kommt die Beziehung von River Cartwright zu seiner bislang durch Abwesenheit glänzende Mutter allerdings etwas kurz, wohingegen Jackson Lamb und Catherine Standish ihr Verhältnis ebenso neu definieren wie Di Taverner ihre Stellung beim MI5 durch einen geschickten Schachzug zu zementieren versucht. Die Action spielt sich dagegen in Wales mit allerlei Beteiligten verschiedener Lager ab und sorgt für die spannenden Momente in „Joe Country“. Vergnüglicher lassen sich Spionage-Romane wohl kaum lesen. Mit „Slough House“ und „Bad Actors“ hat Herron bereits zwei weitere Jackson-Lamb-Romane veröffentlicht, so dass wir uns auch hierzulande darauf freuen dürfen, die ungewöhnlichen Abenteuer von Lamb, Cartwright, Taverner & Co. weiter zu verfolgen.


 

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