Jussi Adler-Olsen, Line Holm & Stine Bolther – (Carl Mørck: 11) „Tote Seelen singen nicht“

Dienstag, 21. Oktober 2025

(Penguin, 558 S., HC)
Seit Jussi Adler-Olsen mit seinem vierten Roman „Erbarmen“ (2009) den in Kopenhagen agierenden Ermittler Carl Mørck und das von ihm geleitete Sonderdezernat Q eingeführt hat, ist er zum erfolgreichsten dänischen Krimiautor avanciert und darf sich neben etlichen Literaturpreisen auch über einige Verfilmungen – zuletzt die Netflix-Serie „Dept. Q“ – freuen. Mit den Bänden 10 („Natrium Chlorid“) und 11 („Verraten“) schien das Ende der international gefeierten Krimi-Reihe allerdings besiegelt, schließlich wurde der – unschuldige - Mørck zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Nach seiner Freilassung quittierte er den Dienst, verarbeitete seine Erfahrungen bei der Kopenhagener Polizei in seinem Buch „Erbarmen“ und steht nun vor der Veröffentlichung seines zweiten Buches. Für die nun vorliegende Fortsetzung der Arbeit im Sonderdezernat Q hat sich Adler-Olsen, der Anfang Februar 2025 bekanntgab, unheilbar an Knochenmarkkrebs erkrankt zu sein, prominente Unterstützung besorgt, das Autorinnen-Duo Line Holm und Stine Bolther, das bislang hierzulande die drei Krimis „Eiskalte Schuld“, „Brennender Zorn“ und „Gefrorenes Herz“ veröffentlicht haben. Der elfte Band „Tote Seelen singen nicht“ präsentiert nicht nur eine Fortsetzung der Arbeit des Sonderdezernats Q und ein Wiedersehen mit Carl Mørck, sondern auch eine neue Mitarbeiterin.
Seit Carl Mørck den Dienst quittiert hat, steht das Sonderdezernat Q wegen der geringen Aufklärungsquote unter Druck. Assad und Rose mussten dazu den Weggang ihres Kollegen Gordon verschmerzen. Nun bekommen sie in Gestalt der 44-jährigen Französin Helena Henry Verstärkung, die in Kopenhagen versucht, bei der Einheit Organisiertes Verbrechen unterzukommen versucht, aber zunächst mit dem Dienst im Sonderdezernat Q vorliebnehmen muss. Das bekommt alle Hände voll zu tun, als Mørck am Rande einer Lesung Informationen über den vermeintlichen erweiterten Suizid von Ole Horsten erfährt, dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden einer in die Schlagzeilen geratene Privatklinik, und seiner dementen Frau Jette, die allerdings von einer Mitarbeiterin des Pflegedienstes gerettet werden konnte. Eine nicht abgehörte Notrufaufnahme eines zuvor eingestellten Programms für Demenzkranke lässt vermuten, dass eine dritte Person an Ole Horstens Tod und dem Schicksal seiner Frau beteiligt gewesen ist. Mørck informiert Rose und Assad gerade über die Aufnahme, als im Polizeifunk eine Meldung über eine erschossene Frau in einer Bäckerei eingeht, die – wie weitere Ermittlungen ergeben – offensichtlich an Geldwäschereigeschäften beteiligt gewesen ist. Und dann fliegt auch noch ein Trailer von Mads-Peter Vang bei der Fahrt aus dem Hafen in die Luft, wobei der Geliebte des Schiffseigners ums Leben gekommen ist. Als sich weitere merkwürdige Todesfälle ereignen, führen die Spuren zu einem berühmten Knabenchor, der einst von Ole Horsten geleitet wurde und bei dem sich einige Mitglieder einen folgenschweren Scherz mit einem ihrer Mitstreiter in dem Internat erlaubt haben. Die Ermittlungen des neu zusammengewürfelten Teams leiden allerdings unter der Skepsis, die Rose der neuen französischen Kollegin entgegenbringt…

„Also, was hatte Helena dazu gebracht, das alles hinter sich zu lassen? Da konnte man ja durchaus mal spekulieren, ob sie nicht vielleicht vor etwas geflüchtet war? Vielleicht hatte sie keine andere Möglichkeit gehabt, als nach Dänemark zu gehen. Es war doch denkbar, dass sie einen fatalen Fehler bei der Polizeiarbeit gemacht hatte, einen idiotischen Fehler wie den, mit dem sie Assad eine Woche zuvor fast umgebracht hatte, vielleicht … Rose rieb sich das Kinn … Vielleicht hatte eine unüberlegte Aktion eines Kollegen das Leben gekostet und Helena zur Persona non grata in Lyon gemacht?“ (S. 276)

Mehr noch als die spektakulären alten Fälle, die Carl Mørck mit dem Sonderdezernat Q zu bearbeiten hatte, waren Adler-Olsens Thriller in dieser Reihe vor allem wegen der unterschiedlichen Charaktere so interessant zu lesen. Mit hin und wieder wechselnden Mitgliedern im Team wurde die Dynamik zwar ansatzweise verändert, aber im Kern blieben der Chef, Assad und Rose die tragenden Säulen der faszinierenden Plots. Nicht nur durch Carl Mørcks Ausscheiden aus dem Polizeidienst hat sich die Struktur der Plots verändert, auch die beiden neuen Autorinnen, die der schwerkranke Adler-Olsen nun mit an Bord geholt hat, sorgen für einen anderen Schwung in der Thriller-Reihe. Dabei macht es das Trio seinem Publikum nicht leicht, sich mit der veränderten Situation anzufreunden. Durch die ständig wechselnden Erzählperspektiven sowohl der Ermittler auch der Beteiligten an den Morden, die Rückblicke zu den Geschehnissen in den 1980er Jahren, die die jetzigen Ereignisse in Gang gesetzt haben, sowie die Vielzahl der unterschiedlichsten Fälle, mit denen das Sonderdezernat Q und andere Einheiten beschäftigt sind, verhindern einen stringenten Aufbau des Plots und hemmen die Spannungsentwicklung, zumal der Täter recht früh offenbart wird. 
Zum Glück lassen die Autor:innen die Inneneinsichten der Ermittler:innen nicht zu weit außen vor, sodass die Neugier vor allem auf die neue Kollegin wachgehalten wird, die tatsächlich ein gut gehütetes Geheimnis mit sich herumträgt. Aber auch Assad und Rose bleiben mit ihren jeweiligen Hintergründen und Macken angenehm lebendig. Am Ende haben sich Adler-Olsen, Holm und Bolther allerdings bei der – nicht immer glaubwürdigen – Inszenierung des Rachefeldzugs und anderer Vorfälle und der vielen Personen etwas verhoben, um an die Klasse der ersten Sonderdezernat-Q-Fälle heranzureichen.

 

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