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Tom Franklin – „Smonk“

Montag, 23. August 2021

(Pulp Master, 307 S., Tb.) 
Mit Eugene Oregon Smonk ist wahrlich nicht zu spaßen. Seit Jahren entzieht er sich überall im Land dem Zugriff des Gesetzes, hat sich immer das genommen, wonach ihm gerade war, hat bestochen, erpresst, genötigt, in jeder Form Gewalt ausgeübt. Als ihm in der Kleinstadt Old Texas, Alabama, am 1. Oktober 1911 der Prozess gemacht werden soll, verkleiden sich sogar die Frauen als Männer, um an der Verhandlung teilnehmen zu können. Dem Gerichtsdiener Will McKissick hat der einäugige, schießwütige Farmer einst nicht nur die Arbeit, sondern auch die Frau genommen, aber so erging es vielen Männern in der Gemeinde, die auch in den Bürgerkrieg ziehen mussten und nicht mehr erlebten, wie Smonk sich um die Witwen und ihre Töchter kümmerte. 
Zum Prozess, der letztlich nicht mehr als ein Lynchmob darstellt, kommt es allerdings nicht. Smonk ist clever genug gewesen, zwei auswärtige Auftragskiller zu engagieren, die als Fotografen getarnt ihren Planwagen vor dem vermeintlichen Gerichtsgebäude platziert haben und schließlich mit ihren Maschinengewehren kurzen Prozess mit allen Beteiligten machen, die bereits mit Schürhaken, Reitpeitschen, Ziegelsteinen, Tischbeinen und Billardstöcken bewaffnet darauf warteten, das Urteil vollstrecken zu dürfen. Smonk kann also fliehen. Zwar muss er sein Glasauge im Getümmel McKissick überlassen, dafür entführt er dessen elfjährigen Sohn. 
McKissick wird vom korrupten Richter damit beauftragt, sich auf die Suche nach dem Geflüchteten zu machen. Begleitet wird er vom Schmied Gates, dessen Frau Lurleen und seine Stieftöchter ebenfalls fleischlichen Umgang mit Smonk pflegten und allesamt dem Massaker zum Opfer gefallen sind. Während sich McKissick und Gates zunächst auf den Weg zu Smonks Farm machen, jagen der christliche Sheriff Walton und seine Leute die 15-jährige, knabenhaft aussehende Hure Evavangeline, die für einen Dollar für jedermann die Beine breit macht, um zu überleben, aber auch keine Hemmungen hat, gewalttätige Männer ins Jenseits zu befördern. Gates, der vor Lurleen bereist zwei Frauen hatte und es auch mit seiner Stieftochter Clena getrieben hatte, hofft derweil, durch die Jagd auf Smonk an weitere Gelegenheiten zu kommen, sich mit dem anderen Geschlecht zu vergnügen … 
„Gates stimmte zu. Aber sein Plan – sein geheimer Plan – bestand darin, abzuwarten, bis der Gerichtsdiener Smonk umgebracht hatte, und ihm dann aufzulauern und ihn umzubringen. Und falls sie Smonk nicht fanden, was dem Schmied ganz recht wäre, hätte er immer noch das Auge als Beweis dafür, dass er Schmonk umgebracht hatte. Er malte sich aus, wie er es mehreren jungen Mädchen zeigte und wie ihre Titten seinen Oberarm streiften.“ 
Tom Franklin hatte mit der 1999 veröffentlichten Kurzgeschichtensammlung „Poachers“ (die 2020 hierzulande vom Berliner Kleinverlag Pulp Master als „Wilderer“ erschienen ist) und seinem vier Jahre darauf folgenden Romandebüt „Hell at the Breech“ (der 2005 bei Heyne unter dem Titel „Die Gefürchteten“ sogar als Hardcover veröffentlicht wurde) bereits zwei gefeierte Bücher veröffentlicht und einen schönen Vorschuss auf sein nächstes Buch erhalten, als er von einer Art Schreibblockade heimgesucht wurde und eine ganz andere Art von Buch begann, das zunächst eine Art Parodie auf Cormac McCarthys „Die Abendröte im Westen“ werden sollte, aber dann einen ganz eigenen Weg einschlug, der zwar McCarthys biblischen Ton beibehielt, aber dann zu einer Western-Groteske auswuchs, in der gleich im ersten Satz verkündet wird, dass der allseits verhasste Smonk innerhalb eines Tages ermordet werden würde. 
Kurz darauf schon erlebt der Leser einen fulminanten Shoot-Out, der das Finale von Sam Peckinpahs „The Wild Bunch“ gemahnt, und eine Odyssee durch die Südstaaten, die von Tollwut, Wollust und Gewalt in allen vorstellbaren Formen geprägt ist. Hier ist jeder nur auf sein eigenes Wohl, die Befriedigung jeder Art von sexuellen Begierden aus, so dass es außer dem fast zwölfjährigen McKinnick Junior keine sympathische Figur in dem Roman gibt. 
Das ist sicher nichts für schwache Nerven und vor allem zartbesaitete Gemüter, doch die Art, wie Franklin in bester Tradition von McCarthy und Larry Brown die dunklen Seite der rauen wie schönen Südstaaten mit seiner wortgewaltigen und humorvollen Sprache aufdeckt, ist einfach ein Genuss. 

Tom Franklin – „Wilderer“

Sonntag, 11. Juli 2021

(Pulp Master, 256 S., Tb.) 
Der in der Kleinstadt Dickinson, Alabama, geborene Tom Franklin hat kurz nach seinem Studium an der University of Southern Alabama in Mobile und dem 1998 erhaltenen Master of Fine Arts an der University of Arkansas mit „Poachers“ seine erste Sammlung mit Kurzgeschichten veröffentlicht, die 2020 vom Berliner Verlag Pulp Master unter dem programmatischen Titel „Wilderer“ auch hierzulande herausgebracht wurde und den Weg weist auf Franklins nachfolgenden Romane „Smonk“ und „Krumme Type, krumme Type“. 
In den zehn Geschichten widmet sich Franklin ausnahmslos und wie in seinen Romanen den Menschen am unteren Rande der Gesellschaft. Es sind die noch tief im Rassismus verwurzelten verkrachten Existenzen in Alabama, die eher schlecht als recht über die Runden kommen und entweder aus Zufall oder Not auf die kriminelle Spur gelangen. Mit dem Prolog „Jagdzeit“ gibt Franklin zunächst einen Einblick in sein eigenes Leben, in die Jugend, als er im Dezember mit seinem Bruder Jeff zu jagen ging, wie er im Alter von dreißig Jahren zu einem weiterführenden Studium nach Fayetteville, Arkansas, ging, aber sich stets in Alabama zu Hause fühlte, wo auch seine Geschichten spielen. 
„Mein Süden – der mir bis heute im Blut liegt und meine Vorstellungswelt bestimmt, der Süden, in dem diese Geschichten spielen – ist das südliche Alabama, üppig, grün und voller Tod, die waldreichen Countys zwischen dem Alabama und dem Tombigbee River.“ (S. 5) 
Nach diesem Einblick in das besondere Verhältnis zu seiner Heimat legt Franklin mit „Kies“ seine erste eindrucksvolle Geschichte vor, in der der zweiundvierzigjährige Glen als Geschäftsführer eines Kieswerks nördlich von Mobile von den beiden in Detroit lebenden Besitzern Ernie und Dwight angewiesen wird, der Zweimannnachtschicht zu kündigen. Für Roy Jones bedeutet das keinen Beinbruch. Schließlich verdient er als Buchmacher nicht schlecht nebenher, auch Glen steckt bei ihm mit über viertausend Dollar in der Kreide. Roy kann den halben Alkoholiker und notorischen Spieler Glen dazu überreden, mehrmals in der Woche schwarz Black-Beauty-Sandstrahlgut an einen „unabhängigen Abnehmer“ zu liefern. Roy hat zudem gute Verbindungen nach Detroit, ist über unangekündigte Besucher von Ernie und Dwight rechtzeitig informiert und versorgt diese mit Prostituierten und Alkohol, so dass sie sich im Kieswerk nur kurz blicken lassen. Doch als sich Glen nicht mehr von Roy bevormunden lassen will, findet er zunehmend Gefallen an dem Gedanken, selbst das Spiel von Intrigen, Gewalt und Korruption zu spielen … 
In „Shubuta“ beschreibt Franklin eine Welt voller stillgelegter Traktoren, trockener Felder, Häuser auf Betonhohlblöcken, erzählt von dem schwarzen Wassermelonen-Farmer Willie Howe, der sich durch das Auge schoss, weil seine Alte ihn verlassen hatte, von Onkel Dock, der seine fette Nachbarin dabei beobachtet, wie sie regelmäßig Besuch von einem dürren Hippie bekommt, mit dem sie auf der Veranda Joints durchzieht und ihn dann ins Haus bittet, um sich mit ihm zu vergnügen. „Die Ballade von Duane Juarez“ beschreibt der unscheinbare, mittellose und geschiedene Ich-Erzähler, wie sehr er seinen reichen Bruder Ned beneidet, der ständig die intelligentesten und hübschesten Frauen abschleppt. Als Ned ihm eines Tages eine Tüte mit einer silbernen Pistole und 22er-Patronen überreicht, sieht er die Chance auf ein besseres Leben für sich. 
Mit der abschließenden Titelgeschichte „Wilderer“, mit gut 80 Seiten die längste und stärkste Story, präsentiert Franklin ein packendes Southern-Noir-Drama, das von den drei Gates-Brüdern handelt, die zunächst einen Wildhüter töten, der sie beim Wildern erwischt hat, und dann nacheinander selbst unter mysteriösen Umständen sterben. Der alte Kirxy, Tankstellenbetreiber und Ladenbesitzer, hat sich stets als Ersatzvater für die Jungen betrachtet und glaubt, dass Frank David, der neue Wildhüter, für die Morde an den Gates-Jungen verantwortlich ist. 
Es ist eine harte, unbarmherzige Welt, in der Franklins Figuren ums Überleben kämpfen und unter psychischem oder finanziellem Druck schnell zu gewalttätigen und endgültigen Lösungen tendieren, die ihre Situation letztlich nicht verbessern. Franklin beschreibt nicht nur eindringlich die außergewöhnliche Natur, sondern zeichnet auch sehr fein die Charakterzüge seiner Figuren, die sich zwischen Spielschulden, Alkohol, Verbrechen, Krankheit, Einsamkeit und Prostitution aufreiben und früher oder später daran zugrunde gehen. Das gelingt dem Autor gerade mit der letzten Geschichte auf so unnachahmlich faszinierende und packende Weise, dass es bedauerlich ist, dass Franklin bislang so wenig veröffentlicht hat. Zuletzt erschien mit „Das Meer von Mississippi“ ein Roman, den er mit seiner Frau Beth Ann Fennelly geschrieben hat.  

Tom Franklin – „Krumme Type, krumme Type“

Montag, 5. Juli 2021

(Pulp Master, 402 S., Tb.) 
Larry Ott, 41, ledig, lebt allein im Haus seiner Eltern im ländlichen Mississippi, kümmert sich um seine Hühner, betreibt eine schlecht gehende Werkstatt und besucht regelmäßig seine an Alzheimer erkrankte Mutter im Pflegeheim, die zunehmend weniger gute Tage hat als schlechte. Seit Larry vor 25 Jahren verdächtigt worden ist, für das Verschwinden von Cindy Walker verantwortlich gewesen zu sein, da er offenbar der Letzte gewesen war, der sie lebend sah, wird er vor allem „Scary“ Larry genannt und von allen Menschen gemieden. 
Als er eines Abends nach Hause kommt, steht ihm ein Mann mit einer Zombiemaske gegenüber und schießt auf ihn. Larry wird schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht, fällt ins Koma, kommt aber durch. Chief French übernimmt die Ermittlungen, stellt einen Wachposten vor Larrys Krankenzimmer und hofft auf ein Geständnis, sobald Larry wieder ansprechbar ist, denn es scheint klar, dass der Mann, der sich offenbar selbst erschießen wollte, auch für das Verschwinden der kleinen Rutherford, der Tochter des Sägewerkbesitzers, vor acht Tagen verantwortlich gewesen ist. 
Nur Silas Jones, seit zwei Jahren – der einzige – Gesetzeshüter von Chabot, weiß, dass Larry Ott nicht der Täter gewesen sein kann. In ihrer Kindheit in den 1970er Jahren waren Larry und Silas nämlich so etwas wie geheime Freunde und so unterschiedlich, wie man nur sein kann. Larry, weiß, dicklich, unsportlich und eine Leseratte mit einer besonderen Vorliebe für Stephen King, war der typische Nerd und Außenseiter, während der schwarze Silas ein grandioser Baseballspieler mit Zukunft ist, es aber mit seiner alleinerziehenden Mutter schwer hat, über die Runden zu kommen. Nur Silas und Larry wissen, was sie einander verbindet, doch gingen sie irgendwann getrennte Wege, behielten ihre jeweiligen Geheimnisse über die Jahre für sich. Doch als Silas bemerkt, dass nur er allein dafür sorgen kann, dass Larry nicht für zwei Morde belangt wird, die er nicht begangen hat, bringt er Klarheit in die Geschichte, während Larry unabhängig davon plant, seine Geschichte zu erzählen … 
„Larry beschloss zu reden, sobald French ins Krankenhaus käme. Erzählen, woran er sich erinnerte. Dass er zunächst eine Art Beschützerinstinkt gegenüber dem Mann empfunden hatte, der auf ihn geschossen hatte. Der sein Freund gewesen war. Aber er hatte ja auch geglaubt, Silas wäre sein Freund gewesen, oder? Vielleicht täuschte er sich ja, was das Wort Freund anging, vielleicht war er schon so lange von allen weggestoßen worden, dass er nur noch ein Schwamm für die Untaten war, die andere begingen.“ (S. 347) 
Schon mit seinem bei Heyne als Hardcover veröffentlichten Debütroman „Die Gefürchteten“ hat sich Tom Franklin als großartiger Erzähler in der Tradition von Cormac McCarthy, William Faulkner, Flannery O’Connor, James Lee Burke oder Joe R. Lansdale erwiesen. Nach „Smonk“ präsentierte er mit „Krumme Type, krummer Type“ einen vielschichtigen Kriminalroman über zwei Verlierer-Typen, die im rassistischen Milieu der Südstaaten der 1970er Jahre fast so etwas wie Freunde geworden wären, wenn die Umstände es erlaubt hätten. Franklin erzählt die Geschichte der beiden Männer aus unterschiedlichen Perspektiven, beleuchtet mal Silas‘, dann Larrys Geschichte, springt zwischen Vergangenheit und Gegenwart hin und her, bis sich die Puzzleteile des Dramas allmählich zusammenfügen. Der Autor bleibt stets dicht bei seinen Figuren, charakterisiert sie mit all ihren persönlichen Facetten und entwickelt gerade in der sukzessiven Enthüllung der tragischen Nacht vor 25 Jahren einen Sog, der den Leser bis zum packenden Finale souverän in seinen Bann zieht. Es ist aber auch eine berührende Geschichte über Rassismus und die Art und Weise, wie Männer mit Geheimnisse umgehen. Kein Wunder, dass „Crooked Letter, Crooked Letter“ – so der Originaltitel - in Baden-Württemberg im Fach Englisch zum Abiturstoff zählt, Platz 1 der Krimibestenliste belegte und 2019 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichnet wurde.  

Tom Franklin – „Die Gefürchteten“

Samstag, 19. Juni 2021

(Heyne, 416 S., HC) 
Mitcham Beat, Alabama, 1897. Um sich ihren ersten Besuch in einem Bordell leisten zu können, kommen die beiden bei der Witwe Gates aufgewachsenen Waisen und Teenager-Brüder William und Matt Burke auf die Idee, das nötige Kleingeld durch einem Überfall zu besorgen, doch dass sie dabei versehentlich den beliebten Ladenbesitzer und Lokalpolitiker Arch Bedole töten, lässt die ohnehin schwierige Situation in dem Landstrich außer Kontrolle geraten. Bedsoles Cousin Tooch macht wider besseres Wissen die Städter aus dem benachbarten Grove Hill für die Tat verantwortlich und gründet mit Hell-at-the-Breech einen Geheimbund, der die darin versammelten Farmer Rache an Bedsoles Tod nehmen lassen will. Wenn ein Farmer wie Floyd Norris jedoch aus familiären Gründen nicht dabei sein möchte, muss er sich zumindest verpflichten, den mit schwarzen Kapuzen umherziehenden Räubern auf Nachfrage ein Alibi zu verschaffen. 
Unter diesen Umständen gelingt es dem alternden und alkoholsüchtigen Sheriff Billy Waite kaum, die Verantwortlichen für den Mord sowohl an Bedsole als auch an dem Farmer Anderson auszumachen. Er reitet mit seinem treuen Pferd King in die Stadt, um sich bei seinem Cousin, den örtlichen Richter Oscar York, Rat zu holen. Doch der verfolgt seine eigenen Pläne, hat mit Ardy Grant bereits einen Nachfolger für Waite im Auge. Allerdings ist Ardy Grant nicht der, der er vorgibt zu sein. Während er als von York engagierter Privatermittler die Identitäten hinter dem Geheimbund herausfinden soll, richtet Grant bei seiner Mission ein regelrechtes Massaker an. Währenddessen muss Mack in Bedsoles Laden, den Tooch übernommen hat, die Schulden der Witwe abarbeiten und bekommt so heimlich mit, wie Tooch die Überfälle seiner Bande organisiert, zu der auch sein volljähriger Bruder gehört …
„Als er die schwefelige Luft roch, blieb er stehen. Wie lange war er schon nicht mehr hier gewesen, im Haus seiner Kindheit, bei der alten Frau, die sich dafür geopfert hatte, ihn und William großzuziehen? Als er ein Baby war, wie viele Nächte hatte sie durchgewacht, als er nicht atmen konnte, wie viele Stunden mit ihm geredet, ihm Geschichten erzählt, das Meer beschrieben? Und wie hatte er es ihr vergolten? Er hatte einen Mann getötet. Mack versuchte, sich Arch Bedsoles Gesicht vorzustellen, doch es gelang ihm nicht. Es sah nur Tooch vor sich, als versperrte der ihm die Sicht auf Arch.“ (S. 256) 
Nach seiner Kurzgeschichtensammlung „Poachers“ (1999), die erst 2020 im Berliner Pulp Master Verlag unter dem Titel „Wilderer“ veröffentlicht wurde, markierte „Hell at the Breech“ 2003 das Romandebüt des aus Alabama stammenden Schriftstellers Tom Franklin, das zwei Jahre später vom Heyne Verlag als Hardcover mit dem Titel „Die Gefürchteten“ erschien. Basierend auf dem Sachbuch „The Mitcham War of Clarke County, Alabama“ von Harvey H. Jackson III, Joyce White Burrage und James A. Cox, erzählt Franklin in seinem fesselnden Roman vom gewalttätigen Konflikt zwischen der armen Landbevölkerung und den vermeintlich reicheren Städtern in Alabama, wobei der versehentliche Mord an einem aufstrebenden Lokalpolitiker fast bürgerkriegsähnliche Zustände auslöst, die von dem rachsüchtigen Cousin des Toten und seiner von ihm ins Leben gerufenen Bande einerseits, von dem auswärtigen Killer Ardy Grant auf der anderen Seite befeuert werden. 
Raubüberfälle, Morde, Brandanschläge sind an der Tagesordnung und bringen nicht nur Sheriff Waite zur Verzweiflung, sondern entfremden die beiden Brüder Mack und William auch von ihrem Zuhause, das ihnen die Witwe Gates jahrelang gegeben hat, und voneinander. So finden sich alle Beteiligten in einer wachsenden Spirale der Gewalt wieder, die zum Finale hin fast schon groteske Züge annimmt. Franklin erweist sich als detailverliebter Chronist dieser von Rache, Misstrauen und Hass geprägten Atmosphäre im US-amerikanischen Süden zum Ende des 19. Jahrhunderts und verbindet auf gekonnte Weise eindringliche Landschaftsbeschreibungen und Spät-Western-Elemente mit einer ungewöhnlichen Coming-of-Age-Geschichte und einem starken Noir-Touch, wobei Gut und Böse bei den unterschiedlichsten Protagonisten kaum klar voneinander zu trennen sind. Auch wenn prominente Kollegen wie Richard Ford und Philip Roth ihrem Kollegen eine große Zukunft bescheinigt haben, blieb Franklin hierzulande ein weithin unbeschriebenes Blatt. Seine nachfolgenden Bücher sind in deutscher Übersetzung beim kleinen Berliner Verlag Pulp Master erschienen, bevor sein neues, mit seiner Frau Beth Ann Fennelly geschriebenes Buch „Das Meer von Mississippi“ wieder bei Heyne veröffentlicht wurde. Dabei bietet „Die Gefürchteten“ ähnlich packende Südstaaten-Literatur wie sie Cormac McCarthy, William Faulkner, Flannery O’Connor, James Lee Burke oder Joe R. Lansdale geprägt haben. Zu bemängeln sind nur die allzu häufigen Perspektivwechsel, die den Lesefluss immer wieder stören. 

 

Tom Franklin & Beth Ann Fennelly – „Das Meer von Mississippi“

Samstag, 29. Mai 2021

(Heyne Hardcore, 384 S., HC)  
Tom Franklin ist hierzulande vor allem durch die in Frank Nowatzkis Verlag Pulp Master erschienen Werke „Wilderer“, „Smonk“ und das mit dem Deutschen Krimipreis 2019 ausgezeichnete „Krumme Type, krumme Type“ bekannt geworden, hat aber schon lange zuvor im Heyne Verlag 2005 seinen Roman „Die Gefürchteten“ veröffentlicht. Zusammen mit seiner Frau Beth Ann Fennelly, Autorin eines Sachbuchs und dreier Gedichtbände, legt er nun „Das Meer von Mississippi“ einen Roman vor, der vor dem realen Hintergrund einer fast vergessenen Naturkatastrophe aus dem Jahr 1927 eine temporeiche Abenteuer-, Krimi- und Liebesgeschichte erzählt. 
Damals ließ der titelgebende Mississippi mit einem Pegel von über sechzehn Metern etliche Dämme im gleichnamigen Bundesstaat brechen und überflutete siebzigtausend Quadratkilometer Hinterland. Im April 1927 werden die beiden Prohibitionsagenten Ham Johnson und Ted Ingersoll von ihrem ambitionierten Chef Herbert Hoover nach Hobnob Landing geschickt, wo sie zum einen die beiden seit zwei Wochen verschwundenen Kollegen Little und Wilkinson auffinden und zum anderen die dort ansässigen Schwarzbrenner entlarven. Getarnt als Ingenieure erschleichen sie sich das Vertrauen einiger Ortsansässiger und stellen schnell fest, dass Jess Holliver mehr als alle Offiziellen das Sagen in der Kleinstadt hat. Während Ingersoll das Baby von getöteten Plünderern in die Hände von Hollivers zweiundzwanzigjähriger Frau Dixie Clay übergeben will, die ihr eigenes Baby verloren hatte, bietet Johnson seine Unterstützung bei der Bewachung des Damms an, nachdem bekannt geworden ist, dass Saboteure sechsunddreißig Stangen Dynamik aus Armeebeständen entwendet haben. 
Die Dinge geraten außer Kontrolle, als sich Ingersoll und Dixie Clay ineinander verlieben und der Prohibitionsagent erfährt, dass Dixie und nicht wie vermutet ihr Mann die Destille führt, in der der beliebte Black Lightning Whiskey gebrannt wird. Johnson tötet einen der Saboteure lässt dessen Partner aber in einem Boot fliehen. Als Jesse Wind davon bekommt, dass seine Frau ihn offensichtlich mit einem anderen Mann betrügt, rastet er völlig aus und entführt mit seiner Geliebten Jeanette das Baby, das Dixie Clay so schnell in ihr Herz geschlossen hat. Für Ingersoll und Dixie Clay beginnt nun eine lebensgefährliche Odyssee über das überflutete Mississippi-Delta, auf der Suche nach dem Baby ebenso wie nach Ingersolls Partner … 
„(…) Ham war vielleicht tot. Ingersoll glaubte nicht daran, er war überzeugt, dass er es gespürt hätte – sicherlich würde die Welt sich anders anfühlen, irgendwie verarmt, wenn Ham Johnson nicht mehr darin lebte -, aber so oder so würde er diesen Ort nicht verlassen, ohne seinen Partner gefunden zu haben.“ (S. 360) 
Franklin und Fennelly haben für ihre Geschichte einen realen dramatischen Hintergrund aufgegriffen, dessen Flut die Handlung und die darin verwickelten Figuren unbarmherzig mit sich reißt und vorantreibt. In seiner eineinhalbseitigen Vorbemerkung fasst das Autorenduo kurz die erschütternden Fakten der Mississippi-Katastrophe von 1927 zusammen, bei der über dreihundertdreißigtausend Menschen von Dächern, Bäumen und Deichen gerettet werden mussten. Tatsächlich wird das Schriftstellerpaar seinem selbstgesteckten Anspruch mehr als gerecht, diese schreckliche Episode der amerikanischen Geschichte wieder ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen, da es eindringlich die bedrückende Atmosphäre in Worte fasst, in der die Dämme brachen und die schlammigen, riesigen Wassermengen des Mississippi den meist armen Menschen ihr Zuhause und ihre wenigen Habseligkeiten weggerissen haben. 
In diesem hochdramatischen Rahmen wirkt die eigentliche Geschichte fast schon nebensächlich. Franklin und Fennelly fokussieren sich von Beginn an auf wenige Figuren, deren Persönlichkeit sich zunächst in Rückblenden offenbart wird, wie Jesse Holliver als Pelzhändler die erst dreizehnjährige Dixie Clay kennengelernt und drei Jahre darauf gewartet hat, sie zu heiraten. Nun, mit zweiundzwanzig, hat die junge Frau die Destille ihre Mannes übernommen, während Jesse dafür sorgt, dass der Alkohol unter die Leute kommt. Und von den beiden Prohibitionsagenten erfahren wir, dass sie sich auf den Schlachtfeldern in Frankreich während des Ersten Weltkriegs kennengelernt haben und zu Freunden wurden. 
Doch obwohl das Figurenensemble sehr überschaubar bleibt, versäumen es die Autoren, ihren Protagonisten Tiefe zu verleihen. Stattdessen wirken sowohl Jesse mit seinen unterschiedlich farbigen Augen und seinen Temperamentsausbrüchen mit seiner schlampigen Geliebten ebenso wie Klischees wie Dixie Clay als junge Frau, der das Schicksal übel mitgespielt hat und nun eine zweite Chance erhält. Mit dem Zusammentreffen von Dixie Clay und Ingersoll entfaltet sich die Geschichte in absolut vorhersehbaren Bahnen ohne echte Überraschungsmomente. Selbst die Liebesszenen zwischen Dixie Clay und Ingersoll fehlt es an Inspiration. 
Auf der anderen Seite machen Franklin und Fennelly diese Schwächen durch die jederzeit stimmige Southern-Noir-Atmosphäre wett, die die Leserschaft von Beginn an in den Bann zieht. Eindringlich beschreiben sie, wie die Flutkatastrophe das Leben und die Lebensgrundlagen hunderttausender Menschen bedroht und zerstört hat. Damit bewegen sie sich durchaus in den Gefilden von gefeierten Kollegen wie Joe R. Lansdale und James Lee Burke.