(Heyne Hardcore, 384 S., HC)
Tom Franklin ist hierzulande vor allem durch die in Frank Nowatzkis Verlag Pulp Master erschienen Werke „Wilderer“, „Smonk“ und das mit dem Deutschen Krimipreis 2019 ausgezeichnete „Krumme Type, krumme Type“ bekannt geworden, hat aber schon lange zuvor im Heyne Verlag 2005 seinen Roman „Die Gefürchteten“ veröffentlicht. Zusammen mit seiner Frau Beth Ann Fennelly, Autorin eines Sachbuchs und dreier Gedichtbände, legt er nun „Das Meer von Mississippi“ einen Roman vor, der vor dem realen Hintergrund einer fast vergessenen Naturkatastrophe aus dem Jahr 1927 eine temporeiche Abenteuer-, Krimi- und Liebesgeschichte erzählt.
Damals ließ der titelgebende Mississippi mit einem Pegel von über sechzehn Metern etliche Dämme im gleichnamigen Bundesstaat brechen und überflutete siebzigtausend Quadratkilometer Hinterland.
Im April 1927 werden die beiden Prohibitionsagenten Ham Johnson und Ted Ingersoll von ihrem ambitionierten Chef Herbert Hoover nach Hobnob Landing geschickt, wo sie zum einen die beiden seit zwei Wochen verschwundenen Kollegen Little und Wilkinson auffinden und zum anderen die dort ansässigen Schwarzbrenner entlarven. Getarnt als Ingenieure erschleichen sie sich das Vertrauen einiger Ortsansässiger und stellen schnell fest, dass Jess Holliver mehr als alle Offiziellen das Sagen in der Kleinstadt hat. Während Ingersoll das Baby von getöteten Plünderern in die Hände von Hollivers zweiundzwanzigjähriger Frau Dixie Clay übergeben will, die ihr eigenes Baby verloren hatte, bietet Johnson seine Unterstützung bei der Bewachung des Damms an, nachdem bekannt geworden ist, dass Saboteure sechsunddreißig Stangen Dynamik aus Armeebeständen entwendet haben.
Die Dinge geraten außer Kontrolle, als sich Ingersoll und Dixie Clay ineinander verlieben und der Prohibitionsagent erfährt, dass Dixie und nicht wie vermutet ihr Mann die Destille führt, in der der beliebte Black Lightning Whiskey gebrannt wird. Johnson tötet einen der Saboteure lässt dessen Partner aber in einem Boot fliehen. Als Jesse Wind davon bekommt, dass seine Frau ihn offensichtlich mit einem anderen Mann betrügt, rastet er völlig aus und entführt mit seiner Geliebten Jeanette das Baby, das Dixie Clay so schnell in ihr Herz geschlossen hat. Für Ingersoll und Dixie Clay beginnt nun eine lebensgefährliche Odyssee über das überflutete Mississippi-Delta, auf der Suche nach dem Baby ebenso wie nach Ingersolls Partner …
„(…) Ham war vielleicht tot. Ingersoll glaubte nicht daran, er war überzeugt, dass er es gespürt hätte – sicherlich würde die Welt sich anders anfühlen, irgendwie verarmt, wenn Ham Johnson nicht mehr darin lebte -, aber so oder so würde er diesen Ort nicht verlassen, ohne seinen Partner gefunden zu haben.“ (S. 360)
Franklin und Fennelly haben für ihre Geschichte einen realen dramatischen Hintergrund aufgegriffen, dessen Flut die Handlung und die darin verwickelten Figuren unbarmherzig mit sich reißt und vorantreibt. In seiner eineinhalbseitigen Vorbemerkung fasst das Autorenduo kurz die erschütternden Fakten der Mississippi-Katastrophe von 1927 zusammen, bei der über dreihundertdreißigtausend Menschen von Dächern, Bäumen und Deichen gerettet werden mussten. Tatsächlich wird das Schriftstellerpaar seinem selbstgesteckten Anspruch mehr als gerecht, diese schreckliche Episode der amerikanischen Geschichte wieder ins kollektive Gedächtnis zurückzuholen, da es eindringlich die bedrückende Atmosphäre in Worte fasst, in der die Dämme brachen und die schlammigen, riesigen Wassermengen des Mississippi den meist armen Menschen ihr Zuhause und ihre wenigen Habseligkeiten weggerissen haben.
In diesem hochdramatischen Rahmen wirkt die eigentliche Geschichte fast schon nebensächlich. Franklin und Fennelly fokussieren sich von Beginn an auf wenige Figuren, deren Persönlichkeit sich zunächst in Rückblenden offenbart wird, wie Jesse Holliver als Pelzhändler die erst dreizehnjährige Dixie Clay kennengelernt und drei Jahre darauf gewartet hat, sie zu heiraten. Nun, mit zweiundzwanzig, hat die junge Frau die Destille ihre Mannes übernommen, während Jesse dafür sorgt, dass der Alkohol unter die Leute kommt. Und von den beiden Prohibitionsagenten erfahren wir, dass sie sich auf den Schlachtfeldern in Frankreich während des Ersten Weltkriegs kennengelernt haben und zu Freunden wurden.
Doch obwohl das Figurenensemble sehr überschaubar bleibt, versäumen es die Autoren, ihren Protagonisten Tiefe zu verleihen. Stattdessen wirken sowohl Jesse mit seinen unterschiedlich farbigen Augen und seinen Temperamentsausbrüchen mit seiner schlampigen Geliebten ebenso wie Klischees wie Dixie Clay als junge Frau, der das Schicksal übel mitgespielt hat und nun eine zweite Chance erhält. Mit dem Zusammentreffen von Dixie Clay und Ingersoll entfaltet sich die Geschichte in absolut vorhersehbaren Bahnen ohne echte Überraschungsmomente. Selbst die Liebesszenen zwischen Dixie Clay und Ingersoll fehlt es an Inspiration.
Auf der anderen Seite machen Franklin und Fennelly diese Schwächen durch die jederzeit stimmige Southern-Noir-Atmosphäre wett, die die Leserschaft von Beginn an in den Bann zieht. Eindringlich beschreiben sie, wie die Flutkatastrophe das Leben und die Lebensgrundlagen hunderttausender Menschen bedroht und zerstört hat. Damit bewegen sie sich durchaus in den Gefilden von gefeierten Kollegen wie Joe R. Lansdale und James Lee Burke.
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