Lee Child – (Jack Reacher: 14) „61 Stunden“

Montag, 10. Mai 2021

(Blanvalet, 443 S., HC) 
Jack Reacher ist mal wieder unterwegs. An einer Raststätte zwischen Little Town on the Prairie und dem Dakotaland-Museum steigt er einem Bus zu, der eine Senioren-Reisegruppe aus Seattle auf Kulturreise zu Nationalparks, Prärien und Museen bis zum Mount Rushmore führen sollte. Doch in der Nähe der Kleinstadt Bolton, South Dakota, kommt der Bus von der verschneiten Fahrbahn ab, die Passagiere werden von der Polizei schließlich bei Privatleuten in Bolton untergebracht. 
Reacher erfährt, dass Bolton mit seinen über 12.000 Einwohnern deshalb größer ist als auf der Landkarte, weil es ein nagelneues Bundesgefängnis bekommen hat, an das das neue Staatsgefängnis angegliedert worden ist, so dass viele neue Jobs und Motels für die Besucher entstanden sind. 
Reacher kommt aber nicht dazu, die Zeit bis zur Weiterreise auszuspannen, sondern wird gleich vom überfordert wirkenden Polizeichef Holland eingespannt, nachdem er sich über dessen Hintergrund bei der Militärpolizei informiert hat. Die Polizei hat nämlich nicht nur den Mord an einem Anwalt aufzuklären, sondern auch die Kronzeugin im Prozess gegen den kleinwüchsigen mexikanischen Drogenboss Plato, die frühere Lehrerin und Bibliothekarin Janet Salter, zu beschützen. Holland und sein Stellvertreter, Andrew Peterson, rechnen damit, dass Plato jemanden nach Bolton entsandt hat, um die Kronzeugin auszuschalten, was durch einen Aufstand im Gefängnis ein leichtes Unterfangen wäre, denn der Notfallplan sieht vor, dass ausnahmslos alle Polizeikräfte beim Ertönen der Gefängnissirene dorthin auszurücken haben. 
Während Reacher zunächst die Gastfreundschaft von Peterson annimmt, zieht er am nächsten Tag ins gemütliche Haus der Kronzeugin um und versucht über seine Nachfolgerin beim 110th Special Unit in Rock Creek, Virginia, Susan „Amanda“ Turner, herauszufinden, was es mit der im Kalten Krieg erbauten und nun aufgegebenen Militäranlage auf sich hat, die überwiegend von Bikern benutzt wird. In den Tiefen dieser Anlage scheint das Geheimnis verborgen zu sein, warum es Plato nach Bolton zieht … 
„Vor Reachers Augen stand ein verrücktes Diagramm, das dreidimensional explodierte: Raum, Zeit und Entfernung. Überall in der Stadt waren Cops unterwegs, bewegten sich willkürlich nach Norden, Süden, Osten, Westen, fuhren auf Hollands Anweisung zur Polizeistation, hörten alle die Sirene, änderten sofort ihre Richtung, auch Salters sieben Bewacher stürzten in die Nacht hinaus, verstärkten die allgemeine Verwirrung, rasten in Richtung Gefängnis davon und ließen Janet Salter schutzlos zurück.“ (S. 351) 
Es ist immer wieder erstaunlich, wie Lee Child seinen mittlerweile auch im Film durch Tom Cruise verkörperten Protagonisten Jack Reacher aus der mittlerweile allzu vertrauten Grundsituation des ohne Gepäck reisenden Anhalters in ständig neue Ausnahmesituationen gerät, die er mit militärischer Präzision aufzulösen versteht. 
In seinem bereits 14. Abenteuer bietet die unter eisigen Temperaturen leidende Kleinstadt Bolton eine ungewöhnliche Kulisse für die Probleme, die Reacher zusammen mit Holland und dessen mutmaßlichen Nachfolger Peterson zu lösen hat, wobei der immer wieder von 61 Stunden runtergezählte Countdown unnötigerweise das Tempo vorgibt, bis Plato seine Operation nahe der stillgelegten Militäranlage vollendet. Ein überschaubares Ensemble, die Suche nach einem Verräter in den eigenen Reihen, die sogar leicht sinnlich aufgeladenen Telefonate zwischen Reacher und seiner Nachfolgerin und Platos Organisation reichen aus, um einen temporeichen, allerdings auch arg vorhersehbaren Plot zu kreieren, der einen immer wieder sensiblen, verletzlichen Reacher zeigt, der allerdings im richtigen Moment zu alter Durchschlagskraft zurückfindet. 
Am interessantesten gestaltet sich dabei die rein telefonische Kommunikation zwischen Reacher und Susan Turner, die auch sehr persönliche Aspekte zur Sprache bringt und in späteren Reacher-Romanen zum Glück ihre Fortsetzung findet.  

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