Jim Thompson – „Muttersöhnchen“

Samstag, 22. April 2023

(Diogenes, 230 S., Tb.) 
Seit seinem 1942 erschienenen Debütroman „Now and on Earth“, der erst 2011 in deutscher Übersetzung als „Jetzt und auf Erden“ in der Heyne-Hardcore-Reihe erschienen ist, hat sich Jim Thompson zu einem der renommiertesten Noir-Autoren entwickelt, dem aber trotz seiner Arbeit in Hollywood, wo er in den 1950er Jahren die Drehbücher für Stanley Kubricks „Wege zum Ruhm“ und „Die Rechnung ging nicht auf“ ablieferte, und der 1972 einsetzenden Verfilmung seiner Romane (beginnend mit Sam Peckinpahs Klassiker „Getaway“) der verdiente Erfolg versagt geblieben ist. 
Nach mehreren, durch seinen exzessiven Alkoholkonsum verursachten Schlaganfällen starb Thompson verarmt und verbittert 1977 in Hollywood. Sein 1963, vier Jahre nach „The Getaway“ veröffentlichter Roman „The Grifters“ wurde zwar 1990 unter der Regie von Stephen Frears mit Anjelica Huston, John Cusack und Annette Bening verfilmt, zählt aber zu den eher schwächeren Romanen des längst zum Kult-Autor avancierten Thompson
Roy Dillon verdient sich seinen Lebensunterhalt als kleiner Trickbetrüger in Los Angeles, wo in einer Suite im Hotel Grosvenor-Carlton lebt. Seine Freundin Moira Langtry, eine geschiedene Frau in den Dreißigern, drängt darauf, dass er sich beruflich weiterentwickelt, um mit ihr ein gemeinsames Leben aufbauen zu können, doch Roys Mutter Lilly, die gerade mal vierzehn Jahre älter als ihr Sohn ist und mehr als nur mütterliche Gefühle für ihn zu hegen scheint und selbst in der Betrugsbranche für den Buchmacher Bobo Justus tätig ist, verfolgt andere Pläne für ihren Liebling, zumal sie selbst langsam zu alt für das Geschäft wird. 
Nachdem sie einen Einsatz auf der Rennbahn La Jolla verpasst hat und ihrem Chef so ein dickes Loch in der Kasse beschert hat, revanchiert er sich mit der Verbrennung ihrer Hand durch eine Zigarette. Als Roy ebenfalls bei einem Betrugsversuch erwischt und verprügelt wird, lässt Lilly ihren Sohn im Krankenhaus durch die Krankenschwester Carol aufpeppeln und sorgt dafür, dass die ihr verhasste Moira Roy nicht zu sehen bekommt. Obwohl Roy nach einigen Woche wieder genesen ist, lässt Lilly ihren Sohn in ihr Apartment am Sunset Strip östlich der Stadtgrenze von Beverly Hills verfrachten und verlängert die Fürsorge durch Carol, in die sich Roy – wie von Lilly geplant - schließlich verliebt. Doch als Moira versucht, die Dreieinigkeit zwischen Carol, Roy und Lilly zu zerstören, kommt es zur Katastrophe… 
„Vielleicht hatte sie ihn zu hart angefasst; kein Mann ließ sich gern herumkommandieren. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, sich so sehr für Lilly Dillon zu interessieren; jeder Mann war empfindlich, wenn es um seine Mutter ging. Aber wie auch immer, ihr Vorschlag war richtig und vernünftig. Sie würden beide davon profitieren. Es musste einfach so sein. Und wehe, wenn er nicht…!“ (S. 189) 
Nachdem „The Grifters“ zunächst in der Übersetzung von Jürgen Behrens 1983 bei Ullstein unter dem Titel „Die Abzocker“ veröffentlicht und dann in der gleichen Übersetzung zur Verfilmung des Romans als „Grfiters“ neu aufgelegt worden ist, erschien der Titel 1995 bei Diogenes als „Muttersöhnchen“ – diesmal von André Simonoviescz übersetzt. 
Wieder einmal stammen Thompsons Protagonisten aus eher ärmlichen Verhältnissen, die sich durch Betrügereien über Wasser halten. Insofern bietet „Muttersöhnchen“ wenig Neues. Interessant ist vor allem die Viererkonstellation, in der sich der intelligente, aber wenig ehrgeizige Roy Dillon durch die Hingabe gleich dreier Frauen manövrieren muss, wobei diese teilweise nicht die geringsten Skrupel besitzen, ihre Ansprüche an Roy und seine Ersparnisse durchzusetzen. Im Gegensatz zu Thompsons besseren Werken fehlt es bei diesem Werk an dem psychologischen Einfühlungsvermögen. Dass sich in „Muttersöhnchen“ einmal mehr keine wirklichen Sympathieträger ausmachen lassen, verwundert nicht, aber die überraschungsarme Dramaturgie der Story schon. 

 

Stephen King – „Duddits – Dreamcatcher“

(Ullstein, 827 S., HC) 
Nachdem Stephen King Mitte der 1970er Jahre mit „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“ und dem apokalyptischen Epos „The Stand – Das letzte Gefecht“ schnell zum international gefeierten „King of Horror“ avancierte, lieferte er in den folgenden beiden Jahrzehnten nahezu im Jahrestakt – oftmals auch verfilmte - Bestseller wie „Christine“, „Friedhof der Kuscheltiere“, „Es“, „Sie“, „Stark – The Dark Half“, „Needful Things“, „Dolores“ und „The Green Mile“ ab. Nach einem Autounfall im Jahr 1999 rehabilitierte sich King auf eigene Weise, schrieb das Manuskript zu „Duddits – Dreamcatcher“ mit Patronenfüllfederhalter von Waterman innerhalb eines Jahres und widmete sich einem Thema, das bis heute nur sporadisch in Kings umfangreichen Oeuvre anzutreffen ist, der Invasion der Erde durch Außerirdische. 
Schon als Kinder waren Pete, Jonesy, Henry und Biber in der Kleinstadt Derry, Maine, unzertrennlich gewesen. Ein besonderes Verhältnis entwickelten sie dabei zu Douglas „Duddits“ Cavell, einem Jungen mit Down-Syndrom, den sie vor jugendlichen Rowdys gerettet haben und der telepathisch begabt gewesen ist. Über die „Linie“, die Duddits zu sehen in der Lage ist, haben die fünf Freunde sogar ein vermisstes Mädchen aus einem Kanalschacht retten können. 
Über die Jahre haben die vier Freunde zwar Duddits aus den Augen verloren, seit sie aus Derry weggezogen sind, und sehen sich auch nur noch selten, doch einmal im Jahr treffen sie sich im Herbst zu einem Jagdausflug in Bibers Hütte in den Wäldern von Jefferson Tract. In ihrem erwachsenen Leben ist Joe „Biber“ Clarendon ein neurotischer Tischler geworden, Pete Moore ein alkoholsüchtiger Autoverkäufer, während der als Psychiater praktizierende Henry Devlin mit dem Gedanken an Selbstmord spielt und College-Dozent Gary „Jonesy“ Jones sich von einem schweren Autounfall erholt, bei dem er sich eine gebrochene Hüfte zugezogen hat. Der Jagdausflug im Herbst 1999 steht allerdings unter einem besonderen Stern, als in Jefferson Tract Aliens notlanden und sich wie Parasiten in den Menschen einnisten und mit ihren telepathischen Kräften dafür sorgen, sich in ihre Wirte hineinzuversetzen und sie nach ihrem Willen zu manipulieren. Der psychotische Armee-Offizier Abraham Kurtz versucht, im Auftrag der Regierung die Ausbreitung der „Ripleys“ zu verhindern – so wie sie es im Geheimen seit 1947 praktiziert. Es wird nämlich einfach ohne Rücksicht auf Verluste jedes Leben im von den Aliens beanspruchten Gebiet ausgelöscht. Während dieses Vorhabens begegnet Jonesy während der Jagd dem Anwalt Richard McCarthy, der offensichtlich seit einigen Tagen orientierungslos im Wald herumirrt, unter starken Schmerzen und fürchterlichen Blähungen leidet sowie ein verdächtig aussehendes Mal im Gesicht trägt. Trotz seiner Bedenken nimmt Jonesy den Mann mit in die Hütte, wo er zusammen mit Biber miterleben muss, wie der Mann von innen heraus zu verwesen scheint und eine pilzartige Substanz ausscheidet. Währenddessen besorgen Pete und Henry Nahrungsvorräte im Dorf und geraten bei dem einsetzenden Schneefall in einen Autounfall, in dem eine Frau verwickelt ist, die geistig verwirrt erscheint und der einige Zähne fehlen. Für die vier Freunde entbrennt ein Wettlauf gegen die Zeit, geraten sie doch zwischen die Fronten des Militärs und den parasitären Außerirdischen. Bald wird ihnen bewusst, dass nur Duddits sie aus dem Schlamassel befreien und die Invasion beenden kann, obwohl er bereits selbst im Sterben liegt… 
„Duddits, der in seinem Never-Never-Land, von der Außenwelt abgeschnitten, im Sterben lag, hatte seine Botschaften ausgesandt und nur Schweigen zur Antwort bekommen. Schließlich kam einer von ihnen vorbei, aber nur, um ihn mit nichts weiter als einer Tüte voller Pillen und seiner alten gelben Lunchbox von zu Hause zu entführen. Der Traumfänger war auch kein Trost. Sie hatten es mit Duddits immer nur gut gemeint, sogar schon damals an diesem ersten Tag; sie hatten ihn aufrichtig geliebt. Und doch endete es nun so.“ (S. 659) 
Etwas mehr als zehn Jahr nach dem 1988 veröffentlichten „Tommyknockers – Das Monstrum“ bekommt es die Menschheit erneut mit telepathisch begabten Außerirdischen zu tun, doch dient die Geschichte diesmal vor allem dazu, Stephen Kings Trauma zu verarbeiten, von einem betrunkenen Autofahrer fast tot gefahren worden zu sein, auf jeden Fall während der langwierigen Genesung über ein halbes Jahr erhebliche Schmerzen erlitten zu haben. Vor diesem Hintergrund fällt es dem Leser leicht, in der Figur des College-Dozenten Gary „Jonesy“ Jones eine Art Alter Ego des berühmten Schriftstellers zu sehen, der ebenfalls einen schweren Autounfall überlebt hat und seitdem mit den Folgen seiner gebrochenen Hüfte zu kämpfen hat. Entsprechend authentisch wirken die vielen Beschreibungen körperlicher Schmerzen und die Schilderungen schwerer Verletzungen, bei denen nicht nur Zähne ausfallen und viel Blut fließt, sondern auch an Tränen und allen vorstellbaren menschlichen Ausscheidungen in gasförmiger oder flüssiger Form ebenso wenig gespart wird wie an Kraftausdrücken und derbem Humor. 
Wie in den meisten King-Romanen werden auch in „Duddits“ ganz gewöhnliche Menschen mit einer kaum vorstellbaren Krisensituation konfrontiert. King ließ sich dabei ganz offensichtlich von dem Science-Fiction-Klassiker „Invasion of the Body Snatchers“ inspirieren, den er auch namentlich erwähnt, und erzielt das Grauen vor allem aus der Vorstellung, dass die Außerirdischen die Menschheit auf der Gedankenebene infiltrieren und gefügig machen wollen. 
Dass die Heimatstadt der fünf Freunde Derry ist, verweist natürlich auf Kings Meisterwerk „Es“, wobei er immer wieder Elemente daraus aufgreift, vor allem den großen Sturm von 1985, der einen Großteil der Stadt verwüstete und dem auch der Wasserturm zum Opfer fiel. Bei aller sprachlicher Könnerschaft wirkt das Verhältnis zwischen Kurtz‘ psychotischen Trieb, die Außerirdischen zu eliminieren, und der berührenden Geschichte der fünf Freunde etwas unausgeglichen. 
Während die militärischen Protagonisten für meinen Geschmack etwas zu viel Raum erhalten und King fast schon ins Schwafeln gerät, hätten die Episoden, die das Leben der fünf Freunde in Derry und danach umfassen, weitaus ausführlicher dargestellt werden können. So wirkt „Duddits“ wie ein auf Action getrimmter Science-Fiction-Horror, den auch Lawrence Kasdan in seiner Verfilmung „Dreamcatcher“ nicht in den Griff bekommen hat. 

 

Philippe Djian – „Kriminelle“

Freitag, 7. April 2023

(Diogenes, 244 S., HC) 
In den 1980er Jahren avancierte der französische Schriftsteller Philippe Djian zum Liebling der Literaturszene. In Romanen wie „Blau wie die Hölle“, „Erogene Zone“, „Betty Blue – 37,2 Grad am Morgen“ und „Verraten und verkauft“ ließ Djian seinen Ich-Erzähler als sein Alter ego auf erfrischend frivole wie leichtfüßige und humorvolle Weise über Sex, Gefühlschaos und Schreibblockaden schwadronieren, dass es eine Freude war, sich in die turbulenten Stories zu stürzen. Ende der 1990er Jahre war von diesem schwungvollen Flair nur noch wenig übrig geblieben. 
1994 legte er mit „Assassins“ (dt. „Mörder“ bzw. „Ich arbeite für einen Mörder“) den Auftakt einer Trilogie vor, die er zwei Jahre später mit „Kriminelle“ fortsetzte. 
Francis hat es nicht leicht. Er hat keinen Job, einen scheinbar kaputten Rücken, und das Verhältnis zu seiner fünfundvierzigjährigen Freundin Élisabeth gestaltet sich ebenso kompliziert wie das zu seinem Bruder Marc oder seinem Sohn Patrick, der sich in Théos Frau Nicole verguckt hat, was Francis gut nachvollziehen kann, hat er sich, bevor er mit Élisabeth zusammengekommen ist, doch selbst gut ein Dutzend Mal sich auf Nicole einen runtergeholt. Nun will seine Ex-Frau Christine Patrick mit ihrem neuen Mann Robert, der im Zuckerrohrgeschäft tätig ist, nach Guatemala auswandern. 
Zu allem Überfluss muss sich Francis entscheiden, was er mit seinem Vater anstellen soll, der zu einem Pflegefall geworden ist. Mit seinem Bruder, der als Schriftsteller arbeitet, hat er sich immer wieder über den Tod ihrer Mutter in die Haare bekommen, nachdem sie in ihrer Badewanne ertrunken war. Da für Marc seine Mutter sein Ein und Alles gewesen ist, lässt er sich nicht von seiner Überzeugung abbringen, dass sie von dem zur Gewalt neigenden Vater der beiden Brüder umgebracht worden sei. Die befreundeten Paare haben mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen. Während Monique verzweifelt ist, dass sie keinen Orgasmus mehr bekommt, ist ihr Mann Ralph nur noch an seinem Rennpferd interessiert. Bei einem Picknick an der Sainte-Bob im Mai treten die Konflikte zwischen den Paaren offen zutage… 
„Ich habe die Abenteuer meiner Ex, Patricks Mutter, nie verkraftet. Ich musste älter als fünfzig werden, um mir einen blasen zu lassen, ohne deshalb alle Frauen zum Kotzen zu finden. Aber man wird diese Sachen nie ganz los. Mit Élisabeth würde ich mich gern im Schlamm wälzen und in weißen Laken wach werden. Ich lebe damit, und ich wüsste nicht, was ich anderes tun könnte. Ich glaube, dass ich mich nicht mehr ändere.“ (S. 102) 
Veränderung ist das große Thema in Djians „Kriminelle“. Insofern passt das dem Roman vorangestellte Zitat „Im Grunde könnte jeder irgendein anderer sein. Man muss sich entscheiden.“ von Richard Ford wie die Faust aufs Auge. Allerdings leidet nicht nur Philippe Djians Ich-Erzähler unter dem Mangel am nötigen Willen dazu, auch Francis‘ Mitmenschen verspüren zwar den Drang zu einer Veränderung in ihrem Leben, werden aber nicht glücklich bei dem Versuch, wenigstens mit kleinen Schritten zu einer Verbesserung ihres Lebensgefühls beitragen zu wollen. 
An Handlung ist „Kriminelle“ so arm wie sonst kaum einer von Djians Romanen. Stattdessen beschränkt sich der einst gefeierte Autor darin, die unterschiedlichen Gefühlswelten seiner Figuren in recht substanzlosen, aber ausufernden Dialogen zum Ausdruck zu bringen, ohne dass sich an der Situation der Beteiligten etwas ändert. Zum Ende hin kommt Francis zur Erkenntnis, dass doch alles ganz einfach sei, worauf Élisabeth entgegnet: „Meine Güte, das sagst du, Francis. So einfach nun doch wieder nicht.“ Diese wenigen Zeilen sind bezeichnend für „Kriminelle“, denn es sind keine wirklich schwerwiegenden Probleme, die Francis & Co. hier zu lösen haben. Sie kreisen einfach um sich selbst, dramatisieren unnötig, kommen nicht voran. Diesen Stillstand vermag Djian zwar wie gewohnt sprachlich brillant einzufangen, doch außer den einfallsreichen Beschreibungen einiger erotischer Momente langweilt „Kriminelle“ einfach nur. 

 

Jim Thompson – „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“

Mittwoch, 5. April 2023

(Diogenes, 268 S., Tb.) 
Die Karriere von Jim Thompson kam erst spät in Gang. Obwohl er seine ersten Romane bereits in den 1940er Jahren veröffentlicht und vergeblich versucht hatte, in Hollywood Fuß zu fassen, blieb er in der Literaturszene ein Geheimtipp und bekam kaum noch seine Alkoholprobleme in den Griff, bevor er in den 1950er Jahren nicht nur eine Flut von Romanen schrieb, sondern auch von Stanley Kubrick beauftragt wurde, die Drehbücher zu seinen beiden Filmen „Die Rechnung ging nicht auf“ (1956) und „Wege zum Ruhm“ (1957) zu schreiben. Doch erst in den 1970er Jahren wurde Thompson so richtig bekannt, als erst Sam Peckinpah „Getaway“ (1972) verfilmte und dann andere Filmemacher nachzogen. So nahm sich der französische Regisseur Bertrand Tavernier 1981 mit „Der Saustall“ des 1964 erschienenen Romans „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“ an, der zu den witzigsten Werken des 1977 verstorbenen Autors zählt. 
Nick Corey ist Sheriff im Potts County und lebt mit seiner anstrengenden, ewig schimpfenden und respektlosen Frau Myra und ihrem leicht debilen Bruder Lennie im 1280-Seelen-Kaff Pottsville. Für seine zweitausend Dollar im Jahr macht Nick eigentlich nichts, außer den Status quo zu erhalten, allerdings beschleicht ihn vor der anstehenden Wahl das mulmige Gefühl, dass die Bürger in dem Bezirk nicht mehr so zufrieden mit ihm sein könnten. 
Wenn er wirkliche Probleme zu lösen hat – wie zum Beispiel die Beseitigung eines öffentlichen Aborts oder die Eliminierung zweier unbequemer Zuhälter -, reist Nick in den Nachbarbezirk zu seinem Kollegen Ken Lacey, der ihm stets mit Rat und Tat zur Seite steht. Doch die wahren Probleme bereiten ihm die Frauen, denn neben seiner pöbelnden Ehefrau haben auch Rose Hauks und die Prostituierte Amy Mason Ansprüche auf den Sheriff angemeldet. Um sich durch diese kniffligen Herausforderungen zu manövrieren, lässt Corey nicht nur Amys Zuhälter und Roses prügelnden Ehemann Tom über die Klinge springen, sondern lenkt die Ermittlungen in den Mordfällen geschickt in die von ihm gewünschte Richtung, so dass andere Verdächtige in den Fokus rücken… 
„Ich war fast soweit gewesen, hatte fast einen Plan gehabt, wie ich mit einem Schlag nicht nur Rose loswerden konnte, ohne sie mehr als einmal zu sehen, sondern auch gleichzeitig noch das Problem mit Myra und Lennie lösen würde. Und dann hatte Amy gesprochen, und Teile des Plans waren in alle Himmelsrichtungen verweht worden. Ich wusste, dass es mir verdammt schwerfallen würde, sie alle wieder zusammenzubringen – wenn es mir überhaupt jemals wieder gelingen würde.“ (S. 186) 
Auch wenn Jim Thompson gemeinhin dem Noir-Genre zugerechnet und mit Dashiell Hammett, Raymond Chandler und Robert B. Parker in einem Atemzug genannt wird, stechen seine Werke doch in ihrer einzigartigen Konzeption und Figurenzeichnung besonders heraus. „Zwölfhundertachtzig schwarze Seelen“ stellt dabei ein Paradebeispiel für Thompsons zutiefst schwarzen, herrlich lakonischen Humor dar. Sein Protagonist, der ebenso faule wie geile Sheriff Nick Carey, tritt als Ich-Erzähler auf und macht nie einen Hehl daraus, dass er eigentlich nur seine Ruhe haben will, dass er dabei aber alle Mühe hat, die sexuellen Avancen seiner Frauen zu befriedigen und sie glauben zu lassen, dass er ihnen allein gehöre. Zwar wirkt Carey zunächst etwas beschränkt, doch bei der Verschleierung seiner Verbrechen stellt er eine gewitzte Bauernschläue unter Beweis, die Kollegen wie Kontrahenten in arge Bedrängnis bringt. 
Bei aller humorvollen Ausrichtung präsentiert sich „1280 schwarze Seelen“ aber auch als faszinierende Milieustudie der Unterschicht im US-amerikanischen Süden zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Hier werden noch keine raffinierten Beweisführungen verlangt und auch keine rasenden Verkehrssünder zur Rechenschaft gezogen. In Pottsville geht alles seinen langsamen Weg, wird das Miteinander noch von Hörensagen und Rassismus geprägt. Identifikationsfiguren bietet der Roman natürlich nicht, dazu sind sowohl der Ich-Erzähler als auch seine Mitmenschen zu dumpfbackig, zu verdorben oder zu gerissen, aber Spaß macht es natürlich trotzdem. 
Lesenswert ist auch das ausführliche Nachwort von Wolfram Knorr, der nicht nur die eigenartige Natur von Thompsons Helden unter die Lupe nimmt, sondern auch das Werk des heute so gefeierten Schriftstellers mit seinem starken Bezug zur amerikanischen Provinz als „wütende Reflexe eigener Erfahrungen“ beschreibt. 

 

Robert Bloch – „Psycho 2“

Samstag, 1. April 2023

(Heyne, 254 S., Tb.) 
Robert Bloch (1917-1994) hatte zwar schon 1947 angefangen, Romane zu veröffentlichen, aber erst die durch Alfred Hitchcock 1960 verfilmte Geschichte von „Psycho“ wurde Bloch weltberühmt, woraufhin er auch in Hollywood als Drehbuchautor hofiert wurde. So lieferte Bloch die Vorlagen für Filme wie „Das Kabinett des Dr. Caligari“ (1961), „Der Foltergarten des Dr. Diabolo“ (1966), „Totentanz der Vampire“ (1969) und „Asylum“ (1972). Als die Frage nach einer Fortsetzung von Hitchcocks Spannungs-Klassiker konkreter thematisiert wurde, schrieb Bloch 1982 „Psycho 2“, der allerdings nicht die Vorlage für den gleichnamigen Film aus dem Jahr 1983 liefern sollte. 
Zwanzig Jahre nach den Vorfällen in Bates Motel hat Norman Bates in den Gesprächen mit Dr. Clairborne ein Verständnis dafür entwickelt, dass er nicht seine eigene Mutter, sondern eine Person für sich ist, und fühlt sich geheilt. Schließlich braucht er keine Zwangsjacke mehr, keine Gummizelle und keine Medikamente zur Ruhigstellung. Als Bibliothekar kann er sich in dem Sanatorium sogar recht frei bewegen. Als er Besuch von der Nonne Schwester Barbara erhält, die am College Psychologie studiert hat und sich für den Fall interessiert, nutzt Bates die Chance zur Flucht, indem er erst Schwester Barbara außer Gefecht setzt und sich ihrer Kleidung bemächtigt, dann unterwegs auch ihre Begleiterin Schwester Cupertine mit einem Wagenheber erschlägt. 
Als Norman Bates‘ Flucht bemerkt wird, ist die Aufregung natürlich groß. Während er nach Fairvale unterwegs ist, um sich an Mary Cranes Schwester Lila und ihrem Mann Sam Loomis zu rächen, die erst für die Enthüllung der Morde an Mary Crane und den Detektiv Arbogast gesorgt haben, plant Hollywood-Produzent Marty Driscoll mit „Verrückte Lady“ gerade eine Verfilmung von Norman Bates‘ Geschichte. Als die Filmemacher von Norman Bates‘ Flucht erfahren, droht das Projekt zunächst zu platzen, doch gerade die für die Rolle der Mary Crane vorgesehene Jan Harper sieht in dem Film die letzte Chance, ihre Karriere noch voranzubringen, und setzt sich erfolgreich für die Fortsetzung der Planungen ein, schließlich sorgt die Flucht von Norman Bates für zusätzliche Werbung für den Film. Dr. Clairborne soll als fachlicher Berater fungieren und das Drehbuch von Roy Ames auf Herz und Nieren prüfen. Doch Clairbornes Bedenken wegen der Gewaltverherrlichung werden nicht besonders ernst genommen, denn Sex und Gewalt locken nun mal das Publikum in die Kinos. 
Vor allem Regisseur Santo Vizzini will sich nicht auf die Reduzierung der Gewaltdarstellung einlassen, doch als sich merkwürdige Ereignisse auf dem Studiogelände häufen, werden alle Beteiligten etwas nervös… 
„,Verrückte Lady‘ würde ein Triumph werden, denn der Streifen würde die Wirklichkeit zeigen, beinahe so echt wie der Kokain-Film. Es war das Dokumentarische, worauf es ankam. Driscoll verstand das nicht; das einzige, was ihn interessierte, war Geld. Für ihn war der Bankauszug wichtig, aber für den kreativen Künstler war nur der Film von Bedeutung. Die nackte, ungeschminkte Wahrheit in einer Welt, in der die Frauen ihr schmutziges Geheimnis unter den Röcken verbergen. Man musste ein Mann sein wie er selbst, ein Mann wie Norman, um dieses Geheimnis zu enthüllen, um das Böse zu entlarven und zu bestrafen.“ (S. 218) 
Dass die Universal Studios kein großes Interesse an der Verfilmung von Robert Blochs Romanfortsetzung von „Psycho“ zeigten, lässt sich nur zu gut nachvollziehen. Zunächst spielt Norman Bates in dem Roman „Psycho 2“ nur in den ersten Kapiteln eine tragende Rolle, dann verschwindet er vollkommen in der Versenkung, während sich die Handlung nach Norman Bates‘ Flucht aus der Nervenheilanstalt ganz auf die geplante Hollywood-Produktion konzentriert. Hier kommen nicht nur Robert Blochs intimen Kenntnisse der Filmproduktion zum Tragen, sondern auch sein Faible für psychologisch fundierte Charakterisierungen, die stellvertretend für den Autor der Psychiater Dr. Clairborne und später auch sein Chef Dr. Steiner vornehmen. 
Doch im Gegensatz zu „Psycho“ gelingt es der Fortsetzung nicht, die interessante Ausgangssituation durch Norman Bates‘ Flucht, die mit dem Start der Filmproduktion über sein Leben zusammenfällt, bis zum Finale dramaturgisch packend weiterzuführen. Stattdessen geht Bloch mit der Prämisse von Sex und Gewalt in Hollywood-Produktionen hart ins Gericht, was Universal ein weiterer Dorn im Auge gewesen sein dürfte, um ein eigenes Drehbuch für die Fortsetzung von „Psycho“ in Auftrag zu geben und Robert Bloch bei den Filmvorbereitungen außen vor zu lassen und ihn nicht zu einer Vorführung einzuladen. 
So interessant die Einblicke in die Prozesse und Motivationen hinter einer Filmproduktion auch sind, kommt bei „Psycho 2“ einfach keine Spannung auf. Gerade der psychologisch arg konstruiert wirkende Schluss verleiht dem Roman seinen Todesstoß.