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Daniel Woodrell – „Der Tod von Sweet Mister“

Samstag, 13. März 2021

(Liebeskind, 192 S., HC) 
Der dreizehnjährige, von seinem Stiefvater Red meist nur als „Fettsack“ bezeichnete Morris „Shug“ Atkins wächst in den Ozarks, dem Hinterland von Missouri, auf und muss Tag für Tag miterleben, wie seine Umwelt vor die Hunde geht. Seine einstmals schöne Mutter Glenda hängt eigentlich nur and er Flasche, nennt den Rum-Cola-Mix, den ihr Shug regelmäßig in eine Thermoskanne abfüllen muss, verniedlichend nur „Tee“, während der nichtsnutzige Red kommt und geht, wie er will. Seinen ungeliebten Stiefsohn nimmt er allerdings auf seinen Raubzügen mit. Während er selbst im Auto wartet, verschafft sich Shug als Verkäufer der Farmer-Zeitung „Grit“ Zugang zu vorher ausgekundschafteten Häusern und klaut schwerkranken Menschen ihre Schmerzmittel. 
Shug empfindet dabei immerhin so viel Mitgefühl, dass er den bettlägerigen Menschen noch ein paar Pillen dalässt, damit ihre Angehörigen rechtzeitig Nachschub besorgen können. Shug ist alles andere als wohl bei diesen Raubzügen, zu denen er aufgefordert wird, doch fehlt ihm die Kraft, dem verhassten Red Paroli bieten zu können. Stattdessen behagt Shug der Gedanke, für seine Mutter mehr als nur ein Kind zu sein. Ihre vertrauten, liebevollen Gesten machen ihm Mut, etwas mehr als mütterliche Zuneigung einzufordern. Doch als sich Glenda in den Koch Jimmy Vin Pierce verguckt, der Glenda und Shug in seinem grünen Thunderbird in schicke Restaurants ausführt und vor allem Glenda von einem anderen Leben träumen lässt, kommt es zur Katastrophe … 
„Eine Weile schwankten die normalen Tage. Manchmal dachte ich, das Haus würde zittern. Es war alles ganz normal, und jeden Tag drängten sich Dinge auf, die nicht normal waren. Ein Haus, das zitterte, warf alles ab. Jimmy Vin hielt sich fern und ließ Glenda mit ihren Gedanken allein; sie war ständig betrunken. Jeden Tag wartete sie auf ihn, versuchte zu lächeln, wartete, wurde immer unruhiger, aber er tauchte nicht auf. Noch vor dem Mittagessen nahm sie ihre silberne Thermoskanne mit ins Schlafzimmer, lag da und fragte ab und zu, ob ich den Thunderbird in der Nähe gesehen hätte.“ (S. 154) 
15 Jahre nach seinem Romandebüt „Cajun Blues“, dem Auftakt seiner „Bayou“-Trilogie, und fünf Jahre vor seinem erfolgreich verfilmten Bestseller „Winters Knochen“ widmete sich der US-amerikanische Schriftsteller Daniel Woodrell 2001 mit „Der Tod von Sweet Mister“ einmal mehr dem White Trash im unwirtlichen Ozark-Plateau. Hier gehen die Menschen kaum geregelten Jobs nach, kümmern sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten und kommen nur durch krumme Dinge über die Runden. 
In dieser trostlosen Welt wächst der als Ich-Erzähler eingesetzte Shug auf, der im Alter von gerade mal dreizehn Jahren mitansehen muss, wie seine Familie vor die Hunde geht. Seine einst hübsche Mutter Glenda, die ihren Sohn auch mal liebevoll „Sweet Mister“ nennt, scheint eher auf die Fürsorge ihres Sohnes angewiesen zu sein als andersherum. In seinem jungen Alter bleibt Shug allerdings nichts anderes übrig, als nach dem Willen der egoistischen Erwachsenen zu tanzen. So geht Shug durch die harte Schule des Lebens. 
„Der Tod von Sweet Mister“ – der doppeldeutige Titel deutet es bereits an – ist eine Coming-of-Age-Geschichte der düsteren Sorte. Echte Zuneigung scheint es unter diesen Hillbillys nicht zu geben, und jeder zarte Versuch, daran etwas zu ändern, endet mit einer Katastrophe. Im Gegensatz zu vielen Horror-Filmen, die im Hillbilly-Milieu angesiedelt sind, wie „Texas Chainsaw Massacre“, „The Hills Have Eyes“ oder „Wrong Turn“, bedient sich Woodrell aber keiner Klischees, sondern erweckt in seiner unnachahmlich fesselnden Sprache seine Figuren zu echtem Leben, ohne sie zu verurteilen. Von Beginn macht der Autor aber auch deutlich, dass es aus diesem Schlammassel keinen Ausweg gibt. Sein dreizehnjähriger Protagonist wird nur herumgeschubst, als Projektionsfläche für die wahre Liebe von seiner Mutter missbraucht, von seinem eigennützigen Stiefvater zu kriminellen Handlungen angestiftet und muss so auf die harte Tour lernen, wie die Welt der Erwachsenen tickt und sich dreht. Ein Happy End kann es in dieser rauen Welt, in der es den Menschen an allem mangelt, nicht geben. 

Daniel Woodrell – „In Almas Augen“

Donnerstag, 11. März 2021

(Liebeskind, 188 S., HC) 
Im Sommer 1929 kommt es in einer Kleinstadt in Missouri während einer Tanzveranstaltung in der Arbor Dance Hall zu einer nie aufgeklärten Explosion, bei der am Ende 42 Menschen ihr Leben verloren. Vor allem die Haushälterin Alma DeGeer Dunahew lassen die schrecklichen Ereignisse ihr Leben lang nicht los, schließlich verlor sie auch ihre geliebte Schwester Ruby in den Flammen. Ihr Enkel Alek ist zwölf, als er den Sommer 1965 bei ihr verbringt und die Geschichte aus ihrem Mund zu hören bekommt. 
Sofort ist der Junge fasziniert, schließlich handelt es sich um eine aufregende Geschichte um Feuer, Flammen und Tod. Es gab viele Tote, aber wenige Verdächtige, ein Rätsel, das nie gelöst wurde. Doch Alma, die weder „Großmutter“ noch „Omama“ genannt werden wollte, hat ihre eigene Theorie, wer hinter dem Unglück gesteckt haben könnte. Alma, so berichtet der Ich-Erzähler Alek, hatte die Schule nur bis zum Ende der dritten Klasse besuchen dürfen, hat sich auf den Feldern ihres gewalttätigen Vaters Cecil DeGeer abgerackert, um dann als Dreizehnjährige in die Stadt zu entfliehen und dort Jobs als Köchin, Wäscherin und Dienstmagd anzutreten.
 Sie hatte ein entbehrungsreiches, von Enttäuschungen und Verlusten geprägtes Leben hinter sich, heiratete den alkoholsüchtigen Nichtsnutz Buster, bekam drei Kinder, verlor aber zwei von ihnen. Bei ihren gemeinsamen Spaziergängen durch die Stadt gab Alma stets Episoden aus ihrem Leben dort zum Besten. Am ausführlichsten berichtete Alma von ihrem Leben als Magd bei der einflussreichen Bankiersfamilie Glencross. Im Gegensatz zu ihr selbst verstand es ihre zehn Jahre jüngere Schwester Ruby, ihr attraktives Äußeres und ihren Charme gekonnt einzusetzen, um die Herzen jener gut gestellten Männer zu betören, die sie mit Geschenken überhäuften, bis sich spendablere Männer fanden. Schließlich begann sie eine Affäre mit dem verheirateten Arthur Glencross – mit offenbar tödlichen Folgen. Alma ist über diesen Verlust nie hinweggekommen. 
„Sie ließ sich aus reiner Vergesslichkeit die Haare wachsen, bis sie zu lang für die Küchenarbeit waren; ihre Gedanken richteten sich nun schon so viele Wochen und Monate auf anderes, doch als sie in einem Badezimmerspiegel die volle Haarlänge sah, beschloss sie auf der Stelle, sie für immer wachsen zu lassen. Sie hatte die heilige Eingebung, dass Haar von geradezu unwirklicher Länge eine öffentliche, hingebungsvolle Ehrung der Toten wäre, der Toten und ihrer eigenen Mission, für die Gestorbenen Gerechtigkeit oder Rache zu erwirken, das eine oder das andere, aber am liebsten beides.“ (S. 115f.) 
Der US-amerikanische Schriftsteller Daniel Woodrell ist ein Meister der geschliffenen Sprache. Das hat er mit seiner „Bayou“-Trilogie ebenso bewiesen wie mit den erfolgreich verfilmten Bestsellern „Wer mit dem Teufel reitet“ und „Winters Knochen“ sowie dem mit dem P.E.N. ausgezeichneten Roman „Tomatenrot“. In dem 2014 auch auf Deutsch erschienenen Roman „In Almas Augen“ erzählt er weniger einen auf wahren Begebenheiten beruhenden Krimi oder die Biografie einer alten Frau, die zu viel Schreckliches in ihrem Leben verarbeiten musste, sondern letztlich das Portrait einer Kleinstadt in den Ozarks, Missouri, wo Woodrell auch seine Romane „Winters Knochen“ und „Der Tod von Sweet Mister“ spielen lässt. Nicht von ungefähr spielen die Ereignisse im Jahr 1929, als der New Yorker Börsencrash die Schere zwischen Arm und Reich noch stärker auseinanderklaffen ließ. 
Auch wenn Woodrell einen Ich-Erzähler einsetzt und durch ihn zunächst die Lebensgeschichte dessen Großmutter präsentieren lässt, erweist sich „In Almas Augen“ als ein vielschichtiges Potpourri von Einzelschicksalen. Da ist die fünfzehnjährige Dimple Powell, die schon ein ganzes Jahr lang in ihrem Zimmer tanzen geübt hatte und hoffte, auf dem Fest von Jungs auch zum Tanzen aufgefordert zu werden, oder Mr. Lawrence Meggs, der stets Säcke mit Lockfutter in die Bäume am Rand seines Hofs hängte und im Alter von siebzehn Jahren bei seinen Cousins in Cousins zwei Laster kennenlernte, denen er bis heute frönt, dem Alkohol und den Frauen. Es gibt den unfähigen Prediger und den Bankräuber, der sich Irish Flannigan nannte. Woodrell reiht die oft nur kurze Kapitel umfassenden Einzelschicksale in nicht chronologischer Reihenfolge aneinander und entwirft so ein komplexes Panorama eines Kleinstadtlebens, das sich letztlich auf eine unglückselige Liebesgeschichte mit fatalen Folgen reduzieren lässt. 
Wer sich auf die vielen Sprünge zwischen Zeiten und Figuren einlassen mag, wird mit einer großartig erzählten Geschichte belohnt, die jede Konvention sprengt, dafür den Leser mit scharfsinnigen Beobachtungen und entfesselter Sprachgewandtheit verwöhnt.  

Daniel Woodrell – „Winters Knochen“

Sonntag, 7. März 2021

(Liebeskind, 224 S., HC) 
Als ihr Vater, der weithin bekannte Meth-Kocher Jessup Dolly, nicht wie versprochen mit einer Tüte voller Geld und schöner Sachen zurückkommt, nachdem er sich mit seinem blauen Capri auf den Weg gemacht hatte, liegt es an der gerade mal sechzehnjährigen Ree, die Familie zu versorgen. Dabei fehlt es der in ärmlichen Verhältnissen im Hinterland von Missouri lebenden Familie an allem. Während ihre katatonische Mutter sich um nichts mehr kümmern kann, sorgt Ree dafür, dass ihre jüngeren Brüder Harold und Sonny zu essen bekommen und zur Schule gefahren werden. 
Von Deputy Baskin erfährt Ree, dass Jessup einmal mehr angeklagt wird, in einer Woche zu seinem Gerichtstermin erscheinen muss, doch nirgends aufzufinden ist. Sollte er zu dem Termin nicht erscheinen, verfällt die gestellte Kaution, für die Jessup das Haus und den angrenzenden Wald verpfändet hat. Um das Heim ihrer Familie nicht zu verlieren, bleibt Ree nichts anderes übrig, als nach ihrem Vater zu suchen. 
Sie fängt bei Jessups älteren Bruder, Onkel Teardrop, doch wird ihr auch auf den weiteren Stationen ihrer Suche unmissverständlich klar gemacht, dass sie besser ihre Finger von der Sache lässt. Von Merab Milton und ihren Schwestern wird sie sogar brutal zusammengeschlagen. Schließlich kann Onkel Teardrop gerade noch Schlimmeres verhindern. Ree kommt immer mehr zu der Überzeugung, dass ihr Vater tot ist, doch um das zu beweisen und damit ihr Zuhause zu retten, muss sie die Leiche finden, so zerschunden ihr Körper und angegriffen ihre Psyche auch sein mag … 
„Alles Mögliche tanzt einem im Kopf herum, meist nicht jene Erinnerungen, die man mit ganz bestimmten Gedanken zurückzurufen versucht hat, doch meist holen selbst die ungewollt tänzelnden Gedanken Gefühle herbei, locken sie hervor oder lassen zumindest ein Gewirr davon zurück. Weiß legte sich auf das Fensterbrett, Schneeflocken stolzierten umher, wehten gegen die Glasscheiben, und Ree tastete mit der Hand auf dem Fußboden herum, schüttelte eine weitere blaue Tablette heraus, lehnte sich zurück und wartete auf das schwarze Loch.“ (S. 187) 
Nachdem der in St. Louis und Kansas City aufgewachsene Daniel Woodrell seinen freiwilligen Dienst bei den Marines und das College absolviert hatte, nahm er am renommierten Iowa Writers' Workshop teil und lieferte 1986 sein Romandebüt „Cajun Blues“ ab, den ersten Teil seiner Bayou-Trilogie. Sein Roman „Wer mit dem Teufel reitet“ wurde ebenso verfilmt (1999 durch Ang Lee) wie das vorliegende Buch 2010 durch Debra Granik mit Jennifer Lawrence in der Hauptrolle. 
Obwohl die Geschichte gerade mal 220 Seiten umfasst, packt sie den Leser von der ersten Seite an. Das ist vor allem Woodrells kraftvoller, farbenprächtiger Sprache zu verdanken, aber schließlich hat er mit der leiderprobten Teenagerin Ree auch eine charismatische, kämpferische und willensstarke Protagonistin geschaffen, die sich nicht nur aufopferungsvoll um ihre Familie kümmert, sondern auch unbeirrt nach ihrem verschollenen Vater sucht, wobei sie sich nicht mal von der brutalen Behandlung durch ihre entfernte Verwandtschaft abschrecken lässt. 
Dem Autor gelingt es, die von Hügeln und Tälern geprägte Landschaft der Ozarks wunderbar zur Geltung zu bringen und die oft unwirtlichen Verhältnisse mit den schwierigen Charakteren des White-Trash-Milieus zu verknüpfen. Hier fügen sich Sittenzusammengehörigkeit und Verdorbenheit zu einem schicksalhaften Gemisch, das eigentlich kein Happy End hervorbringen kann. So unerbittlich kalt die Natur sich hier im Winter präsentiert, so hart gehen auch die dort lebenden Menschen miteinander um, die sich allesamt mit illegalen Aktivitäten ihren Lebensunterhalt verdienen oder davon profitieren wie die Kautionsagenten. Unter diesen Bedingungen lässt es sich nur leben, wenn die strengen Regeln der eingeschworenen Gemeinschaft eingehalten werden, oder man stark genug ist, für die eigenen Überzeugungen durch die Hölle zu gehen.  

Daniel Woodrell – „Zum Leben verdammt“

Samstag, 8. September 2018

(Liebeskind, 256 S., HC)
Der deutschstämmige Jake Roedel schließt sich im Alter von 19 Jahren der Bushwhacker-Truppe First Kansas Irregulars unter Führung von Black John Ambrose an, Rebellen, die im Jahr 1861 im Grenzland zwischen Missouri und Kansas auf Seiten der Konföderierten kämpfen und mit brutaler Gewalt gegen Unionstruppen und ihre Sympathisanten vorgehen.
Im Kreise seiner Kameraden Black John, Pitt Mackeson, Coleman Younger, Jack Bull Chiles, George Clyde und dessen treuen schwarzen Gefährten Holt wird Roedel immer wieder kritisch beäugt, doch als Roedel einen deutschen Jungen hinterrücks erschießt, der seinen am Baum aufgeknüpften Vater retten will, hat er sich den Respekt seiner Mitstreiter verdient, zumal er mit seiner Schönschrift dazu auserwählt war, Briefe für seine Kameraden zu verfassen.
In den blutigen Auseinandersetzungen mit den Föderalisten stirbt schließlich Roedels Kumpel Jack Bull Chiles, der mit Sue Lee gerade erst ein Kind gezeugt hat. Als Roedel nahegelegt wird, die Stelle seines toten Kameraden einzunehmen und Sue Lee zur Frau zu nehmen, beginnt er die zunehmend willkürlichen Gräueltaten der Rebellen zu hinterfragen.
„Viele Qualen fanden ohrenbetäubenden Ausdruck. Die Frauen klagten. Kinder schrien. Weit und breit war keine Armee in Sicht. Die Bürger gaben nicht mal einen Schuss ab, um sich zu wehren. Viele von ihnen standen auf den Straßen und gafften uns sprachlos an, als könnten sie nicht glauben, dass wir genau das waren, wonach wir aussahen.“ (S. 199) 
Nach seinem 1986 veröffentlichten Debüt „Under the Bright Lights“ (das 1994 unter dem Titel „Cajun Blues“ in deutscher Übersetzung erschien) legte der 1953 in Springfield, Missouri, geborene Schriftsteller Daniel Woodrell ein Jahr später mit „Woe to Live On“ an und präsentierte damit die literarische Vorlage für den Ang-Lee-Western „Ride With the Devil“ aus dem Jahre 1999, an dessen Drehbuchfassung der Autor ebenfalls mitwirkte. Gleich zu Beginn des nun durch den Liebeskind Verlag neu aufgelegten Titels beschreibt Woodrell, wie erbarmungslos brutal die Rebellen während des amerikanischen Bürgerkriegs unterwegs waren, wobei der junge Ich-Erzähler Jake Roedel recht nüchtern über das Aufknüpfen eines unbescholtenen Deutschen, der mit seiner Familie nach Utah unterwegs ist, und seinen eigenen Mord an dem zur Rettung seines Vaters eilenden Sohn berichtet. Schließlich ist Roedel eher per Zufall zu den Freischärlern gekommen und versucht, sich als einer der ihren zu etablieren. Doch je brutaler Black John und seine Gefolgsleute gegen die andere Seite vorgehen, desto mehr beginnt sich Roedel von dem zweckentfremdeten brutalen Vorgehen seiner Truppe zu distanzieren.
Woodrell beschreibt Jake Roedels Teilnahme an den entsetzlichen Massakern der Rebellen zunächst recht nüchtern, so dass es dem Leser gar nicht in den Sinn kommt, dessen Aktivitäten besonders verwerflich zu finden. So waren eben die Zeiten damals. Doch Woodrell lässt auch immer wieder trockenen Humor in die pointierten Dialoge und Beschreibungen einfließen, vor allem, als die kecke Sue Lee eine immer größere Rolle in Roedels Leben einzunehmen beginnt. Der zuweilen lakonische Ton lockert die Geschichte immer wieder auf, täuscht aber eben nicht darüber hinweg, dass Woodrell hier ein ganz düsteres Kapitel der US-amerikanischen Geschichte thematisiert.  Die Geschehnisse aus der Sicht eines unbedarften 19-Jährigen zu schreiben, erweist sich als geschickter Schachzug, denn so erhält auch der Leser einen ganz unverfälschten persönlichen Blick auf die schrecklichen Ereignisse und muss sich nicht mit den möglichen Motivationen der Rebellen herumschlagen, die auch Roedel nicht so ganz begreifen kann.
Leseprobe Daniel Woodrell - "Zum Leben verdammt"

Daniel Woodrell – „Tomatenrot“

Donnerstag, 21. Juli 2016

(Liebeskind, 222 S., HC)
In dem kleinen Kaff West Table in Missouri zählt der junge Sammy Barlach zum Bodensatz der Gesellschaft. Er jobbt in einer Hundefutterfabrik und versetzt am Freitag seinen Lohn für Alkohol und Drogen, um sich im Laufe des Wochenendes mit irgendwelchen Mädchen abzugeben. Um aus seinem elendigen Leben mehr zu machen, bricht er in von Urlaubern verlassene Villen ein, die ihm noch bewusster machen, dass er ein Versager ist. Bei einem dieser Brüche stößt er auf die neunzehnjährige Jamalee mit ihren kurzen tomatenroten Haaren und ihren etwas jüngeren, hübschen Bruder Jason, bei dem die Frauen in dem Friseursalon, wo er seine Lehre macht, schon immer Schlange stehen. Sammy kommt bei den beiden unter und lernt dabei deren Mutter Bev kennen, die als Escortdame und Polizeispitzel ihr Geld verdient.
Sammy lässt sich auf eine Affäre mit der Frau ein, mag aber auch Jamalee, die nur davon träumt, aus dem miesen Viertel Venus Holler herauszukommen und etwas Großes aus ihrem Leben zu machen. Doch als ihr Bruder Jason tot in einem Teich gefischt wird, scheinen sich die Abgründe ihres Lebens nur noch zu vertiefen.
Um an den Autopsiebericht zu kommen, den der ortsansässige Automechaniker Abbott Dell verfasst hat, setzt Bev ihre legendären Reize ein, doch durch ihre Aktion bringen sie nur den Sheriff und die Mächtigen auf den Plan, die Jasons Tod nur unter den Teppich kehren wollen, um sich wieder ihrem Alltag widmen zu können. Doch so leicht lassen sich Bev, Jam und Sammy nicht einschüchtern …
„So ein Angst einflößendes Gesicht ist alles, was Leute wie ich in dieser anderen Welt vorzuzeigen haben, dieser Welt, die unsere beherrscht, das Einzige, was dort noch ein wenig Autorität vermittelt und irgendwelchen zögerlichen Respekt einheimst. Wenn wir niedrigen Elementen nicht Zähne zeigen und schnell zubeißen, dann sind wir nur weicher, lehmiger Dreck, über den alle jederzeit hinwegtrampeln können, und das würden die auch tun, denn selbst wenn wir Zähne zeigen, ist da schon ein ausgetretener Trampelpfad quer durch unseren Verstand und über unsere Rücken.“ (S. 118) 
Es ist ein tristes Bild, das der aus St. Louis und Kansas City stammende Bestseller-Autor Daniel Woodrell („Winters Knochen“) in seinem bereits 1998 veröffentlichten und ein Jahr später mit dem Preis des amerikanischen P.E.N. ausgezeichneten Romans „Tomatenrot“ zeichnet. Seine zumeist jugendlichen Protagonisten leben am Rand der Gesellschaft und sich voll und schmerzlich bewusst, dass es ihnen nicht vorbestimmt ist, allein durch harte Arbeit zu Ansehen und Wohlstand zu kommen. Stattdessen versinken sie weiter im Sumpf aus Drogen, Sex, Gewalt und Verbrechen.
Allein Jason hätte durch sein blendendes Aussehen etwas aus sich machen können, doch als er feststellt, dass er mit Frauen nichts anfangen kann, und seine Homosexualität entdeckt, ist er schon dem Untergang geweiht.
Vor allem Woodrells Ich-Erzähler Sammy analysiert die trostlose Situation immer wieder mit treffenden Worten und Vergleichen, doch ein Ausweg bleibt ihm ebenso verwehrt wie seinen Freunden, die für ihn für eine kurze Zeit wie eine Familie sind.
„Tomatenrot“ bildet nur eine kurze Episode aus dem unsteten Leben eines gesellschaftlichen Außenseiters, der sich seines Schicksals schmerzhaft bewusst ist und trotzdem verzweifelt versucht, mit den wenigen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, sein Gesicht in einer Welt zu wahren, die nur Verachtung für ihn übrig hat.
 Leseprobe Daniel Woodrell - "Tomatenrot"

Daniel Woodrell – „Im Süden – Die Bayou Trilogie“

Sonntag, 18. August 2013

(Heyne, 651 S., Tb.)
Der amerikanische Schriftsteller Daniel Woodrell wurde hierzulande vor allem durch zwei Verfilmungen seiner Romane bekannt, „Wer mit dem Teufel reitet“ von Ang Lee (1999) und „Winters Knochen“ von Debra Granik (2010). Nachdem seine ersten drei Romane lange Zeit vergriffen waren, hat der Heyne-Verlag die drei Romane „Cajun Blues“ (1986), „Der Boss“ (1988) und „John X“ (1992), die ab Mitte der 90er Jahre bei Heyne und Rowohlt veröffentlicht worden sind, erstmals komplett in dem Band „Im Süden“ zusammengefasst.
Gemeinsam ist den drei Romanen der Ort, an dem sie angesiedelt sind, nämlich in der fiktiven Bayou-Gemeinde St. Bruno, die in den schwülen Sümpfen Louisianas liegt, und Detective Rene Shade, der es in seinen Fällen vor allem mit Glücksspiel und Korruption zu tun hat.
In „Cajun Blues“ ist Jeff Cobb nach Saint Bruno gekommen, um in den fetten Geldtopf der Stadt zu greifen. Von seinem Vetter Duncan und Pete Ledoux erhält er den Auftrag, einen Nigger kaltzumachen, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Wenig später wird Alvin Rankin, Hoffnungsträger der Demokratischen Partei, tot in seinem Haus aufgefunden, dann muss auch Teejay Crane dran glauben. Diesmal wurde aber ein junger blonder Mann in der Nähe des Tatorts gesehen, was für ein schwarzes Viertel ungewöhnlich genug ist.
„Der blonde Kerl hatte offensichtlich Eindruck gemacht. Man erinnerte sich an ihn, und Shade hatte keinerlei Schwierigkeiten, seine Route vom Olde Sussex Theatre bis zur Second Street zu verfolgen. Er brauchte nur an die Fenster zu klopfen und Leute auf der Straße zu fragen, ob sie einen panischen jungen Weißen mit irrem Blick gesehen hätten. In der Gegend wohnten zwar nicht nur Schwarze, aber sie beherrschten das Bild. Die wummernden Bässe, die aus den Stereoanlagen dröhnten, waren sepiafarbene Kunst, und selbst die Stimmen der weißen Anwohner klangen wie schwarzer Rap. Alle erinnerten sich an den Blonden, sagten aber nicht viel, sondern deuteten nur nach ‚da lang‘ – zum Fluss hinunter.“ (S. 144) 
Shade findet aber bald heraus, dass der gesuchte blonde junge Mann nicht allein für die Morde verantwortlich gewesen ist. Bei seinen Nachforschungen stößt er in ein Wespennest, das die wirtschaftlichen und politischen Spitzen der Stadt aufscheucht …
In „Der Boss“ will Shade gerade mit seiner Freundin Nicole für eine Woche zum Angeln in die Ouachitas aufbrechen, da muss er sich um die Leiche des Streifenpolizisten Gerald Bell kümmern. Der Fall ist deshalb so heikel, weil Bell nebenbei auch abkassierte, u.a. für den Cop Shuggie Zech, der Shade bei diesem Fall als Partner zugeteilt wird. Wie Shade von seinem Captain ganz offen mitgeteilt wird, war Bell an einem Spiel beteiligt, bei dem er eigentlich auf die Tür achten sollte. Stattdessen konnten drei maskierte Räuber unbehelligt die Runde der prominenten Spieler aufmischen und dabei eine Menge Bares kassieren. Shade bekommt den Auftrag, die Polizistenmörder nicht nur zu finden, sondern gleich kaltzumachen …
In „John X“ ist Rene Shade nach den unerfreulichen Ereignissen rund um seinen letzten Fall vom Dienst suspendiert worden und konzentriert sich nun auf das Familienleben und eine mögliche Hochzeit mit seiner schwangeren Freundin Nicole. Doch im Mittelpunkt der Ereignisse steht John X Shade, der Vater von Rene, Tip und Francois. Seine Frau Randi lässt ihn mit der zehnjährigen Tochter Etta sitzen und mit der Nachricht, dass sie Geld vom Killer Lunch gestohlen hat, um ihre Träume von einer Gesangskarriere verwirklichen zu können. Um nicht gleich in Lunchs Schusslinie zu geraten, flieht der alte Mann mit den unruhigen Händen und wässrigen Augen samt Etta nach St. Bruno zu seinen Söhnen, wo er sich mit organisierten Pokerrunden über Wasser halten will. Doch Lunch hat längst Witterung aufgenommen …
Die drei Romane der „Bayou“-Trilogie, denen bis heute leider keine Fortsetzung mehr gefolgt ist, sind vordergründig Krimi-Dramen vor einer außerordentlichen Kulisse. Aber das eigentliche Thema bei Woodrell sind die Menschen, die jeder auf ihre Weise ihr Päckchen zu tragen oder auch mehr oder weniger Schuld auf sich geladen haben. Die familiären Strukturen sind aufgebrochen und liegen in Trümmern. Stabile Ehen wurden für gelegentliche Abenteuer oder dauerhafte Affären aufs Spiel gesetzt, was immer wieder zu offenem Misstrauen, Hass und brutaler Gewalt führt. Der Autor füllt die Biografien seiner Figuren mit unzähligen humorvollen wie tragischen Anekdoten und lässt sie äußerst lebendig werden. Woodrells (Anti-)Helden betäuben die ermüdende Tretmühle ihres Daseins mit Alkohol, Gewalt, Glücksspielen und Sex. Erlösung ist nirgends in Sicht. Aus der Konstellation all dieser bemerkenswerten, irgendwie trostlosen Einzelschicksale knüpft Woodrell einen Sog aus klarer, Details ausschmückender Sprache und Geschichten, die nie ein gutes Ende nehmen. Und doch hofft der Leser nach jeder der drei Storys, dass ein besseres Leben für alle Beteiligten doch irgendwie noch möglich sein kann …
Leseprobe Daniel Woodrell - „Im Süden“