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Uwe Schütte – „Wir sind die Roboter. Kraftwerk und die Erfindung der elektronischen Musik“

Sonntag, 24. November 2024

(btb, 384 S., Pb.) 
Will man die Frage nach dem wichtigsten deutschen Musik-Export beantworten, ist man heutzutage wahrscheinlich versucht, Hans Zimmer zu nennen, weil der aus Frankfurt am Main stammende Autodidakt für eine Vielzahl von Soundtracks für Hollywood-Blockbuster wie „Pearl Harbor“, „Rain Man“, „Thelma & Louise“, „Gladiator“, „Interstellar“ und „Dune“ verantwortlich zeichnet. Doch auch die Wall-of-Sound-Arrangements eines Hans Zimmer wären nicht möglich gewesen ohne das revolutionäre musikalische wie gesamtkünstlerische Konzept von Kraftwerk, die für viele Fans, Musikjournalisten und Kulturwissenschaftler sogar einflussreicher als die Beatles angesehen werden. Uwe Schütte darf fraglos als einer der ausgewiesenen Pioniere der elektronischen Musik betrachtet werden, hat der studierte Germanist nicht nur an der Aston University ein Symposium über die künstlerische Bedeutung von Kraftwerk konzipiert und organisiert, sondern auch den Essayband „Mensch – Maschinen – Musik: Das Gesamtkunstwerk Kraftwerk“ herausgegeben und den englischsprachigen Band „Kraftwerk: Future Music from Germany“ veröffentlicht. Mit „Wir sind die Roboter. Kraftwerk und die Erfindung der elektronischen Musik“ legt Schütte nun zum 50. Jahrestag des bahnbrechenden Albums „Autobahn“ eine umfangreiche Werksbiografie vor, die die „Geburt der elektronischen Popmusik aus dem Geiste einer ,industriellen Volksmusik‘“ vor allem vor dem Hintergrund künstlerische Einflüsse auf die vier Mensch-Maschinen-Musiker Ralf Hütter, Florian Schneider, Karl Bartos und Wolfgang Flür beleuchtet, aber auch den nachhaltigen Einfluss dokumentiert, den Kraftwerk auf die weitere Entwicklung der elektronischen Musik ausüben sollte. 
Was Anfang der 1970er Jahre im Kling-Klang-Studio in der Nähe des Düsseldorfer Hauptbahnhofs entstanden ist, lässt sich als „kulturelles Phänomen von transnationaler Reichweite“ beschreiben, bei dem minimalistische und retro-futuristische Prinzipien zu einer Reihe von bahnbrechenden Konzeptalben geführt haben, die durch die multimediale Kombination aus synthetischen Klängen, einheitlichem Grafikdesign und einer sich stets weiterentwickelnden Aufführungspraxis, die ebenso wie die Musikproduktion im strengen Gegensatz der Rock’n’Roll-Attitüde steht. 
Schütte zeigt auf, dass gerade Kraftwerks Spiel mit ihrer deutschen Identität, vor allem mit teutonischen Klischees im englischsprachigen Ausland zum internationalen Erfolg der Musikarbeiter beitrug. Für Kraftwerk selbst ging es jedoch eher um die Identifikation mit der politischen Vision eines friedlich vereinten Europas, um so einen eigenständigen Weg aus dem Vakuum zu finden, das der Faschismus in der deutschen Kultur hinterließ. 
Düsseldorf avancierte zur Hauptstadt der elektronischen Musik, brachte nicht nur die beiden Kraftwerk-Ableger Neu! und La Düsseldorf hervor, sondern später auch Acts wie DAF (Deutsch Amerikanische Freundschaft), Propaganda, Der Plan, Die Krupps und Rheingold. Die aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammenden Hütter und Schneider ließen sich bei ihrer Konzeptkunst nicht nur von der hochexperimentellen Musik Karlheinz Stockhausens inspirieren, sondern auch von Fritz Langs expressionistischen Meisterwerk „Metropolis“ (1927) und dem 1919 in Weimar gegründeten Bauhaus, dessen Vision einer neuen funktionalistischen Lebensweise zu einer Veränderung der Gesellschaft führen sollte. 
 Der Autor beschreibt nicht nur die Einflüsse aus verschiedenen Kunstrichtungen auf das Gesamtkunstwerk von Kraftwerk, er geht auch in die Tiefe der einzelnen Konzeptalben und darüber hinaus. Schütte berücksichtigt nämlich auch das inoffizielle Frühwerk, von dem sich die Band spätestens mit dem Album „Autobahn“ (1974) distanzierte, und die späteren Live- und Remix-Alben, die deutlich machen, welche Entwicklung die Musik von Kraftwerk auch in der heutigen Zeit noch durchmacht. 
Für Kraftwerk-Fans als auch einfach nur an der Band und ihrer Musik interessierte Leser bietet „Wir sind die Roboter“ jedenfalls einen gut lesbaren, klug strukturierten, mit vielen interessanten Zitaten, Beobachtungen und Analysen versehenen Zugang zur konzeptionell so ausgefeilten und einflussreichen Kunst von Kraftwerk, wobei er auf der einen Seite den transatlantischen Austausch zwischen Kraftwerk und der Techno-Szene in Detroit hervorhebt, auf der anderen Seite aber auch vorführt, wie beispielsweise Rammstein im Gegensatz zu Kraftwerk oder den aus dem slowenischen Künstlerkollektiv NSK entstandenen Laibach unverantwortlich und geschmacklos mit nationalistischen Parolen rechtspopulistische Anhänger für sich vereinnahmen. Dass Kraftwerk eben nicht eine rein nationale, sondern vor allem europäische, eigentlich sogar kosmopolitische Band sind, gehört zu den wichtigsten Aussagen in diesem wertvollen Buch. 

Wolfgang Flür - „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“

Freitag, 10. April 2009

(Hannibal/vgs, 300 S., Pb.)
Mit Tim Barrs kürzlich, bislang leider nur auf Englisch erschienener Kraftwerk-Biographie wurde eine längst überfällige Lücke geschlossen, was die ausführliche Auseinandersetzung mit einer der bedeutendsten deutschen Kulturexporte angeht. Tim Barr und sein englischer Kollege Dave Thompson („Industrial Revolution“) waren es schließlich auch, die ex-Kraftwerker Wolfgang Flür zu seinen ganz persönlichen Erinnerungen anregten, die er in „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“ auf sehr unterhaltsame Weise niederschrieb. Tim Barr wollte nämlich unveröffentlichte Fotos von früheren Kraftwerk-Auftritten zusammenstellen, und als Flür in seinem Aluminium-Koffer stöberte, geriet er in eine Art Rausch, als er seinen „deutschgedanklichen Kulturbeutel“ durchwühlte, ließ Erinnerungen an Hotelzimmer, Flugzeuge und andere Länder wieder aufleben, zu denen alte Polaroids, Zeitungsartikel, Pressefotos und anderes mehr die entsprechenden Initialzündungen lieferten. Und Thompson wollte der von Journalisten meistgestellten Frage nachgehen, warum Flür Kraftwerk verlassen habe, was den ehemaligen Kraftwerk-Trommler letztlich zu dem vorliegenden Buch inspirierte.
Dabei geht es Flür vor allem darum, dass man sein „romantisches Herz“ und seine „teutonische Seele“ besser versteht, weshalb er oft in eine frühere Zeit zurückblendet, „als die Lust am Leben und der Spaß am Klang in mir geweckt wurden“. Flür langweilt den Leser dabei nicht mit den Arbeitsprozessen, präzisen Anordnungen, dem Aufbau des elektronischen Instrumentariums oder technischen Fachausdrücken, die man zunächst mit einer die elektronische Musik maßgeblich beeinflussten Band wie Kraftwerk zwangsläufig assoziiert, sondern stellt eher Erlebnisse in den Vordergrund, die die zwischenmenschlichen Beziehungen der Kraftwerk-Mitglieder erhellen. Doch zunächst beschreibt Flür seine Kindheit, seine Entwicklung vom Beatnik zum Mod, seine aufkeimende Leidenschaft für das Trommeln, in dessen Felle er all seine Energien und seinen ständigen Liebeskummer schlug. Ausführlicher beschreibt Flür natürlich die Anfänge und den Werdegang von Kraftwerk, die Entstehung und Ausbreitung des Phänomens „Krautrock“ in Amerika aus ganz persönlicher Perspektive, die sich vor allem in Reisebeschreibungen durch Amerika im Jahr 1975 niederschlägt. Schließlich die längere Kreativpause, die Trennung von Kraftwerk und die Gründung des eigenen Projekts Yamo. Angereichert mit vielen s/w- und Farbfotos aus Flürs Privatarchiv, bietet „Kraftwerk - Ich war ein Roboter“ einen informativen, intimen, eben sehr persönlichen Einblick in die Geschichte Kraftwerks, wie ihn nur ein direkt Beteiligter geben kann.

Tim Barr - „Kraftwerk - From Düsseldorf to the Future (with Love)“

Freitag, 10. April 2009

(Ebury Press, 216 S., Pb)
Es ist ja schon seltsam, dass das ultimative Buch über die so einflussreiche Düsseldorfer Electro-Formation Kraftwerk aus dem englischsprachigen Raum kommt, aber auf den zweiten Blick ist dieses Phänomen doch wieder nicht so überraschend, wie man anfangs glauben mag. Schließlich ist der Einfluss von Kraftwerk auf die britische Industrial- und Dance-Szene der 80er Jahre (mit Bands wie Ultravox, The Human League, Cabaret Voltaire und Heaven 17) sowie die amerikanische und europäische Electro-, House- und Techno-Szene weitaus größer gewesen als auf die deutsche Musikszene.
Tim Barr, der als Experte für die Detroiter Techno-Szene gilt und über elektronische Musik für Blätter wie „The Face“, „NME“ und „Melody Maker“ geschrieben hat, versucht mit seinem Buch „Kraftwerk“ das Geheimnis zu lüften, das die stets im Verborgenen agierende Düsseldorfer Band seit gut zwanzig Jahren umgibt.
Nachdem Barr in einem historischen Überblick auf prägnante Weise die Katalysator-Funktion von Musik für gesellschaftliche Veränderungen seit den 50er Jahren rekapituliert, beginnt er Kraftwerks Geschichte mit dem Zeitpunkt, als die Popkultur mit den Beatles hoffähig geworden war und die Titelblätter der Boulevardpresse belegte. Die Bedeutung von Kraftwerk in diesem Prozess wird schon allein durch die Tatsache deutlich, dass die Düsseldorfer Band die erste gewesen ist, die die alleinbestimmende Rolle der amerikanischen und britischen Künstler - von Elvis über Chuck Berry, The Who, The Beatles bis zu den Rolling Stones - bei der Formulierung einer neuen Sprache in der Pop- und Rockgeschichte beenden konnte und fortan die elektronische Musik rund um den Globus beeinflussen sollte.
Barr behält bei der Verfolgung von Kraftwerks Geschichte stets das musikalische Umfeld im Blick, auf das das Quartett seinen Einfluss ausüben sollte, aber auch die Inspirationen, der Kraftwerk unterlagen. Durch eigene Interviews, ausgewählte Zitate, Schwarz-Weiß-Fotos und eine ausführliche Diskografie (samt Bootlegs) ist dem Autor ein leicht verständliches, aber umfassendes und interessantes Portrait einer Band gelungen, deren Bedeutung einem nach der Lektüre von „Kraftwerk“ erst richtig bewusst wird.