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Joachim B. Schmidt – „Ósmann“

Sonntag, 30. März 2025

(Diogenes, 288 S., HC)
Seit der in der Schweiz geborene Joachim B. Schmidt als Teenager erstmals nach Island gereist ist, hat er sich in die Insel verliebt und sich selbst versprochen, wiederzukommen, zunächst als Tourist, aber dann folgte auch ein Jahr mit Jobs in einer Gärtnerei und auf einem Bauernhof, bis er im Jahr 2007 entschied, dorthin auszuwandern. Mit seinen Erzählungen und Romanen wie „Kalmann“, „Tell“ und „Kalmann und der schlafende Berg“ hat Schmidt seit 2010 nicht nur zahlreiche Preise gewonnen, sondern auch ein feines Gespür für seine Wahlheimat entwickelt, die auch in seinem neuen Roman „Ósmann“ zum Ausdruck kommt.
Im Jahr 1862 wird Jón Magnússon Ósmann auf einem Bauernhof in Nordisland geboren, lernt von seinem Vater Magnús den Fährbetrieb und übernimmt diesen später. „Nonni“, wie er liebevoll von seinem Vater genannt wird, kommt allerdings mehr nach seiner Mutter Sigurbjörg, die ihren Mann um ein paar Daumenbreiten überragte und dafür verantwortlich sein dürfte, das Nonni ein so hünenhafter, kräftiger Mann geworden ist. Er ist ein geselliger Kerl, der gern ein Schwätzchen mit den Fahrgästen hält, sie zum Aufwärmen in seine Hütte einlädt, wo er ihnen einen Platz am Feuer, Kaffee und Robbenfleisch anbietet. An einem Sommermorgen im Jahr 1904 tritt Ósmann wie gewöhnlich splitternackt und hustend vor seine Hütte, grüßt das nebelverhangene Bergmassiv Tindastóll, die sagenumwobene Insel Drangey weit draußen im Fjord, die Eiderenten und träge dahinrauschende Gletscherwasser, um dann ins eiskalte Wasser des Ós einzutauchen, um dann den Tag damit zu verbringen, die Reisenden mit der Seilfähre über den Ós zu bringen. Doch bevor er sein eiskaltes Bad nehmen kann, bemerkt er flussaufwärts den nackten Körper einer angeschwemmten Frau. Er trägt den leblosen Körper in seine Hütte und stellt fest, dass die Frau noch lebt. Er gibt ihr zu trinken und etwas zu essen, lässt sie schlafen. Doch als er mit einem Bündel Kleider zurückkommt, ist die Frau spurlos verschwunden. Es kommen andere Frauen, die nicht wie im Märchen auftauchen und verschwinden, sie bereiten Ósmann allerdings größeren Kummer, vor allem aber der Tod seines Erstgeborenen.

„Der Tod schien eine willkürliche Angelegenheit zu sein, manche starben eben früher, andere später. Und darum verlor man auch über Ósmanns Erstgeborenen kein Wort. Als hätte es Páll Jónsson nie gegeben. Denn das Leben gehörte den Lebenden, und die Toten, nun ja, die ließ man am besten in Ruhe tot sein – etwas, das ich selbst nur zu gut wusste.“ (S. 127)

Mit „Ósmann“ erzählt Joachim B. Schmidt die Lebensgeschichte des isländischen Fährmanns Jón Magnússon Ósmann (1862-1914), wobei ein Mann, der sich als Freund von Ósmann bezeichnet, als allwissender Erzähler fungiert, die Erlebnisse und Ereignisse nicht unbedingt in chronologischer Reihenfolge zum Besten gibt. Doch die Jahreszahlen zu Beginn des Kapitels zusammen mit besonderen Wetterbedingungen und der Anzahl der Winter, die Ósmann bereits überlebt hat, helfen dabei, den Überblick zu behalten. „Ósmann“ erzählt aber nicht allein die Lebensgeschichte eines ebenso engagierten wie hilfsbereiten und kommunikativen Fährmanns, sondern das Leben in diesen oft einsamen, kalten Sphären vor dem Hintergrund der Mythen und Sagen, die im Dasein der Isländer eine ebenso große Rolle spielen wie die Menschen, die dort leben. Schmidt erweist sich als stilsicherer Autor, der mit seiner Sprache ebenso die unwirtliche Landschaft, das eiskalte Wasser, die weißen Berge und die Mentalität der Menschen zu beschreiben versteht wie die spezielle Poesie, zu der sich Ósmann immer mal wieder hinreißen lässt und seinen Gefühlen Ausdruck verleihen, seiner Lebensfreude und Liebe ebenso wie der im Verlauf seines Lebens zunehmenden Trauer und Verzweiflung.