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Annie Proulx – „Aus hartem Holz“

Mittwoch, 7. Juni 2017

(Luchterhand, 894 S., HC)
Im Jahre 1693 machen sich die beiden Franzosen René Sel und Charles Duquet auf die abenteuerliche Reise nach Neufrankreich, dem heutigen östlichen Kanada, wo sie von einem besseren Leben träumen. Fasziniert von den endlosen Wäldern voller Baumriesen und undurchdringlicher Wildnis, schlagen sie sich als Holzfäller durch. Nach drei Jahren bei ihrem Dienstherrn Claude Trépagny steht ihnen dann eigenes Land zu.
Während Sel sich geduldig abmüht und schließlich mit Mari die indianische Geliebte seines Herrn heiratet, macht sich Duquet frühzeitig aus dem Staub, handelt zunächst mit Pelzen und Fellen, die er den Indianern für gepanschten Rum und Whiskey abgekauft hat und gründet in Boston seine eigene Holzhandlung. Bald unterhält Duke & Sons geschäftliche Beziehungen nach Europa, China und Neuseeland. Während Maris – und teilweise auch Sels - Kinder Elphège, Theotiste, Achille, Noë und Zoë die Tradition der Mi’kmaq fortführen, führen Duquet und seine beiden Brüder das Abholzen der nordamerikanischen Wälder in großem Stil fort …
„Armenius Breitsprecher starrte schweigend ins Feuer. Nicht zum ersten Mal stellte er fest, dass Duke & Sons gierig genug war, um den gesamten Kontinent abzuholzen. Und er half ihnen dabei. Er verabscheute die amerikanische Kahlschlagpolitik, die aberwitzige Verschwendung von gesundem, wertvollem Holz, die Zerstörung des Bodens, die unweigerlich folgende Erosion, die Vernichtung des Lebens in den Wäldern ohne einen Gedanken an die Zukunft.“ (S. 580) 
Bereits mit ihrem ersten Roman „Postkarten“ (1992) erhielt die heute 82-jährige Annie Proulx den renommierten PEN/Faulkner Award, für das von Lasse Halmström erfolgreich verfilmte Nachfolgewerk „Schiffsmeldungen“ sogar den Pulitzer Preis und den National Book Award. Seither ist Proulx aus der nordamerikanischen Literaturszene nicht mehr wegzudenken. Allerdings hat es mehr als zehn Jahre gebraucht, dass sie nach „Mitten in Amerika“ mit „Aus hartem Holz“ einen neuen Roman vorlegt, der es wahrlich in sich hat.
Auf knapp 900 Seiten entwickelt die in Seattle lebende Autorin gleich zwei Familiengeschichten, die sie über drei Jahrhunderte begleitet. Während die Sels auf der einen Seite durch die Heirat auch immer ihre indianischen Wurzeln pflegen und sich der Natur nur zur Befriedigung ihrer eigenen überschaubaren Bedürfnisse bedienen, sehen Charles Duke, seine beiden Brüder und all ihre Nachfahren in dem unerschöpflich erscheinenden Holzvorrat nur eine Gelddruckmaschinerie, über deren Nachhaltigkeit gar nicht nachgedacht werden muss.
Gerade im ersten Drittel des monumentalen Romans gelingt es Proulx, die besondere Aufbruchstimmung einzufangen, die die beiden Franzosen in die neue Welt mitbringen. Das Figurenensemble bleibt noch überschaubar, wird aber durch die zahlreichen Kinder, Adoptionen und Kindeskinder zunehmend komplexer und verwirrender. Das Leben der Siedler, Holzfäller, indianischen Ureinwohner und Händler beschreibt die Autorin absolut realistisch, doch erhebt sie schnell und wiederkehrend den moralischen Zeigefinger, weist dezidiert auf den fortschreitenden Raubbau und die gnadenlosen Umweltsünden hin, die sich allein aus der Gesinnung des Duke-Clans und seiner Handlungen erschließen.
Zum Ende hin scheint Proulx dann doch etwas die Luft auszugehen, nachdem schon in den vorangegangenen Hunderten von Seiten eigentlich schon alles gesagt worden ist und die Fasern der Sel- und Duke-Stammbäume kaum noch nachzuvollziehen sind. So wirkt „Aus hartem Holz“ gleichermaßen wie ein Familien- und Entwicklungsroman, wie die Dokumentation einer grausamen Umweltzerstörung, aber er zeigt auch ganz schnörkellos das Leiden und Sterben armer wie reicher Menschen, Überlebens- und Gewinnmaximierungsstrategien und schließlich den verzweifelten Kampf von Umweltschützern. Über weite Strecken ist der Roman sehr lesenswert, dann aber auch über die Maßen belehrend und langatmig.
Leseprobe Annie Proulx - "Aus hartem Holz"

Annie Proulx - „Mitten in Amerika“

Samstag, 25. April 2009

(Luchterhand, 512 S., HC)
Die 68jährige Amerikanerin Annie Proulx hat erst Ende der 80er Jahre begonnen, ihre Werke zu veröffentlichen, schuf aber mit dem von Lasse Halmström ebenfalls erfolgreich verfilmten „Schiffsmeldungen“ gleich eine literarische Sensation und wurde mittlerweile mit allen wichtigen amerikanischen Literaturpreisen ausgezeichnet. In ihrem neuen Roman erzählt sie auf gewohnt unterhaltsame, episodenhafte und komische Art und Weise die Geschichte des jungen Amerikaners Bob Dollar, der selbst fünf Jahre nach seinem Hochschul-Diplom noch nicht so recht die Richtung zu bestimmen vermag, das sein Leben nehmen soll.
Nach Gelegenheitsjobs in der Lebensmittelbranche und als Lagerist in einer Glühbirnenfabrik verdingt er sich schließlich bei Global Pork Rind. Als Scout soll er im ehemaligen „Wilden Westen“, in den Panhandles, dem weitläufigen Gebiet, das Texas und Oklahoma miteinander vereint, nach geeigneten Grundstücken für neue Schweinemastbetriebe Ausschau halten, dabei aber sehr diskret vorgehen und sich zunächst einmal das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen, ohne die wahre Absicht seines Aufenthalts zu enthüllen. Er findet in dem kleinen texanischen Ort Wooleybucket Unterschlupf in einer Arbeiterbaracke und bekommt schnell nicht nur von der Farmbesitzerin LaVon einige interessante Geschichten über Land und Leute zu hören. Nach drei Monaten Aufenthalt ist aber noch lange kein Geschäftsabschluss in Sicht, was Bobs Chef Ribeye Cluke zunehmend verärgert. Dafür erfährt Bob in den Geschichten von Tornados, Hahnenkämpfen, Windrädern, Zaunbauern und Affären, dass der Niedergang der Prärie maßgeblich mit den Schweinefarmen zusammenhängt, für die er eigentlich neues Land gewinnen soll. Annie Proulx erzählt von einer fast märchenhaften Welt, die wir so kaum mit dem heutigen Amerika verbinden würden, und das tut sie auf geistreiche, detailgetreue und fast liebevolle Weise.