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James Lee Burke – (Aaron Holland Broussard: 2) „Das verlorene Paradies“

Samstag, 2. März 2024

(Heyne, 320 S., Pb.) 
Mit seinen über zwanzig – teilweise auch verfilmten – Romanen um Detective Dave Robicheaux hat sich der 1936 in Houston, Texas, geborene James Lee Burke als vielleicht bedeutendste Stimme im Genre des Südstaaten-Krimis erhoben. Neben den seit 1987 veröffentlichten Romanen um den Vietnam-Veteranen und Alkoholiker sind es vor allem die Geschichten rund um die Holland-Familie, mit denen Burke sein Publikum in den Bann zu ziehen versteht. Nach den epischen Abenteuern, die Hackberry Holland („Zeit der Ernte“, „Regengötter“, „Glut und Asche“) und Billy Bob Holland („Dunkler Strom“, „Feuerregen“, „Die Glut des Zorns“) in den ihnen gewidmeten Buchreihen erlebten, feierte der Wanderarbeiter und Nachwuchsautor Aaron Holland Broussard hierzulande 2018 in „Dunkler Sommer“ seinen Einstand. Nun folgt mit „Das verlorene Paradies“ endlich die erste Fortsetzung.
Aaron Holland Broussard macht sich im Frühjahr 1962 als Trainhopper auf den Weg nach Denver, schlägt sich bis zur Heilsarmee durch und fährt mit dem Greyhound bis runter nach Trinidad, wo er auf der Farm von Jude Lowry und seiner Frau anheuert, um sich zusammen mit anderen Saisonarbeitern um das Vieh und den Ackerbau zu kümmern. Als er zusammen mit seinen beiden Kollegen Spud Caudill und Cotton Williams einen Pritschenwagen voller Tomaten zum Packhaus nach Trinidad fährt, werden die drei Freunde nach einem Restaurantbesuch von vier Männern zusammengeschlagen. Offenbar passte ihnen ein Aufkleber der Landarbeitergewerkschaft auf Mr. Lowrys Wagen nicht. 
Auf diese Weise lernt Broussard nicht nur den Detective Wade Benbow kennen, der es trotz Lungenkrebs nicht schafft, mit dem Rauchen aufzuhören, sondern auch die junge Kunststudentin und Kellnerin Jo Anne McDuffy. Doch die sich anbahnende Romanze wird von dem Umstand getrübt, dass Jo Annes schmieriger Dozent Henri Davos Anspruch auf die junge Frau erhebt und sich in ihrer Nachbarschaft ein paar unberechenbare, vollgedröhnte Junkies in einem Bus herumtreiben. Doch die meisten Probleme bereiten Broussard Rueben Vickers und vor allem sein Sohn Darrel, der die Prügelei in Trinidad angezettelt hatte. 
Derweil entwickelt Benbow ein besonderes Interesse an Broussard und zeigt ihm die Fotos von sechs Frauen und Mädchen, die in den letzten drei Jahren rund um Trinidad brutal ermordet worden sind, darunter die zwölfjährige Enkelin des Detectives. Während sich Broussard mit den teilweise unheimlich wirkenden Ereignissen rund um die Farm, die religiös verwirrten Junkies und die brutalen Vickers herumschlägt, wird er auch von beunruhigenden Träumen heimgesucht, die ihn zu seinem Einsatz in Korea 1953 und dem Verlust seines besten Freundes Saber Bledsoe zurückbringen. Detective Benbow hegt bereits einen Verdacht, wer für die Morde an den Mädchen und Frauen verantwortlich gewesen ist, doch fehlen ihm die Beweise. Als er Broussard ins Vertrauen zieht und mit ihm auf Mörderjagd geht, machen sie mehrere zutiefst verstörende Entdeckungen… 
„Am liebsten wäre ich zu den Sternen hinaufgestiegen und über die Berge davongesegelt. Ich wollte in die Welt meines Vaters entfliehen: ans Ufer des Bayou Teche, in Abende, die nach Magnolien, Jasmin, Trompetenblumen und Orangenblüten riechen. Einfach nur irgendwohin. Alles war besser als das Hier und Jetzt, denn ich hatte das Gefühl, gerade Zeuge der Zerstörung Edens geworden zu sein.“ 
Kaum einer versteht es, die Landschaft und das Lebensgefühl in den Südstaaten so bildhaft darzustellen wie James Lee Burke. Die Bilder und die Gerüche, die seine Sprache hervorrufen, entwickeln beim Lesen eine eigene Zauberkraft, dringen tief in die Vorstellungswelt des Publikums ein. Natürlich ist es einmal mehr unaussprechliche Gewalt, die die Geschichte von „Das verlorene Paradies“ prägt, auch wenn Liebe und Vertrauen möglich scheint. 
Die ungeklärten Morde an den sechs Mädchen und Frauen sind aber nur der Aufhänger für dieses Kriminaldrama, denn ebenso geht es um die Last unauslöschlicher Erinnerungen und schmerzhafter Verluste, um religiösen Wahn und die destruktive Kraft übermäßigen Drogenkonsums. Die psychischen Defekte und die unkontrollierte Gewalt, die hier zum Ausdruck kommt, ist nichts für schwache Nerven, folgt aber einer hypnotisierenden Dramaturgie, der man sich nicht entziehen kann. Allein die übernatürlichen Elemente, die über Traumbilder hinausgehen und die Handlung zum Finale hin ebenso maßgeblich wie unglaubwürdig beeinflussen, sorgen für ein paar Wermutstropfen in diesem leider viel zu kurzen Roman. 

James Lee Burke – (Aaron Holland Broussard: 1) „Dunkler Sommer“

Sonntag, 9. September 2018

(Heyne, 556 S., Pb.)
Aaron Holland Broussard steht im Frühling 1952 am Ende seines Junior-Jahrs an der Highschool in Houston, als er an einem Frühlingssamstag im fünfzig Kilometer entfernten Galveston mit seinen Freunden am Strand abhängt. Wenig später lernt er vor einem Drive-in die siebzehnjährige Valerie Epstein kennen und verliebt sich augenblicklich in sie.
Grady Harrelson, mit dem sie vor Aarons Augen gerade Schluss gemacht hat, ist von Aarons Benehmen alles andere als begeistert und setzt seinem Kontrahenten ordentlich zu. Schließlich ist sein Vater nicht nur fett im Ölgeschäft, sondern unterhält auch Beziehungen zur Mafia in Galveston.
Doch weder Aaron noch sein unbesonnener Freund Saber Bledsoe lassen sich von Grady, seinem Kumpel Vick Atlas und dessen Vater zur Raison bringen. Als erst eine mexikanische Prostituierte mit gebrochenem Genick aufgefunden wird und dann Gradys pinkfarbener Cadillac gestohlen wird, in dem sich fast eine Million Dollar Mafia-Kohle befindet, ist das erst der Anfang einer Reihe von gewalttätigen Auseinandersetzungen, Morddrohungen und Todesfällen.
Aaron lässt allerdings nicht locker, um die Hintergründe der Gräueltaten in Erfahrung zu bringen, muss aber auch um das Leben seiner Liebsten fürchten …
„Ich hatte geglaubt, dass die Menschen, die so viel Leid über uns gebracht hatten, irgendwann dafür zur Verantwortung gezogen würden. Tatsache war aber, dass Valerie beinahe bei lebendigem Leib verbrannt worden war, aber niemand deswegen im Gefängnis saß. Ich bezweifelte sogar, dass die Polizei die richtigen Personen befragt hatte, um die Tat aufklären zu können.“ (S. 330) 
Mit seinen Reihen um Dave Robicheaux, Hackberry Holland und Billy Bob Holland hat sich der aus Louisiana stammende Schriftsteller James Lee Burke in die Herzen anspruchsvoller Krimifans geschrieben. Mit seinem neuen Roman bewegt sich Burke weiterhin im Terrain des Holland-Clans, denn der mittlerweile verstorbene Hackberry Holland war der Vater von Aarons Mutter und hatte als Texas Ranger immerhin John Wesley Hardin hinter Schloss und Riegel gebracht.
Das familiäre Erbe aus dem gewalttätigen Potenzial und Bekanntschaften mit der Mafia ist auch an dem jungen Aaron nicht spurlos vorübergegangen. Mit dem rechten Herz am Fleck, viel Mut und jugendlichem Übermut begibt er sich immer wieder in Situationen, von dem ihm nicht nur seine Eltern und der krebskranke Detective Merton Jerks abraten, sondern auch die Leute, mit denen sich Aaron lieber nicht anlegen sollte.
Burke beschreibt dieses eindringliche, gewalttätige Coming-of-Drama vor dem Hintergrund des Koreakrieges und lässt in seinen Plot immer wieder die militärische Vergangenheit einiger Protagonisten einfließen, thematisiert aber vor allem die weiter aufklaffende Schere zwischen Arm und Reich, den anhaltenden Rassismus und die undurchsichtigen Mafia-Geschäfte, die die Auflösung vor allem der jüngsten Morde so knifflig machen.
„Dunkler Sommer“ ist aber auch ein wunderbarer Roman über die Liebe und den unerschütterlichen Willen, das Richtige zu tun – auch wenn die Mittel dazu nicht immer christlicher Nächstenliebe entspringen. Dazu sorgen die atmosphärisch stimmige Gesellschaftsstudie und die fein gezeichneten Charakterisierungen auch der weiblichen Figuren dafür, dass „Dunkler Sommer“ zweifellos zu den besten Werken des preisgekrönten Autors zählt.

Leseprobe James Lee Burke - "Dunkler Sommer"