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Lisa McInerney – „Blutwunder“

Samstag, 28. September 2019

(Liebeskind, 334 S., HC)
Mit knapp einundzwanzig Jahren hat der in der irischen Kleinstadt Cork lebende Ryan Cusack zwar keinen Schulabschluss, aber schon eine bemerkenswerte Karriere im Drogengeschäft hingelegt. Nachdem Dan Kane bei einem Ausflug nach Rotterdam beim Abhängen mit einigen Jungs auch Neapel seiner Unzufriedenheit mit seinem Lieferanten Luft gemacht hat, will er die Stadt mit hochwertigem Ecstasy überschwemmen. Da passt es ihm gut in den Kram, dass sein Kumpel Ryan gerade von seinem Sommerurlaub aus Neapel zurückkehrt und von den qualitativ hochwertigen Pillen dort schwärmt.
Doch nachdem Dan im Corker City-Hotel den Deal mit dem Neapolitaner klargemacht hat, wobei Ryan als Übersetzer fungierte und der Rest der Truppe – Shane „Shakespeare“ O’Sullivan, Pender, Cooney und Feehily - einfach abhing, geht gleich die erste Lieferung verloren. Während Kane in Ruhe herauszufinden versucht, wer aus seiner Truppe ihn übers Ohr gehauen haben könnte, wird Ryan zunächst von seiner langjährigen Freundin Karine vor die Tür gesetzt, dann lässt er sich unmittelbar mit Natalie ein, die sich ausgerechnet als Dan Kanes Liebchen entpuppt. Ryan muss sich aber nicht nur vor Dan Kane in Acht nehmen und die Wogen bei Karine glätten, die ihn mit ihrer bereits weit fortgeschrittenen Schwangerschaft konfrontiert, sondern auch Jimmy Phelan beschwichtigen, der als Oberhaupt des organisierten Verbrechens ins Cork gar nicht erfreut über die Aktivitäten ist, die Kane und Cusack an den Tag legen …
„Dan braucht mich treu und unverbrüchlich, und das bin ich nicht. Insgeheim tu ich, was J.P. will, und ich schlafe mit einer, mit der ich nicht schlafen sollte, weil es mir nichts ausmacht, Lügen zu erzählen, um zu kriegen, was mir nicht gehört.“ (S. 198) 
Bereits mit ihrem 2015 erschienenen Debütroman „The Glorious Heresies“ hat die irische Autorin Lisa McInerney den Baileys Women’s Prize for Fiction sowie den Desmond Elliott Prize für Debütromane erhalten. Nachdem ihr preisgekröntes Debüt 2018 bei Liebeskind unter dem Titel „Glorreiche Ketzereien“ veröffentlicht wurde, liegt dort nun auch ihr neuer Roman „Blutwunder“ vor, der sich wie McInerneys frühes Idol Hubert Selby Jr. auf einfühlsame Weise mit den Randexistenzen der Gesellschaft auseinandersetzt.
Mit Ryan Cusack hat McInerney alles andere als eine sympathische Figur geschaffen, und doch kann man dem jungen Kerl kaum böse sein, dass er auf die schiefe Bahn geraten ist. Schließlich hat sich seine Mutter umgebracht, sein Vater ist ein versoffener Schwächling, der den Jungen verprügelte und misshandelte. Allerdings bringt er sich auch immer wieder selbst in Schwierigkeiten. Dass er sich unwissentlich ausgerechnet an Dans Freundin Natalie heranmacht, nachdem Karine ihm den Laufpass gegeben hat, wirkt wie andere Situationen zwar etwas konstruiert, sorgt aber für Spannung und Dramatik in einer Geschichte, in der sich die Ereignisse zunehmend überschlagen. Denn zwischen zwei misstrauischen Gangstern so zu manövrieren, dass man überlebt, und dabei zwei Frauen, die einem etwas bedeuten, bei Laune zu halten, sorgt für einen konstant hohen Adrenalinpegel und etliche Verwicklungen und Wendungen, die einfach Laune machen.
Mit ihrer schnörkellosen, direkten und humorvollen Art wirkt McInerney wie das weibliche Pendant zu Irvine Welsh („Porno“, „Trainspotting“). Mit „Blutwunder“ hat sich die irische Schriftstellerin auf jeden Fall als starke Stimme in der irischen Literaturszene etabliert und dürfte auch hierzulande immer mehr Leser gewinnen und Kritiker begeistern.
Leseprobe Lisa McInerney - "Blutwunder"

Lisa McInerney – „Glorreiche Ketzereien“

Dienstag, 26. Juni 2018

(Liebeskind, 446 S., HC)
In ihren jungen Jahren hat Maureen Phelan einen unehelichen Sohn gezeugt, ihn bei ihren Eltern aufwachsen lassen und sich selbst nach London abgesetzt, um der familiären Schmach zu entfliehen. Mittlerweile ist ihr Jimmy der Gangsterboss in der irischen Kleinstadt Cork und hat seine Mutter zurück nach Cork geholt und sie in einem Haus untergebracht, das vorher als Bordell gedient hat. Als Maureen eines Tages einen vermeintlichen Einbrecher mit einer steinernen Devotionalie erschlägt, beauftragt sie Jimmy mit der Entsorgung der Leiche, der sich aber damit nicht selbst die Hände schmutzig macht, sondern dafür seinen alten Kumpel Tony Cusack einspannt.
Wie sich herausstellt, handelt es sich bei dem Toten um Robbie O’Donovan, der für seine Freundin, die Prostituierte Georgie Fitzimons, eben jenen Skapulier besorgen sollte, der ihm zum tödlichen Verhängnis wurde. Tony Cusack hat allerdings auch selbst genügend Probleme. Der alkoholsüchtige Vater von sechs Kindern muss miterleben, wie sein 16-jähriger Sohn Ryan erst von der Schule fliegt und dann für seinen Kumpel Dan wegen Drogenhandels in den Knast wandert. So verpasst Ryan den Abschlussball und wird später mit der bitteren Erkenntnis konfrontiert, dass seine Freundin Karine bei diesem Ball fremdgegangen ist. Allerdings hat es auch Ryan bislang mit der Treue nicht so genau genommen. Da Jimmy zunehmend genervt davon ist, dass Georgie wegen Robbie unangenehme Fragen stellt, sollen die Cusacks für eine nachhaltige Lösung sorgen …
„Was war aus ihm geworden auf seiner Reise durch die Unterwelt? Nichts weiter als ein weiteres betrügerisches Arschloch in einer Stadt voller betrügerischer Arschlöcher. Mit fünfzehn hatte er angefangen und war dumm genug gewesen zu denken, er könnte wieder damit aufhören. Die Vorhersehbarkeit seiner Wandlung schmerzte fürchterlich.“ (S. 346) 
Die aus der irischen Provinz Connacht stammende Lisa McInerney war zunächst als Bloggerin unterwegs, ehe sie von dem Schriftsteller Kevin Barry dazu ermuntert wurde, Kurzgeschichten zu schreiben, die dann auch in verschiedenen Literaturzeitschriften erschienen sind.
Ihr Debütroman „Glorreiche Ketzereien“ wurde 2016 gleich für den Irish Book Award und den Dylan Thomas Award nominiert, erhielt den Bailey’s Women’s Prize for Fiction und Desmond Elliott Prize. Man fühlt sich ein wenig an Douglas Couplands „Alle Familien sind verkorkst“ erinnert, wenn der Leser Bekanntschaft mit all den verzweifelten Typen macht, die in Cork ihr Leben nicht auf die Reihe bekommen, weil sie dem Alkohol, den Drogen oder dem Sex verfallen sind und vor Betrug, Verrat und Mord nicht zurückschrecken, um ihre kaputten Familien zu schützen.
Vor diesem Hintergrund entwickelt die Autorin einen vielschichtigen Plot, in der irgendwie alle familiären und frei gewählten Beziehungen auf dem Prüfstein stehen. Dabei treffen die vortrefflich gezeichneten Figuren am laufenden Band die falschen Entscheidungen und bringen sich und ihre Liebsten noch mehr in die Bredouille, wobei der Gangster Jimmy Phelan keine Gnade mit den Menschen kennt, die ihm auch nur ansatzweise in die Quere kommen könnten.
Es fällt nicht immer leicht, den ständig wechselnden Figuren und ihren verzwickten Situationen zu folgen, in die sie sich manövrieren, aber der Roman lebt vor allem von seinem schwarzen Humor und der drastischen Sprache, die Lisa McInerney für all die Verfehlungen ihrer verkorksten Charaktere verwendet, die ihr Heil mal in einer Sekte, oft genug aber einfach im Drogenrausch suchen.
Es ist ein tristes, düsteres und unheilvolles Schicksal, das Corks Bewohner teilen, aber McInerney schafft es, die verhängnisvollen Verwicklungen so temporeich, humorvoll und sprachgewandt zu schildern, dass der Lesefluss und die Neugier auf den weiteren Verlauf der Handlung gesichert ist. Zum Glück hat die Autorin mit „The Blood Miracles“ schon eine Fortsetzung veröffentlicht, die hoffentlich auch bald ins Deutsche übersetzt wird. 
Leseprobe Lisa McInerney "Glorreiche Ketzereien"