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Michael Connelly – (Renée Ballard: 5, Harry Bosch: 24) „Wüstenstern“

Dienstag, 3. September 2024

(Kampa, 416 S., HC) 
Es war ein kluger Schachzug des renommierten Thriller-Autors Michael Connelly, vor einigen Jahren mit Renée Ballard eine neue, interessante Figur einzuführen, die ausführlich in ihrem ersten Abenteuer „Late Show“ vorgestellt wurde, bevor sie nach ihrer Strafversetzung in die Nachtschicht beim LAPD unweigerlich den berühmt-berüchtigten Kollegen Harry Bosch kennenlernte. Seit dem zweiten Ballard-Band „Night Team“ werden die Bande zwischen Ballard und Bosch zunehmend enger geknüpft. Im fünften Ballard- und bereits 24. Bosch-Roman stehen die Zeichen einmal mehr auf Veränderung. 
Ein Jahr ist es her, dass Detective Renée Ballard aus Frust vor allem über Politik, Bürokratie und Frauenfeindlichkeit den Dienst quittiert und die Late Show verlassen hat, doch statt wie geplant mit dem bereits pensionierten Bosch gemeinsam als Privatermittler weiterzumachen ließ sie sich vom Polizeichef mit dem Angebot überreden, bei einer Rückkehr zum LAPD sich ihre neue Stelle aussuchen zu dürfen. Sie hatte sich zunächst für die Robbery-Homicide Division in Downtown entschieden und darf nun nach ausdrücklicher Initiative von Stadtrat Jake Perlman nun die neue Einheit Offen-Ungelöst leiten. Bosch nimmt ihr Angebot an, als Ehrenamtlicher dabei zu helfen, den nach wie vor ungeklärten Mord an Perlmans kleiner Schwester zu bearbeiten. 
Für Bosch bietet diese Tätigkeit zudem die Möglichkeit, sich um einen weiteren Fall zu kümmern, der zu den schlimmsten zählt, den Bosch und seine Kollegen nie aufklären konnten: Finbar McShane hat 2013 die vierköpfige Gallagher-Familie mit einer Nagelpistole ausgelöscht und ihre Leichen in der Wüste verscharrt, doch beweisen konnte ihm Bosch nichts. Neben Bosch sind noch der ehemalige FBI-Mann Thomas Laffont, Lilia Aghzafi von der Las Vegas Metro, der pensionierte Deputy District Attorney Paul Masser, die empathisch begabte Genealogin Colleen Hatteras und Lou Rawls, der auf Drängen des Stadtrats dazugestoßen ist, mit an Bord. 
Die Zusammenarbeit im Team läuft nicht ganz reibungslos, auch nicht zwischen Ballard und Bosch, doch dann hat Bosch eine Idee, die zunächst dem Pearlman-Mord neuen Schwung verleiht, denn ein Wahlkampfbutton bringt den Fall mit einem weiteren ungeklärten Mord in Verbindung… 
„Die Wahlen von 2005 hatten am 8. November stattgefunden, nur drei Tage nach dem Mord an Laura Wilson. Irgendwann während des Wahlkampfs hatte sie einen Unterstützerbutton bekommen, der in ihrer Krimskramsschublade gelandet war. Was, wenn überhaupt etwas, bedeutete das? War es Zufall, dass Laura Wilson einen Button bekommen hatte, der für einen Kandidaten warb, dessen Schwester elf Jahre zuvor von dem Mann ermordet worden war, der auch sie umbringen sollte?“ (S. 106) 
Michael Connelly zählt zu den ganz wenigen Thriller-Autoren, die trotz jahrelanger Erfolgswelle nie oder sehr selten an Qualität einbüßen. Das liegt vor allem daran, dass er seine Ermittler nicht nur interessante Fälle bearbeiten lässt, sondern in der detaillierten Beschreibung des Polizeialltags, ohne dabei den langweiligen Aspekten wie stundenlanger Beschattung zu viel Aufmerksamkeit zu widmen. Stattdessen lässt Connelly sein Publikum den Ermittlern über die Schulter schauen, so dass man sich als Leser und Leserin mitten im Geschehen glaubt. Dazu gewährt der Autor tiefe Einblicke in die Politik der Strafverfolgung, wenn etwa wichtige Entscheidungen ausgesessen werden, bis eine entscheidende Wahl erfolgt ist und sich die politische Stimmung verändert hat. 
Connelly versteht es geschickt, die Fälle Pearlman und Gallagher parallel laufen zu lassen, um zum Finale hin die Zügel zu straffen und die Handlung mit etwas Action und Spannung zu würzen. So lässt man sich als Krimi- und Thriller-Fan gern unterhalten! 

Michael Connelly – (Renée Ballard: 4, Harry Bosch: 23) „Dunkle Stunden“

Dienstag, 12. September 2023

(Kampa, 432 S., HC) 
Wenn man wie Michael Connelly in dreißig Jahren einen Protagonisten mit über 20 Romanen zu einer Kultfigur der Kriminalliteratur am Leben erhalten und dabei auf eine über mehrere Staffeln erfolgreiche Fernsehserie mitinitiiert hat, ist es mit Sicherheit nicht leicht, die Romanreihe auf einem qualitativ konstant hohen Niveau zu halten. Also hat der ehemalige Polizeireporter für die Los Angeles Times über die Jahre seine Aufmerksamkeit auch anderen Figuren gewidmet wie Boschs Halbbruder Mickey Haller oder dem Reporter Jack McEvoy. Connellys letzte literarische Erfindung ist die Figur des weiblichen Detective Renée Ballard, die vor einigen Jahren zur Nachtschicht beim LAPD strafversetzt worden ist, wo sich Ballard aber sehr wohl fühlt. Nach ihrem Einstieg mit „Late Show“ ermittelt sie seit dem zweiten Fall „Night Team“ allerdings mit dem mittlerweile pensionierten Detective Harry Bosch zusammen, der auch im mittlerweile vierten Abenteuer die prominenteste Nebenrolle einnimmt. 
Silvester in Los Angeles. Für die Cops bedeutet der Jahreswechsel, dass alle Polizisten zum Dienst in Uniform in Zwölf-Stunden-Schichten verdonnert sind. Um sich vor dem unvermeidlichen Bleihagel zu schützen, hat sich Renée Ballard mit ihrer Kollegin Lisa Moore, die eigentlich in der Tagschicht in der Einheit Sexualdelikte der Hollywood Division eingesetzt wird, mit dem Wagen unter der Cahuenga-Überführung verkrochen. Dabei hoffen sie, Hinweise auf die sogenannten „Midnight Men“ zu bekommen, ein männliches Paar von Sexualstraftätern, das in den vergangenen fünf Wochen jeweils gegen Mitternacht zwei Frauen vergewaltigt hat. 
Als Ballard und Moore nach einer Schießerei zu einem Tatort gerufen werden, finden sie Javier Raffa, den Inhaber einer Autowerkstatt, mit einer tödlichen Kopfwunde vor. Bei der ersten Untersuchung der Leiche stellt Ballard schnell fest, dass der Täter das mitternächtliche Geballere ausgenutzt hat, um Raffa aus nächster Nähe zu erschießen. Während sich Moore an dem Wochenende mit ihrem Freund vergnügt, ermittelt Ballard auf eigene Faust weiter und findet heraus, dass Raffa sich mit 25.000 Dollar aus der berüchtigten Las-Palmas-Bande freigekauft hatte. 
Die zur Tat passende Hülse einer Remington .22 führt zu einem fast zehn Jahre alten Raubüberfall, in dem Harry Bosch der leitende Ermittler gewesen war. Gemeinsam mit dem pensionierten Detective entdeckt Ballard außer der Waffe noch eine weitere Verbindung zwischen den beiden Morden, die bis ins Revier des LAPD reicht, was Ballard vor eine schwierige Entscheidung stellt. 
Aber auch die Jagd nach den Midnight Men entwickelt sich zu einem heiklen Balanceakt, da die Polizei die Medien nicht informiert, um die Täter nicht abzuschrecken, dass sie ihren Modus Operandi ändern. Ballard bringt sich durch ihre eigenmächtige Handlungsweise so sehr in die Bredouille, dass sie ihren Job zu verlieren droht. Doch mit dem Gedanken, alles hinzuschmeißen, hat sie ohnehin schon gespielt… 
Michael Connellys vierter Ballard- und sogar schon 23. Bosch-Band spielt vor dem Hintergrund der Pandemie, die nicht nur mit Maskenpflicht und Kontaktbeschränkungen verbunden gewesen ist, sondern auch zu einem Aufweichen der Arbeitsmoral bei den Cops im LAPD geführt hat. Für diese bedauernswerte Entwicklung steht Ballards Silvesterdienst-Partnerin Lisa Moore, die kein schlechtes Gewissen verspürt, Ballard das Wochenende allein Dienst schieben zu lassen und es sich selbst mit ihrem Freund gutgehen zu lassen. 
„Dunkle Stunden“ fesselt mit zwei unterschiedlichen Fällen, bei denen der Polizeiapparat keine gute Figur macht und Ballard sogar aus dem Spiel zu nehmen droht. Ebenso wie ihr Mentor Harry Bosch ist ihre Einstellung aber nicht korrumpiert, so dass sie sich nicht um die Konsequenzen ihres Handelns schert, wenn es doch der richtigen Sache dient. Connelly erweist sich einmal mehr als kundiger Kenner der Polizeiarbeit. Akribisch beschreibt er die einzelnen Schritte der Ermittlungsarbeit, die allerdings so viel Raum einnimmt, dass die persönlichen Elemente etwas arg kurz kommen und dem Roman eine sehr akademische, sachliche Note verleihen. Dazu sind auch die Spannungs- und Überraschungsmomente sehr moderat ausgefallen. „Dunkle Stunden“ ist zwar kein echtes Highlight in Connellys umfangreicher Werksbiografie, aber doch ein durchweg überzeugender Krimi, der keine Langeweile aufkommen lässt. 

Michael Connelly – (Renée Ballard: 3, Harry Bosch: 22) „Glutnacht“

Montag, 8. August 2022

(Kampa, 464 S., HC) 
Nach der Beerdigung seines alten Mentors John Jack Thompson bekommt der pensionierte LAPD Detective Harry Bosch von Thompsons Witwe Margaret ein Mordbuch in die Hände, das Thompson offenbar noch vor seiner Pensionierung mit nach Hause nahm. Von seinem Lehrmeister hat Bosch das Credo übernommen, dass es keine Toten erster und zweiter Klasse gebe, dass jeder Fall persönlich genommen werden müsse. Als sich Bosch mit der entwendeten Akte auseinandersetzt, fragt er sich allerdings, was Thompson dazu bewogen haben könnte, ausgerechnet diese Akte zu entwenden und zwanzig Jahre unter Verschluss zu halten, denn Notizen zu dem Fall scheint er nicht gemacht zu haben. 
Dabei geht es um einen dreißig Jahre zurückliegenden Drogendeal, der für den mutmaßlichen Informanten John Hilton mit einer Kugel im Kopf endete. Da Bosch selbst nicht mehr im aktiven Dienst ist und darüber hinaus noch mit seinem neuen Kniegelenk Probleme beim Laufen hat, ist er auf die Unterstützung von Renée Ballard angewiesen, die in der Nachtschicht der Hollywood Division eingesetzt ist und seit einiger Zeit mit Bosch zusammen an Cold Cases arbeitet. 
Nachdem sie selbst den Tod eines Obdachlosen untersucht, der hochalkoholisiert in seinem Zelt verbrannt ist, nachdem eine Öllampe umgekippt war, teilt sie sich die Arbeit an dem Hilton-Mord mit Bosch auf. Schließlich kommen sie dem Gangster Elvin Kidd auf die Spur, der eine Zeitlang mit Hilton eine Affäre unterhielt, die er offensichtlich nicht ans Licht der Öffentlichkeit gelangen lassen wollte.
Interessanterweise gibt es durch eine Auftragskillerin eine Verbindung zu einem Fall, den Boschs Halbbruder Mickey Haller gerade bearbeitet. Er verteidigt mit Jeffrey Herstadt einen Mann, der für den Mord an dem Richter Montgomery angeklagt worden ist. Als Herstadt freigesprochen wird, entwickelt Bosch den Ehrgeiz, den wahren Mörder des Richters zu finden… 
„Bosch hatte es nie besondere Genugtuung bereitet, einem Mörder Handschellen anzulegen. Er wollte wegen des Sohnes dabei sein. Wegen des Opfers. Offensichtlich war es John Hiltons leiblichem Vater egal gewesen, wer ihn umgebracht hatte. Nicht so Bosch. Er wollte dabei sein. Entweder zählte jeder, oder es zählte keiner. Für Thompson war das vielleicht nur eine Floskel gewesen. Für Bosch nicht.“ (S. 350) 
Raymond Chandler war mit der Erschaffung des melancholischen Privatdetektivs Philip Marlowe nicht nur ein Pionier in Sachen Hardboiled Krimi, sondern offensichtlich auch die richtige Inspiration für Michael Connelly, der seinerseits mit seiner Figur Harry Bosch eine Ikone der Kriminalliteratur geschaffen hat. Zwischenzeitlich hat er auch kleinere Reihen mit anderen Figuren initiiert, aber Bosch tauchte dabei stets in kleineren oder größeren Rollen auf, so auch in dem ersten Band der Reihe um Nachtschicht-Detective Renée Ballard, die es in „Glutnacht“ wieder mit ihrem ehemaligen Chef Olivas zu tun bekommt, dem sie einst sexuelle Belästigung vorgeworfen hatte. Das hatte ihr zwar die Versetzung in die Nachtschicht der Hollywood Division eingebracht, aber mittlerweile will sie gar nicht mehr woanders hin. 
Auch wenn man die beiden vorangegangenen Ballard-Bände „Late Show“ und „Night Team“ nicht gelesen haben sollte, kommt man gut in „Glutnacht“ rein. Connelly hat es längst zur Meisterschaft gebracht, den Polizeialltag nicht nur authentisch, sondern auch spannend zu beschreiben und dabei verschiedene Handlungsstränge miteinander zu verknüpfen. Die Vorgeschichten von Bosch und Ballard fließen bei der Charakterisierung der Figuren immer wieder mit ein. Aus der anfänglichen Nebenrolle, die Bosch noch in „Late Show“ einnahm, ist mittlerweile eine gut funktionierende Partnerschaft geworden. Da Bosch als Pensionär keinen Zugriff mehr auf die Mittel seiner Dienststelle hat, ist er ohnehin auf die Mitwirkung eines aktiven Polizisten angewiesen, und die Chemie zwischen Bosch und Ballard stimmt einfach. 
Akribisch beschreibt Connelly die einzelnen Ermittlungsschritte, lässt kleinere Fälle mit einfließen, wie es im Polizeialltag nun mal gang und gäbe ist, und manchmal führen die Spuren zu den Fällen, mit denen Bosch und Ballard sich gerade beschäftigen. „Glutnacht“ überzeugt dabei durch gewohnt treffende Figurenzeichnungen, interessante Haupt- und Nebenplots und einen gefälligen Schreibstil, der die einzelnen Elemente wunderbar miteinander in Einklang bringt. Das ist Krimi-Stoff auf allerhöchstem Niveau! 

 

Michael Connelly – (Renée Ballard: 2, Harry Bosch: 21) „Night Team“

Samstag, 3. April 2021

(Kampa, 448 S., HC) 
Auch wenn Harry Bosch längst in Rente ist, kommt er doch nicht davon los, weiter in ungeklärten Fällen zu ermitteln, teils als Privatermittler, teils als Reservist für das San Fernando Police Department. Als er sich unbeobachtet in der Hollywood Division nach der Akte der fünfzehnjährigen Prostituierten Daisy Clayton sucht, wird er von Renée Ballard überrascht, einer einst beim Los Angeles Police Department in der Robbery-Homicide Division tätigen Detektivin, die zur sogenannten Late Show, der berühmt-berüchtigten Nachtschicht des LAPD, strafversetzt wurde, nachdem sie ihren damaligen Vorgesetzten Robert Olivas wegen sexueller Belästigung angezeigt hatte. Ballard ist neugierig, was Bosch an dem Fall so fesselt, und findet ihn so interessant, dass sie Bosch anbietet, ihn bei der Suche nach Daisys Mörder, der ihre Leiche in einem Müllcontainer entsorgt hatte, zu unterstützen, denn ihr stehen immerhin Mittel und Wege zur Verfügung, auf die Bosch als pensionierter Cop nicht zurückgreifen kann. 
In offizieller Mission untersucht Bosch darüber hinaus die Ermordung des früheren Gangsterbosses Cristobal „Uncle Murda“ Vega. Zwar kann Bosch das ehemalige Gang-Mitglied Martin Perez ausfindig machen, der auch zu einer Aussage gegen den mutmaßlichen Mörder Tranquillo Cortez bereit ist, doch wird dieser wenig später ermordet. Bei der Aufdeckung des Department-internen Lecks widerfährt Bosch die nächste Panne. 
Nach seiner Suspendierung kann sich Bosch nun ganz auf den Fall von Daisy konzentrieren, deren ehemals drogenabhängige Mutter bei ihm vorübergehend wohnt, wodurch er seine Tochter Maddie kaum noch zu sehen bekommt. Währenddessen ackert Ballard – immer wieder auch mit Bosch zusammen -die sogenannten „Filzkarten“ durch, auf denen die Ermittler Notizen zu den Interviews mit Zeugen eintragen. Dabei stößt sie auf einen Tatortreiniger, den sie sich einmal aus der Nähe betrachten will. 
„Mord war Mord, und Ballard wusste, dass jeder Fall die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Polizei verdiente. Aber die Ermordung einer Frau ging Ballard immer besonders nahe. Fast immer war bei den Fällen, mit denen sie sich befasste, extreme Brutalität im Spiel. Und fast immer waren die Täter Männer. Das hatte etwa Beunruhigendes und zutiefst Ungerechtes, das über die grundsätzliche Ungerechtigkeit eines gewaltsamen Todes hinausging. Sie fragte sich, wie Männer sich verhalten würden, wenn sie in dem beständigen Wissen lebten, allein wegen ihrer Größe und ihrer Konstitution jede Sekunde ihres Lebens dem anderen Geschlecht unterlegen zu sein.“ (S. 387) 
Seit Michael Connelly Anfang der 1990er Jahre mit „Schwarzes Echo“ seinen ersten Harry-Bosch-Roman veröffentlichte, kann er auf über 20 Bestseller mit seinem charismatischen, sturköpfigen und gerechtigkeitsliebenden Protagonisten zurückblicken, der mittlerweile nicht nur seit 2014 in der Amazon-Serie „Bosch“ Form angenommen hat, sondern auch ein Alter erreicht hat, in dem er gewiss einfach seine Altersruhe genießen könnte. 
Doch wie langjährige Bosch-Fans wissen, lassen dem ehemaligen Detective bei der Mordkommission des LAPD ungelöste Fälle auch nach Jahren keine Ruhe. Da Connelly bereits in früheren Romanen immer wieder Begegnungen zwischen seiner prominentesten Figur und anderen Protagonisten weiterer Reihen wie um Boschs Halbbruder Mickey Haller oder Terry McCaleb eingebaut hatte, darf sich nun auch Connellys neueste Erfindung, die in die Late Show versetzte Ermittlerin Renée Ballard, mit Bosch zusammen auf Verbrecherjagd machen. Dabei stehen zwei ganz unterschiedliche Fälle im Mittelpunkt, die allerdings zeigen, wie gut Ballard und Bosch miteinander harmonieren. 
Connelly beschreibt die oft ermüdende Polizeiarbeit wie gewohnt detailliert, aber ohne seine Leserschaft zu langweilen. Stattdessen bleibt das Publikum durch die akkurat geschilderten Ermittlungsschritte und die daraus gewonnenen Erkenntnisse immer auf Augenhöhe mit Bosch und Ballard, denen der Autor jeweils eine eigene Erzählperspektive zuordnet. So wie Bosch und Ballard braucht auch der Leser einen langen Atem, bis die beiden Fälle zufriedenstellend gelöst sind. Dabei steht Bosch auch vor der moralischen Entscheidung, wie ein skrupelloser Killer wie Cortez der Gerechtigkeit zugeführt werden soll. 
Dass er letztlich den korrekten Weg wählt, bildet die Grundlage für weitere gemeinsame Ermittlungen von Ballard und Bosch. Auch wenn „Night Team“ nicht zu den allerbesten Werken aus Connellys Feder zählt - dazu entwickelt sich die Story zu geradlinig und kommt zu wenig Spannung auf - , liegt der Roman mit seinem authentisch wirkendem Plot und den glaubwürdigen und vielschichtigen Figuren weit über dem Genre-Durchschnitt. Auf weitere Romane von Michael Connelly – egal mit welchen Hauptfiguren – darf man sich also getrost freuen. 

 

Michael Connelly – (Renée Ballard: 1) „Late Show“

Dienstag, 28. April 2020

(Kampa, 432 S., HC)
Seit Detective Renée Ballard ihren Vorgesetzten Lieutenant Robert Olivas erfolglos wegen sexueller Belästigung angezeigt hatte und von der Robbery-Homicide in die als „Late Show“ bezeichnete Nachtschicht der Hollywood Division versetzt worden ist, versieht sie mit ihrem Partner John Jenkins vor allem Streifendienst. Sie wurden an jeden Tatort gerufen, an denen ein Detective erforderlich war, nahmen erste Protokolle auf, schrieben die entsprechenden Berichte und übergaben diese am Morgen an die jeweils zuständigen Einheiten. Ballard, die im Alter von vierzehn Jahren tatenlos am Strand mitansehen musste, wie ihr surfbegeisterter Vater im Meer ertrank, wuchs größtenteils bei ihrer Großmutter auf und verbringt ihre Freizeit am liebsten mit ihrer am Strand zugelaufenen Hündin Lola und Stand Up Paddling am Venice Beach. Zu gern würde sie auch mal einen Fall zu Ende bearbeiten.
Die Gelegenheit ergibt sich, als Ballard sich noch Hollywood Presbyterian Medical Center befindet, wo sie das Opfer einer schweren Körperverletzung, die Transvestitin Ramona Ramone vernehmen sollen. Auch das einzig überlebende Opfer einer Schießerei in dem Club „Dancers“ wird ins Hollywood Pres gefahren, wo es allerdings seinen schweren Verletzungen erliegt. Während Jenkins zunächst zum Tatort und dann nach Hause fährt, um sich um seine krebskranke Frau zu kümmern, nimmt Ballard die persönlichen Gegenstände der getöteten Kellnerin Cynthia „Cindy“ Haddels an sich und untersucht am Tatort ihr persönliches Schließfach. Offensichtlich verfolgte die junge Frau eine Schauspielkarriere und verdiente sich durch kleine Drogendeals etwas zum Lebensunterhalt dazu.
Um den Fall kümmert sich vor allem ihr ehemaliger Partner Ken Chastain, der Ballard bei ihrer Anzeige damals nicht den Rücken stärkte und den sie deshalb nach wie vor nicht gut zu sprechen ist. Am Tatort beobachtet sie, wie Chastain ein kleines Beweisstück unterschlägt, wenig später wird Chastain in der Garage seines Hauses geradezu hingerichtet. Als sich die Hinweise verdichten, dass ein Cop bei der Schießerei im „Dancers“ beteiligt war, muss Ballard extrem vorsichtig agieren, zumal Lieutenant Olivas zu verhindern versucht, dass sie sich zu intensiv mit dem Fall beschäftigt. Aber auch ihre Ermittlungen im Fall der schweren Körperverletzung begibt sich Ballard in Gefahr, als sie ihrem Verdächtigen Thomas Trent zu dicht auf die Pelle rückt.
„Für sie war Trent keineswegs mehr nur eine Person von Interesse. Inzwischen war sie fest davon überzeugt, dass er der Gesuchte war, und es gab nichts, was über eine solche plötzliche Einsicht ging. Etwas Größeres gab es für einen Detective nicht. Das hatte nichts mit Beweisen oder juristischen Verfahrensweisen oder einem hinreichenden Verdacht zu tun. Es war nichts Geringeres als die felsenfeste Überzeugung, dass man es einfach wusste, und es gab nichts in Ballards Leben, was es mit diesem Gefühl aufnehmen konnte.“ (S. 127) 
Michael Connelly hat mit seinen erfolgreichen Reihen um den ebenfalls in Los Angeles wirkenden Detective Hieronymus „Harry“ Bosch und seinem als Strafverteidiger tätigen Halbbruder Mickey Haller bereits so renommierte Preise wie den Edgar Allan Poe Award, den Deutschen Krimipreis, den Anthony Award und den Maltese Falcon Award abgeräumt. Als ehemaliger Polizeireporter für die Los Angeles Times versteht es Connelly souverän, vor allem den Alltag polizeilicher Ermittlungen so zu beschreiben, dass es genügend tiefe Einblicke gewährt, ohne mit überflüssigen Details zu langweilen. Mit Renée Ballard stellt er nun seine erste weibliche Protagonistin vor, die er als Opfer sexueller Nötigung gleich in der #MeToo-Debatte verortet, die 2017, als „Late Show“ im Original veröffentlicht wurde, mit dem Fall von Harvey Weinstein erst in Gang gekommen war.
Connelly rückt dieses Thema nicht zu sehr in den Vordergrund, aber Ballards exponierte Stellung als „Verräterin“ erklärt das nach wie vor schwierige Verhältnis zwischen ihr und ihren ehemaligen Kollegen/Vorgesetzten. Trotz dieser Vorkommnisse präsentiert sich Ballard als taffe, selbstbewusste und ambitionierte Ermittlerin, die sich mitfühlend um Verbrechensopfer kümmert und hartnäckig daran arbeitet, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Connelly hat mit Renée Ballard eine charismatische Protagonistin erschaffen, die in den beiden nachfolgenden Roman – die hoffentlich bald auch in deutscher Sprache veröffentlicht werden – mit Harry Bosch zusammenarbeitet, und einen Plot konstruiert, der gleich drei unterschiedlich gewichtete Fälle miteinander verknüpft, so dass „Late Show“ einen abwechslungsreichen Krimi darstellt, der auf die Fortsetzungen neugierig macht.