Dennis Lehane – „In der Nacht“

Dienstag, 24. Dezember 2013

(Diogenes, 592 S., HC.)
Mit Romanen von Dennis Lehane verhält es sich ähnlich wie mit denen von Thomas Harris (“Roter Drache”, “Das Schweigen der Lämmer”). Wenn der Leser nach meist nur wenigen Seiten bereits voll in die Geschichte eingetaucht ist, schreit alles nach Verfilmung. Dennis Lehane hat mit „Mystic River“, „Gone Baby Gone“ und „Shutter Island“ bereits drei Vorlagen zu erfolgreichen, von renommierten Filmemachern wie Clint Eastwood, Martin Scorsese und Ben Affleck inszenierten Thriller-Dramen geliefert, nun folgt mit „In der Nacht“ bereits die nächste, wiederum von Affleck umgesetzt.
„In der Nacht“ stellt zwar keine direkte Fortsetzung von Lehanes letztem Werk „Im Aufruhr jener Tage“ dar, verfolgt aber das Schicksal der Coughlin-Familie in eine andere Richtung. Wir befinden uns im Jahr 1926, Coughlin-Patriarch Thomas dient als stellvertretender Polizeichef in Boston und lässt sich wie viele andere Cops auch ordentlich schmieren, um in den Zeiten der Prohibition immer mal wieder wegzuschauen. Sein ältester Sohn Danny, der im Zentrum von „Im Aufruhr jener Tage“ stand und nach dem Quittieren des Polizeidienst Karriere in Hollywood als Stuntman und schließlich Drehbuchautor machte, taucht nur kurz als Nebenfigur auf, der Fokus liegt in Lehanes neuem Roman auf dem jüngsten Coughlin-Sprössling Joe, der als blutjunger Kleinganove nicht nur den Mumm hat, einen Laden von Gangsterboss Albert White auszurauben, sondern sich auch noch in dessen Geliebte Emma Gould verguckt. Doch der Plan, gemeinsam mit der erbeuteten Kohle irgendwo anders ein neues Leben anzufangen, schlägt furchtbar fehl. Emma verrät ihren neuen Liebhaber in der Hoffnung, dass ihm nichts geschieht, muss aber selbst mit dem Leben büßen, während Joe in Charleston eine Haftstrafe absitzen muss. Dort zieht er alle notwendigen Strippen, um nach seiner Entlassung voll in den Rumhandel einzusteigen. Mit seinem alten Kumpel Dion zieht es Joe nach Ybor, wo er mit Esteban ins Geschäft kommt und selbst schnell zum Gangsterboss aufsteigt. Obwohl er mit der kubanischen Idealistin Graciela eine Familie gründet, denkt Joe nicht daran, seine kriminelle Karriere aufzugeben.
„Genau deshalb waren sie Gesetzlose. Um Dinge zu erleben, die den Versicherungsvertretern, den Lastwagenfahrern und Anwälten und Kassierern und Schreinern und Immobilienmaklern dieser Welt nie vergönnt sein würden. Drahtseilakte ohne Netz und doppelten Boden. Genau in diesem Moment erinnerte sich Joe daran, was ihm damals als Dreizehnjährigem durch den Kopf geschossen war, als sie den Zeitungskiosk in der Bowdoin Street ausgeraubt hatten: Wahrscheinlich werden wir jung sterben.“ (S. 316) 
Mit dieser Erkenntnis wird Joe Coughlin gleich zu Beginn von Lehanes Roman konfrontiert, als er mit einzementierten Füßen auf einem Schlepper im Golf von Mexico seinem Ende entgegensieht. Indem ihm bewusst wird, dass er diese missliche Lage seiner Liebe zu Emma Gould, der Geliebten von Gangsterboss Albert White, zu verdanken hat, lässt er sein turbulentes Leben Revue passieren. Lehane erweist sich dabei als versierter Kenner der Kulturgeschichte, entwirft ein atmosphärisch stimmiges Portrait der Prohibitionszeit und lässt auch relevante Themen wie Rassismus und Korruption auf lebendige Weise in die Geschichte einfließen, in der alle beteiligten Gangster nach immer größeren Gebieten und Gewinnen streben, so dass blutige Auseinandersetzungen zwischen den Italienern, Spaniern und Kubanern nicht zu vermeiden sind.
„In der Nacht“ besticht aber nicht nur durch die hohe Erzählkunst seines Autors, sondern vor allem durch die faszinierende Hauptfigur, die von starken Leidenschaften getrieben wird. Zusammen mit den facettenreichen Figuren und der dramatischen Handlung ist so eine kurzweilige Gangsterballade entstanden, die wie gemacht für die Kinoleinwand scheint.
Leseprobe Dennis Lehane - "In der Nacht"

Stephen King – „Doctor Sleep“

Mittwoch, 11. Dezember 2013

(Heyne, 704 S., HC.)
“Shining” ist nicht nur eines der ältesten (1977 erstmals von Doubleday veröffentlicht) Werke des Horror-Schriftstellers Stephen King, sondern wurde auch 1980 kongenial von Stanley Kubrick mit Jack Nicholson in der Hauptrolle verfilmt. Nach über 35 Jahren legt King mit „Doctor Sleep“ nun eine packende Fortsetzung vor, in der das Schicksal von Daniel Torrance im Mittelpunkt des Geschehens steht.
Er muss ein noch stärker mit dem „Shining“ gesegneten Mädchen vor einer besonderen Art von Vampiren retten. Nachdem das Overlook-Hotel wegen eines defekten Heizkessels – so das Fazit des Brandinspektors von Jicarilla County - bis auf die Grundmauern abgebrannt war und unter anderem der für den Winter eingestellte Hausmeister John Torrance dabei ums Leben kam, lebten seine Frau Wendy und ihr gemeinsamer Sohn Daniel von der Abfindung, die ihnen die Besitzerfirma des Hotels zahlten, im mittleren Süden und dann im sonnigen Tampa.
Mittlerweile ist Dan erwachsen und wie sein Vater dem Alkohol verfallen. Er reist durch die Staaten und nimmt Gelegenheitsjobs als Hausmeister und Krankenpfleger an, bis er in Frazier landet und die Bekanntschaft mit Billy Freeman macht, der ihm einen Job in der Freizeitanlage Teenytown vermittelt. Deren Boss erkennt sofort, dass Dan ein Alkoholiker ist und legt ihm ein strenges Programm auf. Doch kaum hat sich Dan eingelebt, erhält er Botschaften von einem Mädchen namens Abra, das schon als Baby starke „Shining“-Kräfte zum Ausdruck gebracht hat. Während die beiden miteinander kommunizieren, kommen sie einer Vampir-ähnlichen Sekte auf die Spur, die sich der Wahre Knoten nennt und seit Jahrhunderten unauffällig in Wohnmobilen durch die Lande zieht und sich von dem sogenannten Steam ernährt, dem letzten Odem von Menschen, die das „Shining“ besitzen. Es beginnt ein Wettlauf mit der Zeit, denn der Wahre Knoten hat längst die Spur von Abra aufgenommen …
„Rose wollte das Mädchen nicht nur, weil es – mithilfe des richtigen Drogencocktails und kraftvoller übersinnlicher Beruhigungsmaßnahmen – einen fast endlosen Vorrat an Steam liefern konnte. Die Sache hatte einen persönlicheren Aspekt. So jemand umwandeln? Zum Teil des Wahren Knotens machen? Niemals. Die Kleine hatte Rose the Hat aus ihrem Kopf gescheucht wie eine lästige Sektenanhängerin, die von Tür zu Tür ging, um Broschüren über das Ende der Welt zu verteilen. So war Rose noch von niemand rausgeschmissen worden. Egal wie kraftvoll die Kleine war, man musste ihr eine Lektion erteilen. Und dafür bin ich genau die Richtige.“ (S. 294f.) 
Ebenso wie sich viele Leser gefragt haben, was mit dem kleinen Danny passiert ist, nachdem er mit seiner Mutter Wendy und dem Koch Dick Hallorann in den nächstgelegenen Ort Sidewinder geflüchtet ist, ließ auch den Autor die Frage nie los. 35 Jahre nach "Shining" legt Stephen King mit „Doctor Sleep“ eine Fortsetzung vor, die wie in Kings epochalen Meisterwerken „The Stand - Das letzte Gefecht“ und „Der dunkle Turm“ nicht weniger als den Kampf des Guten gegen das Böse in epischen Dimensionen thematisiert.
Die 700 Seiten werden dabei vor allem von der innigen – durch das „Shining“ geprägte - Beziehung zwischen der jungen Abra und dem Alkoholiker Danny geprägt, von Danny schwerem Weg, die Alkoholsucht zu besiegen und ein neues Leben zu beginnen, von seiner Fähigkeit, als „Doctor Sleep“ im Pflegeheim die Sterbenden zur letzten Ruhe zu begleiten, aber auch von Abras Unsicherheit im Umgang mit ihren außergewöhnlichen mentalen Kräften und natürlich der Konfrontation zwischen dem Wahren Knoten und Abra mit ihren Freunden und Angehörigen.
Der Roman überzeugt dabei durch seine sorgfältig gezeichneten Figuren und den dramaturgisch geschickt inszenierten Spannungsaufbau, der sich in einem furiosen Finale entlädt.
Leseprobe: Stephen King – “Doctor Sleep”