Mick Herron – (Jackson Lamb: 2) „Dead Lions“

Montag, 9. September 2019

(Diogenes, 478 S., HC)
Das Slough House stellt für den britischen Geheimdienst MI5 eine Sammelstelle für die Agenten ein, die sich so schwerer Vergehen schuldig gemacht haben, dass sie – da sie nicht gekündigt werden können – auf ein Abstellgleis verfrachtet werden, wo sie hoffentlich bei der eintönigen Auswertung von Listen und Statistiken vor Langeweile umkommen und von selbst die Kündigung einreichen. Unter Leitung des eigentlich unausstehlichen, aber nach wie vor gewieften Jackson Lamb versuchen seine Leute (die von ihren ehrbaren Kollegen abschätzig als Slow Horses bezeichnet werden) wieder Punkte gutzumachen, um wieder in die Hauptstelle des MI5 in Regent’s Park versetzt zu werden.
Tatsächlich ergibt sich diese Gelegenheit, als mit Dickie Bow ein alter Weggefährte von Lamb aus seiner Zeit in Berlin tot in einem Bus aufgefunden wird. Lamb glaubt nicht an den vom Rechtsmediziner attestierten Herzinfarkt und findet am Tatort ein verstecktes Billig-Handy, wo sich unter den nicht gesendeten Nachrichten der Begriff „Cicades“ befindet. Für Lamb ist das ein Hinweis auf eine Gemeinschaft von russischen Schläfern, die nur darauf warten, für einen Einsatz aktiviert zu werden. In diesem Zusammenhang erfährt River Cartwright von seinem Großvater, der ein hohes Tier beim MI5 gewesen ist und ihn noch immer mit wichtigen Informationen versorgt, dass Bow von dem russischen Agenten Alexander Popow entführt worden sei.
Allerdings soll Popow eine reine Legende gewesen sein, der angebliche Chef eines Spionagerings, der sein eigenes fiktives Netzwerk leitete. Lamb schickt Cartwright nach Upshott, um dort nach dem geheimnisvollen Mr. B zu suchen, den Lamb auf den Überwachungsvideos an der Bushaltestelle in Oxford entdeckt hat, wo er aus dem Bus gestiegen ist, in dem Bow tot aufgefunden wurde. Während er in dem unscheinbaren Kaff nähere Bekanntschaft mit der attraktiven Barbedienung Kelly einlässt, werden die Slow Horses Min Harper und Louisa Guy (die auch noch miteinander liiert sind) von James „Spider“ Webb aus dem Hauptquartier damit beauftragt, den russischen Oligarchen Arkadi Paschkin zu beschützen, wenn er in London seinen Geschäften nachgeht. Doch als einer der beiden Agenten bei dieser vermeintlich simplen Aufgabe zu Tode kommt, ist Jackson Lamb alarmiert. Zudem fördert sein Computer-Nerd Roderick Ho immer brisantere Informationen aus Upshott zutage. Offensichtlich hängen die jüngsten Todesfälle und die Ereignisse in Upshott unmittelbar miteinander in Verbindung …
„Wie hoch waren die Chancen, dass dieses kleine Kaff eine neue Generation von Kalten Kriegern nährte, und wofür würden sie kämpfen, wenn es so wäre? Die Auferstehung der Sowjetunion?“ (S. 358) 
Der in Oxford lebende britische Autor Mick Herron hat mit dem 2010 erschienenen und 2018 auf hierzulande veröffentlichten Roman „Slow Horses“ eine außergewöhnlichste Spionage-Thriller-Reihe ins Leben gerufen, die zurecht mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet worden ist. Allein das Setting um eine ausgemusterte Truppe von MI5-Versagern, die alles dafür tun würden, um wieder im Hauptquartier in Regent’s Park arbeiten zu dürfen, verspricht ungewöhnliche Plots, die zudem von liebevoll skurrilen Figuren getragen werden. Eine Katze, die durch die Zimmer von Slough House streicht, übernimmt die Vorstellung der ausgesonderten Agenten, unter die sich die beiden Neulinge Shirley Dander und Marcus Longridge eingereiht haben.
Was den neuen Band „Dead Lions“ ebenso wie den Erstling „Slow Horses“ von der Masse an Spionage-Thrillern wohltuend abhebt, ist die Mischung aus einem spannenden, komplexen und wendungsreichen Plot, einzigartigen Figuren, der Beziehung zwischen dem Hauptquartier und dem Slough House (in dem MI5-Vizechefin Diana „Lady Di“ Tavener vermutlich auch noch einen Spitzel untergebracht hat) und dem erfrischendem britischen Humor, der der Jackson-Lamb-Reihe ihren besonderen Charme verleiht.
Zwar schleichen sich auf den knapp 500 Seiten auch mal verschiedene Längen ein, aber bei der vergnüglichen Stimmung, die der Autor zu kreieren versteht, den differenziert gezeichneten Figuren und dem intelligent inszenierten Agenten-Plot sieht der Leser gern darüber hinweg. Auf die bislang erschienenen drei weiteren Bücher der Jackson-Lamb-Reihe darf sich der deutschsprachige Leser also mehr als freuen.
Leseprobe Mick Herron - "Dead Lions"

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