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Linwood Barclay – (Promise Falls: 4) „Kenne deine Feinde“

Samstag, 22. Juni 2019

(Knaur, 464 S., Pb.)
Barry Duckworth, Detective bei der Polizei in Promise Falls, wird in seinem Büro von Brian Gaffney erwartet, den seine Kollegen ziellos durch die Straßen herumirrend aufgegriffen haben. Nach einem Filmriss hegt Gaffney die Vermutung, von Außerirdischen entführt worden zu sein, die ihn in den Rücken gestochen haben, doch bei näherer Betrachtung stößt Duckworth auf eine stümperhafte Tätowierung, nach der Gaffney für den Tod eines gewissen Sean verantwortlich gemacht wird.
Das Letzte, an das sich der völlig verstörte junge Mann erinnern kann, ist ein Aufenthalt in der Kneipe Knight’s. Bei der Sichtung der Überwachungskamera stößt Duckworth auch auf ein bekanntes Gesicht, das seines Sohnes Trevor, der mit seiner Freundin wenig später nach Gaffney das Lokal verlassen hat.
Während Duckworth nach einer Übereinstimmung mit einem älteren, ähnlich gelagerten Fall sucht, wird Privatermittler Cal Weaver mit einer außergewöhnlichen Mission betraut: Er soll Jeremy Plimpton beschützen, nachdem dieser in einem aufsehenerregenden Prozess in Albany beschuldigt worden ist, während einer Party im betrunkenen Zustand mit dem Porsche eines der Gäste, Galen Broadhurst, ein junges Mädchen überfahren zu haben. Der achtzehnjährige Großneffe der in Promise Falls lebenden Madeline Plimpton konnte von seinem Verteidiger Grant Finch allerdings vor einer Gefängnisstrafe bewahrt werden, indem dieser geltend machen konnte, dass der junge Mann so verwöhnt und verhätschelt worden ist, dass er die Folgen seines Handelns nicht absehen konnte. Seither wurde Jeremy nicht nur von der Presse als Riesenbaby tituliert, sondern auch das Opfer einer beispiellosen Hetzjagd im Netz – beispielsweise über die Webseite „Gerechte Strafe“ - und in den sozialen Medien.
Da Jeremy in Albany um sein Leben fürchten musste, ist er bei seiner Großtante nach Promise Falls untergetaucht, wo auch seine Mutter Gloria und ihr Freund Bob Butler den Privatermittler empfangen. Da es auch in Promise Falls nicht mehr sicher für Jeremy ist, unternimmt Weaver mit dem verängstigten Jungen einen Road Trip und stößt bei seinen Ermittlungen auf immer größere Ungereimtheiten. Derweil sehnt sich ein Mann nach zweifelhaftem Ruhm, der ihm im Schatten seiner wohlgeratenen Geschwister bislang versagt geblieben ist.
„Er würde den Sprung in die Abendnachrichten schaffen. Auf CNN.
Die Welt würde seinen Namen erfahren.
Kannte die Welt den Namen seiner Schwester? Kannte sie den seines Bruders? Einen Scheiß. Und dabei hatten sie ihr Leben doch solch hehren Aufgaben geweiht. Was hatten sie jetzt davon? Hatten sie irgendetwas vorzuzeigen? Blindgänger.“ (S. 360) 
Mit seiner „Promise Falls“-Trilogie hatte der kanadische Thriller-Bestseller-Autor Linwood Barclay („Ohne ein Wort“) eine Reihe ungewöhnlicher Vorfälle in der Kleinstadt Promise Falls thematisiert, das durch die Vergiftung der Wasserversorgung in die Schlagzeilen geraten war. Nun kehrt Barclay mit seinem neuen Roman nach Promise Falls zurück, und damit sowohl zu dem sympathischen Detective Barry Duckworth und dem ebenfalls einst in Promise Falls beheimateten Ex-Cop Cal Weaver, der nach dem Tod seiner Frau und seines Sohnes von Buffalo zurück nach Promise Falls zog, um weiter als Privatermittler zu arbeiten.
Für den vierten Roman der Reihe ist es nicht nötig, die Trilogie zu kennen. Mit den notwendigen Hintergrundinfos versorgt der Autor den Leser zwischendurch. Allerdings erreicht „Kenne deine Feinde“ nie die Qualität der Trilogie. Dabei bieten die zunächst unabhängig voneinander bearbeiteten Fälle, mit denen es Duckworth und Weaver zu tun haben, durchaus Material für eine spannende Lektüre. Doch gerade der Fall des sogenannten Riesenbabys wuchert nach interessantem Beginn zu einer immer komplexeren und leider absolut unglaubwürdigen Story heran, zu der allzu viele Personen ihren Beitrag leisten, ohne dafür schlüssige Motive zu haben.
Während die Beziehung zwischen Weaver und seinem Schützling Jeremy noch einfühlsam charakterisiert wird, ist der Rest des Plimpton-Clans so unsympathisch und bis zur Karikatur klischeehaft gezeichnet, dass die vielen „überraschenden Wendungen“ im Schlussviertel nur noch ärgerlich sind.
Leseprobe Linwood Barclay - "Kenne deine Feinde"

Linwood Barclay – „Nachts kommt der Tod“

Sonntag, 28. Januar 2018

(Knaur, 560 S., Tb.)
Wegen seiner aufbrausenden Art musste Cal Weaver den Dienst als Cop in Promise Falls quittieren und lebt nun mit seiner Frau Donna in der Kleinstadt Griffon bei den Niagarafällen. In einer regnerischen Nacht gabelt er die siebzehnjährige Claire, Tochter von Bürgermeister Bertram Sanders, vor Patchett’s Bar auf, als sie sich als Freundin seines Sohnes Scott zu erkennen gibt, und will sie nach Hause fahren.
Seit Scott vor zwei Monaten im Drogenrausch beim Sturz vom Dach des örtlichen Möbelhauses tödlich verunglückt ist, sucht Cal, der nun als Privatermittler arbeitet, nach demjenigen, der Scott die Drogen angedreht hat. Doch Claire kann ihm in dieser Hinsicht nicht weiterhelfen. Da ihr angeblich übel ist, bittet sie Cal, sie im Iggy’s auf die Toilette gehen zu lassen, doch als sie nach längerer Zeit wieder ins Auto steigt, stellt der Detektiv fest, dass es sich um ein anderes Mädchen namens Hanna Rodomski handelt, die Claire so ermöglichen möchte, ihren mutmaßlichen Verfolger abzuschütteln.
Bevor Cal weitere Details dieses Täuschungsmanövers erfahren kann, stürzt Hanna an der nächsten roten Ampel aus dem Wagen und flüchtet in den nahegelegenen Wald. Am nächsten Morgen wird ihre halb entblößte Leiche am Flussufer gefunden. Cal gerät damit nicht nur ins Visier der örtlichen Polizei, die von seinem Schwager Augie Perry geleitet wird, sondern auch in den Konflikt zwischen Chief Perry und Bürgermeister Sanders, der der Polizei unlautere Methoden vorwirft.
Als auch noch Claire spurlos verschwindet und Hannas Freund Sean Skilling wegen Mordverdachts verhaftet wird, macht sich Cal auf die Suche nach dem vermissten Mädchen. Zu seiner Hartnäckigkeit gesellen sich aber auch immer wieder die Beziehungsprobleme mit Donna und sein aufwallendes Temperament.
„Es gab Zeiten, da litt ich unter der Wahnvorstellung, ein anständiger Mensch zu sein. Ich glaubte, ich hätte Ideale. Ich glaubte, mein Verhalten werde von edlen Motiven bestimmt.
Aber mit zunehmendem Alter kommt auch die Einsicht, dass jeder Tag einem Kompromisse abverlangt. Dass man die allgemeinen Regeln den eigenen Bedürfnissen anpasst, ist nichts, was einem schlaflose Nächte bereiten müsste.“ (S. 316) 
Seit seinem Debütroman „Ohne ein Wort“ zählt der kanadisch-US-amerikanische Schriftsteller Linwood Barclay zu den populärsten Vertretern des Thriller-Genres. Mit dem erstmals 2014 veröffentlichten Roman „Nachts kommt der Tod“ verweist er am Rande schon auf die kürzlich erschienene „Promise Falls“-Trilogie, denn Cal Weaver mischt auch im zweiten Band „Lügennacht“ als Ermittler mit.
In „Nachts kommt der Tod“ berichtet Weaver als Ich-Erzähler nicht nur von der Tragödie seines Sohnes, dessen Tod nach wie vor wie ein dunkler Schatten über seinem Leben und seiner Ehe liegt, sondern von den merkwürdigen Vorfällen, die mit dem Mord an Hanna und dem Verschwinden ihrer Freundin Claire ihren Anfang nehmen. Barclay erweist sich dabei als routinierter Spannungs-Autor, der seine Figur lebendig portraitiert und die Handlung bei hohen Tempo voranschreiten lässt. Das Ensemble in der Kleinstadt Griffon bleibt dabei angenehm überschaubar, die Verflechtungen innerhalb der städtischen Bewohner gestalten sich allerdings ungewöhnlich komplex.
Natürlich fügen sich kontinuierlich die einzelnen Puzzle-Teile allmählich zusammen, werden falsche Spuren gelegt und ebensolche Schlüsse gezogen. Zum Ende weist der Plot die obligatorischen Wendungen und Bekenntnisse der Schuldigen auf. Barclay bedient sich souverän der Genre-Konventionen und versteht es, die Spannung auf einem hohen Niveau zu halten.
Das macht auch „Nachts kommt der Tod“ zu einem kurzweiligen und packenden Lesevergnügen.

Linwood Barclay – (Promise Falls: 3) „Lügenfalle“

Montag, 27. März 2017

(Knaur, 493 S., Pb.)
Die kleine US-amerikanische Ostküstenstadt Promise Falls kommt einfach nicht zur Ruhe. Nachdem vor nicht mal einer Woche jemand das Autokino am Stadtrand in die Luft gejagt und dabei vier Menschen getötet hatte, hat Polizeichef Barry Duckworth am langen Memorial-Day-Maiwochenende nicht nur wie üblich mit seinem Übergewicht zu kämpfen, sondern auch den Ursprung einer echten Epidemie herauszufinden. Offensichtlich hat jemand das Trinkwasser der Stadt vergiftet, so dass im völlig überlasteten Stadtkrankenhaus bald über hundert Tote zu beklagen sind.
Nutznießer dieser Katastrophe scheint wieder einmal der frühere Bürgermeister Randy Finley zu sein, der nach wie vor plant, nach seiner skandalösen Affäre mit einer minderjährigen Prostituierten wieder zu kandidieren. Zum Glück hatte Finley die Produktion seiner Trinkwasser-Anlage seit einer Woche hochfahren lassen, so dass er die besorgten Bürger nun medienwirksam mit kostenlosem Wasser aus seinen Quellen versorgen kann.
Doch Duckworth hat sich kaum in den Fall einarbeiten können, da erreicht ihm vom örtlichen Thackeray-College die nächste Hiobsbotschaft: Dort wird die Studentin Lorraine Plummer in ihrem Zimmer ermordet aufgefunden, mit der gleichen Art von tödlicher Verletzung, die auch vor drei Jahren Olivia Fisher und kürzlich Rosemary Gaynor erlitten haben.
Ins Zentrum der Ermittlungen gerät Victor Rooney, der es offenbar nicht verwunden hat, dass vor drei Jahren zwar 22 Menschen den Mord an seiner Freundin Olivia mitbekommen, aber nichts unternommen haben, und sich dafür vielleicht an der ganzen Stadt rächen will.
„Wie wütend war Victor Rooney wirklich auf das Versagen dieser Stadt? Wütend genug, um es ihr heimzuzahlen? Wütend genug, um Botschaften zu senden? Dreiundzwanzig tote Eichhörnchen an einem Zaun, zum Beispiel? Drei rot beschmierte Schaufensterpuppen in Kabine 23 eines stillgelegten Riesenrads? Einen brennenden, außer Kontrolle geratenen Bus mit einer ‚23‘ auf dem Heck?“ (S. 318) 
Und schließlich sucht der ehemalige Journalist David Harwood, der nun die Öffentlichkeitsarbeit für Finley betreibt, nach Sam und ihrem Sohn Carl, die im Trubel der Trinkwasservergiftung ihre Sachen gepackt und spurlos verschwunden sind …
Im großen Finale seiner „Promise Falls“-Trilogie besinnt sich Thriller-Bestseller-Autor Linwood Barclay („Ohne ein Wort“, „Frag die Toten“) wieder auf seine originären Fähigkeiten und präsentiert von Beginn an einen atmosphärisch dichten, atemlosen Pageturner, in dem eine Katastrophe auf die nächste folgt. Zum Glück konzentriert sich der Autor diesmal wieder auf ein überschaubareres Figuren-Ensemble, nachdem es in „Lügennacht“ doch arg durcheinander herging.
Zwar macht sich Barclay auch diesmal wenig Mühe, seinen Figuren Charakter zu verleihen – abgesehen von dem immer mal wieder als Ich-Erzähler fungierenden Polizeichef bleiben die Einwohner und Verantwortlichen von Promise Falls ziemlich blass -, aber die Suche nach dem Trinkwasser-Attentäter einerseits, dem Frauenmörder andererseits und schließlich dem Zusammenhang mit der ominösen Zahl 23 und den früheren merkwürdigen Vorfällen in der Stadt ist absolut packend beschrieben.
Barclay thematisiert dabei nicht nur mangelnde Zivilcourage und die allgegenwärtige Angst vor Terrorismus, sondern auch generell den Zerfall zivilisierter Werte und Moralvorstellungen.
Leseprobe Linwood Barclay - "Promise Falls III: Lügenfalle"
 

Linwood Barclay – (Promise Falls: 2) „Lügennacht“

Sonntag, 11. Dezember 2016

(Knaur, 497 S., Pb.)
In Promise Falls, einer Kleinstadt an der US-amerikanischen Ostküste, gehen buchstäblich allmählich die Lichter aus. Nachdem bereits der Journalist David Harwood aus Boston in seine Heimatstadt zurückgekehrt war, um bei der Lokalzeitung anzuheuern, die gleich darauf eingestellt wurde, öffnet nun mit dem Constellation auch das Autokino der Stadt zum letzten Mal seine Tore.
Wie üblich sollen auch bei der Abschiedsvorstellung drei Filme hintereinander gezeigt werden, um sowohl für die Kleinsten als auch für die Erwachsenen etwas zu bieten. Doch bevor der erste Film auf der Leinwand läuft, führt eine kleine Explosion dazu, dass die Leinwand in das Publikum fällt und vier Menschen zu Tode quetscht, darunter auch Adam Chalmers und vermutlich seine bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Frau Miriam.
Während der Constellation-Besitzer Derek Grayson davon ausgeht, dass die beauftragte Abrissfirma für den Unfall verantwortlich ist, will Ex-Bürgermeister Randy Finley die Katastrophe für seine erneute Kandidatur ausschlachten. Die Ermittlungen von Polizeichef Barry Duckworth kommen zunächst nicht voran, doch dann scheinen sich Verbindungen zu früheren Vorfällen aufzutun, in denen die Zahl 23 eine Rolle gespielt hatte, schließlich stürzte die Leinwand um 23:23 Uhr zusammen.
„Nun stellte sich die Frage, ob er diese Information, so spekulativ sie auch sein mochte, publik machen sollte. Vielleicht war es Zeit, die Öffentlichkeit um Mithilfe zu bitten. Irgendjemand wusste möglicherweise etwas. Vielleicht gab es in einer Familie ein Sorgenkind, einen Verwandten mit einer unerklärlichen Fixierung auf diese Zahl. Wenn Psalm 23 eine Rolle spielte – ‚Und ob ich schon wanderte im finstern Tal / fürchte ich kein Unglück‘ – war vielleicht ein religiöser Eiferer am Werk.“ (S. 126) 
Doch auch der Mord an Olivia Fisher vor drei Jahren und nun an Rosemary Gaynor hält den Detective auf Trab. Auch hier scheint es eine noch nicht aufgedeckte Verknüpfung zu geben. Währenddessen wird der Privatermittler Cal Weaver von Adam Chalmers-Tochter Lucy Brighton beauftragt, den Einbruch in das Haus ihrer Eltern aufzuklären. Dabei stößt er auf ein geheimes Zimmer, in dem offensichtlich Sextreffen stattfanden und auf Video aufgezeichnet wurden. Die dazugehörigen DVDs sind allerdings verschwunden …
Nachdem in „Lügennest“ der nach Promise Falls zurückgekehrte Reporter David Harwood als Ich-Erzähler fungierte und die merkwürdigen Vorkommnisse in der Kleinstadt untersuchte, setzt Linwood Barclay im zweiten Band seiner Trilogie nun den ebenfalls von außerhalb zugereisten Privatermittler Cal Weaver als Erzähler ein, der allerdings auch ein alter Bekannter von Detective Duckworth ist.
Auch wenn es bereits in Band I eine Vielzahl von Nebensträngen gab, die auf die zusammenhängende Bedeutung der Zahl 23 ausgerichtet war, war der Plot doch straff gestrickt und spannend zu lesen. Im nun vorliegenden Folgeband verzettelt sich der Autor allerdings zunehmend in einem unüberschaubaren Geflecht von Handlungen, die logischerweise an das Geschehen in „Lügennest“ anknüpfen, aber nur noch angerissen werden.
Allerdings kommen nun noch so viele neue Figuren und Verstrickungen dazu, dass dabei nicht nur die Spannung, sondern vor allem auch die Figurenzeichnung auf der Strecke bleibt. Das ist insofern schade, als dass viele Figuren – wie der Reporter, der Privatermittler, der Detective und Harwoods Love Interest Samantha – interessant genug erscheinen, um differenzierter ausgestaltet zu werden. Auf der anderen Seite wird die Ermittlungsarbeit eher skizzenhaft abgerissen, worunter die Atmosphäre leidet.
Bleibt nur zu hoffen, dass der abschließende Band „Lügenfalle“ wieder die Kurve bekommt, sich besser auf die Haupthandlung zu fokussieren versteht und die vielversprechend begonnene Trilogie zu einem versöhnlichen Ausklang bringt.
 Leseprobe Linwood Barclay - "Promise Falls II: Lügennacht"

Linwood Barclay – (Promise Falls: 1) "Lügennest“

Donnerstag, 1. September 2016

(Knaur, 503 S., Pb.)
Nach dem Tod seiner Frau Jan vor fünf Jahren kündigte der Reporter David Harwood seinen Job bei dem Promise Falls Standard und zog mit seinem Sohn Ethan nach Boston, wo er allerdings wegen seiner Arbeitszeiten beim Boston Globe kaum Zeit für seinen Sohn aufbringen konnte. Deshalb ist David mit dem nun neunjährigen Ethan in sein Elternhaus zurückgekehrt und hat wieder bei seiner alten Zeitung zu arbeiten begonnen. Allerdings bekommt er schon am ersten Arbeitstag von der Herausgeberin zu hören, dass der Standard eingestellt wird. Doch das ist nur der Anfang einer Reihe von merkwürdigen bis erschreckenden Ereignissen, die die Kleinstadt heimsuchen. Zunächst muss David beim Besuch seiner Cousine Marla Pickens feststellen, dass sie plötzlich zu einem Kind gekommen ist, das ihr – so ihre Aussage – ein Engel in die Arme gelegt hat.
Vor neun Monaten verlor Marla ihr eigenes Kind bei der Geburt, dann ist sie auffällig geworden, als sie aus dem Krankenhaus, das ihre Tante Agnes leitet, ein fremdes Kind mitnehmen wollte. Als David den Jungen zur eigentlichen Familie zurückbringen will, findet er Mrs. Gaynor tot in ihrem Haus vor. Da ihr Mann in Boston bei einer Konferenz gewesen ist und über ein Alibi verfügt, wird Marla verdächtigt, Rosemary Gaynor getötet und Matthew entführt zu haben.
Doch Detective Barry Duckworth stößt bei seinen Ermittlungen bald auf Ungereimtheiten. Zudem hat er mit Überfällen auf Frauen auf dem Campus des Thackaray Campus zu tun, mit 23 auf einer Schnur aufgehängten toten Eichhörnchen und einem Riesenrad auf dem stillgelegten Ferienpark, das von unbekannter Hand in Gang gesetzt worden ist und in dessen Kabine mit der Nummer 23 drei Puppen platziert wurden. David setzt alles daran, Marlas Unschuld zu beweisen, und macht sich auf die Suche nach dem Kindermädchen der Gaynors, das plötzlich spurlos verschwunden ist.
„Der Mörder hätte einfach verschwinden können. Das Baby wäre zu guter Letzt gefunden worden. Aber nein. Der Mörder – oder sonst jemand – will das Baby in die Obhut von jemandem geben. Warum in die von Marla?
In Promise Falls gab es genügend Menschen, bei denen Matthew hätte abgegeben werden können, warum ausgerechnet bei Marla? Die genau am anderen Ende der Stadt wohnt. Und die bereits – wenn auch nur einmal – als Kindesentführerin auffällig geworden war.“ (S. 231) 
Tatsächlich kommen David und der Detective allmählich einem vertrackten Komplott auf die Spur, in die ganz prominente Persönlichkeiten der Stadt verwickelt sind.
Linwood Barclay, der 2007 mit seinem Debütroman „Ohne ein Wort“ gleich einen internationalen Bestseller veröffentlicht hat, gibt mit „Lügennest“ den Startschuss einer vielversprechend startenden Trilogie. Im Mittelpunkt des dramaturgisch geschickt konstruierten Thrillers steht der sympathische Ich-Erzähler David Harwood, der seiner Familie zuliebe in seine Heimatstadt zurückkehrt und sofort mit einer Reihe von Problemen konfrontiert wird, von denen das Fehlen eines Jobs und einer eigenen Wohnung noch die geringsten sind. Nachdem er ausführlich seine eigene Geschichte geschildert hat, werden auch die weiteren Protagonisten eingeführt, ohne allerdings allzu viel von ihnen preiszugeben. Einzig Marlas bedauerliches Schicksal erhält etwas mehr Raum, schließlich ist sie auch die Hauptverdächtige.
Auch wenn der Mord an Rosemary Gaynor und die Frage, wie Marla an deren Sohn gekommen ist, im Zentrum von „Lügennest“ steht, werden auch die Nebenhandlungen immer wieder aufgegriffen, ohne am Ende aufgelöst zu werden. Schließlich stehen mit „Lügennacht“ (Dezember 2016) und „Lügenfalle“ (April 2017) noch zwei Folgebände an.  
Barclay gelingt es sehr überzeugend, einzelne Facetten der geheimnisvollen Vorgänge in Promise Falls zu enthüllen, aber noch sehr viele offene Fragen, gerade um Figuren wie Bürgermeisterkandidat Randall Finley, ungeklärt zu lassen, so dass man mit Spannung die Fortsetzungen erwartet.
Leseprobe Linwood Barclay - "Promise Falls I: Lügennest"

Linwood Barclay – „Schweig für immer“

Freitag, 18. März 2016

(Knaur, 505 S., Tb.)
Cynthia Archer wird die Traumata in ihrem Leben einfach nicht los. 1983 zog sie mit dem schon siebzehnjährigen Vince Fleming los, wurde von ihrem zornigen Vater aufgespürt, aus dem Mustang des Jungen gezerrt und nach Hause gebracht, wo sie am nächsten Morgen feststellen musste, dass das Haus leer war. Fünfundzwanzig Jahre lang wusste sie nicht, was mit ihren Eltern und ihrem Bruder geschehen war. Vor sieben Jahren geriet dann erneut das Leben ihrer eigenen Familie in Gefahr. Als Konsequenz der dramatischen Ereignisse hat sich Cynthia nun eine Auszeit von der Familie genommen, nachdem sie ihre vierzehnjährige Tochter Grace versehentlich verletzt hat.
Ihr Ehemann Terry, der als Englischlehrer arbeitet, hat alle Mühe, die Familie zusammenzuhalten. Als die rebellische Grace eines Abends mit ihrem Freund Stuart eine Spritztour unternimmt, endet der Ausflug in einem vermeintlich unbewohnten Haus, aus dem Stuart die Schlüssel für den Porsche in der Garage holen will. Allerdings befindet sich ein weiterer ungebetener Gast in der Wohnung, ein Schuss löst sich, Stuart verschwindet spurlos. Sie ruft ihren Dad an, der sie an einer Tankstelle abholt und mit Grace versucht, die Ereignisse zu rekonstruieren.
Parallel dazu ermittelt Detective Rona Wedmore in einem Mordfall, der sich in der Nachbarschaft der Archers ereignet hat, wo ein unbescholtenes Lehrerehepaar hingerichtet worden ist. Die Ermittlungen führen zu einer Gangster-Truppe, in der auch Vince Fleming seine Finger im Spiel hat …
„Was hatte es mit dem Haus auf sich? Warum war Vince so erpicht darauf, zu erfahren, ob Stuart und Grace dort noch etwas anderes vorhatten, als den Porsche zu stehlen? Warum wollte er wissen, ob sie außer im Keller und im Erdgeschoss sonst noch wo gewesen waren? (…)
Wenn alles herauskam, was für einen Preis würde sie dafür zahlen, dass sie nicht gleich zu Beginn zur Polizei gegangen und mit der Wahrheit herausgerückt war?“ (S. 218) 
Mit „Schweig für immer“ präsentiert der amerikanische, in Kanada lebende Autor Linwood Barclay eine offizielle Fortsetzung seines erfolgreichen Debüts „Ohne ein Wort“ aus dem Jahr 2007. Zwar lässt sich Barclays neues Buch auch ohne Kenntnis des Bestsellers lesen, aber die Zusammenhänge und vor allem die tragische Geschichte der Archer-Familie wird verständlicher, wenn der Leser auch die Geschichte von „Ohne ein Wort“ im Hinterkopf hat, denn Barclay bringt die vergangenen Ereignisse nur sporadisch und bruchstückhaft zur Sprache.
Der Plot entwickelt sich zunächst aus zwei dramaturgisch interessant gestalteten Episoden. Nach dem Mord an dem Lehrerehepaar im Prolog erläutert Ich-Erzähler Terry die momentane angespannte Familiensituation, die in dem heimlichen Ausflug seiner Tochter mit seinem ehemaligen, nicht sehr hellen Schüler Stuart und dessen spurlosen Verschwinden mündet.
Was folgt, sind ganz unterschiedliche Handlungsstränge, Dialoge und Figurenkonstellationen, die in ihrer Komplexität nicht unbedingt förderlich sind für den Spannungsaufbau. Leider gelingt es Barclay im Verlauf der 500 Seiten auch nicht, die unüberschaubaren Stränge sinnvoll zusammenzuführen. Mit dem Auslassen einiger Nebenhandlungen und dem Straffen des Figurenensembles wäre Barclay sicher besser gefahren. So bietet „Schweig für immer“ eher holperige Spannungsliteratur, die wenig nachhallt.
Leseprobe Linwood Barclay - "Schweig für immer"

Linwood Barclay – „Fenster zum Tod“

Samstag, 25. Mai 2013

(Knaur, 589 S., Pb.)
Der 35-jährige Thomas Kilbride ist schizophren, verfolgt aber seit seiner Kindheit das ambitionierte Projekt, Karten und Stadtpläne auf der ganzen Welt in sich aufzusaugen. Als er die Webseite Whirl360.com kennenlernt, geht ein Traum für ihn Erfüllung. Systematisch nimmt er sich am Computer in seinem Zimmer, das er eigentlich nur zum Essen und Verdauen verlässt, Stadt für Stadt vor und prägt sich die einzelnen Straßen, ihre Häuser, Fassaden und Geschäfte ein, die auf der Website einzusehen sind. Eines Tages entdeckt er auf einer seiner Entdeckungstouren in der Orchard Street in Manhattan, wie der Mord an einer Frau am Fenster fotografiert worden ist.
Sein Bruder Ray, der als Illustrator in Burlington lebt, sich nach dem Tod des Vaters aber auch um Thomas kümmern muss, begegnet dieser Beobachtung zunächst mit Skepsis, weil sein Bruder auch glaubt, für die CIA zu arbeiten und ihren Agenten helfen zu können, wenn sie nach dem Ausfall elektronischer Hilfsmittel schnell fliehen müssen. Thomas drängt seinen Bruder, mit dem Foto nach Manhattan zu erfahren und vor Ort Näheres zu diesem mutmaßlichen Vorfall in Erfahrung zu bringen.
„Ich hatte mir einen Ausdruck der Szene am Fenster mitgenommen. Während der Zug den Hudson entlangfuhr, sah ich ihn mir noch einmal ganz genau an. Ich musste zugeben, von dem Bild ging eine besondere Wirkung aus. Dass der Kamerawagen von Whirl360 bei seinem Einsatz in Manhattan buchstäblich im Vorbeifahren einen gerade stattfindenden Mord aufgenommen haben sollte, schien mir im Gegensatz zu Thomas sehr weit hergeholt. Allerdings immer weniger, je länger ich das Foto betrachtete. Es sah tatsächlich so aus, als würde hier ein Mensch erstickt, als hätte sich jemand von hinten angeschlichen, ihm eine Tüte über den Kopf gestülpt und festgezogen.“ (S. 232f.) 
Ray und Thomas müssen bald erfahren, dass sich hinter dem vertuschten Mord die in Gefahr geratene Politikerkarriere des Gouverneur-Kandidaten Morris Sawchuck und die geheime lesbische Beziehung seiner Frau Bridget verbergen. Sawchucks mit allen Wassern gewaschener Wahlkampfmanager Howard Talliman und sein skrupelloser Handlanger Lewis Blocker lassen nicht locker, bis sie alle weiteren Spuren und Zeugen beseitigt haben, und machen sich auf die Suche nach Thomas Kilbride, der von den Überwachungskameras über dem besagten Appartement erfasst worden ist …
Seit seinem 2007 veröffentlichten Debüt „Ohne ein Wort“ hat sich der amerikanische, in Kanada lebende Linwood Barclay als erfolgreicher Thriller-Autor etabliert. Sein neues Werk „Fenster zum Tod“ beginnt als interessante Variation von Hitchcocks Suspense-Klassiker „Das Fenster zum Hof“, entwickelt aber ganz schnell eine eigene Dynamik, die auf der einen Seite vor allem dem interessanten Bruder-Paar zu verdanken ist, andererseits aber auch der Geschichte um die eigenwillige Auftragskillerin Nicole. Spannend und wendungsreich erzählt Barclay ein vielschichtiges und faszinierendes Katz-und-Maus-Spiel, bei dem der Ich-Erzähler Ray Kilbride auch der Frage nachgeht, ob der Tod seines Vaters wirklich ein Unfall gewesen war und was der Eintrag „Kinderprostitution“ in der Chronik auf dem Laptop seines Vaters zu bedeuten hat.
Das furiose Finale wirkt zwar wieder etwas arg konstruiert, doch das mindert das kurzweilige Lesevergnügen nur minimal.
Leseprobe: Linwood Barclay – “Fenster zum Tod”

Linwood Barclay – „Weil ich euch liebte“

Sonntag, 27. Mai 2012

(Knaur, 527 S., Tb.)
Weil seine Baufirma nicht mehr ganz so gut läuft, besucht Glens Frau Sheila einen Buchhaltungskurs, um ihrem Mann unter die Arme greifen zu können. Nach dem plötzlichen Tod seines Vaters und einem offensichtlich selbst verschuldeten Brand, der eines seiner Gebäude vernichtete, steht Glen Garber mit dem Rücken zur Wand. Aber es kommt noch schlimmer: Als Sheila nach einem ihrer Kurse nicht nach Hause kommt, macht sich Glen auf die Suche und entdeckt ihren Wagen an einer Unfallstelle. So wie es aussieht, hat Sheila in volltrunkenem Zustand ein anderes Fahrzeug gerammt und damit sich selbst und zwei weitere unschuldige Menschen getötet.
Doch dies ist nur der Anfang einer ganzen Reihe von merkwürdigen Todesfällen. Nachdem Glens achtjährige Tochter Kelly völlig verstört wieder von den Slocums abgeholt wurde, wo sie bei ihrer Freundin Emily übernachten wollte, stirbt Emilys Mutter nach einer Reifenpanne an einem Pier – offensichtlich ist sie ins Wasser gefallen und ertrunken. Als Glen seine Tochter ins Verhör nimmt, warum sie so überstürzt nach Hause wollte, erzählt ihm Kelly von zwei merkwürdigen Telefonaten, die Ann im Schlafzimmer geführt hat, wo sich Kelly im Kleiderschrank versteckte. Natürlich will auch Anns Ehemann Darren Slocum, Polizist in Milford, wissen, worum es in diesen Telefonaten ging, und will von Kelly alles erfahren, was sie gehört hat.
„Dachte ich nicht genau dasselbe, was Sheila anging? Ihr Tod war ein Unfall, aber die näheren Umstände waren mir suspekt. Hatte ich nicht genau dasselbe getan wie Darren Slocum jetzt? Als ich mit den anderen Kursteilnehmern und dem Lehrer sprach, war ich da nicht auch auf der Suche nach der Wahrheit gewesen? Als ich das Haus auf den Kopf stellte, um rauszufinden, ob meine Frau irgendwo Alkohol versteckt hatte, den ich nicht finden sollte, suchte ich da nicht auch nach einer Antwort?“ (S. 155) 
Glen Garber glaubt nicht an die von der Polizei angenommene Trunkenheits-Theorie und unternimmt eigene Ermittlungen. Als er von einem Detektiv angesprochen wird, stößt er auf einen blühenden Handel mit minderwertigen Kopien von Handtaschen, Medikamenten und Baumaterialien, in den Sheila und Ann verstrickt gewesen sein sollen. Um dahingehende Spuren zu beseitigen und unterschlagenes Geld zurückzubekommen, sorgt ein skrupelloser Drahtzieher des Imitathandels für weitere Tote.
Linwood Barclay versteht es blendend, mit dem plötzlich alleinerziehenden Bauunterunternehmer einen sympathischen Helden in Szene zu setzen, der sich nicht nur mit dem fragwürdigen Pfusch einiger seiner treusten Mitarbeiter herumschlagen muss, sondern auch die näheren Umstände des Todes seiner Frau in Erfahrung bringen will und dabei auf mehr dunkle Geheimnisse, Affären und betrügerische Geschäfte erfährt, als ihm lieb sein kann, was schließlich auch das Leben seiner geliebten Tochter in Gefahr bringt. Die realistische Erzählweise und der kritisch kommentierte Handel mit billig produzierten Imitaten macht „Weil ich euch liebte“ zu einem jederzeit packenden Thriller-Highlight, in dem allein der übertrieben konstruierte Showdown mit Hollywood-typischen „überraschenden“ Wendungen das Lesevergnügen etwas trübt.
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