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Jo Nesbø – (Ihr Königreich: 2) „Der König“

Mittwoch, 13. November 2024

(Ullstein, 432 S., HC) 
Neben seiner Reihe um den eigensinnigen Kommissar Harry Hole, die den norwegischen Schriftsteller berühmt gemacht hat, veröffentlicht Jo Nesbø in den vergangenen Jahren auch immer öfter davon unabhängige Romane, die in ihrer Qualität allerdings sehr unterschiedlich ausfallen. Vor vier Jahren hat Nesbø mit „Ihr Königreich“ einen Thriller veröffentlicht, der das ehrgeizige Spa-Hotel-Projekt der beiden Brüder Roy und Carl Opgard thematisierte – und allerlei Intrigen, Affären und Morde, mit denen die Opgards ihr Hab und Gut und ihre ambitionierten Pläne zu retten versuchten. Nun ist mit „Der König“ eine fesselnde Fortsetzung erschienen. 
Roy Opgard und sein jüngerer Bruder Carl haben sich mit Os Spa ihren Traum von einem Luxushotel in ihrem Heimatort Os verwirklicht. Während Carl sich vornehmlich um das Hotel kümmert, verantwortet Roy die Tankstelle und eine Kneipe, schlägt sich aber vor allem mit den Plänen für die weltgrößte Holzachterbahn herum, die zum Prunkstück eines dazugehörigen Freizeitparks werden soll. 
Einmal mehr sind die beiden Brüder, die mehr als nur den Mord an ihren Eltern auf dem Gewissen haben, gezwungen, mit etlichen Herausforderungen zu kämpfen und dabei wenig zimperlich auch den einen oder anderen Querulanten über die Klinge springen zu lassen. Zunächst einmal sind die beiden Geologen davon zu überzeugen, in ihrem Gutachten zu dem Schluss zu kommen, dass der geplante Todde-Tunnel nicht gebaut werden kann, denn mit dem Tunnel würde der Riksveis, der schon immer durch Os geführt hat, vom Ort weg verlegt werden, was dem Hotel und seinem Wert unermesslichen Schaden zufügen würde. 
Aber auch der örtliche Polizeichef Kurt Olsen, gleichzeitig Trainer der von Carl und Roy gesponserten Fußballmannschaft von FK Os, hängt den beiden Brüdern an den Fersen, ist er doch – zurecht – davon überzeugt, dass sie ihre Finger im Spiel beim Tod seines Vaters hatten. Auf jeden Fall müssen die Opgards einen großen Kredit aufnehmen, um nicht die Geologen bestechen, sondern auch den geplanten Freizeitpark realisieren können. Es müssen also einige Schlüsselfiguren entsprechend bearbeitet werden, aber auch die Brüder kommen sich bei der Realisierung ihrer jeweiligen Träume zunehmend einander ins Gehege… 
„Es ist merkwürdig, wenn einem ein Mensch, mit dem man über so viele Jahre so eng zusammengelebt hat, plötzlich wie ein Fremder vorkommt. Man schiebt es auf das Licht oder die eigene Müdigkeit, schließlich handelt es sich ja um den eigenen kleinen Bruder, der nichts vor die verbergen kann, bis einem klar wird, dass man ja noch nicht einmal sich selbst richtig kennt.“ 
Wie schon in dem – fast verjährten - Vorgänger „Ihr Königreich“ lässt Nesbø auch in „Der König“ Roy Osgard als Erzähler auftreten, was der Geschichte eine sehr persönliche, aber eben auch bewusst subjektive, einseitige Perspektive verleiht. Die wesentlichen Ereignisse, Umstände und Beziehungsgeflechte des ersten Romans werden dem nichtkundigen Leser nebenbei vermittelt, vor allem der von Roy forcierte Mord an den eigenen Eltern, nachdem sich der Vater an Carl vergangen hatte. Dass Roy immer wieder Carls „Pannen“ ausbügeln muss, kommt auch in „Der König“ zum Tragen, bis aus der eingeschworenen Bruderliebe eine tödliche Rivalität wird. Schließlich haben die beiden Alphatiere ihr Leben lang u.a. Spaß daran gehabt, ihrem Bruder die Lebensgefährtin auszuspannen. 
Diesmal spielt Roys neue, sehr junge Freundin Natalie Moe eine entscheidende Rolle. Die romantische Beziehung zwischen Roy und Natalie verleiht dem Ich-Erzähler einige Sympathiepunkte, erscheint er hier doch durchaus als liebenswerter Mensch, was man von seinem sonst sehr pragmatischen, eigennützigen Verhalten nicht sagen kann. Nesbø baut geschickt die Spannung und die Konflikte auf, überspannt bei den Wendungen zum Finale etwas den Bogen, liefert aber alles in allem einen lesenswerten, kurzweiligen Thriller ab, der durchaus Potential für eine weitere Fortsetzung bietet.

Jo Nesbø – (Ihr Königreich: 1) „Ihr Königreich“

Samstag, 5. September 2020

(Ullstein, 588 S., HC)
Roy Opgard und sein ein Jahr jüngerer Bruder Carl waren nach dem Tod ihrer Eltern früh auf sich allein gestellt. Während Carl in jungen Jahren nach Amerika gegangen ist, um zu studieren, hat Roy den elterlichen Hof in den norwegischen Bergen übernommen, wo er seit fünfzehn Jahren alleine lebt und die örtliche Tankstelle in Os leitet. Als eines Tages sein Bruder unangekündigt mit einem Cadillac DeVille – jenem Wagen, mit dem sich ihre Eltern totgefahren haben – aufkreuzt, verändert sich alles, denn Carl hat nicht nur eine wunderschöne Frau von der karibischen Insel Barbados namens Shannon im Schlepptau, sondern ehrgeizige Pläne: Carl und die Architektin Shannon wollen in den Bergen ein 400 Millionen Kronen teures Luxus-Hotel bauen und gründen dazu eine Kommanditgesellschaft, die es jedem Bewohner der Dorfgemeinschaft ermöglicht, sich an dem ambitionierten Projekt zu beteiligen, womit ein minimiertes finanzielle Risiko auf viele Schultern verteilt wäre.
Tatsächlich kann der allseits beliebte Rückkehrer Carl bei der Dorfversammlung die meisten der Anwesenden überzeugen und für das Hotelprojekt begeistern. Doch die Dinge entwickeln sich nicht wie geplant. Carl lässt seine Affäre mit Mari, der Tochter des ehemaligen Bürgermeisters Aas, wieder aufleben, Roy verguckt sich seinerseits in Shannon, und Maris Ehemann Dan Krane versucht als Chefredakteur der örtlichen Tageszeitung Stimmung gegen Carls Projekt zu machen, wobei er viel Dreck aufwühlt. Dazu will der Dorfpolizist Kurt Olsen noch immer herausfinden, wie es dazu gekommen ist, dass Roy und Carls Eltern vor fünfzehn Jahren mit dem Cadillac DeVille in den Abgrund gestürzt sind, und Carl und Roy werden immer wieder zu radikalen Maßnahmen gezwungen, um ihr jeweiliges Glück zu retten. Roy muss wie früher die schützende Hand über seinen Bruder halten und alle Hindernisse aus dem Weg räumen, die Carl schaden könnten. Doch seine Gefühle für Shannon verändern die Natur ihrer Beziehung …
„Die Schulden, die ich mit dem Verrat an meinem kleinen Bruder aufgehäuft hatte, musste ich abbezahlen, bis ich ins Gras biss. Jetzt war nur die nächste Rate fällig geworden.“ (S. 156) 
Zwar ist der norwegische Bestseller-Autor Jo Nesbø vor allem durch seine mittlerweile auf zwölf Bände angewachsene Krimi-Reihe um den in Oslo ermittelnden Kommissar Harry Hole bekannt geworden, doch hat er mit „Der Sohn“ und „Macbeth“ auch bewiesen, dass er mit Stand-alone-Romanen sein Publikum zu packen versteht. Mit „Ihr Königreich“ geht Nesbø einen eigenwilligen Weg, indem er Roy, den älteren der beiden Opgard-Brüder, als Ich-Erzähler auftreten lässt und die überraschende Rückkehr seines Bruders Carl aus den Staaten mit der schrittweisen Aufarbeitung ihrer gemeinsamen Vergangenheit verknüpft. Bereits mit dem Prolog macht Roy deutlich, dass er stets derjenige von beiden gewesen ist, der die Dinge in die Hand nimmt, auch die unerfreulichen wie das Töten des eigenen, schwerverletzten Hundes.
Zwar steht der Bau des Luxus-Hotels im handlungstreibenden Mittelpunkt der Geschichte, aber es dreht sich vor allem um eine Geschichte unter Brüdern, die durch allerlei Affären und Ressentiments, von verletzten und rachesüchtigen Frauen geprägt wird, aber auch Männern mit einer ganz eigenen Agenda wie dem Dorf-Polizisten, dem Chefredakteur und dem Kredithai Willumsen.
Nesbø versteht es dabei meisterhaft, stückchenweise die dunklen Familiengeheimnisse der beiden Brüder und die persönlichen Verwicklungen innerhalb der an sich eingeschworenen Dorfgemeinschaft aufzudecken und dabei menschliche Tragödien zu beschreiben, die von Missbrauch, Verrat und Betrug bis zu Mord reichen, wobei Leidenschaft und Gier ganz treibende Faktoren darstellen.
In dieser interessanten Konstellation gewinnen neben dem Ich-Erzähler, der im Verlauf der Geschichte immer mehr von sich preisgibt, vor allem sein Bruder und dessen Partnerin Shannon an Kontur, wobei ihre Persönlichkeiten eine teils bemerkenswerte Entwicklung durchlaufen und so die Aufmerksamkeit des Lesers fesseln. Dem Autor ist mit „Ihr Königreich“ zwar nicht der ganz große Wurf gelungen, aber die ungewöhnliche Erzählperspektive, die interessanten Figuren und das bemerkenswerte Setting in den norwegischen Bergen mit dem handlungsintensiven Plot machen die Mischung aus Kriminalroman und Familiendrama sehr lesenswert.
Leseprobe Jo Nesbø - "Ihr Königreich"