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Kat Kaufmann – „Die Nacht ist laut, der Tag ist finster“

Dienstag, 23. Mai 2017

(Tempo, 271 S., HC)
Von seinem Opa Ernst erbt Jonas einen Umschlag mit 5000 Euro und einer in zittriger, kaum leserlicher Schrift verfasster Botschaft: „Moskau, Finde diesen Mann! Finde ihn und …“ Ob es diesen Valeri Butzukin überhaupt gibt, fragt sich Jonas, denn bei Google scheint er nicht zu existieren. Dennoch wagt er sich auf eine abenteuerliche Odyssee, als er feststellt, dass die seit fünf Monaten laufende Beziehung mit Sina nicht das Wahre ist, seine Mutter ihm in fünfundzwanzig Jahren vorenthalten hat, wer sein Vater ist, und sie davon ausgeht, dass er kurz vor Abschluss seines Examens steht, für das er sich aber gar nicht angemeldet hat.
In dem russischen Club Lavka erkundigt sich Jonas nach einem Pass und lernt die beiden Chaoten Juri und Stas kennen. Zusammen machen sie Nägel mit Köpfen: Jonas fackelt seine eigene Bude ab und reist mit den beiden jungen Männern nach Moskau, wo er sich in einem Club in Yulia verliebt. Doch das ist erst der Anfang eines wahnwitzigen Trips, bei dem Jonas nicht nur mit der Möglichkeit eines neuen Kalten Krieges, sondern auch mit seiner Einsamkeit konfrontiert wird.
„Du weißt nichts von deinem Opa, außer dass er ein Spitzenopa war, dein einziger wirklicher Freund, und den Faustkampf mochte. Du weißt gar nichts von deiner Familie. Weder von deinem Urgroßvater noch von sonst wem. Weil dein ganzes Leben schon immer nur aus Anne und Ernst bestanden hat, und, irgendwie dazwischen, halt Peter. Die anderen wurden nur namentlich erwähnt. Es gab sie nicht.“ (S. 156) 
Für ihren ersten Roman „Superposition“ wurde die aus Sankt Petersburg stammende und in Berlin lebende Autorin, Fotografin und Komponistin Kat Kaufmann 2015 mit dem Aspekte-Literaturpreis ausgezeichnet. Entsprechend ambitioniert präsentiert sich die Tochter eines Regisseurs und einer Balletttänzerin auch in ihrem neuen Roman mit dem programmatischen Titel „Die Nacht ist laut, der Tag ist finster“.
Schon der Prolog fordert dem Leser einiges an Aufmerksamkeit, Konzentration und Geduld ab. Statt klar strukturierter Sätze in einfacher Sprache wird der Leser mit den in zweiter Person verfassten Monologen des Protagonisten konfrontiert, der scheinbar dem Wahnsinn nah zu sein scheint. Dabei hat die Geschichte durchaus das Potenzial, anhaltendes Interesse zu wecken, denn der wieder stärkere Konflikt zwischen Russland und dem Westen nimmt in Kaufmanns Buch sehr konkrete Formen an, wie die gelegentlich platzierten Nachrichten vor Augen führen, die als Lauftext in den Fußzeilen über mehrere Seiten eingefügt sind. Auch die Dialoge wirken stellenweise authentisch und amüsant, können aber keine Konstanz in der sehr wechselhaften Erzählstruktur erzeugen.
So interessant die Figuren und ihre Schicksale auch sein mögen, werden sie doch nicht tiefergehend gezeichnet. Indem die durchaus talentierte und auf unorthodoxen Pfaden wandernde Autorin ihre Geschichte immer wieder ihren Sprachkapriolen opfert, entwickeln Jonas und seine Gefährten keine Identifikationspotenziale, noch vermag der holprig inszenierte Plot eine dramaturgische Spannung erzeugen.

Kat Kaufmann – „Superposition“

Donnerstag, 27. August 2015

(Hoffmann und Campe, 271 S., HC)
Fernab ihrer russischen Heimat findet sich die 26-jährige Jazzpianistin Izy Lewin in Berlin wieder, wo sie sich in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung mit Fernseher, Bett, Tisch, Klavier und vielleicht sechzig Büchern eingerichtet hat und ihr Leben zwischen erniedrigenden Gigs, Theaterengagements und nächtlichen Kneipenbesuchen mit zu viel Wodka verbringt.
Eine russische Wahrsagerin liest ihr aus dem Kaffeesatz, dass ihr großes Glück in der Liebe bevorsteht, was Izy nicht recht glauben mag. Seit Timur Hertz ihr vor fünfundzwanzig Monaten eine Freundschaftsanfrage geschickt hat, verbindet sie eine ebenso leidenschaftliche wie komplizierte Beziehung, die Izy als eine Freundschaft zwischen Hund und Wolf bezeichnet. Denn Timur liebt nicht nur Izy, sondern ist zunächst vor allem mit Astrid liiert.
Während sich Izy nach dem nächsten Treffen mit ihm sehnt, spielt Izy mit ihrer Band zum 20-järhigen Bestehen der Firma ExproDyn in der hintersten Ecke des großen Tagesraums, wo sie angehalten werden, nicht zu laut zu spielen, dann erwartet sie ein Engagement am Theater, wo Regisseur Marc aber von Izy mehr erhofft als eine reine Arbeitsbeziehung. Wie sich Izy so durchschlägt in der migrationserprobten Metropole, sich für ihre Babuschka Ella einen schönen Tod wünscht und sich zermürbende Gedanken macht über ihre Wurzeln und ihr Leben in Berlin, sehnt sie sich nur nach Timur.
„An jeder Haltestelle versuche ich so viel frische Luft wie möglich aus der sich öffnenden Tür hinter mir zu bekommen. Und egal ob verschwitzte Menschen an mir kleben oder Alkoholleichen – ich würde ganz Berlin für dich durchqueren, sei es auch nur für die verschissen kurze Zeit, die Länge eines Kaffees, den wir dann schweigend nebeneinander sitzend trinken, bevor unsere Realität zerplatzt und die Wirklichkeit alles verpestet. Mein Stück Heimat. Und ich deins. Wenn wir Russisch miteinander reden, wie eine Geheimsprache. Und die anderen fragen ‚Was?‘, und wir sagen ‚Nichts, nichts …‘“ (S. 68) 
Die 1981 in St. Petersburg geborene und in Berlin als Schriftstellerin, Komponistin und Fotografin lebende Kat Kaufmann beschreibt in ihrem Roman „Superposition“ eigentlich eine zeitlich sehr begrenzte Episode aus dem Leben ihrer fast gleichaltrigen Protagonistin. Ebenso interessant wie Izys turbulentes Künstler- und Liebesleben sind aber vor allem die Gedanken und Gefühle der jungen Frau, die sich noch sehr genau daran erinnert, wie sie als kleines Mädchen mit ihrer Familie nach Berlin gekommen ist und seither verzweifelt und taumelnd ihren Platz im Leben zu finden versucht.
Dieses Gefühl der Heimatlosigkeit wird in sentimentalen Kindheitserinnerungen und poetischen Träumen zum Ausdruck gebracht, mit den lakonischen, manchmal harten Schilderungen aus dem Alltag und den romantischen Sehnsüchten nach einer festen Bindung, die wirklich so etwas wie eine Heimat bedeuten könnte.
Leseprobe -Kat Kaufmann – „Superposition“