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Dave Zeltserman – „Killer“

Sonntag, 19. September 2021

(Pulp Master, 264 S., Tb.) 
Leonard March stand 1993 für eine ganze Reihe von Verbrechen vor Gericht. Wegen Schutzgelderpressung, Menschenhandel, Prostitution und versuchten Mordes drohten ihm gut 30 Jahre Gefängnis, doch dann schlug March dem Staatsanwalt einen Deal vor, den er nicht ablehnen konnte. Indem er ihm die Mafiagröße Salvatore Lombard ans Messer lieferte, musste er „nur“ 14 Jahre absitzen und bekam dazu Straffreiheit für alle weiteren Verbrechen, die ihm im Gegenzug Lombard hätte anlasten können. Deshalb gesteht March dem Bezirksstaatsanwalt 28 Morde, die er für den Mafiaboss aus Chicago ausgeführt hat. 
Als er nun wieder auf freien Fuß kommt, ist March mit über 60 Jahren auf dem Buckel ein alter, ausgezehrter Mann, der nicht mehr in seine alten Klamotten passt und durch seinen Resozialisierungs-Fallmanager einen Job als Reinigungskraft in einem kleinen Bürogebäude in Waltham und ein möbliertes Einzimmerapartment bekommen hat. Doch wirklich entspannt kann March nicht sein. Zwar wird ihm geraten, möglichst schnell die Umgebung zu wechseln, um nicht Lombards Männern in die Hände zu fallen, aber in drei Wochen hat er vor dem Bezirksgericht in Chelsea zu erscheinen, wo über fünf Klagen auf Tod durch Fremdverschulden gegen ihn verhandelt wird. Marchs Alltag wird nicht nur von der Sorge geprägt, Lombards Rache zu spüren zu bekommen, sondern auch von den Leuten auf der Straße erkannt zu werden. 
Als er einen Überfall verhindert und zwei Crack-Junkies außer Gefecht setzt, wird der ehemalige Auftragskiller von den Medien zum Helden stilisiert, was March ebenso unangenehm ist, gerät er so noch leichter ins Fadenkreuz seiner ehemaligen Mafia-Familie. Schließlich macht er die Bekanntschaft der etwas heruntergekommen wirkenden, aber trotzdem überaus attraktiven, gut dreißig Jahre jüngeren Sophie, die von der Idee begeistert ist, zusammen mit ihm ein Buch über sein Leben zu schreiben und das große Geld zu machen. Doch March hat zu viel erlebt in seinem Leben, seine Frau Jenny an den Krebs verloren und den Kontakt zu seinen drei Kindern verloren, als dass er sich auf solche Angebote einlassen würde. 
„ … es war nun mal so, dass sie mit mir spielte und vom ersten Augenblick mit mir gespielt hatte, ich aber etwas wusste, von dem sie keine Ahnung hatte: dass es eine echte Verbindung gab zwischen uns. Ich hätte nicht genau sagen können, was es war, aber ich konnte es spüren, so deutlich wie ich Sophies elektrisierende Berührung spürte. So gut sie als Scharlatan auch war – und sie war verdammt gut -, ohne diese Verbindung hätte sie sich in meiner Gegenwart niemals so wohlgefühlt, und ich war überzeugt, diese Teil war kein Theater.“ (S. 186) 
Mit „Killer“ ist dem aus Boston stammenden Schriftsteller Dave Zeltserman ein faszinierendes Portrait eines ehemaligen Auftragsmörders gelungen, dem seine gewalttätige Vergangenheit nicht nur alles genommen hat, sondern auch nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis wie Betonklötze am Bein hängt. Zeltserman beschreibt den neuen Alltag seines Antihelden ebenso ausführlich wie lakonisch, so dass der Leser sofort feststellen muss, dass sich Leonard Marchs Lebensumstände in Freiheit nicht gerade verbessert haben. 
Immer mit der Angst im Nacken, von Lombards Leuten kaltgestellt zu werden, muss sich March den neugierigen und verängstigten Blicken der Menschen stellen, erhält Hausverbot in dem Café, in der zunächst morgens sein Frühstück einnimmt, übt nachts einen langweiligen Job aus und versucht vergeblich, den Kontakt zu seinen Kindern wieder herzustellen. Dazwischen rollt der Autor chronologisch die einzelnen Episoden auf, in denen March seine Karriere als Auftragsmörder einschlug, beschreibt einige der Jobs, die ausnahmslos schwarze Schafe waren, Killer, Kinderschänder und Verräter, die es nicht anders verdient haben, aber es gab auch einige Kollateralschäden … 
Wegen seiner misstrauischen Familie wollte March den Job schließlich aufgeben, aber wer erst einmal im Dienst der Mafia steht, kommt da nicht ohne weiteres lebend heraus.  
Zeltserman muss keinen tempo- und wendungsreichen Plot entwickeln, um „Killer“ zu einem packenden Lesegenuss zu machen. Es reicht die ungewöhnlich detaillierte Beschreibung des Ich-Erzählers, wie er mühsam sein Leben wieder auf die Kette bekommen will und dabei der ungeliebten Aufmerksamkeit der Medien entkommen muss. Zeltserman hat mit „Killer“ einen herrlich zynischen Neo-Noir geschrieben, der die deprimierenden Lebensumstände seines Protagonisten mit brutaler Nüchternheit beschreibt und auch die typische Femme fatale eine Hauptrolle spielen lässt. 
Das konsequent inszenierte Finale macht einmal mehr deutlich, dass Zeltserman eine ganz eigene Stimme in der Noir-Welt darstellt.  

Dave Zeltserman – „Small Crimes“

Freitag, 10. September 2021

(Pulp Master, 340 S., Tb.) 
Nachdem er den Bezirksstaatsanwalt Phil Coakley mit dreizehn Messerstichen ins Gesicht für immer fürchterlich verunstaltet hatte, durfte der korrupte Cop Joe Denton sieben Jahre im Gefängnis seiner Heimatstadt Bradley absitzen, wo er kurz vor seiner Entlassung noch eine Partie mit dem Gefängnisdirektor Morris Smith spielt. Dass Denton nach so kurzer Zeit auf Bewährung entlassen wird, hat er vor allem der Tatsache zu verdanken, dass er damals seinen Boss, Dan Pleasant, und den hinter ihm stehenden Polizeiapparat nicht verpfiffen hatte. Dabei hat Denton durchaus noch mehr auf dem Kerbholz, als ihm damals in der Verhandlung zur Last gelegt worden war. 
Eigentlich will Denton nun verlorene Zeit nachholen, vor allem mit seinen beiden Töchtern. Doch wie er von seinen Eltern, bei denen er nach seiner Entlassung einzieht, erfahren muss, hat seine Ex-Frau Elaine mit den Kindern die Stadt in Richtung Albany verlassen und will nichts mehr von ihm wissen. Allerdings hängt Denton noch seine Vergangenheit nach. Sein alter Chef hat zwar ein Päckchen mit sechstausendfünfhundert Dollar und Papiere für ihn, die Denton offiziell nach zwanzig Dienstjahren mit 3460 Dollar monatlich in Pension gehen lassen, aber er hat noch einen schmutzigen Job zu erledigen: Während der örtliche Mafiaboss Manny Vassey mit Krebs im Endstadium im Krankenhaus auf sein letztes Stündlein wartet, liest ihm Coakley täglich aus der Bibel vor und versucht dem Todkranken ein Geständnis abzuluchsen. Das würde nicht nur für Denton, sondern auch für seine ehemaligen Kollegen und vor allem für Pleasant mehrere Jahre Knast bedeuten. Bevor Vassey irgendetwas ausquatscht, soll Denton zeitnah entweder Vassey oder Coakley ins Jenseits befördern. Da kommt ihm die Bekanntschaft mit der Krankenschwester Charlotte Boyd gerade recht. 
Denton versucht, sie dazu zu bewegen, Vassey eine tödliche Dosis Morphium zu spritzen, doch inzwischen versucht auch Vasseys psychopathischer Sohn Junior, seinen alten Herrn vor unbequemen Besuchen zu beschützen. Doch Denton ist guter Dinge, dass sich trotz aller Schwierigkeiten die Geschichte zu seinen Gunsten entwickelt … 
„Es gab keinen Grund zur Beunruhigung. Manny würde sich bald verabschieden, und fertig. Dan Pleasant würde mir nicht länger im Nacken sitzen, Phil Coakley mit leeren Händen dastehen und Junior, tja, der war nach wie vor eine Baustelle. Um ihn musste sich irgendwie gekümmert werden. Es musste ihm heimgezahlt werden, dass er zweimal auf mich geschossen hatte. Mir würde schon etwas einfallen, und wenn alles vorbei war, würde ich woanders einen Neuanfang machen.“ (S. 206) 
Der von Noir-Autoren wie Jim Thompson und James M. Cain beeinflusste aus Boston stammende Schriftsteller Dave Zeltserman legt mit dem 2008 veröffentlichten Roman „Small Crimes“ einen temporeichen Thriller vor, der die Schwierigkeiten seines Ich-Erzählers thematisiert, nach einer glücklicherweise viel zu kurzen Haftstrafe sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Allerdings überwirft er sich nicht nur schnell mit seinen Eltern und seiner Ex-Frau, die ihm den Kontakt mit den gemeinsamen Kindern verbietet, sondern hat noch mit seiner kriminellen Vergangenheit zu kämpfen. 
Zwar wirkt der korrupte Ex-Cop nach seiner Entlassung etwas geläutert, doch braucht es nicht viel, bis er wieder zum Koks greift und die Menschen in seiner Nähe zu manipulieren versucht. 
Sympathieträger sucht man in „Small Crimes“ vergebens. Zeltserman versieht seine sprachlich recht einfach gestrickte Geschichte vor allem mit viel Action, die Denton in immer schwierigere Situationen manövriert, die oft nur mit Gewalt und Verrat zu lösen sind. Das ist ebenso spannend wie unterhaltsam, doch überzieht Zeltserman am Ende etwas den Bogen mit einem zu unglaubwürdigen Finale. Wer aber auf ebenso flüssig zu lesende wie temporeiche Thriller-Kost steht, wird an „Small Crimes“ viel Freude haben.  

Dave Zeltserman – „Paria“

Mittwoch, 30. Juni 2021

(Pulp Master, 370 S., Tb.) 
Als Kyle Nevin nach acht Jahren ohne Bewährung den Knast von Cedar Junction verlässt, kennt er vor allem nur ein Ziel: sich an Red Mahoney zu rächen, den irischen Mobster im „Southie“ genannten Süden Bostons, der keine Skrupel kannte, seinen Schützling ans FBI zu verpfeifen. Sein Bruder Danny holt ihn in einem verrosteten Honda Civic ab. Im Gegensatz zu Kyle, der seine volle Strafe für einen Bankraub absaß und niemanden verraten wollte, hatte sich Danny, der wegen einer Schutzgeldangelegenheit mit einem Nachtclub hopsgenommen worden war, auf einen Deal eingelassen, musste aber aus Southie wegziehen und sich von seinen alten Kumpels fernhalten. Nun rackert er sich auf dem Bau ab, haust in einem kleinen Apartment im Studentenviertel von Brighton, wo er mit seiner spaßbefreiten Freundin Eve lebt, die in Kyles Augen viel zu kleine Titten hat. 
Kyle lässt sich in seiner alten Kneipe Scolley’s ordentlich feiern und lernt dort mit Nola eines der heißen Mädchen kennen, die es auf harte Jungs abgesehen haben. Er wechselt von der Couch seines Bruders in Nolas schicke Apartment und plant, mit seinem Bruder eine Entführung durchzuziehen, die für beide so viele Millionen bringt, dass sie ausgesorgt haben. Doch das Opfer stirbt unerwartet, das FBI nimmt Kyle wegen der Entführung ordentlich in die Zange, kann aber letztlich nicht beweisen, dass er etwas mit der Entführung zu tun hat. Kyle schreibt einen langen Brief an die „New York Times“ und erregt mit dem Bericht über seine Erfahrungen mit dem FBI die Aufmerksamkeit eines New Yorker Verlags, der ihm einen Vorschuss von 600.000 Dollar für zwei Bücher anbietet. Der Hype, der sich daraufhin um seine Person in der Medienlandschaft entwickelt, überrascht Kyle und bringt ihm endlich seinem Ziel näher, Mahoney ausfindig zu machen und zu eliminieren … 
„Es gab einen Grund, warum ich den Knast ohne Probleme überstanden hatte und jetzt wieder frei war. Damit ich Red aufspüren und es ihm heimzahlen konnte. Es ging dabei nicht nur um mich, es ging darum, dass er unseren Kodex verhöhnt hatte und unser aller Leben. Und es sah danach aus, dass es nur auf diese Weise geschehen konnte, auf meine Weise.“ (S. 219) 
Der amerikanische Noir-Autor David Zeltserman hat mit Kyle Nevin einen herrlich diabolischen Schurken geschaffen, der in „Paria“ als Ich-Erzähler seine Erlebnisse seit der Entlassung aus dem Knast niederschreibt und dabei mit seinen „Anmerkungen für das Lektorat“ immer wieder auf fiktive Erhöhungen und Abweichungen hinweist, die Nevin noch selbstsüchtiger und -überschätzender erscheinen lassen, als es seine Lebensgeschichte an sich schon tut. Nevin gehört zu jenen Exemplaren von Menschen, die sich auch durch eine langjährige Gefängnisstrafe nicht eines Besseren belehren lassen, nicht für einen Hungerlohn einer anständigen Arbeit nachgehen, sondern gleich das große Geld kassieren wollen. 
Nevin vermag seine selbstsüchtigen Aktionen aber geschickt hinter einer Rache für den Verrat an Freundschaft, Loyalität und Ehre zu tarnen, so dass der Leser nicht umhin kann, den Protagonisten für seine moralisch zwar durchaus anrüchige, aber konsequente Haltung zu respektieren. Nevin kennt keine Tabus, nimmt sich einfach, wonach ihm gerade ist und macht kurzen Prozess mit den Leuten, die ihm irgendwie in die Suppe spucken. Wenn darunter ein unschuldiges Kind oder selbst sein eigener Bruder leiden muss – Pech gehabt, was soll’s? 
Allein durch Nevins Perspektive bekommt der Leser eine düstere Weltsicht vermittelt, in der es nur um den eigenen Erfolg, die Befriedigung der eigenen Bedürfnisse, um Ruhm, Geld und Anerkennung geht. Zeltserman bringt diese Geschichte äußerst knackig mit dem richtigen Gefühl für die Atmosphäre innerhalb des Bostoner Mobs zum Ausdruck und karikiert zum Ende hin auch noch das Medieninteresse, das so taffe Typen wie Nevin durch ihr großspuriges Verhalten auslösen. Vor allem die Art und Weise, wie Nevin „sein“ Buch an den Mann zu bringen versucht, darf auch als Kritik sowohl an die Sensationsgier des Publikums als auch der nach hohen Auflagen gierenden Verlage gelesen werden und sorgt für ein fast schon amüsantes Finale.