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Mick Herron – (Jackson Lamb: 6) „Joe Country“

Dienstag, 5. September 2023

(Diogenes, 480 S., Pb.) 
Zwar hat Mick Herron, der in Oxford englische Literatur studiert hat und dann als Korrektor bei einer juristischen Fachzeitschrift gearbeitet hat, bereits ab 2003 vier Romane um die Oxforder Privatdetektivin Zoë Boehm veröffentlicht, doch erst mit der 2010 begonnenen Reihe um Jackson Lamb und seine beim MI5 in Ungnade gefallenen „Slow Horses“ erreichte der englische Schriftsteller auch ein internationales Publikum. 2018 fing der Diogenes Verlag an, die Reihe auch der deutschsprachigen Leserschaft zugänglich zu machen. Mit „Joe Country“ ist bereits der sechste Roman der Slough-House-Reihe erschienen, die seit 2022 mit Gary Oldman in der Hauptrolle als Fernsehserie bei Apple TV+ ausgestrahlt wird. 
Slough House, die abrissreife, verschimmelte Bruchbude, in der der unter Flatulenz und Abneigung gegen jegliche Höflichkeitsformen leidende Jackson Lamb seine liebevoll und sarkastisch als „Slow Horses“ bezeichnete Agenten führt, bekommt Zuwachs. Lech Wicinski wurde mit Kinderpornographie auf seinem dienstlichen Laptop erwischt und muss bis zur Aufklärung der Sachlage Dienst in Slough House schieben. Dort versucht Louisa Guy noch immer, über den Tod ihres Kollegen und Liebhabers Min Harper hinwegzukommen, als sie einen Anruf von Harpers Frau Clare erhält, die ihren Sohn Lucas vermisst und um Louisas Mithilfe bei der Suche bittet. 
Während River Cartwright seinen Großvater „O.B.“ (Old Bastard) beerdigen muss und dabei mal wieder Kontakt zu seiner egomanischen Mutter bekommt, versammelt sich auf dem Friedhof eine Reihe illustrer Gäste, darunter die neue MI5-Chefin Diana Taverner. Die Zeremonie wird allerdings empfindlich gestört, als unerwartet Rivers Vater, der in Ungnade gefallene Ex-CIA-Agent Frank Harkness, auftaucht und River zu einer ungewohnten Verfolgungsjagd animiert. 
Wie sich herausstellt, ist Harkness mit einem Team von drei Söldnern eingereist Während Louisa mit Hilfe der attraktiven Ex-Polizistin und Ex-Agentin Emma Flyte und ihrem Kollegen Roddy Ho Lucas‘ Handy in Wales ausfindig macht, wo der junge Mann mal als Kellner ausgeholfen hat, erfährt die Alkoholikerin Catherine Standish von ihrem Chef Jackson Lamb, wie und vor allem warum dieser seinen Vorgänger Charles Partner ausgeschaltet hat. 
Im verschneiten Wales spitzen sich die Ereignisse zu, als Louisa und Emma unfreiwillige Bekanntschaft mit Rivers Vater und seiner Crew machen. Die Sache entwickelt sich zu einem brisanten Politikum, bei dem nicht nur der Name eines Royals geschützt werden muss, sondern auch die Beziehung zwischen Lamb und Taverner einmal mehr auf dem Prüfstein steht… 
„Di Taverner hatte der Beerdigung beigewohnt und würde von Lamb genauso wenig vermuten, dass er Harkness‘ Anwesenheit ignorierte, wie sie damit rechnete, dass er sich in die Luft erhob oder die Zähne putzte. Aber das war nicht anders zu erwarten; ein Großteil des Lebens in Slough House wurde durch das ständige Tauziehen zwischen den beiden bestimmt. River hatte mal vorgeschlagen, sie sollten sich ein Zimmer nehmen – am besten schalldicht, abgeriegelt und mit einem Krokodil drin.“ (S. 152) 
Mick Herron hat mit der „Slough House“-Reihe fraglos die amüsanteste Variante des modernen Spionage-Romanes hoffähig gemacht. Während die von Herrons Landsmann Ian Fleming in den 1950er Jahren initiierte Reihe um den MI6-Agenten James Bond immerhin mit einigen pointierten Sprüchen aufwarten konnte, fiel die ebenfalls erfolgreich verfilmten „Jason Bourne“-Romane von Robert Ludlum recht humorlos aus. Da wirken Mick Herrons Plots weitaus erfrischender, die Figuren skurriler, der Humor derber. 
„Joe Country“ wartet nicht nur mit einem spannenden Fall für die lahmen Gäule auf, sondern beleuchtet auch die Beziehungen in Slough House etwas näher. Dabei kommt die Beziehung von River Cartwright zu seiner bislang durch Abwesenheit glänzende Mutter allerdings etwas kurz, wohingegen Jackson Lamb und Catherine Standish ihr Verhältnis ebenso neu definieren wie Di Taverner ihre Stellung beim MI5 durch einen geschickten Schachzug zu zementieren versucht. Die Action spielt sich dagegen in Wales mit allerlei Beteiligten verschiedener Lager ab und sorgt für die spannenden Momente in „Joe Country“. Vergnüglicher lassen sich Spionage-Romane wohl kaum lesen. Mit „Slough House“ und „Bad Actors“ hat Herron bereits zwei weitere Jackson-Lamb-Romane veröffentlicht, so dass wir uns auch hierzulande darauf freuen dürfen, die ungewöhnlichen Abenteuer von Lamb, Cartwright, Taverner & Co. weiter zu verfolgen.


 

Mick Herron – (Jackson Lamb: 5) „London Rules“

Samstag, 27. August 2022

(Diogenes, 496 S., Pb.) 
Der britische Schriftsteller Mick Herron, der in Oxford englische Literatur studierte und als Korrektor bei einer juristischen Fachzeitschrift arbeitete, veröffentlichte bereits in den 2000er Jahren vier Romane um die Oxforder Privatdetektivin Zoë Boehm, ehe er 2010 mit dem Roman „Slow Horses“ eine Reihe um ausgemusterte Mitarbeiter des englischen Geheimdienstes MI5 ins Leben rief, die seit 2018 mit wachsendem Erfolg auch in Deutschland ihr Publikum begeistert. 
Mit „London Rules“ veröffentlicht Diogenes nun den fünften Roman um Jackson Lamb, der als Leiter der verächtlich als „Slow Horses“ betitelten Truppe in Slough House wieder einmal alle Hände voll zu tun hat, seine kuriose Truppe unter Kontrolle zu halten und das Versagen des MI5 auszubügeln. 
Als eine fünfköpfige Söldnertruppe mit Abbotsfield ein ganzes Dorf in Derbyshire auslöscht und spurlos untertaucht, steht Claude Whelan, Chef des britischen Inlandgeheimdienstes MI5, unter Druck, zumal die Attentäter wenig später auch ein Pinguingehege im Londoner Zoo in die Luft sprengen. 
Ob der Anschlag mit einem Auto auf den Ober-Nerd Roderick Ho, den seine Slough-House-Kollegin Shirley Dander im letzten Augenblick verhindern konnte, auch zu dieser Reihe von Attentaten zu zählen ist? Jedenfalls beschließt Shirley mit ihren Kollegen River Cartwright und Louisa Guy, Roddy ein paar Tage lang im Auge zu behalten. Dass der Nerd eine so erstklassig aussehende Freundin wie Kim haben soll, kann nur bedeuten, dass sie ihn ausnutzt. 
Tatsächlich verschwindet sie nach den Attentaten Den Premierminister plagen indes andere Probleme. Das Referendum über den Austritt des Vereinigten Königsreichs aus der Europäischen Union könnte ihn die Karriere kosten, zumal sein Konkurrent Dennis Gimball wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt ist, unterstützt von seiner Frau Dodie, die laufend ätzende Kommentare in ihrer Kolumne gegen den PM veröffentlicht. Die Agenten in Slough House kommen auf den Gedanken, dass die Attentäter es nun auf einen politischen Führer abgesehen haben könnten. Doch die Maßnahmen, die Lambs Agenten trotz des angeordneten Lockdowns durch Lady Di ergreifen, machen die Situation nur schlimmer… 
„Nach den London Rules baute man seine Mauern hoch, und die Reihenfolge, in der man seine Leute darüberwarf, stand in umgekehrtem Verhältnis zu ihrem Nutzen. Solange er also nützlicher war als Cartwright, ging er nicht als Erster über die Mauer. Coe fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, aber er fühlte sich lebendig, und das war das Allerwichtigste. Zunächst mal saßen sie alle im selben Boot – bis auf Weiteres. Auch das entsprach den London Rules.“ (S. 344) 
Mick Herron schrieb „London Rules“ bereits 2018 – kurz nach dem Referendum, als sowohl die „Brexit“-Befürworter als auch -Gegner in einer Art Schockzustand waren und noch nicht absehen konnten, was der Brexit für die Briten bedeuten würde. Herron nutzt diese Atmosphäre für eine erfrischende Farce, in der sowohl die Politik als auch die Geheimdienste ihr Fett wegkriegen. 
Im Zentrum steht einmal mehr Jackson Lamb, der es sich als Leiter in Slough House bequem eingerichtet hat und über so viel brisante Informationen verfügt, dass er sich auch den „echten“ Agenten in Regent’s Park gegenüber nicht in Zurückhaltung zu üben braucht. Genüsslich lässt er seine ehemalige Kollegin Lady Di, die es auf Whelans Posten abgesehen hat, immer wieder auflaufen, liefert sich mit ihr messerscharfe Dialoge. 
Aber auch Lambs Truppe sorgt für kurzweilige Unterhaltung. Obwohl allesamt unter der einen oder anderen psychischen Störung leiden, versuchen sie doch, aus der Langeweile ihrer öden Bürojobs auszubrechen und echte Agenten zu sein – mit immer wieder fatalen Folgen, aber letztlich gutem Ende. Mick Herron beweist einmal mehr, dass er mit der Reihe um Jackson Lamb eine der unterhaltsamsten, vor allem aber ungewöhnlichsten Spionage-Romanreihe geschaffen hat, die mittlerweile auf Apple TV+ als Fernsehserie mit Gary Oldman, Kristin Scott Thomas und Jonathan Pryce verfilmt worden ist.  „London Rules“ knüpft mit einem temporeichen Plot, wunderbar spritzigen Dialogen und liebenswert skurrilen Figuren nahtlos an die vier vorangegangenen Romane an und macht neugierig auf die weiteren Fälle, mit denen es Lamb und seine Slow Horses zu tun bekommen werden. 
In England ist mit „Bad Actors“ dieses Jahr schon der achte Band der Reihe erschienen.  

Mick Herron – (Jackson Lamb: 4) „Spook Street“

Sonntag, 3. Oktober 2021

(Diogenes, 448 S., Pb.) 
Während Daniel Craig wohl definitiv zum letzten Mal in der Rolle des weltweit berühmtesten britischen Spions in „Keine Zeit zu sterben“ die Welt im Kino zu retten versucht, geht es seit Jahren schon im sogenannten Slough House weitaus ruhiger zu. Unter der Leitung des furzenden, wenig umgänglichen, aber enorm gerissenen Jackson Lamb verrichtet seine beim MI5 in Ungnade gefallenen „Slow Horses“ öden Papierkram, geraten aber immer wieder zwischen die Fronten, wenn der offizielle Geheimdienst in Schwierigkeiten steckt. 
So kann der MI5 nicht verhindern, dass in der Westacres-Mall bei einem Bombenanschlag über vierzig Menschen ums Leben kommen – kein guter Einstig für den neuen MI5-Leiter Claude Whelan. Dann gibt es auch noch einen Mord im Haus von David „O.B.“ Cartwright aufzuklären. 
Mit Sorge hat der MI5 verfolgt, wie der einstige Stellvertreter des MI5-Bosses Charles Partner und Großvater von Slow Horses River Cartwright, allmählich senil wird und versehentlich Geheimnisse ausplaudern könnte. Zunächst gehen der MI5 und Jackson Lambs Leute davon aus, dass der Tote in Cartwrights Badezimmer sein Enkel sei, doch bei dem zerfetzten Gesicht der Leiche muss die Autopsie Gewissheit geben. 
In der Zwischenzeit ist River Cartwright mit einer Zugfahrkarte, die er in der Tasche des Toten gefunden hat, nach Frankreich gereist, wo er auf das frisch abgebrannte Haus stößt, in dem zuvor eine merkwürdige Kommune untergebracht war. Bei dem Projekt Kuckuck hatte nicht nur Rivers Vater seine Hände im Spiel, sondern auch ein abtrünniger CIA-Agent. Bevor River die Puzzleteile zusammensetzen kann, wird er in London gekidnappt. Emmy Flyte, die von der Metropolitan Police zum MI5 gekommen ist, wo sie von der wegen Amtsmissbrauch geschassten Dame Ingrid Tearney die Leitung der internen Dienstaufsicht des MI5, den Dogs, übernommen hat, hofft auf die Unterstützung von Lambs lahmen Gäulen, die sich in ihrem Slough House nicht mehr sicher fühlen können. Schließlich löst der O.B. selbst das Rätsel. 
„Er wäre besser dran, sein Leben im Regen oder im Regent’s Park aufs Spiel zu setzen, als hier zu sitzen und Lamb zuzuhören, wie er den Dämon exorzierte, der ihn gepackt hatte. Und vielleicht hatte sie das auch getan, sagte sie sich jedenfalls später, wenn Cartwright nicht wieder angefangen hätte zu reden.“ (S. 335) 
Mit seinem bereits vierten „Slough House“-Roman präsentiert der englische Schriftsteller Mick Herron einmal mehr wunderbare Spionage-Unterhaltung, die mit einem großen Knall beginnt und dann immer tiefer in die Labyrinthe des MI5 und des weniger rühmlichen Ablegers von Jackson Lambs Slough Hous führt. Auf elegante Weise führt der Autor seine Leserschaft wie die blubbernden Heizungsrohre durch die einzelnen Büros von Slough House, stellt in wenigen Sätzen die einzelnen Mitarbeiter vor, zu denen sich bald auch Lambs alkoholsüchtige Sekretärin Catherine Standish gesellt, die bereits ihre Kündigung eingereicht hat, aber durch die Cartwrights wieder ins Spiel kommt. 
Herron findet einmal mehr eine ausgewogene Mischung aus bewährter Spionage-Action, vertrackten Fährten und Verbindungen, die vor allem tief in River Cartwrights Biografie eingreifen. Leider wird sich der Leser einmal mehr von einige vertrauten Figuren verabschieden müssen, aber Herron macht aus der Not eine Tugend und führt dafür neue interessante Charaktere ein, von denen sich zeigen wird, ob sie das harte Agenten-Dasein überstehen. Herron deutet bereits an, dass Diana Taverner sich nicht damit begnügen wird, die zweite Geige hinter ihrem neuen Boss Whelan zu spielen. 
Die wunderbar vielschichtigen, humorvollen Charakterisierungen von Jackson Lambs Crew-Mitgliedern, die pointierten Dialoge, die spannende Handlung und die atmosphärisch stimmige Beschreibung der Schauplätze in London machen „Spook Street“ zu einem echten Lesegenuss nicht nur für Fans des Spionage-Genres.  

Mick Herron – (Jackson Lamb: 3) „Real Tigers“

Samstag, 31. Oktober 2020

(Diogenes, 474 S., Pb.) 
In Slough House, der von Jackson Lamb geleitete Dienststelle, in die ausgemusterte Agenten des MI5 abgeschoben werden, wo sie ihre Tage mit dem Sammeln und Auswerten unwichtiger Informationen verbringen, herrscht höchste Aufregung. Erst wird Lambs diskrete Assistentin, die trockene Alkoholikerin Catherine Standish, von ihrem ehemaligen Liebhaber Sean Donovan entführt, dann wird Jackson Lamb mit der Nachricht konfrontiert, dass der neue Innenminister Peter Judd, dem einst die Aufnahme in den Geheimdienst verweigert worden war, alles daran setzt, bei den Ressourcen des Geheimdienstes möglichst viele Einsparungen vorzunehmen, worunter auch die Auflösung von Slough House fällt. Bevor sich Lamb mit diesem Punkt auseinandersetzen kann, verschwindet mit River Cartwright ein weiterer seiner Agenten. Es stellt sich allerdings schnell heraus, dass er beim unbefugten Eindringen in das Personalarchiv in Regent’s Park, dem Sitz des MI5, erwischt worden ist und nun ein unerfreuliches Verhör über sich ergehen lassen muss. 
Derweil demonstriert MI5-Leiterin Dame Ingrid Tearney gegenüber der untergeordneten Widersacherin Diana „Lady Di“ Taverner, Vizedirektorin der Abteilung Operations, ihre Macht und verdonnert Taverner quasi zu niederen administrativen Tätigkeiten. Jackson Lamb nimmt die drohende Auflösung seiner Dienststelle natürlich nicht kampflos hin und beauftragt seine „slow horses“, wie die in Ungnade gefallenen Agenten gern spöttisch genannt werden, mit der Suche nach zweckdienlichen Informationen zum Aufenthalt von Catherine Standish und eigentlichen Plan der Entführer, für die Cartwright die Akte des Premierministers stehlen sollte. 
Dabei geht es nur vordergründig um die in den „Grauen Büchern“ oder Spinner-Akten festgehaltenen Verschwörungstheorien, auf die Lambs nun entfesselten Agenten stoßen, sondern um weitaus brisantere Informationen, die vor allem dem ambitionierten Innenminister schaden könnten, aber auch die Karriere der beiden MI5-Spitzen gefährden … 
„Es war eine Sache, Intrigen zu schmieden und in der Ecke zu lauern: Darum ging’s im Büroleben ja gerade. Aber tatsächlich etwas in Bewegung zu setzen war eine Kriegserklärung, und der einzige Krieg, den man gegen einen Feind wie Dame Ingrid gewinnen konnte, war ein Krieg, der vorbei war, bevor der Startschuss fiel.“ (S. 395) 
Spannende Spionage-Action kennt der Genre-Liebhaber vor allem durch die vielfach erfolgreich verfilmten Bestseller von Ian Flemings „James Bond 007“, Robert Ludlums „Jason Bourne“ oder John le Carré. In den letzten Jahren hat aber vor allem der britische Schriftsteller Mick Herron mit seiner humorvollen Reihe um eine Truppe von abservierten Agenten Furore gemacht, die sich Tag für Tag von ihrem herrischen Boss Jackson Lamb erniedrigen lassen und sinnlose Bürotätigkeiten ausüben müssen. Doch wie schon in den beiden vorangegangenen Bänden „Slow Horses“ und „Dead Lions“ demonstrieren Lamb und seine Angestellten River Cartwright, Roderick Ho, Louisa Guy, Marcus Longridge und Shirley Dander auch in „Real Tigers“, dass sie zu alter Höchstform auflaufen, wenn es um ihr Team und ihren Job an sich geht. 
Genussvoll beschreibt Herron sowohl, wie Marcus erfolglos bei Louisa zu landen versucht und wie Jackson Lamb nach Belieben furzt und sich die Snacks seiner Angestellten einverleibt, ebenso wie die teils unbeholfen wirkenden, dann aber doch zum Kern des Ganzen vorstoßenden Ermittlungen der Agenten auf dem Abstellgleis. Doch nicht nur das lebendige Treiben in Slough House trägt zur Unterhaltung von „Real Tigers“ bei. Es sind die weitaus perfideren Machtspielchen und Intrigen, die die beiden sehr berechnenden Strateginnen Tearney und Taverner in Regent’s Park spinnen. Dabei wird erst nach und nach deutlich, welche Pläne jede von ihnen schmiedet, und auch wenn es auf ein vorhersehbares Ende zuläuft, macht es einfach Spaß, wie Lamb und seine charismatische Truppe die Dinge zu ihren eigenen Gunsten aufzulösen vermögen, um weiter im Spiel zu bleiben – wenn auch nur am Rande. Aber wenn sie mal wie hier die Gelegenheit bekommen, geht es auch mal ordentlich zur Sache, mit Nahkämpfen, kaputten Nasen und sogar Toten. 
Die Action wirkt dabei weitaus bodenständiger als bei Jason Bourne und James Bond, was die Slow-Horses-Romane etwas authentischer wirken lässt. Zudem lässt sich „Real Tigers“ auch wunderbar als Kommentar zu den machthungrigen wie skrupellosen Politikern lesen, denen ihr eigenes Wohl weit wichtiger ist als das der Menschen, die sie ins Amt gebracht haben. 

Mick Herron – (Jackson Lamb: 2) „Dead Lions“

Montag, 9. September 2019

(Diogenes, 478 S., HC)
Das Slough House stellt für den britischen Geheimdienst MI5 eine Sammelstelle für die Agenten ein, die sich so schwerer Vergehen schuldig gemacht haben, dass sie – da sie nicht gekündigt werden können – auf ein Abstellgleis verfrachtet werden, wo sie hoffentlich bei der eintönigen Auswertung von Listen und Statistiken vor Langeweile umkommen und von selbst die Kündigung einreichen. Unter Leitung des eigentlich unausstehlichen, aber nach wie vor gewieften Jackson Lamb versuchen seine Leute (die von ihren ehrbaren Kollegen abschätzig als Slow Horses bezeichnet werden) wieder Punkte gutzumachen, um wieder in die Hauptstelle des MI5 in Regent’s Park versetzt zu werden.
Tatsächlich ergibt sich diese Gelegenheit, als mit Dickie Bow ein alter Weggefährte von Lamb aus seiner Zeit in Berlin tot in einem Bus aufgefunden wird. Lamb glaubt nicht an den vom Rechtsmediziner attestierten Herzinfarkt und findet am Tatort ein verstecktes Billig-Handy, wo sich unter den nicht gesendeten Nachrichten der Begriff „Cicades“ befindet. Für Lamb ist das ein Hinweis auf eine Gemeinschaft von russischen Schläfern, die nur darauf warten, für einen Einsatz aktiviert zu werden. In diesem Zusammenhang erfährt River Cartwright von seinem Großvater, der ein hohes Tier beim MI5 gewesen ist und ihn noch immer mit wichtigen Informationen versorgt, dass Bow von dem russischen Agenten Alexander Popow entführt worden sei.
Allerdings soll Popow eine reine Legende gewesen sein, der angebliche Chef eines Spionagerings, der sein eigenes fiktives Netzwerk leitete. Lamb schickt Cartwright nach Upshott, um dort nach dem geheimnisvollen Mr. B zu suchen, den Lamb auf den Überwachungsvideos an der Bushaltestelle in Oxford entdeckt hat, wo er aus dem Bus gestiegen ist, in dem Bow tot aufgefunden wurde. Während er in dem unscheinbaren Kaff nähere Bekanntschaft mit der attraktiven Barbedienung Kelly einlässt, werden die Slow Horses Min Harper und Louisa Guy (die auch noch miteinander liiert sind) von James „Spider“ Webb aus dem Hauptquartier damit beauftragt, den russischen Oligarchen Arkadi Paschkin zu beschützen, wenn er in London seinen Geschäften nachgeht. Doch als einer der beiden Agenten bei dieser vermeintlich simplen Aufgabe zu Tode kommt, ist Jackson Lamb alarmiert. Zudem fördert sein Computer-Nerd Roderick Ho immer brisantere Informationen aus Upshott zutage. Offensichtlich hängen die jüngsten Todesfälle und die Ereignisse in Upshott unmittelbar miteinander in Verbindung …
„Wie hoch waren die Chancen, dass dieses kleine Kaff eine neue Generation von Kalten Kriegern nährte, und wofür würden sie kämpfen, wenn es so wäre? Die Auferstehung der Sowjetunion?“ (S. 358) 
Der in Oxford lebende britische Autor Mick Herron hat mit dem 2010 erschienenen und 2018 auf hierzulande veröffentlichten Roman „Slow Horses“ eine außergewöhnlichste Spionage-Thriller-Reihe ins Leben gerufen, die zurecht mit verschiedenen Preisen ausgezeichnet worden ist. Allein das Setting um eine ausgemusterte Truppe von MI5-Versagern, die alles dafür tun würden, um wieder im Hauptquartier in Regent’s Park arbeiten zu dürfen, verspricht ungewöhnliche Plots, die zudem von liebevoll skurrilen Figuren getragen werden. Eine Katze, die durch die Zimmer von Slough House streicht, übernimmt die Vorstellung der ausgesonderten Agenten, unter die sich die beiden Neulinge Shirley Dander und Marcus Longridge eingereiht haben.
Was den neuen Band „Dead Lions“ ebenso wie den Erstling „Slow Horses“ von der Masse an Spionage-Thrillern wohltuend abhebt, ist die Mischung aus einem spannenden, komplexen und wendungsreichen Plot, einzigartigen Figuren, der Beziehung zwischen dem Hauptquartier und dem Slough House (in dem MI5-Vizechefin Diana „Lady Di“ Tavener vermutlich auch noch einen Spitzel untergebracht hat) und dem erfrischendem britischen Humor, der der Jackson-Lamb-Reihe ihren besonderen Charme verleiht.
Zwar schleichen sich auf den knapp 500 Seiten auch mal verschiedene Längen ein, aber bei der vergnüglichen Stimmung, die der Autor zu kreieren versteht, den differenziert gezeichneten Figuren und dem intelligent inszenierten Agenten-Plot sieht der Leser gern darüber hinweg. Auf die bislang erschienenen drei weiteren Bücher der Jackson-Lamb-Reihe darf sich der deutschsprachige Leser also mehr als freuen.
Leseprobe Mick Herron - "Dead Lions"

Mick Herron – (Jackson Lamb: 1) „Slow Horses“

Mittwoch, 12. September 2018

(Diogenes, 472 S., HC)
Nachdem der junge MI5-Agent River Cartwright bei einem Übungseinsatz eine folgenschwere Verwechslung unterlief, bei der im Ernstfall einhundertzwanzig Menschen getötet oder verletzt worden wären, ist er zu dem von Jackson Lamb geleiteten Slough House versetzt worden, jenem Sammelbecken von MI5-Versagern, die wegen ihrer mangelnden Agenten-Eignung von ihren Kollegen im Regent’s Park spöttisch „Slow Horses“ – lahme Pferde – tituliert werden.
Während Jackson Lamb aber wenigstens auf eine Karriere zurückblicken kann, haben Cartwrights LeidensgenossInnen nur wenig Hoffnung, jemals von diesem unrühmlichen Abstellgleis zurück den Weg in die Zentrale zu finden. Das ist schließlich noch nie vorgekommen. Doch während sich die Slow Horses insgeheim danach sehnen, wieder einen richtigen Auftrag zu erhalten, verbringen sie ihre eintönigen Tage damit, die Mülltüten anderer Leute zu durchwühlen und die Aufzeichnungen alter Telefongespräche auszuwerten.
Als in einem BBC-Blog ein Video läuft, in dem einem maskierten Pakistani angedroht wird, innerhalb von 48 Stunden geköpft zu werden, sehen sie ihre Chance auf Wiedergutmachung. Bei ihren eigenmächtigen Ermittlungen stoßen Lambs Leute aber auf Hinweise, dass die Entführung vom MI5 nur inszeniert worden ist, worauf sich ein vertracktes Katz- und Maus-Spiel zwischen den beiden Lagern entwickelt. Denn aus der inszenierten Entführung ist eine echte geworden, und Diana „Lady Di“ Tavener, Vizechefin des MI5, sucht nach einem Sündenbock.
„Wenn Moskauer Regeln bedeuteten, dass man für Rückendeckung sorgen musste, bedeuteten Londoner Regeln, dass man seinen Arsch retten musste. Die Moskauer Regeln waren auf den Straßen geschrieben, doch Londoner Regeln in den Korridoren von Westminster ausgetüftelt worden, und die Kurzversion besagte: Irgendjemand muss immer bezahlen. Schau zu, dass nicht du es bist. Niemand wusste das besser als Lamb. Und niemand beherrschte das Spiel besser als Lady Di.“ (S. 366) 
Der rasante Prolog in Mick Herrons bereits 2010 begonnenen Reihe um den Slough-House-Leiter Jackson Lamb liest sich wie ein typischer Agentenroman à la John Le Carré, Frederic Forsyth oder Robert Ludlum, nur steht erst einmal der junge River Cartwright im Zentrum der Geschichte, wie er seinen Einsatz vermasselt und nur aufgrund seines einflussreichen Großvaters, der einst eine große Nummer beim MI5 gewesen ist, überhaupt noch einen Job hat – wenn auch nur bei den wenig glorreichen Slow Horses. Nach der kurzweiligen Einführung nimmt sich Herron viel Zeit, um auch die anderen Versager in Lambs Truppe vorzustellen, bevor durch die Entführung des Pakistani, der sich als Neffe eines hochrangigen Vertreters des pakistanischen Geheimdienstes entpuppt, etwas Schwung in den resignierten Haufen im Slough House kommt.
Wie sich Cartwrights KollegInnen in den Job reinhängen und wie sich Lamb und seine Widersacherin beim MI5 einander auszuspielen versuchen, ist nicht nur unterhaltsam und spannend geschrieben, sondern auch mit herrlich sarkastischem Humor gespickt. Darüber hinaus sind Figuren toll gezeichnet und die Dialoge wunderbar spritzig gelungen. Auf die weiteren Bänder der preisgekrönten Agenten-Thriller-Reihe darf man sich nun auch hierzulande freuen! 
Leseprobe Mick Herron - "Slow Horses"