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Quentin Tarantino – „Es war einmal in Hollywood“

Sonntag, 17. Dezember 2023

(Kiepenheuer & Witsch, 416 S., HC) 
Mit Filmen wie „Pulp Fiction“, „Kill Bill“, „Django Unchained“ und „The Hateful 8“ avancierte Quentin Tarantino zu einem der beliebtesten und versiertesten Filmemacher der heutigen Zeit. Nun ist der passionierte Filmliebhaber auch unter die Schriftsteller gegangen. Im Jahr 2021 legte der US-Amerikaner mit der Vorliebe für Italo-Western, Blaxploitation- und Martial-Arts-Filme sein Romandebüt vor, eine Adaption seines letzten Spielfilms „Once Upon a Time in Hollywood“
Hollywood im Jahr 1969. Als der 42-jährige Schauspieler Rick Dalton den Agenten Marvin Schwartz‘ aufsucht, geht es mit ihm nicht nur die Höhepunkte seiner Karriere durch, sondern Schwartz‘ legt am Ende dieser Rekapitulation auch die Finger in die Wunde, als er darauf anspielt, dass Dalton in den Augen des Publikums als Prügelknabe für jeden Platzhirschen herhalten muss, der neu im Geschäft ist. Außerdem muss der ehemalige Star der Westernserie „Bounty Law“ dem Agenten auch die oft kolportierte Geschichte wiedergeben, wie er „um ein Haar“ Steve McQueens Rolle in „Gesprengte Ketten“ gespielt hätte. Nachdem Dalton die „Deine Karriere ist am Ende“-Grabrede des Agenten über sich ergehen lassen musste, erhält er das Angebot, die Hauptrolle in einem italienischen Film zu übernehmen. 
Die Erkenntnis, dass er mit 42 Jahren bereits am Ende seiner Karriere angelangt sein könnte, die nur mit Engagements im Ausland zu retten sei, erschüttert Dalton so sehr, dass er noch im Büro des erfahrenen Agenten zu weinen beginnt und später seinen Kummer in Whiskey Sours ertränkt. Der 46-jährige Kriegsveteran und Daltons langjähriges Stunt-Double Cliff Booth lebt mit seinem Pitbull Brandy in einem Trailer, fährt Dalton durch die Stadt und assistiert ihm bei allen möglichen Arbeiten. Da er seine Frau umgebracht haben soll und Bruce Lee am Rande von Dreharbeiten bei einer nicht ganz freundschaftlichen Kräftemesse am Set von „The Green Hornet“ schlecht aussehen ließ, findet Booth sich damit ab, keine anderen Jobs in der Filmbranche zu finden. 
Als der gefeierte Regisseur Roman Polański und seine Frau, die in Hollywood durchstartende Schauspielerin Sharon Tate, in Daltons Nachbarhaus einziehen, sieht Dalton die einmalige Chance, durch die Bekanntschaft mit dem berühmten Paar seine eigene Karriere wieder in Schwung bringen zu können. Währenddessen sieht er, wie ein unbekannter Mann, Charles Manson, bei den Nachbarn klingelt und nach dem Musikproduzenten Terry Melcher fragt, von dem er sich erhofft, dass er durch ihn einen Plattenvertrag bekommt. Und während Cliff so durch die Gegend fährt, nimmt er das verdreckt aussehende Hippie-Mädchen Pussycat mit und fährt sie zur Spahn-Ranch, die Cliff noch als Westernkulisse für „Bounty Law“ kennt und nun von Charles Manson und seinen Anhängern bewohnt wird… 
„Nachdem er Pussycats wilde Geschichte gehört hat, kann Cliff nicht anders, als einen gewissen Respekt vor diesem Charlie zu empfinden. Ein paar durchgeknallte Hippie-Girls zu manipulieren, das ist eine Sache. Das könnte Cliff wahrscheinlich auch. Aber über wütende Väter mit Schrotgewehren hat Cliff nie viel Macht besessen.“ (S. 317) 
Wie umfassend Tarantinos Wissen über die Filmgeschichte ist, hat er nicht nur in seinen gefeierten Filmen bewiesen, die voller Zitate und Anspielungen sind, sondern auch in Interviews und zuletzt in seinem ebenfalls bei Kiepenheuer & Witsch erschienenen Buch „Cinema Speculation“. Sein erster Roman stellt weit mehr als eine Nacherzählung seines zweifach Oscar-prämierten Meisterwerks „Once Upon a Time in Hollywood“ dar. Stattdessen nutzt Tarantino die Möglichkeit, die Geschichte, die sich rund um den Übergang des klassischen Hollywood-Kinos zur New-Hollywood-Bewegung und die Morde der Manson-Familie dreht, aus unterschiedlichen Perspektiven zu erzählen und neue Schwerpunkte zu setzen. 
Als besonderen Kniff implementiert der Autor rund um Rick Daltons Biografie eine (fiktive) Filmografie, die mit bekannten Hollywood-Darstellern und -Regisseuren gespickt ist und vor allem dazu dient, Hintergründe von Filmproduktionen zu erläutern. Das kommt vor allem im ersten Kapitel zum Tragen, als der Agent Marvin Schwartz und der auf dem absteigenden Ast befindlichen Schauspieler Rick Dalton dessen Werksbiografie durchgeht und Beispiele aufführt, wie Schauspieler durch geschickt geflochtene Beziehungen oder Verträgen zu ihren Rollen gekommen sind. 
Indem Tarantino später auch die Filmhandlung von Daltons Gastrolle als Bösewicht in der Westernserie „Lancer“ ausführlich wiedergibt, führt Tarantino eine Meta-Ebene in seine Erzählung ein, die ohnehin immer wieder zwischen Dalton, Booth, Sharon Tate und den Mitgliedern der Manson-Family wechselt. Dabei fließt weit weniger Blut, ist viel weniger Action am Start als in dem dazugehörigen Film mit Leonardo DiCaprio und Brad Pitt in den Hauptrollen. Dafür fesselt Tarantinos Romandebüt mit saftigen erotischen Episoden, einer flüssigen, sehr bildhaften Sprache und faszinierenden Hintergründen zu Hollywoods Filmproduktionen in der Hippie-Zeit. 
Das mag zwar keine große Literatur sein, macht aber einfach Spaß und ist als Pflichtlektüre für Filmfans nur zu empfehlen. 

Quentin Tarantino – „Cinema Speculation“

Samstag, 12. November 2022

(Kiepenhauer & Witsch, 400 S., HC) 
In seiner beeindruckenden, von Fans wie Kritikern gleichermaßen gefeierten Werksbiografie hat sich der passionierte Filmemacher Quentin Tarantino („Reservoir Dogs“, „Pulp Fiction“, „Kill Bill“, „Django Unchained“) stets auch als Film-Fan präsentiert, der mit seinen Filmen immer wieder ganzen Genres huldigte. So wie „Kill Bill“ eine Hommage sowohl an die Rache-Filme der 1970er Jahre als auch an die Kung-Fu-Filme aus der Schmieder der Shaw Brothers darstellte und „Django Unchained“ und „The Hateful 8“ an die Italo-Western, suchte er sich auch die Titel zu seinen ikonischen Soundtracks meist aus seiner persönlichen Soundtrack-Sammlung zusammen, oft genug mit italienischen Komponisten wie Ennio Morricone, Luis Bacalov, Riz Ortolani, Pino Donaggio und anderen coolen Leuten wie Quincy Jones, Isaac Hayes, Lalo Schifrin und Johnny Cash
Mittlerweile hat Tarantino auch das Schreiben für sich entdeckt. Nachdem er ohnehin schon die Drehbücher zu den meisten seiner Filme verfasst hatte, legte er nicht nur mit „Es war einmal in Hollywood“ den Roman zu seinem letzten Film vor, sondern mit „Cinema Speculation“ auch eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit den Filmen, die in den 1970er Jahren seine Liebe zum Film weckten. 
Der 1963 geborene Quentin wuchs quasi schon als kleiner Junge in den Kinos am Hollywood Boulevard und Sunset Boulevard auf. Als Siebenjähriger nahmen ihn seine Mutter Connie und sein Stiefvater Curt in eine Doppelvorstellung von „Joe – Rache für Amerika“ und Carl Reiners „Wo is‘ Papa?“ mit, und fortan war es für den kleinen „Q“ das größte Wochenende, nicht nur in Filme mitgenommen zu werden, die in seinem Alter noch keiner sehen durfte, sondern vor allem den anschließenden Gesprächen über die Filme zu folgen, die seine Mom mit Curt führte. 
Tarantino beschreibt eindringlich, wie er nicht nur die erste Welle der „New Hollywood“-Bewegung mit Filmemachern wie Peter Bogdanovich, Steven Spielberg, Robert Altman, Francis Ford Coppola, Brian De Palma und Martin Scorsese mitbekam, sondern auch die Horror-Filme von Wes Craven und Tobe Hooper und die Action-Filme von Sam Peckinpah und Don Siegel. Nach der langen Einführung stellt Tarantino nicht nur einige der Filme vor, die ihn besonders beeindruckten – darunter Klassiker wie „Bullitt“, „Dirty Harry“, „The Getaway“, „Taxi Driver“ und „Flucht von Alcatraz“ -, sondern stellt sie gleich in einen größeren Zusammenhang. 
So erklärt er in seinem Essay über „Bullitt“ (1968), dass Steve McQueen von den drei populärsten Darstellern jener Zeit – außer ihm noch Warren Beatty und Paul Newman – in den 1970ern die besten Filme drehte, was vor allem seiner Frau Neile zu verdanken war, die die Drehbücher las und für ihren Mann aussiebte.  
Tarantinos Ein- und Ansichten zu den vorgestellten Filmen sind deshalb so unterhaltsam, weil der Filmemacher nicht nur über ein fotografisches Gedächtnis zu verfügen scheint, das ihm nicht nur ermöglicht, einzelne Szenen und die Leistung der Darsteller detailliert zu analysieren, sondern auch sie mit ähnlichen Filmen und anderen Schauspielern zu vergleichen, die für die Rollen in Frage gekommen oder geeignet gewesen wären. Zudem verfügt Tarantino über einen direkten Draht zu Filmemachern und Drehbuchautoren wie Walter Hill, Brian De Palma, Paul Schrader und Martin Scorsese, die immer wieder zitiert werden und interessante Perspektiven auf die thematisierten Filme werfen. 
Das geht sogar so weit, dass sich Tarantino dem titelgebenden Kapitel darüber auslässt, wenn nicht Martin Scorsese Paul Schraders Drehbuch zu „Taxi Driver“ verfilmt hätte, sondern Brian De Palma, der das Skript vorher gelesen hatte. 
Tarantino beschreibt die Filme und ihren Kontext so lebendig, dass man mit diesem Hintergrundwissen im Kopf gern noch mal die besprochenen Filme ansehen möchte bzw. diejenigen, die einem bislang entgangen sind, zu entdecken.