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Jack Kerouac – „Die Dharmajäger“

Samstag, 26. März 2022

(Rowohlt, 288 S., HC) 
„On the Road“, der 1957 veröffentlichte, zweite Roman von Jack Kerouac, avancierte nach seinem Erscheinen zur Bibel einer ganzen Generation von sinnsuchenden Menschen, die unter dem Begriff Beat Generation zusammengefasst wurden und zu deren populärsten Wortführern Kerouacs Kommilitonen Allen Ginsberg und William S. Burroughs zählen. 
Zum 100. Geburtstag des am 12.03.1922 geborenen und bereits 1969 an den Folgen seines Alkoholkonsums verstorbenen Kerouac hat der Rowohlt Verlag mit „Die Dharmajäger“ und „Engel der Trübsal“ zwei Werke in grandioser neuer Übersetzung von Thomas Überhoff veröffentlicht, die chronologisch an die autobiografischen Erlebnisse, die in „On the Road“ geschildert werden, direkt anschließen. Der um die Hälfte schmalere Band „Die Dharmajäger“ (im Original passender als „The Dharma Bums“, in deutscher Erstveröffentlichung unter dem Titel „Gammler, Zen und hohe Berge“ erschienen) wirkt wie ein ausführlicher Prolog zu „Engel der Trübsal“, kreisen beide – wiederum autobiografischen - Werke doch um Kerouacs zweimonatigen Aufenthalt auf dem Desolation Peak. 
Im September 1955 macht sich Ray Smith (Jack Kerouac) im Güterzug auf den Weg von Los Angeles über Santa Barbara nach San Francisco. Obwohl er selbst stets knapp bei Kasse ist, teilt der tiefgläubige Zen-Buddhist seinen Wein und sein Essen mit einem Mitreisenden, denn für ihn, der sich als Bhikkhu aus alten Zeiten in modernem Gewand betrachtet, der durch Freigebigkeit, Nächstenliebe, stille Einkehr, Hingabe und Ekstase schließlich Verdienste als zukünftiger Buddha erwerben würde. Eine Woche später lernt er in San Francisco Japhy Ryder (Gary Snyder) kennen, der in einer Blockhütte tief im Wald aufgewachsen war, Chinesisch und Japanisch lernte und Orientalist mit einem tiefen Verständnis für den Zen-Buddhismus.Bei einer Lesung in der Six Gallery trifft Ray auch Alvah Goldbook (Allen Ginsberg) und andere „Hornbrille tragende Intellekto-Hipster mit ungebändigter schwarzer Mähne“ und feiern in der Hütte von Japhys Freund Sean wilde Partys mit Jazz, Alkohol und willigen Mädchen, die Japhy scheinbar mühelos für seine Zwecke einspannt, während Ray auf dem Rasen sein einsames Nachtlager aufschlägt.
Zusammen mit dem Bergsteiger/Jodler Henry Morley unternehmen Japhy und Ray eine Wanderung den kalifornischen Matterhorn Peak hinauf, wo Ray die wohltuende Kraft der Natur für sich entdeckt. Dieser Aufstieg dient ihm als Vorbereitung für den Sommerjob auf dem Desolation Peak, während Japhy nach Asien reisen will, um seine buddhistischen Studien fortzuführen … 
„Ich wusste, der Klang der Stille war überall, und deshalb war alles überall Stille. Angenommen, wir wachen plötzlich auf und erkennen, dass das, was wir für dieses und jenes gehalten haben, gar nicht dieses und jenes ist? Begrüßt von Vögeln taumelte ich den Hügel hoch und besah mir die gedrängt auf dem Hüttenboden schlafenden Gestalten. Wer waren all diese seltsamen Geister, die mit mir zusammen das dumme kleine Abenteuer Erde teilten? Und wer war ich?“ (S. 224f.) 
Während „Engel der Trübsal“ (das zuvor nur als gekürzte Fassung unter dem Titel „Engel, Kif und neue Länder“ erhältlich gewesen ist) mit der Rückschau auf die letztlich niederschmetternde Erfahrung auf dem Desolation Peak beginnt, wo Jack Kerouac zwei Monate als Brandwächter gearbeitet hat, wird in „Die Dharmajäger“ der Boden für diesen abenteuerlichen Trip bereitet, und zwar in einer weit einheitlicheren Sprache als sie uns bei „Engel der Trübsal“ begegnet. 
Kerouac bzw. sein in diesem Roman Ray Smith benanntes Alter Ego brennt darauf, seinen Zen-Buddhismus-getränkten Geist durch Reisen und Begegnungen mit anderen Menschen zu schärfen und sich dabei vom Haben zum Sein zu entwickeln. Mehr noch als die obligatorischen Partys mit ihren allseits verfügbaren Verführungen durch Sex, Alkohol und Drogen sind es die Reisen durch Amerika und nach Mexiko, die Rays Gedanken und Gefühle prägen, doch nutzen sich die buddhistischen Plattitüden mit der Zeit doch arg ab. 
Weitaus fesselnder sind die unmittelbaren Eindrücke gelungen, die Kerouac bei den Wanderungen durch die Natur gewinnt. Seine Beschreibungen sind dabei so intensiv und bildreich ausgefallen, dass man sich als Leser an seiner Seite wähnt, das feuchte Gras unter den nackten Fußsohlen und das Knistern des Lagerfeuers zu spüren glaubt. Das ist nicht unbedingt große Literatur, aber doch ein authentisches Zeugnis der Sinnsuche, die Kerouac Zeit seines Lebens getrieben, aber eben nicht glücklich gemacht hat.  

Jack Kerouac – „Engel der Trübsal“

Donnerstag, 24. März 2022

(Rowohlt, 526 S., HC) 
Zusammen mit seinen Kommilitonen an der Columbia University in New York, Allen Ginsberg und William S. Burroughs, war Jack Kerouac (1922-1969) das Aushängeschild der Beat Generation und somit Aushängeschild der Popliteratur. Kerouacs zweiter, 1957 veröffentlichter Roman „On the Road“ wurde zur Bibel der Beatniks. Weit weniger populär wurden Kerouacs Nachfolgewerke, von denen der Rowohlt Verlag zum 100. Geburtstag des Ausnahme-Literaten eine Vielzahl neu bzw. in neuer Aufmachung/Übersetzung veröffentlicht, darunter erstmals in vollständiger deutscher und neuer Übersetzung den 1956 erschienenen autobiografischen Roman „Desolation Angels“
In „Engel der Trübsal“ (der zuvor in Teilen als „Engel, Kif und neue Länder“ veröffentlicht wurde) lässt Kerouac das Jahr vor der Veröffentlichung seines bahnbrechenden Romans „On the Road“ Revue passieren.
In der Hoffnung, Gott oder Tathagata gegenübertreten und den Grund für die ganze Existenz herauszufinden, übernimmt Jack Duluoz für zwei Monate einen einsamen Job als Brandwächter hoch oben auf dem Desolation Peak in den Cascade Mountains an der Grenze zu Kanada, doch werden die Erwartungen des 34-jährigen Schriftstellers, dessen Roman „Road“ kurz vor der Veröffentlichung steht, schnell enttäuscht. 
Duluoz begegnet letztlich nur sich selbst, gelangweilt von der Einöde ohne Drogen und Alkohol, so dass er mehr als froh ist, am 8. August 1956 wieder den Weg zurück ins Tal antreten zu können. Zurück nach San Francisco bringt er nur die Erkenntnis, dass mit der Freiheits- und Ewigkeitsvision der Wildniseinsiedler kaum etwas in den Großstädten, wo jeder jeden bekriegt, anzufangen ist. Duluoz stürzt sich wieder in das wilde Partyleben in San Francisco, zieht mit seinen Freunden durch die Bars und Jazz-Clubs. Hin- und hergerissen zwischen dem absoluten Frieden, den er in den Bergen erlebte, und den einfachen Freuden des Großstadtlebens mit Sex, Shows und gutem Essen zieht es Duluoz wieder in die Welt, zunächst nach Mexico. 
In Mexico City, wo das Essen gut und die Unterkünfte billig sind, freundet er sich mit dem sechzigjährigen Junkie Bull Gaines an, später tauchen auch Jacks Freunde Cody Pomeray und Irwin Garden (mit dessen Lover Simon) auf, bis alles zu eng und wild wird. Duluoz zieht es zurück in die USA, über Memphis geht es nach New York, wo er mit seinen Freunden bei den Mädchen Ruth Erickson und Ruth Heaper abhängt, doch der vertraute Mix aus Partys, Alkoholexzessen und Sex nutzt sich auch hier schnell ab. Weiter geht’s – nach Tanger, Paris und London, stets finanziert von den monatlich ausgezahlten 100-Dollar-Vorschüssen für sein Buch „Road“. Am Ende unternimmt er noch mit seiner Mutter eine Reise nach Mexico … 
„Und genau wie in New York, Frisco oder sonst wo hocken sie alle im Marihuanadunst rum und reden, die coolen Mädchen mit den langen dünnen Beinen in lässigen Hosen, die Männer mit Kinnbärten, alles furchtbar und öde und damals (1957) noch nicht mal offiziell unter dem Namen ,Beat Generation‘ bekannt. Kaum zu glauben, dass ich damit so viel zu tun hatte, ja, gerade erst wurde das Manuskript von Road für die baldige Veröffentlichung gesetzt, und ich hatte schon die Schnauze voll von all dem. Nichts ist öder als ,Coolness‘ (nicht die von Irwin, Bull oder Simon, die ist natürliche Ruhe), gekünstelte, eigentlich insgeheim steife Coolness, die verschleiert, dass der jeweilige Mensch nichts Starkes oder Interessantes zu vermitteln hat, eine soziologische Coolness, die bald für eine Weile bis in die Mittelschichtsjugend hinein in Mode kommen wird.“ (S. 451) 
Obwohl „Engel der Trübsal“ die Zeit direkt vor der Veröffentlichung von „On the Road“ abdeckt, handelt es sich um den bereits zwölften, erst 1965 und damit vier Jahre vor seinem Tod veröffentlichten Roman von Jack Kerouac. Die desillusionierende Erfahrung, die der Ich-Erzähler auf dem Berg mit dem für ihn prophetischen Namen Desolation Peak macht, bildet nicht nur den Auftakt von Kerouacs/Duluoz‘ Reise durch die USA bis nach Mexiko, Nordafrika und Europa, sondern vermittelt gleichzeitig das Gefühl der Niedergeschlagenheit, das den Autor und sein Alter ego letztlich in die Alkoholsucht und in den Tod trieb. 
Vor allem die ersten Kapitel der Rückbetrachtung auf die einsame Zeit auf den Gipfeln der Berge stellt sich als wilde Improvisation dar, die dokumentiert, was Kerouac unter „spontaner Prosa“ verstand. Die rauschhaft wirkende, unzensierte und unmittelbare Verschriftlichung innerer und äußerer Erfahrungswelten macht sich bei „Engel in Trübsal“ in wilden, zusammenhanglosen Aufzählungen und Kettensätzen bemerkbar, die buddhistische Philosophie, literarische Anspielungen und überhaupt die ganze Weltgeschichte miteinander vereint. Die Handlung, also vor allem Kerouacs/Duluoz‘ Reisen, aber auch seine sexuellen Begegnungen, Gespräche und Erfahrungen bei Partys und Auftritten von Jazz-Musikern, gerät dabei fast in den Hintergrund, so sehr drängt sich die Niedergeschlagenheit des immer auf sich selbst beziehenden Schriftstellers in den Vordergrund. Das ist nicht immer leicht zu konsumieren, stellt aber ein beredtes Selbstzeugnis eines einzigartigen Schriftstellers dar, dessen Werk auch über „On the Road“ hinaus Beachtung verdient – wie diese gelungene Neu- und Gesamtübersetzung beweist. 

Jack Kerouac – „Unterwegs – On The Road“

Montag, 15. Oktober 2012

(Rowohlt, 575 S., Tb.)
Zusammen mit Allen Ginsberg und William S. Burroughs, seinen Kommilitonen an der Columbia University in New York, zählt der US-amerikanische Schriftsteller Jack Kerouac (1922 – 1969) zu den Wegbereitern der sogenannten Beat Generation, die heute als erste Vertreter der Popliteratur angesehen wird. Seinen Durchbruch und Höhepunkt schaffte Kerouac mit dem 1957 erstmals veröffentlichten, nun zur Verfilmung durch Walter Salles auch in der Urfassung erschienenen Roman „On The Road“.
Der stark autobiografisch geprägte Roman fokussiert sich vor allem auf Kerouacs Bekanntschaft mit Neal Cassady, der auch anderen Beatniks als Inspiration diente. Kerouac hat immer davon geträumt, das Land auf dem Weg nach Westen zu erkunden, konnte sich aber nie dazu aufraffen. Als Cassady aus dem Erziehungsheim in Colorado entlassen worden ist und nach New York kommt, will er von Kerouac das Schreiben lernen. Nicht nur Ginsberg und Cassady liegen schnell auf einer Wellenlänge, auch mit Kerouac redet Cassady ohne Unterlass und zieht ihn mit auf die Straße. Sie haben kaum Geld in den Taschen, finden aber immer irgendjemanden, der ihnen einen Wagen leiht, Geld schickt oder eine Mitfahrgelegenheit anbietet. In wechselnden Konstellationen trampen die Beatniks durch die Vereinigten Staaten von Amerika, springen auf Güterzüge, reisen in Greyhound-Bussen oder fahren in gestohlenen Autos von New York City über Chicago und Denver bis nach New Orleans und schließlich nach Mexiko. Unterwegs machen sie die merkwürdigsten Frauen- und Männerbekanntschaften, heiraten hier und da, praktizieren die freie Liebe und geben sich dem Rausch der Drogen und der Musik hin. Der Bebop hat es ihnen angetan, das Leben auf der Straße und in den Clubs.
„Alles, was ich wollte und was Neal wollte und was alle wollten, war, irgendwie ins Herz der Dinge vorzustoßen, wo wir uns wie im Mutterschoß einkringeln und dem ekstatischen Schlaf hingeben konnten, den Burroughs mit einer schönen großen Spritze M. erlebte und die Werbemanager in New York mit zwölf Scotch & Sodas im Stouffers, bevor sie in den Säuferzug nach Westchester stiegen – nur ohne Kater. Ich hatte damals haufenweise romantische Phantasien und beseufzte mein Ungemach. In Wirklichkeit stirbt man einfach, man stirbt die ganze Zeit, und doch lebt man, man lebt weiter, und das ist keine Augenwischerei.“ (S. 251) 
So wie das wilde Treiben auf den Straßen liest sich auch „On The Road“. Kerouac beschreibt wie im Rausch das Lebensgefühl eines aufgeweckten, lebenshungrigen Vagabunden. „Die Geschichte handelt von dir und mir und der Straße“, hat Kerouac 1951 in einem Brief an seinen Freund Neal Cassady so treffend zusammengefasst, und es passt durchaus ins Bild, dass Kerouac das ganze Ding auf einer fast vierzig Meter langen Rolle Fernschreiberpapier ohne Punkt und Komma runtergeschrieben hat. Es ist nicht nur das Dokument einer Reise, sondern auch einer spirituellen Suche, die durch Arbeiten, Ambitionen und Ablehnung geprägt ist. Und wenn er sich nicht räumlich von der Stelle bewegte, halfen ihm die Drogen, sich an Orte zu begeben, die Burroughs als „dunkle oder Übergangszonen“ bezeichnet hat.
Nach der Zerrüttung seiner Familie, dem Chaos der Kriegsjahre, dem Tod seines Vaters und älteren Bruders war der traditionell erzogene Kerouac auf einmal empfänglich für alles Entwurzelte und Hilflose und glaubte an die Fortbewegung als Mittel zur Selbstveränderung. Dass er sich bei seinen Beobachtungen stets auf die Außenseiter und Zurückgebliebenen konzentrierte, verleiht auch „Unterwegs“ seinen zauberhaften, fast magischen Charme. Weitere tiefgreifende Einsichten vermitteln die verschiedenen Essays zur Entstehung und Wirkung des Romans am Ende des Buches – sie nehmen immerhin über 130 Seiten ein und sorgen für ein besseres Verständnis des temperamentvollen Straßenromans.