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Takis Würger – „Der Club“

Sonntag, 16. Februar 2020

(Kein & Aber, 238 S., Tb.)
Hans Stichler wurde im südlichen Niedersachsen als Sohn einer lungenkrebskranken Mutter und eines Mannes geboren, der seinen Job als Architekt aufgab, um sich um seine Familie zu kümmern und seinem Sohn später für das Boxen zu begeistern, damit er sich gegen vermeintlich Stärkere zur Wehr setzen könne. Mit fünfzehn Jahren boxte Hans in einem Club und wurde von seinem Vater zu einem Turnier nach Brandenburg gefahren, doch der Wagen kam bei eisglatter Straße ins Schlittern und der Vater wurde anschließend von einem LKW erfasst und getötet. Nachdem auch seine Mutter verstorben war, seine in England lebende Tante Alex sich seiner aber nicht annehmen wollte, wurde Hans in einem jesuitischen Internat untergebracht, wo er im Weinkeller mit Pater Gerald weiterboxen konnte.
Doch dann meldet sich seine Tante Alex und lädt ihn nach Cambridge ein, wo er nicht nur ein Stipendium vermittelt bekommt, sondern für seine Tante auch ein Verbrechen aufklären soll. Er soll in den elitären Pitt Club eingeschleust werden, wobei ihm die hübsche Charlotte und vor allem ihr Vater behilflich sind, doch Hans beschleicht dabei zunehmend das Gefühl, dass er selbst etwas Unrechtes tun muss, um sich das Vertrauen seiner neuen Freunde zu verdienen, die er anschließend verraten müsste …
„Ich feierte in dem Club, in dem meine Freundin missbraucht worden war, und sprach zu vertraut mit einer anderen Frau. Ich trank und tanzte mit Männern, die es getan haben konnten.
An manchen Abenden in diesem Club hatte ich mich gefühlt, als löste sich mein Ich langsam auf und irgendwann bliebe nur noch Hans Stichler übrig. Aber an diesem Abend wusste ich genau, wer ich war und wer ich nicht sein wollte.“ (S. 179) 
An sich ist das Thema von moralisch fragwürdigen Handlungen in elitären Studentenverbindungen nicht neu, und Takis Würger, mit dem Deutschen Reporterpreis und dem CNN Journalist ausgezeichneter „Der Spiegel“-Reporter, vermag diesbezüglich in seinem Debütroman „Der Club“ auch wenig Neues dazu beitragen. Dafür liest sich die knackig kurze Geschichte, in der Würger seine eigenen Erfahrungen, die er während seines Studiums der Ideengeschichte in Cambridge sammelte, wo er auch als Schwergewicht im Amateurclub boxte, einfließen lässt, sehr kurzweilig, weil er seine Figuren so lebendig portraitiert.
Zwar steht dabei vor allem der eröffnende Ich-Erzähler Hans Stichler im Vordergrund, doch seine Tante Alex und später auch Charlotte, ihr Vater Angus und die Pitt-Club-Mitglieder Josh und Billy bekommen ebenso immer mal Gelegenheit, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Würger vermeidet es dabei, die Figuren in Schubladen zu stecken. Es geht ihm vor allem um die moralischen Frage nach Recht und Unrecht, Wahrheit und Lügen, Vertrauen und Verrat.
Dabei befindet sich Hans in einem größer werdenden Dilemma, denn sobald er erfährt, dass seine Freundin Charlotte als Opfer aus den Handlungen der Club-Mitglieder hervorgegangen ist, muss sich Hans entscheiden, ob er sich für sie als Racheengel einspannen lässt und dafür seine neu gewonnenen Freunde verrät. Auch wenn Würger tiefer gehende Charakterisierungen vermissen lässt, versteht er es, durch seine klare Sprache und die akzentuiert vorangetriebene Handlung zu fesseln, wobei Humor und Romantik den Krimi-Plot stimmig auflockern. So beschreibt der Autor nicht nur in kurzen, aber eindringlichen Zügen, wie sein junger Protagonist aus der deutschen Provinz Karriere in einem elitären Club einer Elite-Universität macht, sondern koppelt diese Entwicklungsgeschichte mit einer zarten Romanze und den abgehobenen Allmachtsphantasien reicher Schnösel, die glauben, aufgrund ihrer Herkunft alles tun zu können, wonach ihnen gerade so ist – ohne Rücksicht auf die Gefühle und das Leben anderer Menschen.

Steve Tesich – „Ein letzter Sommer“

Mittwoch, 11. Februar 2015

(Kein und Aber, 492 S., HC)
Auf die drei Freunde Daniel Price, Larry Misiora und Billy Freund – der immer nur Freud genannt wird - wartet 1960 in dem Industriestädtchen East-Chicago ein Sommer der Entscheidungen. Nach ihrem High-School-Abschluss wissen sie noch nicht, wohin es sie ziehen wird und welche Jobs sie annehmen sollen. Daniels Aufmerksamkeit ist erst einmal Rachel gewidmet, die gerade in die Nachbarschaft gezogen ist und in die sich Daniel sofort verliebt. Doch nach einem ersten vielversprechenden Kuss gestaltet sich die Beziehung zwischen ihnen schwierig. Rachel wechselt ihre Launen und Themen so schnell, dass sich Daniel nicht sicher sein kann, ob Rachel ihn auch tatsächlich so liebt wie er sie.
Und während Daniel ganz mit sich und seinen Gefühlen, seiner Verliebtheit, seinen Hoffnungen und Zweifeln beschäftigt ist, erkrankt sein Vater an Rückenmarkkrebs und erfordert die ganze Aufmerksamkeit seiner Mutter, die in Chicago als Putzkraft arbeitet und anschließend ihren Mann im Krankenhaus besucht. Währenddessen verlässt Larry die Stadt, ohne sich verabschiedet zu haben, und Billy nimmt sich die nicht so schlanke Patty als Freundin und richtet sich seine eigene Garage ein. Während Daniels Freunde den Weg in ihre Zukunft eingeschlagen haben, weiß Daniel immer noch nicht, woran er bei Rachel ist und wohin ihn sein Leben treibt.
„Ich vermisse mein früheres Leben. Ich vermisse, dass Freud sich auf mich lehnte und dass Misioras fiese blaue Augen auf Mrs. Deweys Veranda ihre Fiesheit verloren. Unser gemeinsamer Schulweg, unser Ringkampftraining, das vorletzte Schuljahr mit dem Gefühl, dass das nächste Jahr mein Jahr sein würde, all das vermisste ich. Ich wusste, wie es war, mit einem Mädchen zu schlafen, aber ich vermisste das Wunderbare daran und das luftige Gefühl offener Fenster in meinem Kopf, in dem sich inzwischen eine Dunkelkammer befand, in der jetzt Bilder und Szenen entwickelt wurden, wie ich sie mir in meinem früheren Leben nie hätte vorstellen können.“ (S. 314) 
Der 1942 in Serbien geborene, im Alter von vierzehn Jahren nach East Chicago, Indiana, übergesiedelte Steve Tesich hat etliche Drehbücher und Theaterstücke geschrieben (u.a. das mit einem Oscar ausgezeichnete Drehbuch zu „Vier irre Typen – Wir schaffen alle, uns schafft keiner“ und zur John-Irving-Adaption „Garp und wie er die Welt sah“), aber nur zwei Romane, ehe er 1996 an einem Herzschlag verstarb.
Sein Erstlingswerk „Ein letzter Sommer“ präsentiert sich als einfühlsamer Entwicklungsroman über einen 17-Jährigen, den eine Hassliebe mit seinem Vater verbindet und der auf schmerzliche Weise erfahren muss, dass die erste Liebe ebenso glücklich wie traurig und verzweifelt machen kann. Tesich versteht es dabei hervorragend, die emotionalen Wechselbäder seines jugendlichen Helden so poetisch und lebensnah zu schildern, als erlebe man selbst noch einmal jene Liebe, die den Maßstab bildet selbst für die reiferen Lieben, die noch folgen werden.
Tesich bleibt in seinem knapp 500-seitigen Roman aber nicht bei Daniel und Rachel, sondern beschreibt auch die schwierige Beziehung Daniels zu seinem Vater, die ihren schmerzhaften Höhepunkt erreicht, als sein Dad zum Sterben wieder nach Hause kommt. Am Ende findet Daniel aber doch seinen Weg, mit all diesen Schicksalsschlägen umzugehen. Bei aller Tragik und Verzweiflung webt Tesich immer wieder humorvolle Einfälle in die Geschichte seines Ich-Erzählers, den er mit viel Wärme, Sensibilität und Verständnis portraitiert.
Leseprobe Steve Tesich - "Ein letzter Sommer"

David Nicholls – „Ewig Zweiter“

Sonntag, 15. Januar 2012

(Kein & Aber, 384 S., HC)
Stephen C. McQueen wartet seit Beginn seiner jetzt elfjährigen Schauspielkarriere auf den großen Durchbruch. Bislang hat es für den Namensvetter des großen amerikanischen Darstellers Steve McQueen („Bullitt“) nur für die Darstellung von sechs Leichen gereicht und eine Hauptrolle als Sammy das Eichhörnchen. Und nun spielt der 32-Jährige die Zweitbesetzung der Hauptrolle in einem Stück über Lord Byron am Hyperion Theatre in London.
Wochenlang wartet er darauf, dass sein Freund Josh Harper, der jüngst von den Leserinnen einer Frauenzeitschrift zum zwölftsexiesten Mann der Welt gekürt wurde, seine Rolle nicht antreten kann, damit Stephen dem Publikum endlich zeigen kann, was in ihm steckt. Seine Ex-Frau Alison nimmt Stephens Ambitionen ebenso wenig ernst wie seine aufgeweckte siebenjährige Tochter Sophie, doch Stephen glaubt nach wie vor unerschütterlich an seine Chance.
„Was Ruhm anging, wollte er gar nicht prominent sein, oder zumindest nicht so weltberühmt wie Josh Harper. Er musste sein Bild nicht auf Kühlschrankmagneten oder Happy Meals entdecken. Auch hatte er nicht das Verlangen, seine alten Kippen bei eBay versteigert zu sehen, oder das dringende Bedürfnis, in Restaurants den besten Tisch zu ergattern, oder den geheimen Wunsch, im Urlaub auf der Privatinsel eines Freundes per Teleobjektiv schmerbäuchig in Badehosen abgelichtet zu werden. Ruhm interessierte Stephen nur als unvermeidlicher, wenn auch nicht unangenehmer Nebeneffekt guter Arbeit. Alles, was er wollte, war Vollbeschäftigungsruhm. Anerkennungsruhm. Was es umso frustrierender machte, in einem Schauspieljob festzustecken, der praktisch keine Schauspielerei erforderte.“ (S. 33) 
Als Josh ihn zu einer privaten Party einlädt, hofft seine Zweitbesetzung darauf, wichtige Kontakte zu Agenten, Produzenten und Regisseuren knüpfen zu können, dabei wollte Josh ihn nur als zusätzlichen Kellner engagieren. Wenigstens lernt Stephen auf der Party Joshs außergewöhnliche Frau Nora kennen und verliebt sich sofort in sie. Stephen gerät zwischen alle Fronten, als er zufällig Zeuge wird, wie Josh in der Garderobe seine Kollegin vögelt, und Josh ihn natürlich bittet, Nora nichts von seinen sexuellen Eskapaden zu erzählen. Doch genau das würde Stephen am liebsten tun, weil er mit dieser Enthüllung Nora in seine Arme treiben könnte. Stattdessen wird sein Leben noch komplizierter, als es ohnehin schon gewesen ist …
Bereits mit seinem Romandebüt „Keine weiteren Fragen“ hat sich der britische Autor David Nicholls eines Antihelden angenommen, den er auf sympathische Weise durch ein verkorkstes Leben taumeln ließ. Dass das Konzept auch im Nachfolgewerk vollkommen aufgeht, ist Nicholls sehr lebendiger Sprache, der authentischen Zeichnung seiner Figuren und eines überzeugenden Plots zu verdanken, der mit viel augenzwinkerndem Humor vorangetrieben wird, ohne seinen Protagonisten der Lächerlichkeit preiszugeben.

David Nicholls - "Keine weiteren Fragen"

Freitag, 16. Dezember 2011

(Kein & Aber, 439 S., HC)
Ein wenig stolz ist er schon, als er 1985 an der Langley-Street-Gesamtschule ein spitzenmäßiges Abitur hinlegt, doch darüber hinaus hat der zwar volljährige, ansonsten aber in jeder Hinsicht lebensunerfahrene Brian Jackson nicht viel vorzuweisen. Nachdem er in den Ferien bei einem Elektronik-Versandhandel gejobbt hat, freut sich der mit Akne übersäte Jüngling auf den Beginn seines Studiums.
Mit Beginn seiner akademischen Lehre hofft Brian, endlich die Weltgewandtheit, Souveränität und Attraktivität zu gewinnen, die ihm bislang so schmerzhaft abgegangen ist. Doch bereits die Ankunft im Richmond House erweist sich als ernüchternd.
„Meine Bude ist ein Loch. Das Zimmer besitzt den ganzen Reiz und Charme vom Schauplatz eines Verbrechens; Ein-Personen-Matratze auf einem Bettgestell aus Metall, Kleiderschrank und Schreibtisch aus passendem Sperrholz, zwei Holzimitat-Regalbretter aus Resopal. Die Teppiche sind schlammbraun und offenbar aus gepresstem Schamhaar gewebt. Ein schmutziges Fenster vom Schreibtisch geht auf die Mülltonnen hinaus, während ein gerahmtes Schild die Verwendung von Reißzwecken an den Wänden bei Todesstrafe verbietet. Aber ich wollte eine Mansarde, und jetzt hab ich eine Mansarde. Machen wir das Beste draus.“ (S. 35) 
Brian bewirbt sich mit seinem Team für das populäre wie anspruchsvolle Fernsehquiz „University Challenge“, ist aber nur als Ersatzmann eingeplant. Wenn es nach Teamchef Patrick ginge, würde Brian bei den Proben gar nicht anwesend sein müssen, da sich Brian in seine Team-Kollegin Alice verguckt hat. Doch der Weg, ihr Herz zu gewinnen, erweist sich als ebenso steinig, wie es Brians bisherigen Lebensweg angemessen scheint. Und auch seine Präsentation im Team und der Umgang mit KommilitonInnen sparen nicht an unrühmlichen Episoden. Doch irgendwie mogelt sich Brian auf seine unbekümmerte Art durchs universitäre Leben und scheint seinen Zielen immer näher zu kommen …
Mit „Keine weiteren Fragen“ hat der in London lebende Ex-Schauspieler und Drehbuchautor David Nicholls („Cold Feet“, „I Saw You“, „Rescue Me“) ein beeindruckendes, vor allem umwerfend komisches Debüt als Romancier hingelegt. Sein Protagonist ist ein spätpubertierender, überheblicher wie unsicherer Loser, wie er im Buche steht, doch zeichnet Nicholls ihn auf liebenswerte Art, die beim Leser immer wieder Mitleid für den Antihelden hervorruft. Dabei verleiht er dem Geschehen das passende 80er-Jahre-Flair mit vor allem musikalischen Verweisen (Kate Bush, Led Zeppelin etc.) und versteht es, der amüsanten Geschichte immer wieder neue zwerchfellerschütternde Aspekte zu verleihen.