Posts mit dem Label Jack Ketchum werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label Jack Ketchum werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Jack Ketchum & Lucky McKee – „Scar“

Donnerstag, 25. Mai 2017

(Heyne, 319 S., Pb.)
Im Leben der Familie Cross dreht sich alles um die elfjährige Delia Cross. Sie ist als Darstellerin in Werbeclips die einzige, aber gute Einnahmequelle der Familie. Während ihre Mutter Pat sich um die Vermarktung kümmert und eine Affäre mit Delias Agenten Roman unterhält, soll sich ihr Vater Bart eigentlich um die Finanzen kümmern, vergnügt sich aber lieber mit seinen Spielzeugen wie dem mächtig aufgemotzten Firebird oder dem neuen Riesenflachbildschirm-Fernseher. Dass er darüber vergisst, eine Anschluss-Krankenversicherung für Delia abzuschließen, nachdem er die alte gekündigt hat, kommt der Familie allerdings teuer zu stehen. Gerade als Delia eine Rolle in einer Sitcom mit dem Star Veronica Smalls erhält, sorgt ein tragischer Unfall für das abrupte Ende eines Bilderbuch-Märchens.
Während Pat aus jeder Notlage noch Profit zu schlagen versucht und das Schicksal ihrer Tochter in einem Buch und in verschiedenen Fernsehshows ausschlachtet, lehnt sich die nach dem Unfall missgestaltete Delia zunehmend gegen die Pläne ihrer herrschsüchtigen, von Ehrgeiz getriebenen Mutter auf.
„Pat bezweifelt, dass das hier jemals ausgestrahlt werden wird, und sie fragt sich, ob überhaupt irgendwas davon ins Fernsehen kommt. Mit einem Mal ist sie stocksauer auf Delia. Sie hat die Schnauze voll von ihren Überraschungen, ihren egoistischen Spielchen. Warum zum Teufel folgt sie nicht dem beschissenen Drehbuch wie alle anderen auch? Für wen hält sie sich?“ (S. 224) 
Allmählich geraten vor allem Delias treue Gefährtin, die Australian-Cattle-Hündin Caity, und Delias eifersüchtiger Bruder Robbie ebenso in emotionale Schieflagen wie der an sich gutmütige, aber kaum mannhafte Bart. Der steigende Alkoholkonsum von Delias Eltern führt schließlich zur Katastrophe …
Dass Jack Ketchum auf bislang fünf Bram Stoker Awards und eine wachsende Anzahl von Verfilmungen seiner Werke („Red“, „Beutegier“) zurückblicken kann, kommt nicht von ungefähr, denn mit seiner klaren Sprache und einem ausgeprägten Sinn für knackige Plots und detailliertes Grauen entwirft der ehemalige Literaturagent von Henry Miller und Babysitter von Lady Gaga regelmäßig Drehbücher für das blutige Kino im Kopf.
Die erneute Zusammenarbeit mit Lucky McKee nach der Verfilmung von „Beuterausch“ kann an diese Qualitäten leider nur bedingt anknüpfen. Im Vordergrund von „Scar“ steht die ungewöhnlich innige Beziehung zwischen der hübschen und talentierten Delia und ihrer Hündin Caity, die bis zum blutigen Finale eine Schlüsselrolle in der Geschichte einnimmt. An die inneren Monologe gerade des Hundes muss sich der Leser dabei ebenso gewöhnen wie an die grob und oberflächlich gezeichneten Figuren. Bei dem mehr als überschaubaren Ensemble wäre an dieser Stelle durchaus mehr Sorgfalt angebracht gewesen. So gerieren sich vor allem Delias Eltern als ganz und gar unsympathische Nutznießer des Ruhms, den Delia der Familie beschert.
Wie sehr Pat dabei den Bogen überspannt und für die katastrophale Entwicklung der Ereignisse sorgt, macht die Geschichte aber nicht glaubwürdiger. Selbst die offensichtliche Kritik an der Rolle der Medien bei der Ausschlachtung von persönlichen Tragödien und an der Raffgier ehrgeiziger Eltern, die die Fürsorge ihren Zöglingen gegenüber aus den Augen verlieren, bleibt allzu oberflächlich.
Zwar bietet „Scar“ ein rasantes Leseerlebnis, wartet mit leicht übernatürlich inszenierten Elementen auf und einem straff inszenierten Plot, doch bleibt das Buch in Sachen Spannung und Horror weit hinter den bisherigen Ketchum-Werken zurück. 
Leseprobe Jack Ketchum & Lucky McKee - "Scar"

Jack Ketchum – „Jagdtrip“

Sonntag, 26. Juni 2016

(Heyne, 351 S., Tb.)
Seit seiner Zeit in Vietnam ist Lee nicht mehr derselbe. Seine Frau Alma empfindet zunehmend Angst um sich und ihren gemeinsamen fünfjährigen Sohn Lee Jr., weil Lee unter Verfolgungswahn leidet und immer wieder zu plötzlichen Gewaltausbrüchen neigt. Um sich und seine Familie nicht weiter zu gefährden, zieht er sich mit seinem Hund in den Wald zurück, schützt die dort angelegten Marihuana-Pflanzen mit tödlichen Fallen, wie er sie in Vietnam gesehen hat.
Seine Ruhe wird durch einen Trupp Camper gestört, dem der erfolgreiche Schriftsteller Kelsey ebenso angehört wie seine Frau Caroline, seine Geliebte Michelle, sein Agent Alan Walker, sein Freund und weit weniger erfolgreiche Schriftsteller-Kollege Charles Ross und der Fotograf Walter Graham. Mit Zelten, Verpflegung und Gewehren bewaffnet, gehen sie auf die Jagd und werden selbst zu Gejagten, als sie zufällig auf Lees Rauschmittelfeld stoßen.
„Während Lee die Männer beobachtete – durch das Gestrüpp, durch Eschen, die ihm die Sicht nahmen, und durch das Flimmern der Hitze -, verharrte sein Hund mit aufgerichtetem Nackenfell in wachsamer Lauerstellung. Das Sonnenlicht, das durch die Bäume drang, zeichnete Tarnflecken auf ihre Gestalten. Sie waren und sie waren nicht …
Cops, Zivilisten, Soldaten, Vietcong.
Aber wer immer sie waren, sie hatten ihn aufgespürt. Einer von ihnen schoss Fotos. Ein anderer riss einen Zweig ab. Am Ende des Zweiges wuchsen Blätter und Blütenkapseln. Sein Zweig. Seine Blätter. Seine Blütenkapseln. Und damit mischte sich in seine Angst nun auch Ärger.“ (S. 151f.) 
In seinem Vorwort („Was hast du während des Krieges getan, Daddy?“) zu dem ursprünglich 1987 unter dem Titel „Cover“ veröffentlichten Roman „Jagdtrip“, den der Heyne Verlag in seinem Hardcore-Programm nun als deutsche Erstveröffentlichung herausgebracht hat, beschreibt Jack Ketchum ausführlich, wie schwierig es für ihn als Autor, der nicht am Vietnam-Krieg teilgenommen hat, gewesen ist, Erfahrungen von Veteranen glaubwürdig zu schildern, weshalb er viele Bücher zum Thema gelesen, vor allem aber viele Gespräche mit ungewöhnlich erzählfreudigen Veteranen geführt hat. Dadurch ist Ketchum mit „Jagdtrip“ mehr als nur ein konventioneller Horrorroman gelungen, in dem Camper von degenerierten kannibalistischen Waldbewohnern zerstückelt werden, sondern auch eine überraschend tiefgründige Auseinandersetzung mit den Traumata, die viele Soldaten nach ihrer Rückkehr aus Vietnam mit nach Hause brachten.
Vor allem bei Lee hat der Krieg deutliche Spuren hinterlassen, wie seine Erinnerungen an erschütternde Begebenheiten deutlich machen, aber auch sein Kamerad McCann, der den Krieg besser verdaut zu haben scheint und den irgendwann das schlechte Gewissen packt, schildert seine Erlebnisse ebenso wie Kelsey, der seine Erfahrungen auch in seinem Roman „Zweifacher Veteran“ verarbeitet hat.
Besonders einfühlsam ist die wenn auch nur kurz angerissene Beziehung zwischen Lee und seiner Frau beschrieben, die Liebe, aber auch die Angst, die beide miteinander verbindet. Auf der anderen Seite fasziniert die außergewöhnliche Beziehung, die Kelsey zu seiner Frau und seiner Geliebten unterhält.
Ketchum, der bereits so kompromisslose Werke wie „Evil“, „Blutrot“ und „Beutejagd“ abgeliefert hat, lässt sich in „Jadgtrip“ viel Zeit mit der Einführung seiner Figuren, ihren oft traumatischen Erinnerungen und ihren Problemen, und selbst der Jagdausflug beginnt als das Abenteuer, als das es geplant gewesen ist, bevor der Zusammenstoß mit Lee die tragischen Ereignisse erst richtig ins Rollen bringt. Für Horror-Fans, die auch mit Ketchums Werk vertraut sind, mag „Jagdtrip“ vielleicht eine Enttäuschung sein, weil der Roman nicht die billigen Klischees und Mechanismen bedient, die das Genre oft so vorhersehbar machen, aber als psychologisch tiefsinniges Drama überzeugt dieses Frühwerk auf ganzer Linie.
Leseprobe Jack Ketchum - "Jagdtrip"

Jack Ketchum – „Lebendig“

Montag, 26. Mai 2014

(Heyne, 224 S., Tb.)
Auf dem Weg zur einzigen noch auf der West Side von New York übrig gebliebenen Abtreibungsklinik wird die schwangere Sara von den Abtreibungsgegnern Stephen und Kath direkt vor der Klinik entführt, während ihr Geliebter Greg noch einen Parkplatz sucht. Als Sara aufwacht, befindet sie sich in einer sargähnlichen Kiste, doch das bedeutet erst den Anfang ihres Martyriums.
Wie Stephen und Kath ihr mitteilen, gehören sie der einflussreichen „Organisation“ an, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, todgeweihte Kinder davor zu retten, von gottlosen Müttern abgetrieben zu werden. Das kinderlose Paar droht Sara damit, dass die Organisation ihre gesamt Familie zu Schaden kommen lässt, sollte sie einen Fluchtversuch unternehmen. Vor allem Stephen scheint daran Gefallen zu finden, die Gefangene nicht nur auszupeitschen, sondern sich immer neue Arten einfallen zu lassen, Sara zu quälen. Neben den üblichen sexuellen Demütigungen erfindet er immer neue Techniken und Instrumente, ihr unvorstellbare Qualen zuzufügen.
„Sie würde hier alt werden. Das Baby dagegen wuchs allmählich heran. Ihr süßes kleines Mädchen. Das sie hatte umbringen wollen. Nein, verdammt noch mal, das war seine Masche. Eine Abtreibung war der Beweis dafür, dass sie, Sara Foster, Herrin über ihren Körper war. Mit ihrem freien Willen eine Entscheidung über ihr Schicksal treffen konnte. Dieser allumfassende, aufgezwungene Kontrollverlust dagegen, der so weit reichte, dass sie nicht mal mehr pinkeln konnte, ohne sich selbst dabei zu beschmutzen, und nur mit seiner Erlaubnis essen oder trinken durfte – das kam einem Mord schon viel näher. Man konnte eine Persönlichkeit, eine Identität ebenso töten wie einen menschlichen Körper.“ (S. 117f.) 
Mit gerade mal 180 Seiten stellt die ursprünglich 1998 veröffentlichte Geschichte „Right to Life“ eine der kürzesten Werke aus dem Schaffen des amerikanischen Autors Dallas Mayr alias Jack Ketchum dar, weshalb der Heyne Verlag in der deutschen Erstausgabe als Bonus noch die beiden Kurzgeschichten „Tapferes Mädchen“ und „Rückkehr“ (beide von 2002) und ein Werkverzeichnis der bislang bei Heyne erschienenen Romane des kompromisslosen Horror-Schriftstellers angehängt hat.
Während die beiden Kurzgeschichten längst nicht Ketchums eigentliche Stärken ausspielen, nämlich die packend-raffinierte Beschreibung von Extremsituationen, in denen seine ProtagonistInnen geraten, schildert „Lebendig“ zunächst ein recht konventionelles Entführungs- und Folter-Szenario mit Ketchum-typischer Drastik, bevor es psychologisch interessant wird, und zwar nicht wie erwartet auf der Opfer-Täter-Ebene, sondern vor allem in der Beziehung des Täterpaars zueinander. Natürlich beschreibt Ketchum das Foltern in einer expliziten Deutlichkeit, die Horror-Fans anspricht, aber faszinierend ist „Lebendig“ vor allem durch die psychologische Dimension, die sich zwischen den Beteiligten entwickelt.
Leseprobe Jack Ketchum "Lebendig"

Jack Ketchum – „Versteckt“

Sonntag, 21. Juli 2013

(Heyne, 243 S., Tb.)
Dan Thomas ist in dem kleinen Kaff Dead River in Washington County aufgewachsen, im ärmsten Bezirk des ganzen Landes, wie er meint. Jeder scheint hier von der Hand in den Mund zu leben, er selbst hat die Schule geschmissen und arbeitet in der örtlichen Sägemühle. Sein geregeltes Leben kommt ordentlich in Schwung, als Casey, Kim und Steven mit ihren reichen Eltern die Ferien in Dead River verbringen.
Anfangs hängen sie zu viert herum und wollen in der langweiligen Gegend spannende Sachen erleben, dann kommen sich Dan und Casey beim Nacktbaden näher. Ob es Liebe ist, kann Dan noch nicht sagen, aber aufregend ist es auf jeden Fall. Doch Casey begnügt sich mit einem unbekümmerten Urlaubsflirt oder Picknicks am Strand mit geklauten Lebensmitteln aus dem Supermarkt. Ständig ist sie auf der Suche nach dem nächsten Kick. Als Dan Caseys apathisch wirkenden Vater kennenlernt, bekommt er eine Ahnung, warum Casey so ist, wie sie ist.
„Jeder ist einsam. Im Grunde unseres Herzens sind wir allein. Nur dass manche diesem Umstand den Krieg erklären und andere nicht. Damit will ich nicht über Casey urteilen. Sie hatte gute Gründe für ihr Verhalten, und sie wusste sich nicht anders zu helfen. Es lag nicht in ihrer Natur, dass sie so grausam war. Denn Krieg bedeutet immer auch Tod. Und der Tod ist ansteckend und nicht wählerisch.“ (S. 105f.) 
Doch Caseys emotionale Ausbrüche bringen auch Dan in Schwierigkeiten. Schließlich beschließen die vier, die Nacht in dem verlassenen Crouch-Haus zu verbringen und verstecken zu spielen. Vor Jahren haben hier die beiden gehandicapten Geschwister Ben und Mary mit ihren Hunden gelebt, bis sie irgendwann das Haus räumen mussten. Sie verschwanden von einem Tag zum anderen und ließen ihre Hunde einfach im Haus zurück. Was als bierseliger Spaß beginnt, wird jedoch zum tödlichen Ernst, als Dan feststellt, dass außer ihnen noch andere Lebewesen in dem Haus ihr Unwesen treiben …
Nachdem der Heyne-Verlag in seiner Hardcore-Reihe in letzter Zeit fast den gesamten Backcatalogue von Richard Laymon in deutschen Erstausgaben veröffentlicht hat, darf sich das deutsche Publikum darauf freuen, dass auch das umfangreiche Werk von Jack Ketchum nach und nach hier erhältlich sein wird.
Bislang sind mit „Evil“ (im Original 1989 erschienen), „Beutegier“ (1991), „Amokjagd“ (1994), „Wahnsinn“ (1995), „Blutrot“ (1995), „Beutezeit“ (1999) und „The Lost“ (2001) vor allem die Frühwerke des Autors veröffentlicht worden, erst mit „Beuterausch“ (2011) kam zeitnah auch ein aktuelles Werk von Dallas Mayr (so Ketchums bürgerlicher Name) auf den Markt. Dazwischen sind aber noch über zwanzig (teilweise mit Edward Lee und Richard Laymon verfasste) Bücher erschienen, die noch auf eine deutschsprachige Übersetzung warten.
Mit „Versteckt“ ist nun aber Ketchums erst zweites Buch aus dem Jahre 1984 veröffentlicht worden. Der Schützling von Altmeister Robert Bloch („Psycho“) demonstriert auf gerade mal knapp 230 Seiten aber schon eindrucksvoll seine Stärke, normale Menschen in psychischen wie physischen Ausnahmesituationen agieren zu lassen, wobei er mit klarer Sprache, pointierten Dialogen, expliziten Sex- und Gewalt-Szenen straffe Handlungszüge entwickelt, die keine Zeit zum Luftholen lassen. „Versteckt“ wird aus der Perspektive des sympathischen Dead-River-Einwohners Dan Thomas erzählt, und der geschliffene Roman bringt sehr gut die Einöde des kleinstädtischen Lebens ebenso gut zum Ausdruck wie die Faszination für die reichen Kids aus Boston, die leidenschaftlichen Gefühle, die er für Casey zu empfinden beginnt, aber auch die gefährlichen Züge, die ihrer Persönlichkeit zu eigen sind. Das eigentliche Versteck-Spiel folgt allerdings den konventionellen Genre-Konventionen und kann nicht ganz an die Klasse der ersten zwei Drittel der Geschichte anknüpfen. Aber spannend bleibt das Werk bis zum Schluss.
Abgerundet wird „Versteckt“ durch biografische Ergänzungen des Autors zur Entstehung der Geschichte und einer Werkbiografie, wie man sie bereits aus den letzten Richard-Laymon-Veröffentlichungen her kennt.
Leseprobe Jack Ketchum „Versteckt“

Jack Ketchum & Lucky McKee – „Beuterausch“

Sonntag, 1. April 2012

(Heyne, 288 S., Tb.)
Nachdem die Auseinandersetzung zwischen dem Kannibalenstamm, der über viele Jahrzehnte hinweg an der amerikanischen Ostküste sein Unwesen getrieben hatte, und der Polizei in einem wüsten Gemetzel endete, hat sich die einzig überlebende Frau in eine Höhle zurückgezogen, der auch einem sterbenden Wolf als Unterschlupf dient. Doch auf der Suche nach weiterer Nahrung gerät sie in die Gefangenschaft des Anwalts und Hobbyjägers Chris Cleek, der mit seiner Familie zurückgezogen in einer Kleinstadt lebt und es sich zur Aufgabe macht, die Wilde mit ihrem tierhaften Benehmen im Keller zu domestizieren.
Anfangs stößt er auf Unverständnis bei seiner Frau Belle und den jugendlichen Kindern Peg und Brian, doch bald kann er sich der tatkräftigen Unterstützung seiner Zöglinge erfreuen.
„Er hat die Frage, warum er dies tut, von allen Seiten durchdacht und keine Antwort gefunden, außer dass er es will. Er weiß, es ist gefährlich, ganz abgesehen davon, dass sie rein körperlich eine verdammte Bestie ist, könnte er vermutlich ein Dutzend oder mehr Gesetze aufzählen, gegen die er verstößt, und seine einzige Rechtfertigung dafür, sie alle diesem Risiko auszusetzen, ist, dass er herausfinden will, wie sein kleines Experiment ausgeht. Genau wie seine fröhliche, liebe Säuferin von einer Mutter Chris ihr eigenes kleines Experiment bezeichnete, womit sie sagen wollte, klar, sie hatte ein Kind, aber sie würde niemals freiwillig ein weiteres auf die Welt bringen. Doch er sieht das Wilde in ihr, und es zieht ihn an, reizt seinen Schwanz und seinen Kopf, das ist ihm bewusst, und er will sie unbedingt zähmen, er will wissen, ob es möglich ist.“ (S. 130 f.) 
Jack Ketchum ist kein Freund konventioneller Geschichten ohne Gewalt und Sex. Aber bei aller expliziter Schilderung von brutaler Gewalt und unfreiwilligem Sex darf man nicht außer Acht lassen, worum es dem ehemaligen Schauspieler, Lehrer, Literaturagenten und Holzverkäufer Dallas Mayr – so Ketchums richtiger Name – eigentlich geht, nämlich die Perversionen zu beschreiben, die sich hinter den so spießbürgerlich anmutenden Türen der Zivilisation abspielen. Indem er – wie schon in den „Beuterausch“-Vorläufern „Beutegier“ und „Beutezeit“ – vermeintlich zivilisierte Menschen auf Kannibalen treffen lässt, die sich wie Urzeitmenschen verhalten, macht Ketchum deutlich, dass sich die modernen Menschen im Grunde nicht viel anders verhalten als ihre jahrtausendealten Vorfahren. Dabei geht es auch in „Beuterausch“ nicht nur um die Konfrontation zwischen wilden und zivilisierten Menschen, sondern auch darum, welche Dramen sich innerhalb der modernen Familie abspielen. All dies beschreibt Ketchum in seiner typisch unverblümten, rohen Sprache, die wenig der Fantasie überlässt.
An den mit 230 Seiten relativ kurzen Roman schließt sich die 50-seitige Kurzgeschichte „Das Vieh“ an, das als längerer Epilog die Geschichte von „Beuterausch“ zu einem ernüchternden Ende bringt. Übrigens wurde „Beuterausch“ von Co-Autor Lucky McKee unter dem Titel „The Woman“ verfilmt.
 
Lesen Sie im Buch: Jack Ketchum & Lucky McKee – „Beuterausch“
Share

Jack Ketchum – „The Lost“

Dienstag, 11. Januar 2011

(Heyne, 432 S., HC)
Sparta, New Jersey, im Juni 1965. Als der psychopatische Teenager Ray Pye mit seinen beiden Freunden Tim und Jennifer auf einem abgelegenen Zeltplatz beobachtet, wie zwei junge Mädchen sich küssen, brennt bei ihm eine Sicherung durch. Mit fünf Gewehrschüssen streckt er die beiden Mädchen brutal nieder. Während Lisa sofort ihren schweren Verletzungen erliegt, kann sich Elise ins Gebüsch retten, fällt jedoch ins Koma. Vier Jahre später stirbt das Mädchen im Krankenhaus. In der Zwischenzeit war Ray zwar der Hauptverdächtige in beiden Mordfällen, doch da er sich selbst meldete, am Abend zuvor am Tatort gewesen zu sein, und so seine vielen Fußspuren erklärte, konnten ihn Charlie Schilling und seine Kollegen nicht festnageln.
Charlies Kollege Ed Anderson hat schon vor Jahren den Dienst quittiert, als die Arbeit nicht mehr darin bestand, Katzen aus Dachrinnen zu retten und dafür zu sorgen, dass die Kinder sicher zur Schule kamen, sondern auf einmal die Untersuchung von schrecklichen Morden auf der Tagesordnung standen. Dafür vergnügt sich der alte Ed jetzt mit der jungen Sally Richmond, die ausgerechnet einen Job in dem von Ray geleiteten Motel annimmt und gleich an ihrem ersten Arbeitstag von ihrem Chef angebaggert wird. Ray ist zwar immer noch mit Jennifer zusammen, hat aber auch andere Mädchen am Start, feiert wilde Partys und verdient sich im Drogenhandel ordentlich was dazu. Die Zeiten haben sich geändert. Das hat nicht nur Ed zur Aufgabe seines Polizistenjobs bewogen, auch die junge Sally bemerkt die deutlichen Zeichen.
„Sie fragte sich, ob das Lokal sich verändert haben würde, wenn sie in einigen Jahren aus dem College kam. Es geschah so vieles in der Welt jenseits von Sparta. Rassenunruhen. Flowerpower. Vietnam. Hasch und Timothy Leary. Eine Imbissstube-Schrägstrich-Eisdiele, selbst eine gut besuchte wie diese, war bereits ein Anachronismus. Das Ende war abzusehen. Wie konnte das schlichte Vergnügen, einen Milchshake zu trinken, mit einem LSD-Trip mithalten? Sie fragte sich, ob die Neuntklässler von heute Lust hatten, den ganzen Abend – oder zumindest bis zehn, wenn der Laden dichtmachte – über einer Cherry-Cola zu hocken, wie sie früher mit ihren Freunden, während sie die neusten Geschichten aus dem Ort austauschten, einander anschmachteten, die im Regal ausliegenden Comics und Magazine lasen und auf den Drehhockern herumwirbelten wie auf einem Karussell im Vergnügungspark. Sie glaubte, die Antwort bereits zu kennen. Es war wirklich ein Jammer, dachte sie. Der nachfolgenden Generation von Jugendlichen würde eine Menge Spaß entgehen. Und etwas, an dem ihr Herz hing, wäre früher oder später für alle Zeiten verschwunden.“ (S. 133 f.)
In dieser Atmosphäre weitreichender Veränderungen der Lebenswelt vergnügt sich Ray nach Belieben mit Drogen und jüngeren Mädchen, kann es aber auf den Tod nicht leiden, wenn er seinen Willen nicht durchsetzen kann. Das muss nicht nur Sally bitterlich am eigenen Leib erfahren …
Jack Ketchum wird nicht umsonst von Stephen King für den besten Horror-Autor Amerikas gehalten. Mit feinem Gespür für Situationen und Personen beschreibt Ketchum gnadenlos, wie in einem bestimmten gesellschaftlichen Umfeld die Gewalt ausbricht. Oft gehört nicht viel dazu, kann der kleinste Funken einen Waldbrand auslösen. Vor dem Hintergrund von Woodstock und der Manson-Morde an Roman Polanskis hochschwangerer Frau Sharon Tate entwickelt der Autor ein bedrückendes Szenario junger Menschen, die in einer amerikanischen Kleinstadt alles andere als den amerikanischen Traum erleben, sondern sich Sorgen darüber machen, wie ihre Zukunft aussehen könnte. Während die klügeren Mädchen das College vor sich haben, hat der Schulabbrecher Ray nur sein aufgeblasenes Ego und seinen Rauschgifthandel, um wenigstens in seiner Heimatstadt das Großmaul zu mimen. Wie die tickende Zeitbombe schließlich explodiert, beschreibt Ketchum bis zum ernüchternd brutalen Finale in gewohnt drastischer, aber psychologisch gut beobachtender wie extrem spannende Weise.
Lesen Sie im Buch: Ketchum, Jack - The Lost

Jack Ketchum - „Wahnsinn“

Montag, 8. März 2010

(Heyne, 352 S., Tb.)
Im beschaulichen Plymouth, New Hampshire, haben Ruth und Harry Danse alle Hände voll zu tun, ihren offensichtlich kriminell veranlagten Sohn Arthur unter Kontrolle zu halten. Doch obwohl dem intelligenten Jungen Verbrechen wie Brandstiftung und Diebstahl zur Last gelegt worden sind, konnte man ihm bislang nie etwas nachweisen. Sheriff Ralph Duggan ist deshalb froh, dass der Junge bald nach Boston auf die Universität gehen und somit aus seinem Bezirk verschwinden würde. Im benachbarten Cambridge zieht die Krankenschwester Lydia McCloud gerade einen Schlussstrich unter ihre Ehe mit dem Arzt Jim, der offensichtlich eine Affäre unterhält. Ein Jahr später, im Juni 1983, laufen sich Arthur und Liddy in Plymouth über den Weg. Arthur ist trotz seines Abschlusses in Wirtschaftslehre wieder zurück in seine Heimat gegangen, um dort eine rentable Bar zu eröffnen.
Im „Caves“ feiert schließlich auch Liddys Schwester Barbara ihre Hochzeit, und als Liddy mit Arthur ins Gespräch kommt, verabreden sich die beiden gleich für den kommenden Abend. Es folgen eine Fernbeziehung mit ausgiebigen Telefonaten und schließlich ein Heiratsantrag und die Geburt ihres Sohnes Robert. Arthur fängt an, seine Frau vornehmlich anal zu penetrieren und zu schlagen, aber sie macht sich keine Gedanken, warum ihr Sohn mit acht Jahren zu stottern und wieder anfing, ins Bett zu machen und dabei seine Gedärme zu entleeren. Als Liddy schließlich ahnt, wer für Roberts auffälliges Verhalten verantwortlich zu sein scheint, zieht sie vor Gericht, doch eindeutige Beweise dafür, dass Arthur Robert missbraucht, lassen sich schwer finden, zumal Robert dazu schweigt. Während Arthur gar nicht daran denkt, sich seinen Sohn wegnehmen zu lassen, weiß Liddy bald nicht mehr, wie sie – ihrem Sohn zuliebe - zu ihrem Recht kommen soll …
Jack Ketchum hat es bislang mit jedem seiner Romane geschafft, ein erschreckend realistisches, grausames Szenario zu entwerfen, aus dem die gepeinigten Protagonisten nur mit größter Willenskraft und unter schlimmsten Entbehrungen entrinnen konnten. Auch in „Wahnsinn“ stellt er den psychischen Horror schmerzhaft realistisch dar und bezieht den Leser ohne Vorwarnung in die Spirale der Gewalt mit ein. Und dieser entkommt er erst, wenn er atemlos die letzte Seite umgeschlagen hat. Das ist Horror, der wirklich unter die Haut geht.

Jack Ketchum - „Beutegier“

Sonntag, 7. März 2010

(Heyne, 286 S., Tb.)
1981 schuf Jack Ketchum mit „Beutezeit“ einen kompromisslosen, deftigen Horrorklassiker, der damals nur in zensierter Form erschienen ist. Auf drastische Art und Weise ließ Ketchum eine Kannibalenbande in den Wäldern von Maine am Dead River auf eine Clique von drei Pärchen los, bis die Polizei von Dead River um den alternden Sheriff George Peters ein großes Reinemachen anrichtete, bei dem die Kannibalen ebenso niedergemetzelt wurden wie die von ihnen gefangenen zivilisierten Opfer.
Elf Jahre später trauert der pensionierte Sheriff meist angetrunken seiner toten Frau nach und erinnert sich mit Grauen an die verheerende Nacht von damals, als er und seine Leute auch Unschuldige getötet haben. Als eines Abends der neue Sheriff Vic Manetti vor seiner Tür steht und ihm um seine „Expertise“ bittet, schwant Peters nichts Gutes. Tatsächlich deuten die Spuren im Haus der 36-järhigen Bedienung Loreen Ellen Kaltsas und ihrer 16-jährigen Babysitterin Nancy darauf hin, dass die ausgerottet geglaubten Kannibalen wieder zugeschlagen haben. Beiden Leichen fehlen die Arme, Beine und Herzen – vom Baby fehlt jede Spur. Doch in der Höhle, in der damals die Kannibalen hausten, fehlt jede Spur von den einstigen Bewohnern, also steht eine lange Suche bevor. Währenddessen erwarten die beiden Spieleentwickler Amy und David in ihrem Haus auf Besuch von der gemeinsamen Freundin Claire, die auf einem Haufen Schulden sitzt, den ihr betrügerischer Mann Steven ihr und ihrem gemeinsamen Sohn Luke hinterlassen hat, bevor er sich spurlos aus dem Staub gemacht hat. Doch kaum hat er die Scheidungspapiere zugestellt bekommen, macht er sich wütend auf den Weg nach Maine …
Während „Beutezeit“ sich noch auf den bestialischen Kampf zwischen einer Kannibalen-Bande und einer Gruppe von Zivilisten beschränkte, wobei am Ende beide Parteien unterschiedslos dem Aufräumkommando der Polizei zum Opfer fielen, bringt Ketchum im Sequel einen weiteren Schurken ins Spiel, der die blutige Handlung entsprechend zusätzlich würzt. Äußerst eindrucksvoll hat Jack Ketchum wieder sein Lieblingsthema – den Kampf seiner Protagonisten um ihr nacktes Überleben in offensichtlich ausweglos erscheinenden Situationen – umgesetzt: spannend von der ersten Seite bis zum fulminanten Finale, schockierend, beängstigend realistisch und einfach höllisch gut!

Jack Ketchum - „Beutezeit“

Freitag, 5. März 2010

(Heyne, 285 S., Pb.)
Im September 1981 hat die Lektorin Carla an der Küste von Maine ein kleines Häuschen im Wald gemietet, wo sie nicht nur ihren wohlverdienten Urlaub verbringen, sondern auch ein Buch über den Rock’n’Roll der 50er redigieren will. Bevor ihre Schwester Marjorie mit Dan, ihr Ex Nick mit seiner neuen Freundin Laura und ihr eigener Freund, der Schauspieler Jim, zu Besuch kommen, bringt sie die Hütte noch in Schuss. Währenddessen fischt die Polizei von Dead River eine völlig zerschlagene Frau aus dem Meer. Dass ganz in der Nähe in einer Höhle unter einem Felsvorsprung eine ganze Horde Wilder haust, wird erst klar, als Carla in dem Moment, als sie und Jim ihr Wiedersehen mit einem Orgasmus feiern, plötzlich das Fenster von außen zerschlagen wird. Jim stirbt an Ort und Stelle, Carlas nackter Körper wird jedoch nach draußen gezerrt, kopfüber aufgeknüpft und ausgeweidet. Fassungslos müssen Carlas Schwester und ihre Freunde mit ansehen, wie die Wilden sich an Carla sattessen. Doch damit nicht genug. Wenig später sollen auch die anderen Bewohner der Hütte dran glauben.
 Mit nur einer Kanone, einer Sense und einem Schürhaken bewaffnet, sehen die Chancen allerdings schlecht aus, den Überfall zu überleben. Als die Polizei um den dienstmüden Sheriff George Peters endlich begreift, was in den Wäldern dort vor sich geht, ist das Massaker schon in vollem Gange …
Mit seinem ersten Roman schuf Jack Ketchum 1981 gleich einen modernen Klassiker des Horror-Genres, der zunächst nur stark zensiert veröffentlicht werden konnte. 1989 konnte Ketchum sein Romandebüt endlich so herausbringen, wie es ihm eigentlich vorschwebte. Tatsächlich ist „Beutezeit“ nichts für schwache Gemüter. Mit der Konfrontation zwischen der Zivilisation und den Wilden lässt der Autor zwei in sich abgeschlossene, gänzlich verschiedene Gesellschaftsformen aufeinandertreffen und spielt auf unorthodoxe Weise mit den Konventionen des Genres. Sex, der Hunger nach Menschenfleisch und schließlich der pure Überlebenswille sind die treibenden Kräfte in „Beutezeit“, doch das klassische Happy End darf der Leser nicht erwarten. Was den packenden, mit allerlei furchterregenden Details geschmückten Roman noch abrundet, sind das Vorwort von Horror-Experte Douglas E. Winter und das Nachwort des Autors zur Entstehung und Metamorphose des Romans.

Jack Ketchum - „Amokjagd“

Donnerstag, 4. März 2010

(Heyne, 288 S., Tb.)
Da Susan tagsüber in der Mountain Lodge arbeitet und ihr Freund Wayne die Nachtschicht in der Black Locust Tavern übernimmt, sehen sich die beiden fast nur am Wochenende. An einem dieser gemeinsamen Tage machen sie einen kleinen Wanderausflug in die Berge, wo er sie beim brutalen Liebesspiel fast erwürgt. Wayne ist stets so voller Wut, dass er sogar ein Notizbuch führt, in dem er Beleidigungen gegen seine Person und so die Leute festhält, an denen er sich rächen kann. Ein glücklicher Zufall will es, dass er da oben auf dem Berge, nachdem Susan wütend ihre Sachen zusammengepackt hat, beobachtet, wie Carole Gardner ihren gewalttätigen Ehemann Howard zum Picknick in die Berge gelockt hat, wo er von ihrem Freund Lee mit einem Baseballschläger getötet wird. Das verpasst Wayne einen zusätzlichen Adrenalinkick. Endlich hat er beobachten können, wie Menschen das tun, wovon er selbst seit Ewigkeiten nur geträumt hat: einen Menschen umzubringen!
Lee und Carole machen sich anschließend nicht nur Sorgen darüber, dass ihre Tat entdeckt werden könnte, denn natürlich wird Carole von der Polizei verhört, als ihr Mann nicht mehr zur Arbeit erscheint. Aber in erster Linie plagen sie Gewissensbisse. Als Wayne die beiden Täter allerdings aufspürt und sie dazu zwingt, weitere Menschen umzubringen, geht der Wahnsinn erst recht los.
Jack Ketchum hat sich in seinen bisherigen Romanen „Beutegier“, „Evil“ und „Blutrot“ als Meister der abgründigen Spannung etablieren können. Auch „Amokjagd“ ist ein meisterhaftes Beispiel für die perfekte Inszenierungskunst des Autors, menschliche Extremsituationen und bösartige Wesenszüge schockierend realistisch zu schildern und so einen hypnotischen Sog zu erzeugen, dem man als Leser nicht entrinnen kann.

Jack Ketchum - „Blutrot“

Dienstag, 2. März 2010

(Heyne, 270 S., Tb.)
Irgendwann zwischen der Hochzeit seiner Tochter Alice und dem Tod seiner Frau Mary ist dem Gemischtwarenhändler Avery Ludlow die Lust an blutigen Sportarten abhanden gekommen. Und so ist ihm nur die alte Promenadenmischung mit Namen Red als Wegbegleiter geblieben. Als die beiden im Miller’s Bend Schwarzbarsche angeln, wittern beide den Besuch von drei jungen Männern, aber Ludlow nimmt den Geruch von Waffenöl eher wahr als der Hund. Nach einer anscheinend harmlosen Plauderei über Fischköder will der Junge mit der Schrotflinte aber auf einmal die Brieftasche des Alten. Doch da ihm die Beute nicht ausreicht, erschießt er kurzerhand den Hund, dann macht er sich mit seinen beiden Freunden wieder auf den Weg.
Da sich Ludlow Waffentyp und Kaliber merken konnte, ist er guter Hoffnung, den Käufer der Waffe zu finden, sollte sie in Moody Point oder der näheren Umgebung erstanden worden sein. Tatsächlich erhält er wenig später an der 95 bei Guns & Ammo den entscheidenden Tipp. Offensichtlich hat der Vater des Jungen, Michael McCormack, die Browning mit seiner American-Express-Karte bezahlt. Doch als er McCormack mit den Geschehnissen konfrontiert, streitet Danny, McCormacks Sohn, natürlich alles ab. Da Officer Tom Bridgewater und Rechtsanwalt Sam Berry offensichtlich auch wenig für Avery tun können, bleibt nur noch die Fernsehjournalistin Carrie Donnel, die sich für Averys Interessen stark macht. Doch Avery findet recht schnell heraus, dass nur er allein für Gerechtigkeit in dieser Angelegenheit sorgen kann … Auch wenn „Red“ gelungen mit Brian Cox und Tom Sizemore in den Hauptrollen verfilmt worden ist, bleibt die packende Vorlage des kurzen, rasanten Romans unerreicht.

Jack Ketchum - „Evil“

Montag, 1. März 2010

(Heyne, 334 S., Tb.)
Der 41-jährige David verdient gut an der Wall Street, hat zwei kinderlose Ehen hinter sich und betrachtet sich als erfolgreich, ausgeglichen und großzügig. Doch die schmerzvollen Erinnerungen an den Sommer des Jahres 1958 lassen ihn nicht zur Ruhe kommen. Damals sind die beiden Schwestern Megan und Susan Loughlin aus New York nach dem Unfalltod ihrer Eltern zu ihren Cousins Donny und Willie gezogen. Sie und ihre Mom, Ruth Chandler, wohnten gleich neben David. Ihr Mann Willie senior hat sie irgendwann mit drei Kindern auf einem Haufen Schulden in der Laurel Avenue sitzen gelassen und hat nun nichts Besseres zu tun, als die beiden Neuankömmlinge zu malträtieren.
David wundert sich zwar, dass er Susan gar nicht mehr zu Gesicht bekommt, aber wie grausam es in der Sackgasse zuging, in der aufwuchs, wusste er bereits durch das „Spiel“: Im Apfelgarten hatte der ausgewählte Kommandant die Möglichkeit, mit Äpfeln die Soldaten in ihren Verstecken abzuwerfen, bevor er selbst entdeckt und an einen Apfelbaum gefesselt wurde. Oftmals musste er dort bis zum Abend verharren, und als Denise anfing mitzuspielen, stellten die Jungs auch mehr Sachen mit ihr an, als sie nur an den Baum zu fesseln … Doch das richtige Grauen spielte sich im „Bunker“ ab, jenen Keller, den Willie Chandler senior zu Chruschtschows Zeiten als eine Art Atombunker ausgebaut hat, den die Kinder zum „Erschrecken“ aufsuchten. Als Megan beim Kommandanten-Spiel mitmachen sollte, überschritten die Teenager allerdings einige Grenzen …
In seinem Vorwort zu Jack Ketchums vielleicht besten Romans meint Stephen King, dass Jack Ketchum „für die Leser des Genres zu einer Kultfigur und für Autoren von Horrorgeschichten zu einem Helden geworden ist“. Tatsächlich dürften nur Clive Barker und Richard Laymon ähnlich drastisch und dabei so erfolgreich im Horror-Genre wirken, allerdings kommt bei Ketchum eine „verzweifelte Weltsicht“ hinzu, wie King ebenfalls bemerkt. Bei ihm erscheint die Brutalität, mit der Menschen aufeinander zugehen, erschreckend natürlich, und das macht seine Romane wirklich gruselig.