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Robert R. McCammon – „Nach dem Ende der Welt“

Samstag, 6. April 2024

(Knaur, 524 S., Tb. / Festa, 450 und 370 S., Tb.) 
Stephen Kings 1978 veröffentlichtes Weltuntergangs-Szenario „The Stand – Das letzte Gefecht“ zählt nicht nur zu den frühesten, bekanntesten, sondern auch umfangreichsten Werken des „King of Horrors“ und erschien zunächst in gekürzter Fassung, ehe 1990 mit der gewachsenen Popularität des Autors eine um 400 Seite längere ungekürzte Fassung veröffentlicht wurde. Robert R. McCammon avancierte in den 1980er Jahren mit Romanen wie „Höllenritt“, „Blutdurstig“ und „Wandernde Seelen“ zu einem ernst zu nehmenden Horror-Autor aus der zweiten Reihe, der 1987 mit „Swan Song“ seine eigene apokalyptische Vision auf den Markt brachte. 
Nachdem Knaur 1988 eine vom „Kollektiv-Druckreif“ übersetzte und gekürzte Version unter dem Titel „Nach dem Ende der Welt“ auf den deutschen Markt gebracht hatte, ließ Festa 2015 eine neu übersetzte und zweibändige, vollständige Neuauflage folgen, die die Schwächen der deutschen Erstveröffentlichung allerdings auch nicht ausmerzen konnte. 
Als sich die USA von einer sowjetischen Atom-U-Boot-Flotte vor ihren Küsten bedroht sieht, lässt sich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika von seinen militärischen Beratern zu einem atomaren Präventivschlag gegen die UdSSR überreden und sorgt so für die atomare Apokalypse, die mit einem Schlag Milliarden von Menschenleben vernichtet und unzählige weitere mit schweren Verbrennungen und anderen Gebrechen zurücklässt. 
Währenddessen macht sich der Catcher Josh(ua) „Black Frankenstein“ Hutchins nach seinem überraschenden Sieg gegen Johnny Lee Richwine auf dem Weg nach Garden City in Kansas und die neunjährige Sue „Swan“ Wanda flieht mit ihrer Mutter Darleen vor dem gewalttätigen Tommy nach Blakeman im Nordwesten von Kansas, als sich der Himmel über ihnen verdunkelt. Unter den wenigen Überlebenden befindet sich auch die obdachlose, regelmäßig über die baldige Wiederkunft Jesu in seinem Raumschiff predigende Sister Creep, die durch Zufall die Auslöschung Manhattans überlebt hat. Zusammen mit einem Schuhverkäufer namens Artie macht sie sich auf den langen und gefährlichen Weg nach Detroit, um Arties Frau zu finden. Durch Zufall findet sie einen scheinbar magischen Glas-Ring, der ihr einen Rest von Hoffnung beschert. 
Zunächst unbeschadet überleben der 14-jährige Roland Croninger und sein Vater Phil die nukleare Katastrophe in dem von Colonel Macklin geleiteten Earth House, das zwar zum Schutz vor einem Atomkrieg errichtet worden ist, allerdings etliche Baumängel aufweist. Roland ist von dem charismatischen, allerdings auch traumatisierten Kriegshelden fasziniert und schließt sich der „Glorreichen Armee“ des Colonels an, der immer mehr Anhänger um sich zu scharen versteht und einen beispiellosen Raubzug durch die wenigen noch verbliebenen Städte des Landes organisiert. Ihr Ziel ist der Ort Mary’s Rest, wo Sister, Swan und Josh nach ihrer gemeinsamen Reise nach sieben Jahren ein wenig Hoffnung verbreiten können, weil das Mädchen über die beeindruckende Gabe verfügt, selbst dem trostlosesten Boden wieder Leben einzuhauchen. Doch das personifizierte Böse bedroht auch die letzte Bastion der Überlebenden… 
„Sister und Josh unterhielten sich darüber, was für eine Kreatur der Mann mit dem scharlachroten Auge sein könnte. Sie war sich unklar, ob sie an einen gehörnten und gabelschwänzigen Teufel glauben sollte, aber sie kannte das Böse gut genug. Wenn er nach ihnen sieben Jahre gesucht hatte, hieß das, dass er nicht alles wusste. Er war sicher listig, und vielleicht waren seine Eingebungen messerscharf, vielleicht konnte er das Gesicht wechseln, wie er wollte, vielleicht die Menschen mit einer Berührung in Flammen setzen, aber er war dümmlich und machte Fehler. Und vielleicht war seine größte Schwäche die Überzeugung, dass er verdammt viel schlauer sei als ein menschliches Wesen.“ (S. 368) 
37 Jahre nach seiner ursprünglichen Veröffentlichung scheint McCammons „Swan Song“ von erschreckender Aktualität zu sein, denn angesichts des andauernden Angriffskriegs der Russen gegen die Ukraine und den blutigen Auseinandersetzungen in Gaza sowie der drohenden erneuten US-amerikanischen Präsidentschaft von dem Mann mit der komischen Frisur wirkt das Szenario eines atomaren Krieges gar nicht so weit hergeholt. 
McCammon lässt seine Geschichte in einer vom Zeitpunkt des Schreibens nicht allzu entfernten Zukunft spielen und malt das erschreckende Bild internationalen Wettrüstens, dem Ausbreiten von terroristischen Organisationen einerseits und der wachsenden Armut und der Hungernöte auf der ganzen Welt andererseits. Vor diesem Hintergrund formieren sich nach der weitreichenden nuklearen Zerstörung in den USA zwei Lager, die auf einen großen Endkampf zwischen Gut und Böse hinsteuern. Während Colonel Macklin in den sieben Jahren nach der atomaren Zerstörung mit dem jungen Roland Croninger einen effizienten Vollstrecker heranwachsen sieht, der sich als „Ritter des Königs“ sieht und skrupellos seine Ziele verfolgt, um für die Glorreiche Armee mehr Nahrungsmittel, Wasser und vor allem Waffen und Munition zu besorgen, entwickelt sich das Mädchen Swan zu einer Führerin mit lebensspendenden Kräften. 
An Stephen Kings Meisterwerk „The Stand“ reicht „Swan Song“ lang nicht heran. Dafür hat McCammon zu wenig Sorgfalt bei der Zeichnung seiner zahlreichen, oft eindimensional und klischeehaften wirkenden Figuren walten lassen. Auch der Plot ist nicht stringent entwickelt und wirkt stark episodenhaft, so dass kaum eine dramaturgisch gefällige Spannung aufgebaut wird. 
Die übernatürlichen Elemente forcieren zwar den ausgeprägten Dualismus, wären aber nicht nötig gewesen, um die Geschichte überzeugend erzählen zu können. So hat sich McCammon mit „Nach dem Untergang der Welt“ zwar viel vorgenommen und überzeugt auch sprachlich, doch die nicht sehr gelungene Konstruktion des Endkampfs zwischen Gut und Böse bleibt ein Makel, das auch die erweiterte Neuübersetzung nicht in den Griff bekommt.


Robert R. McCammon – „Durchgedreht“

Sonntag, 24. März 2024

(Knaur, 544 S., Tb.) 
Robert R. McCammon stand zwar stets im Schatten der großen Horror-Autoren Stephen King, Dean R. Koontz, Peter Straub und Clive Barker, hat in den 1980er Jahren aber eine ganze Reihe lesenswerter Genre-Werke wie „Höllenritt“, „Tauchstation“, „Blutdurstig“, „Wandernde Seelen“ und „Das Haus Usher“ publiziert, die auch hierzulande eine treue Leserschaft fanden. 
Während die deutschen Übersetzungen allesamt bei Knaur erschienen sind, wechselte Campbell in den USA von Avon Books über Henry Holt & Company bis zu Pocket Books, die sich schließlich nicht mit den Ambitionen des Schriftstellers anfreunden konnten, dass dieser auch mal abseits des Horror-Genres seine literarischen Qualitäten ausprobieren wollte. So kam es, dass der 1992 veröffentlichte Roman „Gone South“ für lange Zeit das letzte Werk von McCammon gewesen sein sollte. Dabei demonstrierte der Autor gerade mit seinen „normalen“ Thrillern „Unschuld und Unheil“ und „Durchgedreht“ (der deutschen Ausgabe von „Gone South“) die ganze Palette seines Könnens. 
Wie so viele Vietnam-Veteranen hat der 42-jährige Dan Lambert nicht die besten Erinnerungen an seinen Einsatz in Fernost. Es sind jedoch nicht nur die Flashbacks an unmenschliche Gemetzel und den sinnlosen Tod befreundeter Kameraden, sondern auch die Nachwirkungen des in Vietnam eingesetzten Agent Orange, die Lambert zusetzen, leidet er doch unter Leukämie und einem Gehirntumor. Sein Vietnam-Trauma zerstörte seine Ehe und hat dazu geführt, dass er seinen Sohn Chad seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hat. Dazu ist der Arbeitsmarkt anno 1991 in Shreveport, Louisiana, nicht gerade rosig. Mit den Raten für seinen Pick-up hängt Lambert seit zwei Monaten hinterher, und die Fahrten nach Death Valley, wo er immer wieder vergeblich einen Job als Tagelöhner zu finden versucht, erweisen sich als deprimierende Pflichtaufgabe. 
Während Lamberts bisheriger Bankberater Mr. Jarrett noch Verständnis für seine Situation hatte und die Raten stundete, zitiert ihn Jarretts knochenharter Nachfolger in die First Commercial Bank, um seinen Wagen zu pfänden. Lambert tickt daraufhin aus, und als ihm der skrupellose Emory Blanchard eine Pistole auf ihn richtet, schnappt sich der in die Enge getriebene Handwerker die Waffe des herbeigeeilten Sicherheitsmannes und schießt Blanchard in den Hals. In einer weiteren Kurzschlussreaktion flüchtet Lambert aus der Stadt. Die Bank setzt eine Belohnung von 15.000 Dollar auf Lamberts Ergreifung aus, worauf der schmierige Kautionsagent Smoates den routinierten Kopfgeldjäger Flint Murtaugh auf Lambert ansetzt. 
Dass Smoates darauf besteht, Murtaugh den Elvis-Imitator Cecil „Pelvis“ Eisley einzuarbeiten, bringt Murtaugh schnell zur Weißglut und führt immer wieder dazu, dass das kuriose Duo die sicher geglaubte Beute wieder aus den Augen verliert. Lambert gabelt unterwegs in einer Kneipe die junge Arden Halliday auf, die auf der Suche nach dem „Leuchtenden Mädchen“ ist, einer Heilerin, von der Arden hofft, dass sie Ardens riesiges Feuermal im Gesicht beseitigt. Doch die Odyssee in den Süden wird von weiteren Komplikationen und Leichen begleitet… 
„Selbst wenn er im Schutz der Dunkelheit fuhr, wusste er doch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor die Polizei ihn fand. Und seine Zeit lief schnell ab, wie es schien. Sollte er weiterhin versuchen zu fliehen oder einfach aufgeben und selbst die Polizei rufen? Es gab kein Entrinnen vor dem Gefängnis; es gab kein Entkommen vor der Krankheit, die Stück für Stück sein Leben verschlang. Nach Süden abgegangen, nach Süden abgegangen, dachte er. Wohin konnte man fliehen, wenn alle Auswege blockiert waren?“ (S. 280) 
Mit der Bezeichnung „Nach Süden abgegangen“ – und da wären wir auch bei der Erklärung des Romantitels „Gone South“ - beschreibt Dan Lambert die Erkenntnis, die falsche Abzweigung im Leben genommen zu haben, und vor allem die ersten Seiten und die Erinnerungen an die schreckliche Zeit in Vietnam, wo Lambert seinen besten Freund Farrow verloren hat, machen deutlich, welche dramatischen Entbehrungen und Verluste Lambert in seinem Leben hinnehmen musste. 
McCammon gelingt es gerade durch die Flashbacks, Lambert als pflichtbewussten Soldaten zu charakterisieren, der während des Krieges leider feststellen musste, dass er und seine Kameraden in einem sinnlosen Krieg verheizt wurden, und nun aufgrund der dort erlittenen psychischen wie körperlichen Beeinträchtigungen nicht mehr seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Und trotzdem gibt er nie die Hoffnung auf, fährt Tag für Tag ins deprimierende Death Valley, um wieder keinen Job zu bekommen. 
McCammon beschränkt sich aber nicht nur auf die Geschichte eines Mannes auf der Flucht, sondern nimmt sich sehr viel Zeit, um Lamberts Jäger einzuführen, den aus einer Freak-Show stammenden Murtaugh (den haarlosen, aus seinem eigenen Körper ragenden Arm seines Bruders Clint mit dem fast unscheinbaren Mund versucht Flint so gut wie möglich vor den Augen anderer zu verstecken) und den leicht dümmlich wirkenden, korpulenten Elvis-Imitator Pelvis Eisley. Hier kommt McCammons Mitgefühl für die Randschichten der Gesellschaft, die Abgehängten und Verlorenen, zum Ausdruck, allerdings wirkt die Zusammenstellung des Kopfgeldjäger-Gespanns mehr als unglaubwürdig, denn warum Smoates ausgerechnet einen völlig ungeeignet erscheinenden Elvis-Imitator an die Seite eines routinierten, wenn auch ebenfalls skurril wirkenden Jägers stellen sollte, wird nie plausibel erklärt. Dieses Gespann ist es allerdings auch, was der Hetzjagd einige komische Momente beschert – ob man dies in einem Thriller schätzt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Mit der durch ein Feuermal entstellten Arden und dem Motel-Ehepaar finden sich aber noch weitere merkwürdige Figuren in einem Thriller, der gerade zum Finale hin auch einiges an Action bietet. 
„Durchgedreht“ zählt sicher zu den besten Romanen von McCammon und wartet mit einer Handvoll interessanter, sorgfältig gezeichneter Figuren auf, doch leidet die Dramaturgie immer wieder durch Ungereimtheiten im stellenweise sehr konstruiert wirkenden Plot.


Robert R. McCammon – „Die schwarze Pyramide“

Samstag, 27. Januar 2024

(Knaur, 508 S., Tb.) 
Nachdem Robert R. McCammon mit „Baal“, „Höllenritt“, „Tauchstation“, „Blutdurstig“, „Wandernde Seelen“, „Das Haus Usher“ und „Nach dem Ende der Welt“ etliche Topoi des Horror-Genres verarbeitet hatte, legte er 1988 mit „Stinger“ einen Roman vor, der sich als interessante Variante des Besuchs von Außerirdischen auf der Erde entpuppte. 1989 erschien die deutsche Übersetzung als „Die schwarze Pyramide“ wie alle McCammon-Romane im Knaur-Verlag. 
Das irgendwo in der texanischen Wüste liegende Kaff Inferno wird von zwei rivalisierenden Gangs dominiert. Auf der einen Seite treiben die Renegades ihr Unwesen. Zu ihnen zählt auch der achtzehnjährige Cody Lockett, dessen nichtsnutziger Vater Curt sich ganz dem Alkohol verschrieben hat. In Bordertown, dem südlich der Snake-River-Brücke gelegenen mexikanischen Viertel der dahinsiechenden Stadt, regieren die Culebra de Cascabel, die Rattlers. 
Cody wird ebenso Zeuge der seltsamen Ereignisse am Morgen wie die Tierärztin Jessie Hammond, ihr siebenunddreißigjähriger Mann Tom, der als Sozialkundelehrer an der Preston High School arbeitet, und ihre gemeinsame Tochter Stevie. Als Jessie mit Stevie zu einer Hacienda fährt, beobachtet sie Hintergrund einer Kupfermine, wie ein zylinderförmiges, rotglühendes, von Flammen umgebendes Objekt auf sie zugeflogen kommt. Nachdem das hintere Teil des Objekts explodiert ist, wird auch Jessies Wagen von den in alle Richtungen fliegenden Trümmern getroffen. 
Danach ist nicht nur Inferno nicht mehr wiederzuerkennen. Stevie, die eine merkwürdig aussehende, in der Konsistenz undefinierbare Kugel an sich nimmt, wird von einem außerirdischen Wesen in Besitz genommen, das sich Daufin nennt und in kürzester Zeit durch Lexika die amerikanische Sprache aneignet und Infernos Bewohner darauf aufmerksam macht, dass ein mächtiger Feind aus dem All, der sogenannte „Stinger“, auf der Suche nach ihr sei. 
Die Kreatur ist mit einem Raumschiff in der Form einer schwarzen Pyramide in Inferno gelandet und hat ein Energienetz um die Stadt gelegt, das niemanden aus der Stadt heraus- und in sie hineinlässt. Mit der Hilfe des bereits vor Ort befindlichen Militärs und einiger tapferer Einwohner versucht Daufin, Stinger das Handwerk zu legen. Dabei ziehen erstmals die verfeindeten Gangs an einem Strang, und Rick von den Rattlers versucht, seine Schwester Miranda, in die sich Cody verguckt hat, aus den Fängen des Ungeheuers zu retten. 
„Er sah zwar Feuer auf der Brücke, hatte aber keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen; stattdessen kletterte er über den Zaun, rutschte eine rote Böschung hinunter und blieb in dem schlammigen Wasserrinnsal liegen. Hinter sich konnte er die Häuser splitternd und krachend auseinanderfliegen hören. Noch ein, zwei Minuten, dann hatte das Wesen es geschafft; es würde durchbrechen und über den Fluss kommen.“ (S. 424) 
Zwei außerirdische Wesen, die in einem dem Untergang geweihten Kaff mit dem treffenden Namen Inferno einen ungleichen Kampf um Leben und Tod abfackeln, dient McCammon in seinem Horror-Roman als Ausgangspunkt für einen actionreichen Plot, der seinen Fokus vor allem auf die Beschreibung detaillierter Brutalität bei Stingers Suche nach dem außerirdischen Ausreißer legt. Zwar stellt der Autor zu Beginn eine Menge interessanter Charaktere vor, doch mehr als eine kurze Vita der Hammonds, der Witwe der Preston-Kupfermine, des in kriminelle Machenschaften verwickelten Unternehmers Mack Cade, der auch Sheriff Vance auf seiner Gehaltsliste stehen hat, und der Vater-Sohn-Beziehung von Curt und Cody, bietet er nicht an. Selbst die Rivalität zwischen Rick und Cody sowie ihre gemeinsame Sorge um Ricks Schwester Miranda wird nur oberflächlich abgehandelt. Dieses Vorgehen verhindert, dass McCammons Publikum wirklich tief in die Geschichte eintauchen kann und nur wenig Empathie für das Schicksal der Stadt und ihrer Einwohner aufbringt. 
„Die schwarze Pyramide“ verschenkt so leider einen Großteil seines Potenzials und gefällt vor allem durch McCammons sprachliche Gewandtheit. 

 

Robert R. McCammon – „Wandernde Seelen“

Samstag, 20. Januar 2024

(Knaur, 446 S., Tb.) 
Mit seinen ersten Romanen „Baal“, „Höllenritt“, „Tauchstation“ und „Blutdurstig“ avancierte der US-Amerikaner Robert R. McCammon vor allem Anfang der 1980er Jahre zu einem der interessantesten Horror-Autoren der Neuzeit. Auch wenn er stets in zweiter Reihe hinter Autoren wie Stephen King, Peter Straub, Dan Simmons, Clive Barker und Dean Koontz stand, präsentierte McCammon bis in die 1990er Jahre hinein atmosphärisch dichte Gruselgeschichten, die vor allem sprachlich weit über dem Durchschnitt des Genres lagen. Mit „Wandernde Seelen“, 1983 unter dem Originaltitel „Mystery Walk“ veröffentlicht, eroberte McCammon 1988 auch das deutsche Horror-Publikum. 
Billy Creekmore lebt in den 1960er Jahren in der kleinen Ortschaft Hawthorne, Alabama, und verfügt wie seine Mutter Ramona, die zu einem Viertel eine Choctaw-Indianerin ist, über die außergewöhnliche Gabe, mit den Toten zu reden und ihnen gerade nach einem gewaltsamen Tod Frieden zu verleihen. Davon will sein Vater, ein fundamentalistischer Baptist, nichts wissen. 
Als Dave Booker seine Frau Julie Ann und seinen Sohn Will tötet und das Haus abbrennt, wird Billy wie magisch von den Ruinen des Hauses angezogen und findet die Leiche seines Schulfreundes unter dem Kohlehaufen im Keller. Zu dieser Zeit macht sich der prominente Zelt-Prediger Jimmy Jed „J.J.“ Falconer mit seinem Sohn Wayne auf den Weg nach Hawthorne, um auch dort – wie zuvor in anderen Teilen des Südens – allerlei Menschen von ihren Schmerzen, Missbildungen und Krankheiten zu heilen und so Teilnehmer des Falconer-Kreuzzugs zu gewinnen. Die Familie Creekmore nimmt an dem Erweckungsgottesdienst teil und wird Zeuge, wie Wayne einige Kranke heilt, doch sowohl Billy als auch seine Mutter nehmen die schwarzen Wolken in der Aura der Todgeweihten wahr. Als Ramona sich erhebt und gegen die ihrer Meinung nach verwerflichen Praktiken protestiert, werden die Creekmores aus dem Zelt verwiesen. Romana sucht mit Billy ihre Mutter Rebekah auf, die Billy in das Geheimnis seines spirituellen Erbes eingeweiht wird. 
Sieben Jahre später besucht Billy die Oberschule in Fayette County, der Heimat der Falconers. Billy wird vom Besitzer des örtlichen Sägewerks gebeten, den Geist eines Mannes zu vertreiben, der bei einem Unfall mit einer Säge auf schreckliche Weise ums Leben gekommen ist, worauf die Arbeiter von den unheimlichen Geräuschen im Werk so abgeschreckt worden sind, dass sie nicht mehr zur Arbeit kommen. Zwar hat Billy mit seiner Methode Erfolg, doch von den örtlichen Christen erntet Billy nur Hohn und Spott. In einer Zeit, in der vor allem im Süden die Rassentrennung noch gelebte Realität ist, werden Ramona und Billy schließlich aus dem Dorf gejagt, während John als strenggläubiger und rechtschaffender Christ bleiben darf. Billy heuert bei der Gespenstershow von Dr. Mirakel an und verliebt sich in die Tänzerin Santha. 
Von dort aus zieht es ihn nach Chicago, wo Dr. Hillburn in ihrem Institut feststellen will, wie es wirklich um Billys paranormale Fähigkeiten bestellt ist. Während die Falconers einen Plan schmieden, Billy und Ramona aus dem Verkehr zu ziehen, wird Billy in den Ruinen eines niedergebrannten Wohnhauses mit mehreren unruhigen Geistern konfrontiert… 
„Überall um sich herum konnte er sie ahnen. Sie waren im Rauch, in der Asche, in den verbrannten Gebeinen und entstellten Gestalten. Sie waren in der Luft und in den Wänden. Es gab an diesem Ort zu viel Seelenqual; tonnenschwer lag sie in der dichten Luft, und das Entsetzen darin knisterte wie Strom. Doch Billy wusste, dass es zum Fliehen nun zu spät war. Er würde tun müssen, was er konnte.“ (S. 375f.)
Robert R. McCammon hat mit „Wandernde Seelen“ vor allem einen einfühlsamen Coming-of-Age-Roman über zwei Brüder geschrieben, die nach ihrer Trennung in spirituell unterschiedlich geprägten Familien aufgewachsen sind und sich im frühen Erwachsenenalter mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten und den Erwartungen auseinandersetzen müssen, die von den Bedürftigen im südlichen Teil der Staaten an sie gestellt werden.  
McCammon gelingt es dabei sehr überzeugend, die unterschiedlichen Geisteshaltungen zu beschreiben, die den Lebenswelten der Creekmores auf der einen und der Falconers auf der anderen Seite zugrunde liegen. Der Kampf zwischen Adler und Schlange treibt schließlich die Handlung voran und macht vor allem deutlich, dass die wahren oder eingebildeten Fähigkeiten der beiden Brüder nur zwei Seiten derselben Medaille sind. Dabei berücksichtigt der Autor sowohl die giftige Atmosphäre der Rassendiskriminierung als auch die spirituelle Tradition der amerikanischen Ureinwohner, das Streben nach Macht ebenso wie den Wunsch, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. 
Zwar beugt sich McCammon im Finale etwas zu sehr den Konventionen des Genres, doch zählt „Wandernde Seelen“ definitiv zu den besseren Frühwerken des Autors. 

 

Robert R. McCammon – „Tauchstation“

Montag, 4. Dezember 2023

(Knaur, 400 S., Tb.) 
Als Robert R. McCammon Ende der 1970er Jahre seine Schriftsteller-Karriere begann, arbeitete er sich zunächst an den Archetypen des Horror-Sujets ab. Nach seinem Debüt mit „Baal“, der auf der Welle von Blockbustern wie „Der Exorzist“ und „Das Omen“ schwamm, beschwor „Höllenritt“ alte Dämonen herauf, und so durfte man gespannt sein, was dem amerikanischen Genre-Schreiber für sein nächstes Werk einfallen würde. „Tauchstation“, 1980 unter dem passenderen Titel „The Night Boat“ im Original veröffentlicht, vermischt das von den Nazis erzeugte Grauen mit Voodoo-Flüchen, kommt aber über das Mittelmaß nie hinaus. 
Nachdem er vor ein paar Jahren seine Frau und seine Tochter bei einem tragischen Unglück verlor, zog sich der ehemalige Finanzier David Moore auf die kleine Karibik-Insel Coquino zurück, wo er nicht nur das Hotel „Indigo Inn“ führt – in das sich selten genug Touristen verirren -, sondern auch ausführliche Tauchfahrten unternimmt, um versunkene Schiffswracks aufzuspüren. Bei einem dieser Tauchgänge stößt Moore unter einem Berg von Sand auf ein sehr gut erhaltenes U-Boot, das sich nach der Detonation einer ebenfalls freigelegten Wasserbombe an die Oberfläche bewegt und als das nazideutsche U-Boot 198 entpuppt. 
Durch die Strömung bewegt sich das Boot zielstrebig auf den Hafen der Insel zu und sorgt dort für extreme Unruhe. Constable Steve Kip lässt das Boot erst einmal in einem Schuppen von Langstrees Bootswerft einschließen, bis geklärt worden ist, was mit dem Wrack geschehen soll, denn darüber herrscht auf der Insel Uneinigkeit. Während die einen es gar nicht erwarten können, den vermeintlichen „Schatz“ zu erforschen, sind es vor allem die Ureinwohner, die das unheilvolle Wrack schnellstmöglich wieder in den Meerestiefen versinken lassen wollen. 
Doch ein übereifriger Inselbewohner kommt diesen Überlegungen zuvor und verschafft sich Zugang zu dem U-Boot, doch statt des erhofften Goldes findet der Mann den Tod und befreit die mumifizierten Leichen der Besatzung aus ihrem Grab. Nachdem sie vor gut vierzig Jahren auf dem Meeresgrund ihre Lebenssäfte eingebüßt haben, dürsten sie nun nach Rache und versetzen die Bewohner auf Coquino in Angst und Schrecken. Dass mit Schiller der letzte Überlebende der U-198 und mit Dr. Jana Thornton eine für das Britische Museum arbeitende Meeresarchäologin die Insel besuchen, trägt nicht gerade zur Beschwichtigung der um sich greifenden Hysterie bei, während sich die verfluchten U-Boot-Soldaten in einem unerbittlichen Blutrausch an den noch wirklich Lebenden zu laben beginnen … 
„Als er in diese Augenhöhlen starrte, begriff Moore, worin das Erbe des U-Boots bestand. Seine Insassen waren zu einem Leben im Tode verdammt, einem Schwebezustand von seelischer Qual und fleischlicher Verwesung. Irgendeine gottlose Macht hatte sie am Leben erhalten, als lebende Leichname in einem eisernen Sarg … und er selbst hatte sie aus dieser Gruft befreien helfen.“ (S. 277f.) 
Mit „Tauchstation“ verbindet Robert McCammon gleich mehrere Topoi des Horror-Genres, vermischt Nazi-Greuel mit monsterähnlichen Schrecken aus der Tiefe und Voodoo-Flüchen. Da ist erst einmal die paradiesische Idylle einer nicht allzu bekannten Insel in der Karibik, doch der Schein trügt, denn die Karaiben und die meist weißen Fischer trauen sich kaum über den Weg. McCammon gelingt es zwar, die Atmosphäre des Insellebens einzufangen, doch gewinnen seine Figuren dabei kaum Kontur. Es wird zwar kurz erwähnt, welche Traumata sowohl David Moore als auch Steve Kip in ihrer Vergangenheit erlebt haben, doch in die Tiefe geht der Autor bei der Charakterisierung seiner Protagonisten leider nicht, weshalb der Leser kaum Nähe zu den Figuren und ihren Schicksalen aufbaut. Ohnehin scheint das geheimnisvolle Auftauchen des über viele Jahre verschütteten U-Boots nur ein Prolog zu dem blutigen Massaker zu sein, das die zombifizierte, mit einem Voodoo-Fluch belegte U-Boot-Besatzung nach ihrer Befreiung auf der Insel anrichtet. 
Hier läuft McCammon schließlich zur Hochform auf, wenn er das Gemetzel in farbenfroher Detailverliebtheit schildert. Dank der sprachlichen Gewandtheit des Autors lässt sich der vorhersehbare Plot auch schnell konsumieren, aber besonders subtil und tiefgründig ist das nicht. 
„Tauchstation“ ist unterhaltsamer Horror-Trash, eine wenig originelle Fingerübung eines damals noch jungen Autors.


Robert R. McCammon – „Höllenritt“

Montag, 18. September 2023

(Knaur, 398 S., Tb.) 
Obwohl der US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon bereits 1978 seinen Debütroman „Baal“ veröffentlicht hat und in der Folge neben Stephen King, Dean Koontz, James Herbert und Peter Straub zu einem der bedeutendsten Autoren des Horror-Genres avancierte, brauchte es zehn Jahre, bis auch das deutsche Publikum in den Genuss seiner Werke kam, als Knaur 1988 begann, seine Romane hierzulande zu veröffentlichen. „Höllenritt“ erschien 1980 in McCammons Heimat unter dem Titel „Bethany’s Sin“ und bedient sich wie McCammons erfolgreiches Romandebüt vor allem mythologischer Elemente, diesmal rund um die griechische Göttin Artemis. 
Nachdem der Vietnam-Veteran Evan Reid seinen Redakteurs-Job in LaGrange verloren hat, zieht er mit seiner Frau Kay und ihrer gemeinsamen Tochter Laurie im Juni 1980 in das beschauliche 800-Seelen Dorf Bethany’s Sin, wo ihm die Immobilienmaklerin Marcia Giles ein traumhaft schönes Haus in der McClain Terrace zu einem mehr als annehmbaren vermittelte. 
Während Kay nach den Sommerferien eine Stelle als Mathematiklehrerin am nahegelegenen George Ross Junior College antritt, will sich Evan auf seine Schriftstellerkarriere konzentrieren. Doch wie in der Vergangenheit wird Evan auch hier von prophetischen Alpträumen heimgesucht, die ihn ebenso beunruhigen wie seine Frau, die am liebsten nichts mehr über sie hören möchte. Bethany’s Sin wirkt jedoch nur auf den ersten Blick so idyllisch. Tatsächlich bemerkt auch der Wanderarbeiter Neely Ames, der vom Bürgermeister für alle möglichen Arbeiten eingestellt wird, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht. Er mäht Rasen rund um ein verlassen wirkendes Haus und findet auf dem nahegelegenen Schuttplatz die Reste von menschlichen Zähnen. 
Als er nachts von dämonisch wirkenden Frauen auf Pferden angegriffen wird, erzählt er nach ein paar Bieren auch dem Schriftsteller davon, der sich gerade bemüht, etwas von der Geschichte des Dorfes zu erfahren. Als er die ebenso schöne wie geheimnisvolle und aristokratische wirkende Dr. Drago und ihre Historische Gesellschaft kennenlernt, kommt er dem Geheimnis von Bethany’s Sin gefährlich nahe… 
„Diese Augen brannten in seinem Gehirn; auch wenn er seine schloss, sah er sie noch deutlich; feurige Halbkugeln irgendwo hinter seiner Stirn. Jetzt, nach diesem zweiten Traum, wusste er es. Und fürchtete das grässliche Wissen. Etwas in diesem friedlichen Ort Bethany’s Sin jagte ihn. Es kam immer näher.“ (S. 141) 
Nachdem Robert R. McCammon mit „Baal“ einen alten kanaanitischen Gott der Sexualität und des Opfers in den Mittelpunkt seines apokalyptischen Debütromans gestellt hatte, ist es in „Höllenritt“ Artemis, die griechische Göttin der Jagd, der Jungfräulichkeit, des Waldes, der Geburt und des Mondes sowie die Hüterin der Frauen und Kinder, die den Rahmen für eine abenteuerliche Geschichte in einem nur auf den ersten Blick ruhigen und hübschen Dorf bildet und durch die Archäologin Dr. Kathryn Drago nach einer Ausgrabung in der Türkei wiederbelebt worden ist. 
McCammon bleibt in seiner Geschichte vor allem nah an der Reid-Familie, wobei die Ehe durch Evans unheimliche Träume bereits in der Vergangenheit arg gelitten hat. Die Traumata, die Evan durch seine Teilnahme am Vietnam-Krieg erlitten hat, werfen auch einen Schatten über den Neuanfang seiner Familie in Bethany’s Sin, und McCammon nimmt sich viel Zeit, die Auswirkungen von Evans besonderen Träumen auf den Neuanfang zu schildern. Auch die Beschreibung der feinsinnigen Empfindungen in dem neuen Umfeld gelingt dem Autor sehr gut. 
Nachdem er seine Leserschaft aber so geschickt in den Lauf der Geschichte eingebettet hat, braucht es allerdings schon ein enormes Maß an Gutgläubigkeit, um die Ereignisse bei den Ausgrabungen, die Dr. Drago in der Türkei durchgeführt hat, auf die unheimlichen Vorkommnisse in Bethany’s Sin übertragen zu können. 
Anfang der 1980er Jahre, als Stephen King schon so wegweisende Romane wie „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“ und „The Stand – Das letzte Gefecht“ veröffentlicht hatte, traf „Höllenritt“ sicher noch den Nerv der Zeit. Heute gefällt vor allem nach wie vor McCammons sprachliche Finesse, während die Originalität der Geschichte bereist Staub angesetzt hat und noch wie eine Fingerübung für spätere Arbeiten wirkt. 

 

Robert R. McCammon – „Baal“

Samstag, 9. September 2023

(Knaur, 346 S., Tb.) 
Der 1952 in Birmingham, Alabama, geborene Robert R. McCammon gesellte sich in den ausgehenden 1970er Jahren zu der Elite bereits etablierter Horrorautoren wie Stephen King und Dean Koontz hinzu, als er im Alter von 25 Jahren seinen Debütroman „Baal“ veröffentlichte, mit dem der Autor seine Variante des ewigen Kampfes zwischen Gut und Böse thematisierte. 
Als sich die zwanzigjährige Kellnerin Mary Kate Raines nach dem Ende ihrer Schicht auf den Weg zur Bushaltestelle macht, wird sie in einer dunklen Gasse von einem Mann angegriffen und brutal vergewaltigt. Als sie im Krankenhaus untersucht wird, stellt der behandelnde Arzt merkwürdige Verbrennungsmale an ihrem Körper fest, die die Form von Handabdrücken aufweisen, und zwar nicht nur im Unterleib und auf Armen und Schenkeln, sondern auch auf jedem Lid ist ein Fingerabdruck hinterlassen worden. Mary Kate bringt das Kind gegen den Willen ihres Mannes Joe zur Welt, doch stellt sie bald fest, dass ihr Sohn Jeffrey etwas aus der Art geschlagen ist. 
Nachdem Joe unter mysteriösen Umständen ums Leben gekommen ist, wächst Jeffrey in einem Knabeninternat auf, wo er sich allerdings weigert, auf seinen Namen zu hören, und stattdessen mit Baal angesprochen zu werden fordert. Bald schon versammelt der Junge seine Altersgenossen um sich und beunruhigt mit seinem Verhalten sowohl die Schwestern als auch Pater Dunn. Schließlich brennt das Waisenhaus nieder… 
Jahre später reist Dr. Donald Naughton, Professor der Theologie an der Universität von Boston City, im Rahmen seiner Recherchen über Messiaskulte nach Kuwait, wo ein Mann namens Baal ganze Menschenmassen aus aller Welt mobilisiert hat, ihm zu folgen und sich in wilder Raserei während der Versammlung zu paaren. Als Dr. James Virga, Naughton Vorgesetzter an der Universität, nichts mehr von Naughton hört und schließlich von dessen Frau Judith einen verstörenden Brief ihres Mannes vorgelegt bekommt, reist er selbst nach Kuwait, um seinen Freund ausfindig zu machen, doch was er dort entdeckt, übersteigt jede Vorstellungskraft. 
Virga lernt einen geheimnisvollen Mann namens Michael kennen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Baal bis ans Ende der Welt zu jagen und unschädlich zu machen. Dr. Virga schließt sich dem Mann an und folgt ihm bis nach Grönland, wo Baal nach einem Zwischenfall im Nahen Osten mit einigen seiner Anhänger geflüchtet sein soll… 
„Wo ist Gott? fragte er sich. Ist die Menschheit so hoffnungslos verloren, dass Gott diesen Augenblick ohne einen einzigen barmherzigen Atemzug geschehen lässt? Ist Baal so mächtig geworden, dass selbst Er mit Entsetzen geschlagen ist? Der Gedanke machte ihn frösteln. Ihm schien, als wäre der gewaltige Mechanismus, der die letzten Augenblicke der Menschheit einläutete, in Bewegung gesetzt worden; er tickte die Sekunden fort wie eine gigantische Pendeluhr.“ (S. 238) 
McCammon bezeichnet seinen 1978 veröffentlichten Debütroman in dem 1988 geschriebenen Nachwort als „Zorniger junger Mann“-Roman, als ersten Versuch, aus der Tretmühle eines öden Jobs herauszukommen und seine Brötchen als Schriftsteller zu verdienen. Besonders originell wirkt der Plot dabei nicht. Die kurz abgehandelten Stationen von Baals Lebenslauf von seiner Zeugung über das Aufwachsen bei der überforderten Mutter und in katholischen Internaten bis zu seinen erfolgreichen Methoden, massenhaft Jünger zu rekrutieren, bewegen sich in vertrauten Regionen, die William Peter Blattys „Der Exorzist“ (1971) und dessen erfolgreiche Verfilmung durch William Friedkin sowie Filme wie „Das Omen“ (1976) und „Rosemaries Baby“ (1968) vorgezeichnet haben, um damit eine neue Welle des Horrorkinos loszutreten. 
Das Finale im eisigen Grönland erinnert zudem an Mary Shelleys „Frankenstein“. McCammons „Baal“ zeichnet sich eher durch die exotischen Schauplätze in Kuwait und Grönland aus, die der Autor eindrücklich vor den Augen des Lesers mit Leben erfüllt, und die gut gezeichneten Charaktere, während der Plot doch recht skizzenhaft ausgefallen ist und mehr Tiefe hätte vertragen können. Für einen Debütroman besticht „Baal“ zudem durch eine bildreiche Sprache, die in späteren Werken des Autors noch geschliffener zum Ausdruck kommt. 

 

Robert McCammon – „Boy’s Life“

Freitag, 28. Juli 2023

(Luzifer Verlag, 582 S., HC) 
Nach seinem 1978 veröffentlichten Debüt „Baal“ avancierte der 1952 geborene US-amerikanische Schriftsteller Robert R. McCammon in den 1980er Jahren mit Romanen wie „Bethany’s Sin“ (dt. „Höllenritt“), „The Night Boat“ (dt. „Tauchstation“), „They Thirst“ (dt. „Blutdurstig“), „Usher’s Passing“ (dt. „Das Haus Usher“) und „Swan Song“ (dt. „Nach dem Ende der Welt“) nach Stephen King, Peter Straub, Clive Barker und Dean Koontz zu einem der interessantesten Horror-Autoren, doch sorgte offenbar ein Zerwürfnis mit seinem damaligen Verleger über die von McCammon gewünschte Ausweitung seiner Genre-Vorlieben für eine zehnjährige Schaffenspause. 
Zuvor erschien 1991 mit „Boy’s Life“ einer der besten Romane des Schriftstellers. Nachdem Knaur den Titel 1992 im Taschenbuch als „Unschuld und Unheil“ erstveröffentlicht und Area 2004 eine günstige Hardcover-Ausgabe nachgeschoben hatte, legte der Luzifer Verlag 2020 eine broschierte Neuauflage mit dem Originaltitel „Boy’s Life“ nach. 
Der zwölfjährige Cory Jay Mackenson lebt 1964 in der Kleinstadt Zephyr im Süden Alabamas. Wenn er nicht gerade mit seinen Freunden Johnny Wilson, Davy Ray Callan und Ben Sears abhängt, vergnügt er sich mit Superhelden-Comics und Magazinen wie „Berühmte Monster der Filmgeschichte“, „Screen Thrills“, „National Geographics“ und „Popular Mechanics“. Eines Märzmorgens begleitet Cory seinen Vater auf dessen Milchtour, auf die er auch Kunden südlich in der Nähe von Saxon’s Lake beliefert. Als sie am Park vorbei aus Zephyr hinaus in den Wald fahren, als plötzlich ein Auto aus der bewaldeten Kurve auf sie zufährt, von der Route Ten abkommt, die Böschung hinunterfährt und in den tiefen See stürzt. Sein Vater will den Fahrer retten, kann aber nur noch registrieren, dass dieser bereits tot war, splitternackt, mit ans Lenkrad gefesselten Händen und einer Tätowierung mit einem Totenkopf mit nach hinten zeigenden Flügeln auf der Schulter, bevor der Wagen für immer auf den Grund des Sees sinkt. Als Sheriff Amory mit den Ermittlungen beginnt, wird die Identität des unbekannten Toten nicht gelüftet. 
Der einzige weitere Hinweis auf die Tat stellt eine grüne Feder dar, die Cory unter seinem Schuh entdeckt, und eine Gestalt, die der Junge am Waldrand gesehen hat. Während sein Vater fortan von nächtlichen Alpträumen heimgesucht wird, verbringt Cory die nachfolgenden Sommerferien vor allem damit, das Geheimnis um die Feder und den vielleicht sogar aus Zephyr stammenden Mörder zu ergründen. Dabei macht Cory auch die Bekanntschaft der übersinnlich begabten Lady, die Corys Vater schließlich den vielleicht entscheidenden Tipp gibt. 
Cory verfügt nicht nur über eine blühende Fantasie, sondern auch ein enormes Ausdrucksvermögen, so dass er seine Erlebnisse in eine Geschichte einfließen lässt, die nicht nur einen Preis beim jährlichen Literaturwettbewerb der Stadt gewinnt, sondern auch dem Mörder signalisiert, dass Cory vielleicht mehr gesehen hat, als seine Geschichte andeutet. Als im Herbst noch immer keine Spur zu dem Mörder zu führen scheint, macht Cory zunehmend beunruhigende Entdeckungen…
„Was ich in der stillen Oktoberluft spürte, wenn Halloween näher rückte, waren nicht die Spukgestalten aus Plastik, sondern gigantische, mysteriöse Kräfte, die am Werk waren. Diese Kräfte konnte man nicht benennen. Man konnte sie weder als kopflosen Reiter, heulenden Werwolf noch grinsenden Vampir bezeichnen. Diese Kräfte waren so uralt wie die Welt und das Gute oder Böse in ihnen so rein und unverfälscht wie die Naturelemente. Statt Monster unter meinem Bett zu sehen, sah ich die Armeen der Nacht ihre Schwerter und Äxte für einen Kampf in Nebelschwaden schärfen.“ 
In der langen Aufzählung seiner Danksagung erwähnt Robert R. McCammon so unterschiedliche Einflüsse wie die Produktionen der Hammer Film Studios und ihre Stars Peter Cushing und Christopher Lee, aber auch Edgar Allan Poe, Edgar Rice Burroughs, Roger Corman, James Bond, Hans Christian Andersen, Vincent Price und nicht zuletzt Ray Bradbury, der in seinen Romanen und Erzählungen wohl am eindrücklichsten seine ausgeprägte Fabulierkunst dazu nutzte, um den Zauber und die Magie kindlicher Vorstellungskraft zu beschreiben. 
In „Boy’s Life“ macht der Ich-Erzähler Cory Mackenson gleich zu Beginn klar, dass der 1500-Seelen-Ort Zephyr voller Magie sei, und obwohl ebenfalls schnell der Mord an dem Mann in den Fokus rückt, der nackt, ans Lenkrad gefesselt und bereits ermordet mit seinem Auto für immer im Saxon’s Lake versinkt, dreht es sich bei dem epischen Roman nicht nur um „Die Suche nach einem Mörder“, wie der Untertitel andeutet, sondern um eine tiefgründige Coming-of-Age-Geschichte, in der der junge Protagonist viel zu schnell mit den Schrecken des Todes konfrontiert wird, aber auch die Magie von Urzeitmonstern und rasenden Fahrrädern kennenlernt. 
McCammon erzeugt mit seiner bildgewaltigen Sprache einen magischen Sog, entwickelt ein Gespür für interessante Figuren und lässt seinen kindlichen Helden ganz gewöhnliche, aber auch ebenso besondere Abenteuer erleben, bis er mit hartnäckig ausgeprägter Sherlock-Holmes-Logik dem Mörder auf die Spur kommt. In der packenden Mischung aus Entwicklungs-, Mystery- und Kriminalroman hat Robert R. McCammon Anfang der 1990er Jahre ein großartiges literarisches Werk kreiert, das locker in einem Atemzug mit Stephen Kings „Es“ und Dan Simmons„Sommer der Nacht“ genannt werden muss.