Robert R. McCammon – „Durchgedreht“

Sonntag, 24. März 2024

(Knaur, 544 S., Tb.) 
Robert R. McCammon stand zwar stets im Schatten der großen Horror-Autoren Stephen King, Dean R. Koontz, Peter Straub und Clive Barker, hat in den 1980er Jahren aber eine ganze Reihe lesenswerter Genre-Werke wie „Höllenritt“, „Tauchstation“, „Blutdurstig“, „Wandernde Seelen“ und „Das Haus Usher“ publiziert, die auch hierzulande eine treue Leserschaft fanden. 
Während die deutschen Übersetzungen allesamt bei Knaur erschienen sind, wechselte Campbell in den USA von Avon Books über Henry Holt & Company bis zu Pocket Books, die sich schließlich nicht mit den Ambitionen des Schriftstellers anfreunden konnten, dass dieser auch mal abseits des Horror-Genres seine literarischen Qualitäten ausprobieren wollte. So kam es, dass der 1992 veröffentlichte Roman „Gone South“ für lange Zeit das letzte Werk von McCammon gewesen sein sollte. Dabei demonstrierte der Autor gerade mit seinen „normalen“ Thrillern „Unschuld und Unheil“ und „Durchgedreht“ (der deutschen Ausgabe von „Gone South“) die ganze Palette seines Könnens. 
Wie so viele Vietnam-Veteranen hat der 42-jährige Dan Lambert nicht die besten Erinnerungen an seinen Einsatz in Fernost. Es sind jedoch nicht nur die Flashbacks an unmenschliche Gemetzel und den sinnlosen Tod befreundeter Kameraden, sondern auch die Nachwirkungen des in Vietnam eingesetzten Agent Orange, die Lambert zusetzen, leidet er doch unter Leukämie und einem Gehirntumor. Sein Vietnam-Trauma zerstörte seine Ehe und hat dazu geführt, dass er seinen Sohn Chad seit sechs Jahren nicht mehr gesehen hat. Dazu ist der Arbeitsmarkt anno 1991 in Shreveport, Louisiana, nicht gerade rosig. Mit den Raten für seinen Pick-up hängt Lambert seit zwei Monaten hinterher, und die Fahrten nach Death Valley, wo er immer wieder vergeblich einen Job als Tagelöhner zu finden versucht, erweisen sich als deprimierende Pflichtaufgabe. 
Während Lamberts bisheriger Bankberater Mr. Jarrett noch Verständnis für seine Situation hatte und die Raten stundete, zitiert ihn Jarretts knochenharter Nachfolger in die First Commercial Bank, um seinen Wagen zu pfänden. Lambert tickt daraufhin aus, und als ihm der skrupellose Emory Blanchard eine Pistole auf ihn richtet, schnappt sich der in die Enge getriebene Handwerker die Waffe des herbeigeeilten Sicherheitsmannes und schießt Blanchard in den Hals. In einer weiteren Kurzschlussreaktion flüchtet Lambert aus der Stadt. Die Bank setzt eine Belohnung von 15.000 Dollar auf Lamberts Ergreifung aus, worauf der schmierige Kautionsagent Smoates den routinierten Kopfgeldjäger Flint Murtaugh auf Lambert ansetzt. 
Dass Smoates darauf besteht, Murtaugh den Elvis-Imitator Cecil „Pelvis“ Eisley einzuarbeiten, bringt Murtaugh schnell zur Weißglut und führt immer wieder dazu, dass das kuriose Duo die sicher geglaubte Beute wieder aus den Augen verliert. Lambert gabelt unterwegs in einer Kneipe die junge Arden Halliday auf, die auf der Suche nach dem „Leuchtenden Mädchen“ ist, einer Heilerin, von der Arden hofft, dass sie Ardens riesiges Feuermal im Gesicht beseitigt. Doch die Odyssee in den Süden wird von weiteren Komplikationen und Leichen begleitet… 
„Selbst wenn er im Schutz der Dunkelheit fuhr, wusste er doch, dass es nur eine Frage der Zeit war, bevor die Polizei ihn fand. Und seine Zeit lief schnell ab, wie es schien. Sollte er weiterhin versuchen zu fliehen oder einfach aufgeben und selbst die Polizei rufen? Es gab kein Entrinnen vor dem Gefängnis; es gab kein Entkommen vor der Krankheit, die Stück für Stück sein Leben verschlang. Nach Süden abgegangen, nach Süden abgegangen, dachte er. Wohin konnte man fliehen, wenn alle Auswege blockiert waren?“ (S. 280) 
Mit der Bezeichnung „Nach Süden abgegangen“ – und da wären wir auch bei der Erklärung des Romantitels „Gone South“ - beschreibt Dan Lambert die Erkenntnis, die falsche Abzweigung im Leben genommen zu haben, und vor allem die ersten Seiten und die Erinnerungen an die schreckliche Zeit in Vietnam, wo Lambert seinen besten Freund Farrow verloren hat, machen deutlich, welche dramatischen Entbehrungen und Verluste Lambert in seinem Leben hinnehmen musste. 
McCammon gelingt es gerade durch die Flashbacks, Lambert als pflichtbewussten Soldaten zu charakterisieren, der während des Krieges leider feststellen musste, dass er und seine Kameraden in einem sinnlosen Krieg verheizt wurden, und nun aufgrund der dort erlittenen psychischen wie körperlichen Beeinträchtigungen nicht mehr seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Und trotzdem gibt er nie die Hoffnung auf, fährt Tag für Tag ins deprimierende Death Valley, um wieder keinen Job zu bekommen. 
McCammon beschränkt sich aber nicht nur auf die Geschichte eines Mannes auf der Flucht, sondern nimmt sich sehr viel Zeit, um Lamberts Jäger einzuführen, den aus einer Freak-Show stammenden Murtaugh (den haarlosen, aus seinem eigenen Körper ragenden Arm seines Bruders Clint mit dem fast unscheinbaren Mund versucht Flint so gut wie möglich vor den Augen anderer zu verstecken) und den leicht dümmlich wirkenden, korpulenten Elvis-Imitator Pelvis Eisley. Hier kommt McCammons Mitgefühl für die Randschichten der Gesellschaft, die Abgehängten und Verlorenen, zum Ausdruck, allerdings wirkt die Zusammenstellung des Kopfgeldjäger-Gespanns mehr als unglaubwürdig, denn warum Smoates ausgerechnet einen völlig ungeeignet erscheinenden Elvis-Imitator an die Seite eines routinierten, wenn auch ebenfalls skurril wirkenden Jägers stellen sollte, wird nie plausibel erklärt. Dieses Gespann ist es allerdings auch, was der Hetzjagd einige komische Momente beschert – ob man dies in einem Thriller schätzt, muss jeder für sich selbst entscheiden. Mit der durch ein Feuermal entstellten Arden und dem Motel-Ehepaar finden sich aber noch weitere merkwürdige Figuren in einem Thriller, der gerade zum Finale hin auch einiges an Action bietet. 
„Durchgedreht“ zählt sicher zu den besten Romanen von McCammon und wartet mit einer Handvoll interessanter, sorgfältig gezeichneter Figuren auf, doch leidet die Dramaturgie immer wieder durch Ungereimtheiten im stellenweise sehr konstruiert wirkenden Plot.


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