James Lee Burke – „Im Süden“

Dienstag, 9. September 2025

(btb, 352 S., Tb.)
Der 1936 im texanischen Houston geborene James Lee Burke gilt bereits seit den 1960er Jahren als neue, prägende Stimme des amerikanischen Südens und hat hierzulande vor allem durch seine epische, 24 Bände umfassende Reihe um den Detective Dave Robicheaux Furore gemacht. Mit seinem neuen Roman „Im Süden“ hält sich Burke ungewöhnlich kurz, präsentiert die vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs spielende Geschichte aber aus der Perspektive mehrerer Personen, deren Schicksal auf tragische Weise miteinander verknüpft ist.
Einst hat Wade Lufkin als Sanitäter im Krieg gedient, trägt noch immer eine Minié-Kugel in seinem Bein und lebt nun auf der Plantage seines Onkels Charles, malt Vögel und hegt eine besondere Vorliebe für die junge Kreolin Hannah Laveau, die sein Onkel vor einem Jahr auf dem Sklavenmarkt in New Orleans gekauft hatte. Sie war zuvor als Köchin bei den Südstaatensoldaten in Shiloh Church tätig gewesen und hat dort ihren Sohn Samuel verloren, den sie schrecklich vermisst. Als der brutale Minos Suarez, an den Hannah von Lufkins Onkel eine Zeitlang vermietet worden war, ermordet und zerstückelt am Spanish Lake aufgefunden wird, zählt Hannah zu den Hauptverdächtigten und wird von Constable Pierre Cauchon gesucht, der in gleich drei Gemeinden für Ruhe und Ordnung zu sorgen hat. Hannah gelingt mit Hilfe der abolitionistischen, sterbenskranken Lehrerin Florence Milton die Flucht, doch weder Cauchon noch die Sklavenfänger, die in den Bayous ihr Unwesen treiben, lassen die beiden Frauen zur Ruhe kommen. Und dann ist da noch der brutale Colonel Carleton Hayes, der sich nur der Fahne Schottlands verpflichtet sieht und seine eigene Freischärler-Armee zusammengestellt hat. Als sich diese Menschen immer wieder auf die eine oder andere Weise über den Weg laufen, haben romantische Gefühle kaum eine Chance, dafür umso mehr Hass und Gewalt…

„Darf ich Ihnen etwas verraten? Ich glaube, wir erleben gerade das Vorspiel zum endgültigen Niedergang unserer Nation. Die Zivilisation folgt dem Lauf der Sonne. Wir haben uns den Weg zum anderen Ende des Kontinents verbrannt. Egal wie viel wir geraubt haben, egal wie viele Lebewesen wir getötet haben, es war nie genug. Das Versinken der geschmolzenen Kugel im Pazifik hat eine Dimension, die mich erschaudern lässt.“ (S. 330)

James Lee Burke hat sich bereits mit seiner fast unzähligen, aber allesamt im Süden der USA abspielenden Romanen als ausgewiesener Kenner der Geschichte und vor allem der soziokulturellen Atmosphäre dort präsentiert, doch lässt er mit „Im Süden“ erstmals einen Roman zur für die amerikanische Nation besonders prägenden Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs spielen. Indem er verschiedene Protagonist:innen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten aus ihrer jeweils eigenen Perspektive die Geschichte erzählen lässt, entsteht zumindest ein sehr vielschichtiges Bild der Motivationen und Einstellungen, mit denen die Figuren den Krieg aus der Sicht des Südens erleben. 
So gelungen die einzelnen Erzählstränge auch sind, weil Burke sich einmal mehr als Meister der Sprache, des Stils und der Atmosphäre erweist, wird die Dramaturgie der Geschichte durch die oft wechselnden Perspektiven zu oft aufgebrochen, um echte Spannung zu erzeugen. Dafür wird besonders deutlich, welche Opfer jede(r) Einzelne auf sich nimmt, um möglichst unbeschadet aus den kriegerischen Auseinandersetzungen hervorzugehen. Während die ehemalige Sklavin Hannah nur darauf bedacht ist, wieder mit ihrem verlorenen Sohn vereint zu sein, geht es Anderen um die Wahrung ihres Besitzes, der Gerechtigkeit (was immer man darunter auch verstehen mag) oder schlichten Ruhm. Bei so vielen gleichberechtigt nebeneinanderstehenden Figuren und relativ wenig Seiten fällt es schwer, Identifikationspotenziale mit den Figuren auszumachen. 
So ist „Im Süden“ zwar nicht der beste Roman des Autors, auch wenn er selbst ihn dafür hält, aber natürlich ist das immer noch ein starkes Stück amerikanischer Literatur, deren historischer Sprengstoff bis heute nachhallt. 

 

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