James Sallis – (Lew Griffin: 1) „Stiller Zorn“

Sonntag, 28. November 2021

(DuMont, 189 S., Tb.) 
Seit Nicolas Winding Refns Verfilmung seines 2008 mit dem Deutschen Krimipreis ausgezeichneten Romans „Driver“ ist der aus Arkansas stammende Schriftsteller und Übersetzer James Sallis aus der internationalen Krimi- und Literaturwelt nicht mehr wegzudenken. Seine ersten Erfolge feierte Sallis mit der Reihe um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin, doch sind von den sechs zwischen 1992 und 2001 erschienenen Bänden leider nur die ersten beiden in deutscher Übersetzung erhältlich. Der erste Band, „The Long-Legged Fly“, wurde 1999 zunächst wortgetreu als „Die langbeinige Fliege“ in der von Martin Compart leider nur kurzlebigen Edition DuMont Noir mit einem lesenswerten Nachwort des Übersetzers Georg Schmidt veröffentlicht, 2013 als Neuauflage unter dem Titel „Stiller Zorn“
1964. Der Privatdetektiv Lewis „Lew“ Griffin schickt einen Mann namens Harry ins Jenseits, nachdem dieser sich an einem Mädchen aus Mississippi vergangen hatte, schlitzt ihm Kehle und Bauchdecke auf und kehrt irgendwann in sein Büro zurück, das er seit vier Tagen nicht mehr gesehen hat. Die Nachricht seiner Mutter, dass sein Vater im Sterben liegt, bekümmert ihn nicht weiter. Zwar ruft er seine Mutter im Krankenhaus von Memphis an, doch an einen Besuch denkt er nicht, da er an einem Fall arbeite. Für eine Gruppe von Gruppe von schwarzen Aktivisten soll er Corene Davis finden, die die Gruppe zu einem Vortrag eingeladen hatte, doch fehlt von ihr seit ihrem Flug von New York nach New Orleans jede Spur. Griffin findet die Gesuchte, nachdem er auf die Idee gekommen war, das Bild von Corene Davis aus dem Time Magazine aufhellen zu lassen. Offensichtlich wollte die populäre Aktivistin untertauchen, doch das ist ihr nicht so bekommen wie erhofft … 
Sechs Jahre später wird Griffin in seinem neuen Büro in Downtown von den aus Clarksdale, Mississippi, stammenden Eltern eines sechzehnjährigen Mädchens beauftragt, ihre offensichtlich nach New Orleans ausgebüchste Tochter ausfindig zu machen. Offensichtlich wollte sie in New Orleans Karriere als Schauspielerin machen. 1984 rappelt sich Griffin nach einem seiner vielen Alkoholexzesse wieder aus, wird aus der Touro Infirmary entlassen, wo er von einer Pflegerin namens Vicky besonders herzlich betreut wurde. Da der Detektiv nicht weißt, wo er unterkommen soll, bietet ihm eine alte Freundin, die Prostituierte Verne, einen Platz in ihrer Wohnung an, doch dann kommt er auf das Angebot von William Samson zurück, in dem von ihm geleiteten Rehabilitationszentrum ein Bett im Gemeinschaftszimmer zu belegen, dann zieht er zu Vicky, mit der er in letzter Zeit einiges unternommen hat. Er treibt Schulden ein und soll für einen Mann, den er in Samsons Zentrum kennenlernte, die Schwester finden. Weitere sechs Jahre später hat Griffin seine Tätigkeit als Privatdetektiv eigentlich hinter sich gelassen, unterrichtet und ist als Autor recht erfolgreich geworden, doch dann muss er seine alten Fähigkeiten reaktivieren, um seinen eigenen Sohn wiederzufinden, der sich nach einem Frankreich-Trip wie vom Erdboden verschwunden zu sein scheint. 
„Wenn es nur irgendwas gäbe, mit dem man die Welt und uns selbst neu erschaffen könnte. Ich dachte daran, wie ich erst vor ein paar Monaten am Fluss entlangspaziert war und mir die Worte Tabula rasa und Palimpsest durch den Kopf gegangen waren. Doch die Welt ändert sich nicht, und wir zumeist ebenso wenig. Wir schauen bloß weiter in den gleichen Spiegel, probieren unterschiedliche Hüte und Mienenspiele, versuchen es mit neuen Untugenden, Meinungen und Vorurteilen; tun so, genau wie die Kinder, als könnten wir Dinge sehen und spüren, die gar nicht da sind.“ (S. 140) 
Man spürt es immer wieder, wie der Einfluss des Jazz auch die Geschichten um den schwarzen Privatdetektiv Lew Griffin prägt. James Sallis hat bereits in den 1980er Jahren Kritiken und Sachbücher zum Thema Jazz geschrieben, spielt selbst Instrumente wie das Horn, Fiedel, Mandoline und Dobro, und hat durch die Werke von Raymond Chandler gelernt, dass Detektivgeschichten ein Eckstein der amerikanischen Literatur darstellt. Von ihm hat Sallis den Grundgedanken übernommen, dass es in den Geschichten weniger um die Lösung eines Verbrechens geht als um die Erkenntnis, dass es keine Moral und Ordnung in der Welt gibt. 
In der Spanne von 26 Jahren, in denen sich die vier Episoden von „Die langbeinige Fliege“/“Stiller Zorn“ abspielen, hat Griffin auch nicht immer den gewünschten Erfolg bei seinen Ermittlungen, aber durch die Begegnungen mit den Menschen, die er durch die Suche nach vermissten Personen kennenlernt, geht ihm auch das Vertrauen in die Welt verloren, was ihm entweder Trost im Alkohol oder in Beziehungen suchen lässt, denen kein gutes Ende vorherbestimmt ist. 
In der Lebensgeschichte von Lew Griffin schwingt der trostlose Klang des Blues durch, und doch schlägt sich der Detektiv, Schuldeneintreiber, Lehrer und Schriftsteller irgendwie wacker, findet immer einen Unterschlupf, eine wie immer auch geartete Liebesbeziehung und einen Job. Er lässt sich nicht unterkriegen in dem Moloch der Großstadt, in der mehr als nur einzelne Menschen verloren gehen. Dabei sind es nur Fragmente, die Sallis seinem Publikum aus Griffins Leben präsentiert. Wenn er auf nicht mal 190 Seiten über ein Vierteljahrhundert im Leben seines Protagonisten rekapituliert, bleibt nicht viel Raum für ausführliche Charakterisierungen und vertrackte Plots. Vielmehr bietet Sallis‘ Debütroman eine Tour de force durch Schicksale, die Zeugnis davon ablegen, wie Schwarze immer noch ausgegrenzt und gedemütigt werden und auf der Suche nach etwas Glück auch auf falsche Versprechungen reinfallen. Die unorthodoxe Art, wie Sallis seine Figur durch das Leben straucheln, aber nicht fallen lässt, macht sein Debüt so fesselnd. 

 

Stephen King – „Dead Zone – Das Attentat“

Donnerstag, 25. November 2021

(Heyne, 560 S., Tb.) 
Bereits Mitte der 1970er Jahre avancierte Stephen King mit seinen ersten Romanen „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“, „The Stand“ und der Kurzgeschichtensammlung „Nachtschicht“ zum Bestseller-Autor, dessen Werke schließlich von so illustren Regisseuren wie Stanley Kubrick, Brian De Palma, John Carpenter, Rob Reiner, George A. Romero und David Cronenberg verfilmt werden sollten. 1979 erschien mit „Dead Zone“ ein Thriller-Drama, das einmal mehr Stephen Kings erzählerisches Talent und sorgfältige Figurenzeichnung unter Beweis stellt. 
Im Alter von sechs Jahren stürzt Johnny Smith beim Schlittschuhlaufen so schwer, dass er für einen Moment das Bewusstsein verliert. Als er wieder aufwacht, gibt er zunächst sinnlos erscheinende Worte von sich: „Nicht überbrücken! Die Explosion. Die Säure!“ Dass der kleine Junge damit einen Unfall vorhersagt, den Chuck Spier wenig später mit seinem alten ´48er De Soto haben wird, ahnt niemand, aber Johnny hat in der Folge immer wieder mal Ahnungen, die ihn auch als Erwachsener begleiten. Er wird Lehrer und zieht mit seiner Freundin Sarah Bracknell über den Jahrmarkt von Castle Rock, wo Sarah Zeugin wird, wie Johnny unglaublichen Erfolg am Glücksrad hat. Da Sarah schlecht wird, bringt Johnny sie schließlich nach Hause und lässt ein Taxi für sich selbst rufen. Das Taxi wird in einen Unfall verwickelt, Johnny fällt in ein Koma, die Ärzte haben längst die Hoffnung aufgegeben, während Johnnys Mutter eine religiöse Fanatikerin wird. 
Als Johnny nach viereinhalb Jahren überraschend aus dem Koma erwacht, fühlt sich Vera Smith in ihrem unerschütterlichen Glauben an Gott bestätigt, verliert aber immer mehr den Bezug zur Realität und vor allem zu ihrer Familie. Johnny hat noch mehr als viereinhalb Jahre seines Lebens verloren, nämlich seine große Liebe Sarah, die mittlerweile verheiratet ist und Mutter eines Kindes. Johnny versucht zunächst, seine verkümmerten Muskeln wieder aufzubauen und ins Leben zurückzufinden. Seine hellseherische Gabe ist aber mittlerweile vollends ausgeprägt. Als er eine Krankenschwester warnt, dass ihre Wohnung gerade auszubrennen droht, und so tatsächlich Schlimmeres verhindert, wird Johnny zum gefundenen Fressen für die Medien. Das bleibt auch Sheriff George Bannerman nicht verborgen, der mit Johnnys Hilfe tatsächlich einen Serienmörder überführen kann. 
Am schockierendsten gestaltet sich für Johnny aber die Einsicht, dass der aufstrebende Politiker Greg Stillson in nicht allzu fernen Jahren US-Präsident wird und einen Atomkrieg heraufbeschwört. 
„Für Johnny war es noch nie so stark gewesen, niemals. Alles kam auf einmal wie ein dunkler Güterzug durch einen schmalen Tunnel, eine rasende Lokomotive mit einem einzigen gleißenden Scheinwerfer, und dieser Scheinwerfer wusste alles, und sein greller Lichtstrahl pfählte Johnny wie einen Käfer mit einer Nadel. Es gab keine Möglichkeit des Ausweichens, vollkommenes Wissen überrollte ihn und drückte ihn flach wie Blatt Papier zusammen, während der dunkle Zug über ihn hinwegraste.“ (S. 430) 
Johnny steht vor der schwierigen Entscheidung, ob er einen Mann töten darf, um größeres Unheil zu vermeiden … 
Stephen King gelingt es bis heute immer wieder, mit seinen immer noch oft dem Horror-Genre zugerechneten Romanen auch Kommentare zum Zeitgeist abzugeben, in denen seine Geschichten angesiedelt sind. Die Haupthandlung von „Dead Zone“ setzt im Oktober 1970 ein, dann wird sie nach viereinhalb Jahren, in denen der telepathisch begabte Hauptakteur aus dem Koma erwacht, fortgesetzt, so dass die Geschichte in die Amtszeit von US-Präsident Richard Nixon (1969-1974) fällt. Mit Johnny Smith steht ein ebenso kluger wie sensibler Mann im Mittelpunkt der Story, die von dem tiefen Unbehagen durch Nixons Präsidentschaft geprägt wird, die durch die Watergate-Affäre ihr unrühmliches Ende fand. 
Stephen King stellt seinen Protagonisten vor die schwierige moralische Frage, inwieweit man selbst ein Verbrechen begehen darf, um ein schlimmeres Übel – hier einen Atomkrieg! – zu verhindern. Der Autor charakterisiert Johnny Smith in allen Zügen, macht ihn für seine Leserschaft zur idealen Identifikationsfigur, mit der man zusammen leidet, dass viereinhalb Jahre des Lebens einfach im Koma verschwunden sind und damit auch die Liebe seines Lebens. Geschickt und behutsam baut King bis zum in jeder Hinsicht konsequenten Finale die Spannung auf. 
Das Buch war und ist so gut, dass es nicht nur 1983 von Regisseur David Cronenberg mit Christopher Walken als Johnny Smith und Martin Sheen als Greg Stillson verfilmt wurde, sondern auch noch eine über sechs Staffeln laufende Fernsehserie nach sich zog. 

 

David Baldacci – (Atlee Pine: 3) „Eingeholt“

Samstag, 20. November 2021

(Heyne, 512 S., HC) 
Eigentlich ist die das Field Office in Shattered Rock, Arizona, leitende FBI-Agentin Atlee Pine seit Jahren dabei, ihre Zwillingsschwester Mercy zu finden, die im Alter von sechs Jahren aus dem Haus ihrer Eltern in Andersonville entführt worden war. Atlee selbst ist bei dem Vorfall schwer verletzt worden. Ihr Chef Clint Dobbs hat Pine unbefristeten Urlaub genehmigt, um die Ereignisse vor dreißig Jahren in ihrer Heimatstadt zu untersuchen. Zwar hat sie in Andersonville den Verbleib ihrer Schwester nicht aufklären können, dafür aber eine Mordserie, wobei sie knapp einem Bombenanschlag entkommen ist. Was ihre privaten Recherchen angeht, hat die FBI-Agentin immerhin herausgefunden, dass sich ihre Mutter in jungen Jahren in einer Undercover-Mission bei der Mafia hat einschleusen lassen, wobei ein gewisser Bruno Vincenzo aus dem Verkehr gezogen werden konnte, der allerdings im Gefängnis ermordet wurde. 
Vincenzos Bruder Ito hat Pines Mutter für dessen Tod verantwortlich gemacht und die Pines in ihrem eigentlich sicheren Unterschlupf ausgemacht, Atlee fast getötet und ihre Schwester entführt. Nun befindet sich Pine mit ihrer Assistentin Carol Blum auf dem Weg nach Trenton, New Jersey, wo Itos Sohn Teddy in dem Haus seines Vaters gelebt hat, bevor er in Fort Dix seine Haftstrafe antreten musste. Nun scheint Itos Enkel Anthony in dem Haus zu wohnen, doch als sie den Mann vor Ort befragen will, türmt er und trifft dabei auf Special Agent John Puller vom CID. Der Militärpolizist ermittelt gegen Tony Vincenzo, weil er sich neben seinem Job im Fuhrpark von Fort Dix offensichtlich als Drogendealer betätigt. Pine und Puller bündeln ihre Kräfte, um sowohl Pines persönliche Mission und Pullers Ermittlungen voranzutreiben. 
Dabei stellen sie jedoch schnell fest, dass ihre Bemühungen von den allerhöchsten Stellen boykottiert werden. Ein hochrangige Army-General wird ins Ausland versetzt, nachdem er mit Puller gesprochen hat, Teddy wird in seiner Zelle ermordet, und schließlich entkommt Puller nur knapp einem Attentat. Mit der Hilfe von Pullers Bruder Bobby, einem IT-Experten im Dienst der Army, gelingt es Puller und Atlee, einer Verschwörung auf die Spur zu kommen, in die höchste politische Kreise involviert sind … 
Ähnlich wie David Baldaccis Kollege Michael Connelly in seiner neuen Reihe die Titelfigur Renée Ballard den schon berühmten Detective Harry Bosch gemeinsam ermitteln lässt, bringt auch Baldacci in dem dritten Band seiner Reihe um die taffe FBI-Agentin Atlee Pine mit dem erfahrenen Militärpolizisten John Puller zusammen. Das lässt zwar den Eindruck entstehen, als würden die weiblichen Protagonistinnen nur interessant genug erscheinen, wenn sie auf die tatkräftige Unterstützung ihrer populäreren männlichen Kollegen zurückgreifen können, doch bleiben sowohl Bosch als auch Puller in den Reihen um die weiblichen Cops und Agenten eher in der zweiten Reihe. Mit „Eingeholt“, dem dritten Band um die FBI-Agentin Atlee Pine und ihrer treuen Assistentin Carol Blum, verfolgt Baldacci den bereits erfolgreich umgesetzten Ansatz, Pines berührende persönliche Mission, den Verbleib ihrer vor dreißig Jahren entführten Zwillingsschwester aufzuklären, mit einem brisanten aktuellen Fall zu paaren. Das wirkt stellenweise etwas arg konstruiert, führt Pine und Puller aber auf eine lebensbedrohliche Odyssee, bei der viele Beteiligte getötet, gefoltert und schwer verletzt werden. 
Baldacci gelingt es souverän, die Schnitzeljagd mit viel Tempo und Dramatik voranzutreiben, bis sie völlig erschöpft ans Ziel kommen, das einige Überraschungen parat hat. So bietet „Eingeholt“ etwas überfrachtete, aber jederzeit packende Action und überzeugende Wendungen, so dass sich die Fans von Baldacci und Atlee Pine sicherlich auf weitere Fortsetzungen freuen dürfen.  

John Grisham – „Das Talent“

Montag, 15. November 2021

(Heyne, 398 S., HC) 
Mit seinen erfolgreich verfilmten Bestsellern wie „Die Firma“, „Die Akte“, „Die Jury“, „Der Klient“, „Der Regenmacher“ und „Die Kammer“ hat sich John Grisham Anfang der 1990er Jahre zum Shooting-Star des Justiz-Thrillers geschrieben. Doch statt jedes Jahr einfach einen weiteren spektakulären Fall vor Gericht zu präsentieren, hat er sich immer wieder gelegentlich eine „Auszeit“ genommen, um Romane zu schreiben, die von ihm geliebte Sportarten thematisierten. 
Nach „Der Coach“, „Touchdown“ und „Home Run“ legt der ehemalige Rechtsanwalt mit „Das Talent“ nun seinen vierten Roman in diesem Genre vor und erzählt die Geschichte eines siebzehnjährigen südsudanesischen Basketball-Spielers, der in den USA Karriere machen will. 
In der südsudanesischen Hauptstadt Juba gilt der siebzehnjährige Samuel Sooleymoon mit seinen 1,88 Meter Körpergröße als vielversprechender Point Guard, der über eine immense Schnelligkeit und Sprungkraft bekannt war, aber kaum den Korb von der Dreierlinie traf. Er wuchs in einem Dorf namens Lotta bei Rumbek, einer Stadt mit 30.000 Einwohnern, auf, und hat sein Leben meist mit Basketball und Fußball verbracht, während sein Vater Ayak in einer offenen Hütte, die als Schule galt, unterrichtete und seine ebenfalls hochgewachsene Mutter Beatrice sich als Hausfrau um den Garten und die Erziehung von Samuel und seinen beiden jüngeren Geschwistern James, Chol und Angelina kümmerte. Als Samuel eingeladen wird, in Juba an einem U18-Turnier teilzunehmen, macht er auf den Talentscout Ecko Lam einen so guten Eindruck, dass er tatsächlich zu Showturnieren in den USA eingeladen wird. 
Bei dem Turnier in Orlando gewinnt die südsudanesische Auswahl etliche Spiele, doch der Erfolg wird von der Nachricht überschattet, dass Rebellen Samuels Dorf zerstört haben. Wie sich später herausstellt, ist Samuels Vater bei dem Überfall umgekommen, während Angelina verschleppt worden ist und Beatrice mit den beiden Jungen in ein ugandisches Flüchtlingslager entkommen konnte. Samuel bleibt nach dem Turnier in den Staaten, wo der mit Ecko Lam befreundete Coach Lonnie Britt versucht, Samuel in die Auswahl zum NBA-Draft zu bekommen, und die Rechtsanwältin Ida Walker alle Hebel in Bewegung setzt, Samuels Familie ein Visum für die USA zu besorgen. Doch dazu muss Samuel seinen Highschool-Abschluss machen und Geld verdienen. Noch steht allerdings nicht fest, ob er tatsächlich das Zeug zum NBA-Profi hat. Die Gedanken an das Schicksal seiner Familie lassen Sooley, wie Samuel bald von seinen Fans genannt wird, nicht los … 
„Wenn im Wohnheim Nachtruhe herrschte und alles still war, saß er auf seinem Bett und durchforstete das Internet. Gelegentlich stieß er auf Fotos von Rhino Camp – Beatrice hatte gesagt, sie seien in Rhino South – und musterte angestrengt die Gesichter Hunderter Südsudanesen, in der verzweifelten Hoffnung, seine Mutter, James oder Chol zu entdecken. Immer noch klammerte er sich an den Gedanken, dass Angelina irgendwo dort war und nach ihrer Familie suchte.“ (S. 165) 
Bevor John Grisham eine Karriere als Rechtsanwalt und schließlich Bestseller-Autor einschlug, spielte er wie viele amerikanische Jungen davon, Profisportler zu werden, doch fehlte ihm das Talent, Baseball, American Football oder auch Basketball professionell zu spielen. Während Grishams bisherigen Sportromane „Der Coach“, „Touchdown“ und „Home Run“ aber noch einen gewissen Unterhaltungswert hatten, dümpelt die Story von „Das Talent“ leider über weite Strecken eher unspektakulär dahin. Dabei kommt das anfänglich noch etwas ausführlicher geschilderte Flüchtlingsdrama von Samuels Familie viel zu kurz. Stattdessen fokussiert sich Grisham auf die unglaubliche Karriere des südsudanesischen Jungen, der in kürzester Zeit nicht nur über zwei Meter groß wird, sondern dank unermüdlichen Trainings auch zum Matchwinner seiner College-Mannschaft wird, deren Siegesserie kein Ende zu nehmen scheint. 
Ein Großteil der Handlung nimmt dabei leider die Beschreibung der Spielverläufe ein, was für Nicht-Basketball-Fans schnell zur Zumutung wird. Vor allem leidet darunter die Intensität der an sich aufreibenden Schicksale des Basketball-Talents auf der einen und seiner im Flüchtlingslager verharrenden Familie auf der anderen Seite. Grisham beschränkt sich hier auf sehr sachliche, spröde Beschreibungen, die es der Leserschaft schwermachen, wirkliche Anteilnahme am Schicksal der Figuren aufzubringen. 
Das dramatische Finale ist letztlich wenig überzeugend gelungen, passt aber zu Grishams ohnehin unterdurchschnittlichen Werk. Er sollte besser bei seinen Justiz-Thrillern bleiben oder mehr Empathie für seine Figuren aufbringen, wenn es um eher emotionale Geschichten geht.  

Jo Nesbø – „Eifersucht“

Sonntag, 7. November 2021

(Ullstein, 268 S., HC) 
Seit Ende der 1990er Jahre zählt der norwegische Schriftsteller Jo Nesbø mit seiner Krimi-Reihe um den alkoholkranken Hauptkommissar Harry Hole zu Skandinaviens Top-Autoren. Neben den bislang 12 Bänden um Harry Hole hat Nesbø aber auch immer wieder alleinstehende Werke wie „Der Sohn“, „Headhunter“, „Macbeth“ und „Ihr Königreich“ sowie Kinderbücher veröffentlicht. 
Mit „Eifersucht“ legt er nun seinen ersten Band mit Kurzgeschichten vor, die sich interessanterweise alle um das titelgebende Thema drehen. 
Auf dem Flug von New York nach „London“ – so der Titel der ersten Story – lernt der Ich-Erzähler in der Business-Class eine neben ihm sitzende weinende, attraktive Frau namens Maria kennen, die ihm erzählt, dass ihr Mann sie mit ihrer besten Freundin betrügt. Sie ist deshalb so verzweifelt, dass sie ein Unternehmen damit beauftragt hat, sie zu töten. Das wird unwiderruflich innerhalb der nächsten drei Wochen geschehen. Die einzige Gewissheit, die Maria haben kann, ist, dass ihr Tod schmerzlos sein wird, Ort, Zeit und die Art und Weise zu sterben bleiben ihr unbekannt. Allerdings finden sich der Ich-Erzähler, der sich als Psychologe vorstellt, und Maria einander anziehend, so dass sie sich in einem Londoner Hotel treffen wollen, um zu überlegen, wie sie dem Mord-Vertrag entkommen können … 
Den Schwerpunkt der Geschichtensammlung bildet die 120 Seiten umfassende Titelgeschichte, in der der aus Athen stammende und auf das Mordmotiv „Eifersucht“ spezialisierte Ermittler Nikos Balli auf die Insel Kalymnos mit Julian Schmid den vermissten Zwillingsbruder von Franz aufspüren soll. Offensichtlich waren beiden Männer in dieselbe Frau verliebt, doch kurz vor Julians Verschwinden hat es einen Streit gegeben. Wenig später wird Julians Handtuch am Strand gefunden, Balli bekommt immer mehr das Gefühl, dass Franz seinen Bruder ermordet hat - u.a. durch eine SMS an Helena, in der Franz den Mord an Julian gesteht. 
Dieser Fall rüttelt in dem Ermittler Erinnerungen an die eigene Vergangenheit wach, denn wie die eineiigen Schmid-Zwillinge ist auch Balli begeisterter Kletterer gewesen, der zufällig Zeuge wurde, wie seine Frau Monique mit seinem Kumpel Trevor Sex hatte. 
„Welcher Schmerz wäre größer gewesen? Der, mit dem ich hätte leben müssen, wäre Trevor in jenem Sommer nach Frankreich gefahren und vielleicht für den Rest seines Lebens bei Monique geblieben, oder der, der mir zuteilwurde: sie jeden für sich zu verlieren? Und wäre eines von beidem schlimmer gewesen als ein Leben mit Monique auf der Grundlage einer Lüge. Ein Leben voller Verzweiflung, da unsere Ehe falsch war und nicht auf gegenseitiger Liebe beruhte, sondern auf gemeinsamer Schuld?“ (S. 144) 
Die Qualität der ersten beiden Geschichten gerade in Sachen Überraschungsmoment und psychologischer Tiefe erreichen die folgenden Geschichten nur noch selten. „Die Warteschlange“ fasziniert eher durch ihre brutale Kürze und die ebensolche Pointe, „Abfall“ thematisiert eine besondere Art der Müllentsorgung, wie sie einem Fahrer der Müllabfuhr natürlich naheliegt. „Das Geständnis“ fällt etwas zu weitschweifig aus, während „Odd“ der interessanten Frage nachgeht, ob ein Schriftsteller für eher die Kunst und ihr Erfolg oder die Liebe im Mittelpunkt stehen sollte. 
Jo Nesbø hat mit den sieben Geschichten rund um das Thema Eifersucht immer wieder interessante Ansätze gefunden, dieses wohlbekannte Mordmotiv in einen anderen Kontext zu stellen. Natürlich steht erwiesene Untreue dabei meist im Mittelpunkt der Geschichten, doch die psychologischen Aspekte reichen manchmal tiefer, wie der Autor oft sehr anschaulich darlegt. Der Unterhaltungswert zwischen den einzelnen Geschichten schwankt allerdings stark. Dabei hinterlassen „London“, „Eifersucht“ und „Odd“ die stärksten Eindrücke, während andere wie „Die Warteschlange“ oder „Das Geständnis“ wie Füllmaterial wirken. 
Auf jeden Fall dürften Nesbø-Fans jetzt wieder reif für einen Fall von Harry Hole sein. 

James Patterson – (Alex Cross: 25) „Danger“

Donnerstag, 4. November 2021

(Blanvalet, 444 S., Tb.) 
James Pattersons Thriller-Serie um den Kriminalpsychologen Alex Cross zählen seit Jahren zu den erfolgreichsten Thrillern weltweit – schließlich wurden bereits zwei von ihnen mit Morgan Freeman in der Hauptrolle („…denn zum Küssen sind sie da“, 1997, und „Im Netz der Spinne“, 2001) und einmal mit Tyler Perry („Alex Cross“, 2012) auch verfilmt. Im Jubiläumsband lässt der US-amerikanische Bestseller-Autor seinen sympathischen Protagonisten gleich gegen mehrere Auftragskiller antreten, die sukzessive die politische Elite der USA eliminieren. 
Fünf Tage nach der Beerdigung der 47-jährigen US-Präsidentin Catherine Grant, die überraschend im Oval Office tot zusammengebrochen war, erschießt Sean Lawlor die US-Senatorin Elizabeth Walker vor ihrem Haus. Bei den Ermittlungen bezieht der zuständige FBI Special Agent Ned Mahoney sowohl Alex Cross im Rahmen seiner Beratertätigkeit für das FBI als auch Alex‘ Frau Bree Stone, Chief of Detectives des Metropolitan Police Department in Washington, in das Team ein. 
Lawlor kann sich nur kurz über sein Honorar für den erledigten Auftrag freuen, denn von seiner Kollegin Kristina Varjan wird er mit einer Klaviersaite erdrosselt. Als der bekannte Gangster Fernando Romero nach einer Schießerei mit anschließender Geiselnahme den Mord an der Senatorin gesteht, scheint der Fall schnell zu den Akten gelegt werden zu können, doch in kurzer Abfolge fallen auch der amerikanische Präsident, der Sprecher des Abgeordnetenhauses, der Außenminister und die Finanzministerin Attentaten zum Opfer, worauf Larkin, der auf den Präsidentenposten nachgerückt ist, das Kriegsrecht ausruft. Alex Cross und seine Leute haben nicht viel Zeit, die offensichtliche Verschwörung aufzudecken, denn das Land droht im Chaos zu versinken … 
„Ich konnte verstehen, wieso die Leute kurz vor der Panik waren. Niemand wusste, wer oder was hinter den Attentaten steckte oder was als Nächstes kommen würde. Diese Angst und dazu die Unsicherheit reichten völlig aus, um die Menschen an den Rand ihrer psychischen Belastbarkeit zu drängen, und ich ging fest davon aus, dass es schon bald zu ersten Plünderungen und Aufständen kommen würde.“ (S. 262) 
Alex Cross hat es in seinen vielen Berufsjahren bereits mit den raffiniertesten Killern zu tun, aber für sein 25. (Roman-)Abenteuer hat sich sein Schöpfer noch mal was ganz Besonderes ausgedacht. In „Danger“ werden einfach mal die Superlative bemüht, und zwar in Reihe. Patterson begnügt sich nicht damit, nur eine hochrangige Politikerin durch einen Auftragsmörder eliminieren zu lassen, nein, es muss gleich mehr als eine Handvoll der hochrangigsten Staatsmänner und -frauen und eine ganze Schar von bestens vorbereiteten und koordinierten Killern sein, die die USA zu destabilisieren versuchen. Nebenbei avanciert Alex‘ sonst nur als Bankspieler eingesetzte Sohn Damon beim Basketballspiel gegen die stark favorisierte Mannschaft aus Georgetown natürlich als Matchwinner, nachdem Damons Schwester Jannie ohnehin schon als Leichtathletik-As Furore gemacht hat. 
Patterson drückt wie gewohnt stark aufs Tempo. Die über 100 sehr kurzen Kapitel und die einfache Sprache lassen das Publikum kaum Atem holen, allerdings bleibt bei so viel Action die erzählerische Tiefe auf der Strecke. Weder die Attentäter, die meist recht schnell wieder vom Spielfeld genommen werden, noch die politischen Scharmützel in der Frage um die rechtmäßige Präsidentschaftsnachfolge. Dazu wirkt es einfach unglaubwürdig, dass Cross als Kriminalpsychologe dem Präsidenten die Idee zur Ermittlungsstrategie vorlegt. 
Außerdem wirken die Nebenhandlungen wie Cross‘ Umgang mit seiner neuen Klientin, die er in seiner Teilzeit-Praxis betreut, und die anonymen Zettel mit dem Hinweis, dass Cross den Verfasser der Zeilen bitte aufhalten solle, eher störend, was zudem auf Kosten der Haupthandlung und ihrer Figuren geht. So ist „Danger“ zwar ein flott geschriebener und auch spannender Thriller geworden, der aber weit entfernt von Pattersons besten Arbeiten ist.