Jo Nesbø – „Eifersucht“

Sonntag, 7. November 2021

(Ullstein, 268 S., HC) 
Seit Ende der 1990er Jahre zählt der norwegische Schriftsteller Jo Nesbø mit seiner Krimi-Reihe um den alkoholkranken Hauptkommissar Harry Hole zu Skandinaviens Top-Autoren. Neben den bislang 12 Bänden um Harry Hole hat Nesbø aber auch immer wieder alleinstehende Werke wie „Der Sohn“, „Headhunter“, „Macbeth“ und „Ihr Königreich“ sowie Kinderbücher veröffentlicht. 
Mit „Eifersucht“ legt er nun seinen ersten Band mit Kurzgeschichten vor, die sich interessanterweise alle um das titelgebende Thema drehen. 
Auf dem Flug von New York nach „London“ – so der Titel der ersten Story – lernt der Ich-Erzähler in der Business-Class eine neben ihm sitzende weinende, attraktive Frau namens Maria kennen, die ihm erzählt, dass ihr Mann sie mit ihrer besten Freundin betrügt. Sie ist deshalb so verzweifelt, dass sie ein Unternehmen damit beauftragt hat, sie zu töten. Das wird unwiderruflich innerhalb der nächsten drei Wochen geschehen. Die einzige Gewissheit, die Maria haben kann, ist, dass ihr Tod schmerzlos sein wird, Ort, Zeit und die Art und Weise zu sterben bleiben ihr unbekannt. Allerdings finden sich der Ich-Erzähler, der sich als Psychologe vorstellt, und Maria einander anziehend, so dass sie sich in einem Londoner Hotel treffen wollen, um zu überlegen, wie sie dem Mord-Vertrag entkommen können … 
Den Schwerpunkt der Geschichtensammlung bildet die 120 Seiten umfassende Titelgeschichte, in der der aus Athen stammende und auf das Mordmotiv „Eifersucht“ spezialisierte Ermittler Nikos Balli auf die Insel Kalymnos mit Julian Schmid den vermissten Zwillingsbruder von Franz aufspüren soll. Offensichtlich waren beiden Männer in dieselbe Frau verliebt, doch kurz vor Julians Verschwinden hat es einen Streit gegeben. Wenig später wird Julians Handtuch am Strand gefunden, Balli bekommt immer mehr das Gefühl, dass Franz seinen Bruder ermordet hat - u.a. durch eine SMS an Helena, in der Franz den Mord an Julian gesteht. 
Dieser Fall rüttelt in dem Ermittler Erinnerungen an die eigene Vergangenheit wach, denn wie die eineiigen Schmid-Zwillinge ist auch Balli begeisterter Kletterer gewesen, der zufällig Zeuge wurde, wie seine Frau Monique mit seinem Kumpel Trevor Sex hatte. 
„Welcher Schmerz wäre größer gewesen? Der, mit dem ich hätte leben müssen, wäre Trevor in jenem Sommer nach Frankreich gefahren und vielleicht für den Rest seines Lebens bei Monique geblieben, oder der, der mir zuteilwurde: sie jeden für sich zu verlieren? Und wäre eines von beidem schlimmer gewesen als ein Leben mit Monique auf der Grundlage einer Lüge. Ein Leben voller Verzweiflung, da unsere Ehe falsch war und nicht auf gegenseitiger Liebe beruhte, sondern auf gemeinsamer Schuld?“ (S. 144) 
Die Qualität der ersten beiden Geschichten gerade in Sachen Überraschungsmoment und psychologischer Tiefe erreichen die folgenden Geschichten nur noch selten. „Die Warteschlange“ fasziniert eher durch ihre brutale Kürze und die ebensolche Pointe, „Abfall“ thematisiert eine besondere Art der Müllentsorgung, wie sie einem Fahrer der Müllabfuhr natürlich naheliegt. „Das Geständnis“ fällt etwas zu weitschweifig aus, während „Odd“ der interessanten Frage nachgeht, ob ein Schriftsteller für eher die Kunst und ihr Erfolg oder die Liebe im Mittelpunkt stehen sollte. 
Jo Nesbø hat mit den sieben Geschichten rund um das Thema Eifersucht immer wieder interessante Ansätze gefunden, dieses wohlbekannte Mordmotiv in einen anderen Kontext zu stellen. Natürlich steht erwiesene Untreue dabei meist im Mittelpunkt der Geschichten, doch die psychologischen Aspekte reichen manchmal tiefer, wie der Autor oft sehr anschaulich darlegt. Der Unterhaltungswert zwischen den einzelnen Geschichten schwankt allerdings stark. Dabei hinterlassen „London“, „Eifersucht“ und „Odd“ die stärksten Eindrücke, während andere wie „Die Warteschlange“ oder „Das Geständnis“ wie Füllmaterial wirken. 
Auf jeden Fall dürften Nesbø-Fans jetzt wieder reif für einen Fall von Harry Hole sein. 

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