Stephen King – „Dead Zone – Das Attentat“

Donnerstag, 25. November 2021

(Heyne, 560 S., Tb.) 
Bereits Mitte der 1970er Jahre avancierte Stephen King mit seinen ersten Romanen „Carrie“, „Brennen muss Salem“, „Shining“, „The Stand“ und der Kurzgeschichtensammlung „Nachtschicht“ zum Bestseller-Autor, dessen Werke schließlich von so illustren Regisseuren wie Stanley Kubrick, Brian De Palma, John Carpenter, Rob Reiner, George A. Romero und David Cronenberg verfilmt werden sollten. 1979 erschien mit „Dead Zone“ ein Thriller-Drama, das einmal mehr Stephen Kings erzählerisches Talent und sorgfältige Figurenzeichnung unter Beweis stellt. 
Im Alter von sechs Jahren stürzt Johnny Smith beim Schlittschuhlaufen so schwer, dass er für einen Moment das Bewusstsein verliert. Als er wieder aufwacht, gibt er zunächst sinnlos erscheinende Worte von sich: „Nicht überbrücken! Die Explosion. Die Säure!“ Dass der kleine Junge damit einen Unfall vorhersagt, den Chuck Spier wenig später mit seinem alten ´48er De Soto haben wird, ahnt niemand, aber Johnny hat in der Folge immer wieder mal Ahnungen, die ihn auch als Erwachsener begleiten. Er wird Lehrer und zieht mit seiner Freundin Sarah Bracknell über den Jahrmarkt von Castle Rock, wo Sarah Zeugin wird, wie Johnny unglaublichen Erfolg am Glücksrad hat. Da Sarah schlecht wird, bringt Johnny sie schließlich nach Hause und lässt ein Taxi für sich selbst rufen. Das Taxi wird in einen Unfall verwickelt, Johnny fällt in ein Koma, die Ärzte haben längst die Hoffnung aufgegeben, während Johnnys Mutter eine religiöse Fanatikerin wird. 
Als Johnny nach viereinhalb Jahren überraschend aus dem Koma erwacht, fühlt sich Vera Smith in ihrem unerschütterlichen Glauben an Gott bestätigt, verliert aber immer mehr den Bezug zur Realität und vor allem zu ihrer Familie. Johnny hat noch mehr als viereinhalb Jahre seines Lebens verloren, nämlich seine große Liebe Sarah, die mittlerweile verheiratet ist und Mutter eines Kindes. Johnny versucht zunächst, seine verkümmerten Muskeln wieder aufzubauen und ins Leben zurückzufinden. Seine hellseherische Gabe ist aber mittlerweile vollends ausgeprägt. Als er eine Krankenschwester warnt, dass ihre Wohnung gerade auszubrennen droht, und so tatsächlich Schlimmeres verhindert, wird Johnny zum gefundenen Fressen für die Medien. Das bleibt auch Sheriff George Bannerman nicht verborgen, der mit Johnnys Hilfe tatsächlich einen Serienmörder überführen kann. 
Am schockierendsten gestaltet sich für Johnny aber die Einsicht, dass der aufstrebende Politiker Greg Stillson in nicht allzu fernen Jahren US-Präsident wird und einen Atomkrieg heraufbeschwört. 
„Für Johnny war es noch nie so stark gewesen, niemals. Alles kam auf einmal wie ein dunkler Güterzug durch einen schmalen Tunnel, eine rasende Lokomotive mit einem einzigen gleißenden Scheinwerfer, und dieser Scheinwerfer wusste alles, und sein greller Lichtstrahl pfählte Johnny wie einen Käfer mit einer Nadel. Es gab keine Möglichkeit des Ausweichens, vollkommenes Wissen überrollte ihn und drückte ihn flach wie Blatt Papier zusammen, während der dunkle Zug über ihn hinwegraste.“ (S. 430) 
Johnny steht vor der schwierigen Entscheidung, ob er einen Mann töten darf, um größeres Unheil zu vermeiden … 
Stephen King gelingt es bis heute immer wieder, mit seinen immer noch oft dem Horror-Genre zugerechneten Romanen auch Kommentare zum Zeitgeist abzugeben, in denen seine Geschichten angesiedelt sind. Die Haupthandlung von „Dead Zone“ setzt im Oktober 1970 ein, dann wird sie nach viereinhalb Jahren, in denen der telepathisch begabte Hauptakteur aus dem Koma erwacht, fortgesetzt, so dass die Geschichte in die Amtszeit von US-Präsident Richard Nixon (1969-1974) fällt. Mit Johnny Smith steht ein ebenso kluger wie sensibler Mann im Mittelpunkt der Story, die von dem tiefen Unbehagen durch Nixons Präsidentschaft geprägt wird, die durch die Watergate-Affäre ihr unrühmliches Ende fand. 
Stephen King stellt seinen Protagonisten vor die schwierige moralische Frage, inwieweit man selbst ein Verbrechen begehen darf, um ein schlimmeres Übel – hier einen Atomkrieg! – zu verhindern. Der Autor charakterisiert Johnny Smith in allen Zügen, macht ihn für seine Leserschaft zur idealen Identifikationsfigur, mit der man zusammen leidet, dass viereinhalb Jahre des Lebens einfach im Koma verschwunden sind und damit auch die Liebe seines Lebens. Geschickt und behutsam baut King bis zum in jeder Hinsicht konsequenten Finale die Spannung auf. 
Das Buch war und ist so gut, dass es nicht nur 1983 von Regisseur David Cronenberg mit Christopher Walken als Johnny Smith und Martin Sheen als Greg Stillson verfilmt wurde, sondern auch noch eine über sechs Staffeln laufende Fernsehserie nach sich zog. 

 

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